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Tischgespräche - Begegnungen mit Prominenten unserer Zeit
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Tischgespräche - Begegnungen mit Prominenten unserer Zeit
Ebook355 pages4 hours

Tischgespräche - Begegnungen mit Prominenten unserer Zeit

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Eine gute Möglichkeit, um das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden, sind Tischgespräche. Schon die Griechen hatten einen angenehm klingenden Namen für diese Art von Gespräch: Symposion. Auch Luther schätzte sie als höchst ergiebige Form für den Gedankenaustausch. Der Autor dieses Werkes, Thilo Koch, hat in berühmten Restaurants seit dem Jahr 1985 mit mehr als 50 prominenten Partnern solche Tischgespräche geführt. Diese beschreibt er nun auf unterhaltsame und anregende Weise.-
LanguageDeutsch
PublisherSAGA Egmont
Release dateSep 30, 2019
ISBN9788711836163
Tischgespräche - Begegnungen mit Prominenten unserer Zeit

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    Tischgespräche - Begegnungen mit Prominenten unserer Zeit - Thilo Koch

    Koch

    AUGUST EVERDING

    ER ZÄHMTE SEINEN SPIELTRIEB NICHT

    Wenn er eintritt, füllt er sofort das kleine Séparée:

    leiblich, geistig, stimmlich. Er schaut sich um

    und sagt: »Hier pflegte Franz Josef Strauß zu

    dinieren, wenn er zum Käfer kam. In diesem kleinen

    Stüberl sind schon manch’ große Entscheidungen

    gefallen. Aber, zunächst die Dramaturgie

    unseres Menüs.«

    Hat er Zeit mitgebracht für unser Tischgespräch? Um 14.30 Uhr muß er zur Vorlesung, und es ist jetzt gegen 13 Uhr. »Austern?« fragt er und taxiert mich aus den Augenwinkeln. Ich erzähle, bei welcher Gelegenheit ich Kaviar kennenlernte – als ich mit Adenauer 1955 in Moskau war.

    Ein anerkennendes Nicken, für den Kaviar, für mich – in dieser Reihenfolge. Mit Blinis, möchte er. »Wir haben Kartoffeldatschi dazu bereit«, sagt der Oberkellner. Blinis sind ihm lieber: »Aber aus Buchweizen!« »Probieren’s doch beides, Herr Generalintendant.« Gut. Zum Kaviar gehören ein eiskalter Wodka und Champagner. »Kein Wodka für mich, muß heute abend noch Karajan in Berlin treffen.« Zwei Gläser Lanson Rosé Brut sind blitzschnell zur Stelle. Wie anmutig sich der gewichtige Herr verneigen kann, beim ersten »Zum Wohl«, wie zierlich die Hand das Glas balanciert.

    Ist er für Karajan oder für das Orchester? »Für Karajan, natürlich, auch öffentlich.« Die Berliner Philharmoniker waren vor Karajan da und werden nach Karajan da sein, gebe ich zu bedenken und berichte von einer Begegnung mit Herrn von Stresemann, dem Überbrückungsintendanten – der sehe, wie seinerzeit sein Vater Gustav, der Außenminister, einen »Silberstreif am Horizont«.

    Er wiegt den schweren Kopf, nein, es ist ein veritables Haupt. Er trinkt bedächtig und mit Behagen einen zweiten langen Schluck: »Ein herrliches Getränk, aber was geschieht hier auf unserer kleinen Bühne nach dem Vorspiel? Im Drama folgt dann der Hauptteil mit dem Höhepunkt, mit der Katharsis.« Nun, die Läuterung unserer Seelen werden wir beim Käfer nicht finden, darauf ist nicht einmal er, der lukullische Tausendsassa Münchens, vorbereitet.

    Der Oberkellner macht einen gastronomisch-dramaturgischen Vorschlag, dem wir beide sofort zustimmen: junger Fasan mit Trauben, Nüssen, Weinkraut, Pilzen und Kartoffelpüree. Welchen Wein? Einen Sancerre, sagt der Intendant kurz und bestimmt. Darf es auch der schönste Wein der Loire sein, der Pouillyfumée »Baron L«, frage ich. Wieder das anerkennende Blinzeln und das liebenswürdige Neigen des Hauptes. Er hat das Volumen eines Barockfürsten, aber den Charme eines Rokokokavaliers.

    War sein Vormittag anstrengend? Er hebt die Schultern unterm blauen Nadelstreifenjackett. So etwas wie Anstrengung paßt nicht zu ihm, seine rastlose Motorