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Ich schneie
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Ich schneie

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About this ebook

Nach der "sanften Revolution" kehrt der Ökonomieprofessor Viktor Král aus dem Exil im fernen Kanada ins heimatliche Prag zurück, wo Ich-Erzählerin Petra Márová die große Liebe ihres Lebens bereits sehnlich erwartet und nun beide wieder zueinanderfinden. Doch das, womit andere Romane aufhören, ist hier erst der Anfang, denn jetzt scheint Viktor seine Vergangenheit einzuholen: Sein Name taucht in einem Agentenregister des untergegangenen kommunistischen Regimes auf. Als sich herausstellt, dass ein ehemaliger Major der Staatssicherheit, der ebenfalls in Petra verliebt ist, hinter dem Eintrag steckt, wirft das nur neue Fragen auf. Wer lügt, wer sagt die Wahrheit? In ihrer Suche nach der "wahren" Wahrheit dringt Petra immer tiefer in die Vergangenheit ein – eine Wahrheitssuche, die zugleich eine spannende Aufarbeitung der jüngeren politischen Geschichte Mitteleuropas und ihres beklemmenden Fortwirkens bis in die Gegenwart ist.-
LanguageDeutsch
PublisherSAGA Egmont
Release dateFeb 1, 2016
ISBN9788711461402
Ich schneie

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    Ich schneie - Pavel Kohout

    Saga

    1

    Mea culpa. Mea maxima culpa!

    Aber warum so hochgestochen? Blöd bin ich, blöd hoch zwei!

    Allerdings, allerdings: Habe ich das voraussetzen können? Als ich meiner Gábina bei der Torte, die ich zu ihrem Fünfzehnten gebacken hatte, knieschlotternd über zehn Ecken klarmachen wollte, warum sie bald ihre erste Blutung kriegen würde (ich unaufgeklärtes Kind verschämter Katholiken hatte einst verzweifelt geglaubt, ich hätte eine schwere innere Verletzung), teilte sie mir fast beleidigt mit, ohne ihre Schafsmiene zu verändern, sie sei doch keine Jungfrau mehr.

    Dieser Junge maß an die zwei Meter und machte den Eindruck eines umschwärmten Beglückers anspruchsvoller Frauen. Ich hatte ihn zuweilen in der Betriebskantine bemerkt (er war nicht zu übersehen) und mit der Zeit jene angenehme Schwingung verspürt, die mir sagte, daß er sehr wohl von mir wußte. Nicht im Traum wäre ich aber auf die Idee gekommen, mich mit einer Person männlichen Geschlechts einzulassen, soviel jünger als ich.

    Als ich ihn jetzt an Bord erblickte (die noch unter den Totalitären geplanten Gelder für Transparente beim Maiumzug hatte unser Betrieb in diesem Mai 91 für eine festliche Dampferpartie springen lassen), kam mir aus heiterem Himmel der Gedanke, wie aufregend es wäre, von ihm umarmt zu werden. Ich war sogleich entsetzt (mein erster Hase? verdammt früh!), drehte ihm den Rücken zu und plauderte krampfhaft mit den Kollegen von der Anzeigenabteilung. Nach zwei Vierteln waren sie nicht minder fad, dafür aber um so aufdringlicher, die Zielscheibe ihrer peinlichen Komplimente waren wieder einmal meine Brüste. (Bei der Arbeit schnürte ich mich wie ein Ulanenoffizier, für das Schiff hatte ich natürlich einen recht enganliegenden Pullover angezogen.)

    Vorübergehend machte mir das Aufflammen unseres Chefreporters Spaß. Ohne Zweifel hatte auch ihn mein ‹Busensignal› (Zitat: Olin, früher verbotener Bildhauer, jetzt nach dem großen Knall Spektabilis oder so was) angelockt, doch er bemühte sich wenigstens, sein Gelüst kultiviert zu tarnen, indem er von seiner Art Journalismus erzählte, die ihm den Ruf eines Kommunistenfressers einbrachte und dem Blatt die Auflage erhöhte. Doch er spielte sich ungehemmt auf, was mich in Rage brachte.

    «Wie lang machen Sie schon diesen Job?» fragte ich unschuldig.

    «Fünf Jahre.» (Er tappte mir arglos in die Falle.)

    «Schade, daß Sie nicht auch früher so schreiben durften, dann hätten die hier nicht bis voriges Jahr ihren Mist gebaut.»

    «Na logisch, das ging nicht!»

    «Na logisch, jetzt geht doch alles!»

    Er stürzte das halbe Glas auf einmal hinunter, um sich an die Bar begeben zu können. Im Windschatten der Brücke nahm ich danach eine unaufschiebbare Operation vor: Ich erklärte dem sterbenslangweiligen, mir allerdings nicht unsympathischen Redakteur der Persönlichen Nachrichten (als einziger der Staatskatholiken im ganzen Betrieb war er auch vor der Revolution in die Kirche gegangen), daß mich allein die Existenz von Julien daran hindere, auf sein Eheangebot einzugehen. (Mein erdachter französischer Verlobter aus Amiens half mir, mein Privatleben zu bewahren und zu verschleiern; den Nachnamen Sorel verriet ich ausschließlich jenen Anbetern, die mit Sicherheit nicht Stendhal kannten.)

    Später, als der Moldaudämpfling hinter der Vranover Schleuse wendete und über uns in der Dämmerung Girlanden aus bunten Glühbirnen aufflammten, kam Wehmut in mir auf. Es war Erster Mai, der Liebe Zeit, doch Viktor hatte sich nach einmonatigem Schweigen auch heute nicht gerührt, so daß ich, einem bewährten Aberglauben zufolge, bis zum nächsten Mai keinen Liebeskuß empfangen würde ...

    Ich ging an die Theke zurück, um mir noch ein Viertel Roten zu holen. Das weckte die Lust zum Rauchen in mir. Also mußte ich beim Trinken zulegen, um den Nikotin- und Alkoholspiegel auszupendeln (andernfalls drohten mir Kopfschmerz oder Sodbrennen). Eine Weile ließ ich es zu, daß mein dicklicher Chef mit dem dürren Vertriebsleiter trunken um mich wetteiferte, einer wie der andere bot mir, sobald wir anlegten, einen ‹Schlaftrunk› in seinem Büro an, ein jedes mit einer (Altnomenklatura-) Couch ausgestattet (pfui, nie wieder!), bis ich dieser Groteske scheinheilig mit dem Hinweis Schluß machte, daß sie beide verheiratet und jetzt bereits offiziell Christen seien.

    Ich, die ich seit über einem Jahr in der Todsünde lebe!

    Bevor unser Maikahn anlegte, postierte ich mich an der richtigen Stelle und stürzte als erste an Land. Erst oben am Kai mäßigte ich das Tempo und schlenderte wehmütig durch die laue Nacht zur Straßenbahn, immer die menschenleere Uferpromenade entlang (als gäbs im nachrevolutionären Prag nicht alle naslang Überfälle), bis ein hinter mir auftauchender Schatten mich erschreckte. Es war aber der lange Jüngling, und er bestätigte mein Urteil: Ohne alle Schüchternheit stellte er sich vor (Václav, Lektor für irgendwas) und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte auf ein letztes Gläschen in einem besseren Lokal.

    Die kleine Weinstube war allerdings weit von dieser Vorstellung entfernt. Die Tischtücher fleckig, und selbst der im voraus spendierte Zwanziger versetzte den Ober nicht in bessere Laune. (Ihr wollt hier über Nacht Kapitalisten sein, lebenslang aber sozialistisch faulenzen! Zitat: Viktor. Ach Liebster, warum bist du nicht bei mir? Was suche ich hier mit diesem Zufalls-Don Juan? Ich weiß: die Freiheit von dir. So kann das nicht bleiben!)

    Er langweilte mich nicht gerade, bewies ein gewisses Niveau (respektierte den Altersunterschied und kehrte ihn nicht hervor), hatte allerlei gelesen und gesehen, er hatte sogar eine Meinung darüber. Dann glänzte ich, als wir auf die moderne Musik zu sprechen kamen, ohne Scham schnatterte ich daher, was ich mit einem Ohr von Gábinka und ihren Diskoboys aufgeschnappt hatte, hol sie der Teufel! Jetzt kamen mir diese Hohlheiten zupaß, das Jüngelchen staunte, man sah ihm regelrecht an, wie er mir verfiel. Mein Herzeleid reifte unterdessen zu meiner gefährlichsten Stimmung heran: Trotz.

    Also gut, du mein allerteuerster Liebling, dein Wille geschehe! Ich gehe dir fremd, und basta.

    Trotzdem bezahlte ich ordentlich meinen Teil und ließ mir ein Taxi für die Heimfahrt kommen. Herr mein Gott, du siehst, daß ich den Dingen ihren Lauf lasse, heißt du solch eine Heilkur nicht gut, dann mach, daß er mich nicht einlädt! (Zu allem bin ich ein elender Feigling.) Zwischen Lokal- und Droschkentür hatte er gerade noch Zeit, mich zu fragen, ob er mich zu sich einladen dürfe, auf einen Kaffee und Musik, versteht sich! er habe ein paar Superplatten von Joan Baez, die ich so schätze (haha). Er war dabei ein bißchen zittrig, was mir (in meiner Gehirnverfinsterung) gefiel, er ehrt das Alter! spottete ich für mich, doch dabei wollte ich ihn (zu meinem Erstaunen) wirklich schon. Alles drängte zur historischen Tat ...

    Trotz aller Sinnlichkeit (ach, und daß ich mit den Jahren immer sinnlicher werde!) war ich, o Welt, bis auf den heutigen Tag altmodisch treu, ich schlief immer nur mit einem, und entschied ich mich für einen anderen, war es mit dem ersten aus (ob das nun mein schöner junger Gatte war oder, nicht wahr, Viktor, du selbst ... heute werde ich zum erstenmal jemanden echt betrügen, und das wirst wiederum du sein).

    Der hochansehnliche Junge hatte von alle dem keine Ahnung, ich war auch auf der Höhe, er sollte glauben, das sei für mich so selbstverständlich wie das tägliche Brot, sonst blieb er mir womöglich noch am Halse hängen. (Wenn er mich nächstens in der Kantine grüßt, schneide ich ihn, soll er doch das Gefühl haben, daß er alles nur geträumt hat, er war der Mohr, der mich unbewußt von einer Folterliebe erlöst hat.)

    In meiner Weinseligkeit nahm ich weder die Straße, das Haus, das Stockwerk noch die Wohnung wahr, erst sein Zimmer, dessen Einrichtung und chaotischer Zustand mich an das von Gábina erinnerten (auch das hätte mich warnen sollen). Doch ich war entschlossen, ja, ich bezähmte mich, um nicht den Anfang zu machen (als wollte ich es schnellstens hinter mich gebracht haben). Er stellte den Plattenspieler an (und verkratzte dabei die Platte), knipste das große Licht aus (den Kaffee hatte er vergessen), kniete neben meinem Sessel nieder (so daß es unmöglich war, sich nicht zu küssen) und traf die Nase.

    Schon jetzt hätte ich den Fehler erkennen müssen, aber es war zu spät, seine Ungeschicklichkeit rührte mich geradezu, so daß ich ihm vormachte, wie man küßt, wenn man will, und mein erster Eindruck von ihm wurde bestätigt, als er unfehlbar den Schlüssel zu mir fand: Er streichelte mit beiden Händen zart meine Brüste. (Darauf waren nur zwei meiner Geliebten von allein gekommen, die übrigen fingen an, sie besinnungslos zu traktieren.)

    Gleich darauf die nächste vergebliche Warnung, als er unangebracht Darf ich? fragte. Ja! sagte ich, vom totalem Verlust an Urteilsvermögen betroffen, und um uns beiden peinliches Herumtasten zu ersparen, entledigte ich mich selbst des schwarzen Body; ich war sogar noch stolz, als er seine Entdeckung bestaunte.

    Viktor, mein Liebster, der du diese üppige Landschaft meines Körpers immer so vergöttert hast, bis ans Lebensende hättest du schon ihr ausschließlicher Besitzer sein können, wenn du mir noch einmal vertraut hättest!

    Nach einem Jahr wirkungsloser Treue kam jetzt also auf billige Art irgendein Bursche Václav in ihren Besitz, der eine unbehaarte Hühnerbrust hatte und schmale Hüften (wie männliche Schaufensterpuppen), ohne viel Federlesens zog ich ihn einfach an mich, bring mir rasch in Erinnerung, wie mans in diesem Alter macht, befrei mich von den alternden Langweilern und gib mich der Jugend wieder!

    Au! zwischen den Brüsten ein schmerzhafter Schnitt, hat er mich gebissen? doch die Sicherungen waren durchgebrannt, die männlichen Hände, jetzt fest zudrückend, beraubten mich des letzten Funkens von Hemmungen. Also dann so, wenn nicht anders! Ich kam dem jugendlichen Draufgänger entgegen, als wäre er mein Liebster, ja ich wünschte mir rasend, er möge mich ebenso beseligen wie Viktor der Sieger, denn dann, so glaubte ich, wäre es mit dessen Macht über mich endgültig aus.

    Er war in Trance, murmelte ständig etwas dabei, bis ich verstand, was er mir rhythmisch einhämmerte, Sie werden – mir sowieso – was husten ...! die Naivität der Verzweiflung machte mir das ganze Malheur klar, ich befand mich in den Händen eines Anfängers, doch da bäumte er sich auch schon ohne Vorwarnung auf, ein Krampf schüttelte seine schlanke Taille zwischen meinen Knien. Vor Schreck verließ mich nach dem Verstand nun auch die Kraft, ich kam nicht mehr rechtzeitig von ihm los.

    Früher als ich war er wieder bei sich, von kaltem Schweiß überströmt ließ er mich los, nahm seine Last von mir und entschuldigte sich stotternd. Ich war sprachlos. Wie konnte mir das passieren?? Mitten im Zyklus!! Nein, mein Gott, solchen Hokuspokus kannst du doch nicht im Sinn haben, übrigens war das gleiche ein paarmal letztes und dieses Jahr geschehen, und nichts! (Viktor habe ich die günstigen Tage in einer verrückten Hoffnung verheimlicht, doch mit meinen Mutterzeiten war es ganz offensichtlich aus und vorbei.)

    Dennoch verlangte ich sofort nach dem Bad, seine Spuren widerten mich an. Ganz verstört wies er mir den Weg, mich zu begleiten, wagte er nicht. Ich griff nach Body und Rock, um nicht nackt zurückzukehren. Ich zitterte vor Wut und Demütigung und verspürte zugleich eine sonderliche Genugtuung, als triumphierte mein besseres über mein mieses Ich. (Recht ist dir geschehn!)

    Das Badezimmer verriet das Fehlen einer Frau, doch das Privatleben dieses Idioten interessierte mich zuallerletzt. In der Tür fehlte der Schlüssel, ich glaubte aber nicht, daß er es wagen würde hereinzukommen, suchte mir ein Handtuch aus, das am saubersten aussah (weil es braun war), und stieg in die Wanne. Im Spiegel gegenüber sah ich die Bescherung: Gleich über meinen Brüsten prangte ein prächtiges rotes Siegel.

    Seit jenem wilden Sommer mit Josef wußte ich, daß es mich mindestens vierzehn Tage schmücken würde, der Reihe nach karmin, violett, blau und grüngelb. In meinem Elend verspürte ich wenigstens die rebellische Hoffnung, Viktor erschiene noch rechtzeitig, um sich daran zu ergötzen. (Vielleicht gibt dir das einen Stich, Liebster, vielleicht wirst du dir darüber klar, in was du da mich und uns beide hineinjagst!)

    Warmes Wasser kam keins, ich geißelte mich mit der kalten Dusche wie ein Flagellant, spülte mir den Schoß aus, bis er zur Fühllosigkeit erstarrte. Als dann doch hinter mir die Tür knarrte, verpaßte ich dem feinen Lektor wütend eine Lektion, die er längst verdient hatte.

    «Raus hier, aber sofort!»

    Eine heisere Stimme antwortete.

    «Ich bin hier zu Hause, Fräulein.»

    Beim Umdrehen hätte ich ihn beinah naßgespritzt. Der schwarzbehaarte ältere Typ trug nur eine Turnhose, aus der seine Bierwampe quoll, sein Kopf und sein Hals waren gleich dick, wie bei einem Molch. Ich ließ die Handbrause in die Wanne fallen und bedeckte mit den Händen, was sich bedecken ließ.

    «Wer sind Sie??»

    Zugleich ging mir auf: Der Junge hat mich auch noch nackt durch die elterliche Wohnung promenieren lassen!

    «Das hätte ich gern von Ihnen gewußt!» er starrte mich mit Abscheu an, «und auch, wo Václav die Moneten für Sie hernimmt.»

    Mir wurde schwarz vor Augen.

    «Daß du dich nicht schämst!» fuhr mein schuldbewußter Liebhaber ihn vom Korridor her an, «mach, daß du schläfst!»

    Er zog ihn am Ellbogen aus dem Badezimmer. Eine Prügelei lag in der Luft, und was tue ich dann? Der Absurditäten war kein Ende: Der Alte erschlaffte und verschwand gehorsam in der nächsten Tür. Der junge Mann war zum Glück wieder angezogen und schien sich seiner Vergehen bewußt.

    «Ich bitt Sie, seien Sie nicht böse! Sie gefallen mir schon lange so ...»

    Er hatte sofort spitz, daß dies das letzte war, was ich hören wollte, und ließ mich in Ruhe, damit ich mich allein wieder anzog, erst danach tauchte er mit den Augen eines geprügelten Hundes aus irgendeiner Ecke auf.

    «Darf ich mit runterkommen und Ihnen aufschließen?»

    Blödmann! fauchte ich, nach jedem Quatsch fragst du, nur nach dem Wichtigsten hast du nicht gefragt!

    «Das müssen Sie wohl», versetzte ich laut.

    Ich wartete nicht ab, bis er den Lift holte, auf der Treppe kam er kaum mit. Bevor er öffnete, zögerte er, vielleicht wollte er noch mehr Reue zeigen, doch mein Gesicht riet ihm davon ab. Ohne Gruß stürmte ich in die Nacht hinaus, weg von dieser Schande! Ich hörte die Tür nicht ins Schloß fallen, also blickte er mir bestimmt nach, meinethalben solle er dort verrecken!

    Der Himmel schickte mir einen Taximann, der zwar in entgegengesetzter Richtung heim zu seinem Bett strebte, doch sich meiner erbarmte. Verzeih mir, mein Gott, betete ich während der Fahrt, und du, Viktor, Liebster, verstoß mich nicht! wiederholte ich quer durch ganz Prag, bis ich mich ein wenig beruhigt hatte.

    Das Töchterlein war natürlich nicht zu Hause, den Wein hatte ich gestern ausgetrunken, und meine Zigaretten waren in jener Lasterhöhle geblieben. An lindernden Genüssen blieben mir zwei: ein Bad zu nehmen und mich auszuflennen. Ein Bein über der dampfenden Wanne und drauf und dran loszuheulen, hörte ich das Telephon. Barfuß ging ich hin, auf die übliche Mitteilung gefaßt, daß mein dummer Sprößling (warum kümmert sich schon wieder mal ihr Erzeuger nicht um sie? wieso hab ich alles auszubaden?) irgendwo gesund und munter säuft und vögelt (übrigens ganz die Mutter, der Vater hat seit je nur in der Politik gehurt).

    «Stör ich ...?»

    So fragte allein Viktor (noch nach zwanzig Jahren).


    In den zweieinhalb Jahren seit ihrem fünfzehnten Geburtstag hat meine Tochter mehr Liebhaber zu verbrauchen gewußt als in zwanzig Jahren ich, die ich mir fast wie eine Straßendirne vorkomme. Unlängst hab ich daheim beim Wein die meinen gezählt (das allein schon ein Zeichen des Niedergangs).

    Die Bilanz: Gleich den ersten hab ich geheiratet, wegen des zweiten mich scheiden lassen, meine schicksalhafte Liebe, vor der ich gerade deswegen mit dem dritten bis siebten fast manisch ausriß, bis mein Liebster samt der Hoffnung die Nerven verlor und (vor mir) übers Meer flüchtete. Den achten hätte ich aus unzähmbarem leiblichem Bedürfnis, das nach dem Verlust der zärtlichen Liebe über mich gekommen war, fast geheiratet; er nannte mich Mein letztes Geläute (er war fünfundfünfzig), einen langen Sommer hindurch wüteten wir wie die Tiger (wortwörtlich: wir jagten uns in seiner Mansarde herum, Josef sprang von der Couch auf mich runter, und ich wehrte ihn im Spiel mit Armen und Beinen auf dem Teppich ab), er war ganz zerkratzt, und ich konnte vor lauter Knutschflecken nicht ins Freibad. Damals aber hatte Gábina (eine überempfindliche Neunjährige) mich offenbar zum letztenmal gebraucht, immerzu verlangte sie nach mir, und ich ließ sie daheim mit dem Fernseher allein; als ich ihr Josef endlich vorstellte, beschloß sie, ihn dafür zu hassen. Ich nahm das als Strafe Gottes und verließ ihn schweren Herzens. (Doch auch aus Vernunft: Ich hatte bereits erfahren, was er war, und wer weiß, wie ich damit fertig geworden wäre.) Ich bemühte mich, das Familienporzellan in der Büßergestalt einer aufopfernden Mutter zu kitten, ich war in den besten Jahren, und die Männer (in diesem Alter lange genug verheiratet und reif für die erste Scheidung) balzten und röhrten, doch ich hatte mich so auf meine Mission (sogar eine christliche, denn ich begann mit der belagerten Kirche zu leben und nahm die Tochter mit) versteift, daß ich alles in allem nur drei erhörte (mehr aus Furcht, schnell dahinzuwelken). Mit einem war ich ein paarmal in seinem Wochenendhaus, mit dem anderen einmal (leider nicht keinmal!) im Hotel (im sozialistischen Prag mit dem Risiko verbunden, als Nutte zur geheimen Mitarbeit gezwungen zu werden) und mit dem dritten, einem Kollegen, (ich erröte vor Scham noch heute) gerade im Büro meines Chefs, beschwipst nach einer Fete, mit der er zum Glück seinen Abschied vor der Versetzung ins heimatliche Ostrau feierte. Auf dem Höhepunkt meiner ‹Askese› entdeckte ich, daß Gábina seit einem Monat nicht mehr in die Schule ging.

    Ein letztes Mal war das durch ein paar klassische Ohrfeigen in Ordnung gebracht worden, mit der Androhung, daß man sie als arbeitsscheue Person in eine Besserungsanstalt stecken würde, sie wußte, daß ‹die› dazu fähig waren. Rasch rechnete sie sich aus, die kleine Bestie (gerieben wie der Papa), daß ihr nichts drohte, solange ich die Entschuldigungszettel unterschrieb, und das tat ich natürlich, was blieb mir übrig? Als sie das erste Mal morgens heimkam, verdrosch ich sie blindlings. Daraufhin verschwand sie glatt ein ganzes Wochenende, und als sie gnädig erschien, küßte ich sie vor Glück wie von Sinnen ab. (Ich mußte, vom Heulen entstellt, einen erschütternden Anblick geboten haben, denn in Zukunft kam sie zwar immer seltener nach Hause, weckte mich aber wenigstens meistens per Telephon auf, um mir beim Gedröhn von Baßgitarren und Drums mitzuteilen, daß sie bis dato am Leben war.)

    Allein und leer sagte ich nicht Nein zu dem Bademeister im Stadion Podolí, wo ich in jenem Sommer gleich von der Arbeit hinwanderte. Er war auf natürliche Art männlich, nicht dumm, genauso alt wie ich und auch geschieden. Da er im Schwimmbad nur eine primitive Kabine hatte und daheim seine Mutter hinter der Tür gelauscht haben soll, nahm ich ihn bald zu mir mit; Gábina ließ sich dort zu jener Zeit überhaupt nicht sehen, war verliebt in irgendeinen Drummer aus dem Underground. (Ganz Prag schien ein einziger Underground zu sein, der trotzdem die Kommunisten am Ruder beließ!)

    Jarek hat mich wieder zu einem normalen Dasein gebracht und konnte es gut mit mir; eines Nachts mußte ich aufschreien, plötzlich Licht, und auf der Zimmerschwelle meine Tochter, wider Erwarten zu Hause aufgetaucht, Mami, was hast du?? mit großen Augen starrte sie dabei Jareks bloßen Hintern an, und dieser Kerl ohne Abitur und Kinderstube wandte den Kopf zu ihr um, Sie lebt gerade, Mädchen, schlaf ruhig weiter! Sie hat mir seinetwegen nie Vorhaltungen gemacht, hatte sogar Respekt vor ihm, doch zu spät: Im Herbst stürzte auch bei uns die bolschewistische Bruchbude endgültig ein, und im Frühling kehrte Viktor wieder, mein teurer Herrscher, der Zweite, Echte und Letzte.

    Seit jenem Novembertag, an dem der Alptraum aus und vorbei war, hatte ich auf seinen Anruf gewartet. Plötzlich wußte ich, daß er diesmal seine Lebenssicherheit in mir finden würde. Ich bin Petra! wiederholte ich für mich vor dem Einschlafen wie närrisch, und das heißt Felsin ...! Jarek schrieb mir traurige Briefe (er erwies sich damit keinen Dienst: sie klangen kitschig), und die ahnungslose Gábina erklärte überraschend, ich sei ein Scheusal, das keine Liebe zu schätzen wisse. Dann (erst im Mai!) rief Viktor an und kam.

    Zum erstenmal forderte ich meine Tochter auf, zur Nacht nicht heimzukommen, und ließ sie im Glauben, es gehe um die Versöhnung mit Jarek. An Viktor hatte ich während der Zeit der Trennung so gut wie nie gedacht, nach dem ersten Schock habe ich ihn verdrängt, aus Selbsterhaltungstrieb! Und jetzt gab es da auf einmal eine Beziehung, die über ein halbes Leben andauerte, beinahe zwanzig Jahre! (Die zehn Nulljahre verwandelten sich in den Gesang von Odysseus und Penelope ...)

    Ich hatte seine geliebten gefüllten Eier zubereitet, zwei Flaschen Würztraminer gekauft, den wir beide früher so mochten, doch kaum benetzten wir unsere Lippen, da riefen wir besessen die Vergangenheit zurück, die uns wie ein fortwährender Feiertag erschien. (Erinnerst du dich? Weißt du noch? Hast du nicht vergessen?) In einer Stunde gingen wir den gleichen Weg wie einst in den ersten Jahren und verfielen einander von neuem. Alles Trübe war vergessen, wir befanden uns wieder, genauso unbewußt, begierig, erregt und staunend, am Beginn und wanderten wie damals von Scham zu Zärtlichkeit, von Zärtlichkeit zu Verlangen und weiter bis zu einer Leidenschaft, wie ich sie nur mit Josef erlebt hatte.

    Diesmal liebte ich jedoch, und die begeisterten Sinne trugen mich über die Grenze des bislang Unentdeckten.

    Bald sollte ich begreifen, daß dies auch die Grenze war, an welcher der Glückstaumel endete und eine endlose Qual begann.

    Viktor, mein ewig Geliebter, verhehlte nicht, daß ihn dieser schwerelose Nachtflug zerrüttet hatte. Nicht ich, sondern er, der nur dem Taufschein nach Katholik war, wirkte beim Morgenkaffee als Gefangener einer Todsünde. Er war bleich und sprach heiser, als er mir schilderte (ohne Vorwurf, eher so, als legte er Studenten die Grundsätze der monetären Politik dar), um wieviel verzweifelter er nach jedem meiner Seitensprünge gewesen war (und ich weiß bis auf Olin längst nicht mehr, wie sie hießen), bis er sein Heil nur noch in der Republikflucht sah; daß ihn in der ersten Zeit drüben am meisten der Gedanke zermürbt habe, mich im Leben nie mehr wiederzusehen; wie er ein paar Jahre lang außerstande gewesen sei, mit jemandem zu schlafen (und ich habe mich hier wenig später mit seinem Kameraden getröstet, der sich alsdann schön entpuppte – lieber nicht dran denken!), bis sich in seinem ersten Dozentenjahr eine junge Slowakin für seine Vorlesungen eingeschrieben habe (ach! eine leidenschaftliche Nation!), der Sproß einer jüdischen Arztfamilie aus Bratislava, die nach achtundsechzig geflohen war, und wie er sie nach kurzer Bekanntschaft geheiratet habe (ist sie so schön, so klug und so leidenschaftlich? nein, nicht fragen: Besser in trügerischer Hoffnung leben, als vor furchtbarer Wahrheit beben ... Zitat: Karel Jaromír Erben, unser Märchendichter), wie sie dann beide aber gewartet hätten, bis auch sie mit der Uni fertig war (ich hab mein Studieren geschmissen), so daß ihr Kind, eine Tochter, erst ein Jahr alt sei (und ich hab dir keinen Sohn geschenkt).

    Freilich hätte ich ihn gleich wegschicken müssen, doch mir fiel aus Kummer nichts Besseres ein, als den Kaffee kalt werden zu lassen, vor ihm niederzuknien, mir aus dem Nachtgewand (ich hatte es zum Frühstück angezogen) meine beiden Ballaste zu nehmen, die er letzte Nacht so wie früher nicht hatte sattküssen können (seine Jüdin hatte vielleicht so was nicht zu bieten ...?), und sie auf den Händen gleichsam aufzutragen wie damals, wie damals. Augenblicklich wurde er rot (ich hatte vergessen, wie sehr das Licht ihn immer störte, und das Zimmer war von Morgensonne erfüllt), doch das Angebot war stärker als die Scham, er kniete vor mir nieder und legte sein Gesicht auf mein Herz und saugte sich an mir fest wie ein kleines Kind, so wie einst, so wie einst, ich weiß nicht, ob für eine Minute oder eine Stunde. Irgendwann begannen wir uns erneut zu lieben und weinten am Schluß beide vor Lust, vor Liebe, vor vollkommenem Glück.

    Wie im Traum schieden wir voneinander, er vergaß, mir seine Telephonnummer zu geben, wir machten nichts aus, doch es war klar, daß er sich noch heute, spätestens morgen melden würde. Nach drei Tagen zerschmetterte mich die Erkenntnis, daß er, seinem Wesen getreu, Kanadier, Professor, Ehemann und Vater bleiben und nie wieder der Meine sein würde.

    Etwa einen Monat später, als ich schon fest glaubte, er sei übers Meer zurück, rief er an, erkundigte sich wie immer, ob er nicht störe oder mich aufhalte und wie es mir gehe. Ich wollte wie vor Jahren schreien, Ich vereise! (den Zustand unserer Seelen teilten wir uns früher in Bildern mit, die ihnen näher kamen als banale Wendungen), doch leider Gottes schrieb man Heute, mein Liebster gehörte einer (gewiß) jugendlichen, (offenbar) feurigen schönen Frau, die er obendrein (bestimmt) anbetete, weil sie ihm eine kleine Königin der Juden und Christen geboren hatte, und ich sagte klopfenden Herzens, Gut, danke der Nachfrage. Er sei ausnahmsweise abends allein, teilte er mir erregt mit, ob er mich besuchen dürfe? (Bei einem anderen hätte ich den Hörer hingeschmissen.) Aber natürlich! erfuhr er von mir (Gábina hatte mir einen hingeschmierten Bescheid hinterlassen, sie sei mit irgendwem irgendwohin gefahren und komme irgendwann wieder), und ich machte mich in lauter Aufregung daran, die gestern noch frische Bettwäsche zu wechseln.

    Als er wie immer zweimal kurz klingelte, knickten mir vor Angst die Beine ein, ich hielt ihm die Wange zum Kuß hin (wie einst meinem Vater) und schnitt die drei mitgebrachten Rosen in der Küche an, damit er nicht sah, wie mir die Hände vibrierten. Ob er einen Türkischen wolle? rief ich (meine Stimme versagte), er wollte gern, ich konnte inzwischen wieder zu mir kommen, und nach einer Weile klingelten die Löffel in den vertrauten Kaffeehaferln. (Was eigentlich? Wandlung oder Totengeläut?)

    Mein Herzallerliebster saß mir wie vor zwei Jahrzehnten im selben Sesselchen gegenüber, lockenköpfig, glattrasiert und duftend, von dem Studenten kaum zu unterscheiden, den mir mein hübscher junger Ehemann vorgestellt hatte (Das ist Vít’a, mein Astralzwilling, nur im Unterschied zu mir die Seriosität selbst! ach nein, er hatte nicht gelogen, unglücklicherweise, deshalb bin ich Viktor ewig beleidigt davongelaufen und liebe ihn jetzt gerade deswegen wie eine Verrückte). Ich schwatzte Kraut und Rüben durcheinander, um die entsetzliche Mitteilung hinauszuzögern, die aus seinen seit je zu Verstellung unfähigen Augen schaute: daß er seine Frau und deren Frucht vergöttere und es zutiefst bedauere, falls er mir letztens vielleicht falsche Hoffnungen gemacht habe, als könne wiederbelebt werden, was gestorben sei.

    «Petra», hörte ich, als mir endgültig der Faden ausgegangen war, «ich liebe dich. Unentwegt denke ich an dich. Ich habe ein solches Verlangen nach dir, daß ich Urteil und Beherrschung verliere. Sogar wenn ich mit ihr bin!»

    In vier Sätzen öffnete er mir Himmel und Hölle. Schon wieder sachlich, wie es seiner Natur und Profession zukam, steckte er den Raum ab, der mir verblieb: Seine Frau habe mühevolle Jahre mit ihm verbracht, es sei undenkbar, daß er sie zum Dank verräterisch verlasse oder sie auch nur öffentlich durch eine Parallelbeziehung demütige; außerdem, und das teile er mir als erstem Menschen mit, denn Vanessa (ach, ach, ach! auch einen schöneren Namen hat sie und die gleiche Initiale wie er) sei noch in der Wohnung in Bratislava, wo es kein Telephon gebe (so erfuhr ich die Ursache für das lange Warten und kurze Glück), außerdem sei er heute zum Wirtschaftsberater des Vizepremiers berufen worden, falls seine kanadische Universität ihn freistelle.

    «Allerdings tue ich das nur dann, wenn du mir allem zum Trotz bleibst, Petra, sonst kehre ich zurück!»

    So tat mir mein Liebster eigentlich nichts anderes kund, als daß er nicht aufhören werde, mit seiner gesetzmäßigen Gattin zu verkehren, und dazu werde er für mich alle Jubeljahre einmal etwas Zeit haben, doch ich war im siebten Himmel. Er liebt mich! Er bleibt mir! Ich bin der Fels, der den Berg bewegt hat, und es lohnt sich, die Unbill des verborgenen Verhältnisses geduldig zu ertragen, denn mit jedem Ausruhen an meinem Herzen wird er ein bißchen mehr mein, bis er vielleicht ... Wieder kniete ich vor ihm nieder, doch er hielt mir die Hände fest.

    Wenn er sich anmaßen dürfe, mich zu begehren, wo er mir so wenig bieten könne, dann müsse ich ihm helfen. Ja, liebend gern, wie ich nur kann. Ich müsse so frei bleiben, wie ich es alle Zeit mit ihm war. Bin ich das etwa nicht? Nein, er ertrage den Gedanken nicht, daß ich hier allein hockte und auf ihn wartete, während er, ich wisse schon! Die Vorstellung mache ihn krank, ein anderer könnte mich liebkosen, doch meine Freiheit sei für ihn trotzdem die einzige Lösung. Versteh, Petra (ich versteh dich, Liebster, sprich meinethalben auch portugiesisch!), ich möchte wenigstens das Leben von uns dreien im Gleichgewicht halten (dein Wunsch ist mir Befehl und Buße).

    Nach diesem indirekten Versprechen der Untreue liebten wir uns bis zum Morgen ohnegleichen, noch drei Tage lang klang und leuchtete er in mir nach, bis mir der Gedanke durch den Kopf schoß, er habe gewiß wieder mit ihr zusammen sein müssen. (Mein Trost: Denkt er bei ihr an mich, wie er mir sagte, dann kann er keine wirkliche Lust empfinden, die gebe nur ich ihm! Mein Zweifel: Funktioniert das wirklich so?) So begann der schmerzvolle Kreislauf Himmel – Hölle – Paradies. Nach jeder Erfüllung eine neue Leere, ein quälendes Sehnen, das zwei, drei und auch endlose vier Wochen lang anwuchs, während derer er sich überhaupt nicht meldete. Nie fragte er, wie ich mein Versprechen einhielt, aus der Erfahrung mit mir setzte er das offenbar voraus, denn bei jeder Wiederkehr liebte er mich um so rasender, als bestrafe er mich wie gewohnt fürs Fremdgehen (und ich stöhnte vor Wonne, weil er sich sicherlich so nicht auf seine Jüdin stürzte).

    Nicht nur mein Liebeskampf, auch das allgemeine politische Ringen eskalierte. Im Lande schwärmten fünfzehn Millionen wackerer Kämpfer gegen den Kommunismus aus (die ihn noch kurz zuvor aus Feigheit am Leben gehalten hatten), und da er bereits geschlagen war, führten sie Scheinkriege, um es nachzuholen (die meisten dafür, weiterhin wenig geben und viel nehmen zu dürfen). Gábina ließ die Schule einfach sausen, indem sie den Schulstreik nicht wie ihre Mitschüler beendete (mit anarchistischen Sprüchen verschleierte sie, daß sie längst faul war wie die Sünde), jetzt war das jedem egal, außer mir, die sie zu ernähren hatte. Aber es war die einzige Möglichkeit, sie in Sichtweite zu behalten, Liebhaber (konnte man die so nennen?) hatte sie inzwischen die Menge, doch Verstand nach wie vor für einen Kreuzer (wie ein Spürhund paßte ich auf, daß sie wenigstens keine Drogen nahm).

    Viktors Name stand immer öfter in den Zeitungen, man pries und verfluchte ihn als einen der Apostel der Privatisierung. Mit dem Auto durchquerte er die Republik und mit dem Flugzeug ganz Europa (dabei hatte er wenigstens ein Ritual entwickelt: auf dem Weg vom Flugplatz rief er an und kam vorbei, stets mit einem schönen Geschenk, meist auch für eine Umarmung), ich tröstete mich (und schämte mich dafür), daß er auch bei seiner Familie nicht warm zu werden vermochte. Von der stupiden Arbeit in der Anzeigenabteilung, die ich nach der Revolution hatte loswerden wollen und um deren Erhalt ich jetzt betete (die Reform mähte überall die überflüssigen Kräfte weg, was finge ich dann an?), eilte ich nach Hause, falls er anriefe (ich durfte nicht), um an mindestens dreizehn von vierzehn Abenden Staub zu wischen, zu waschen

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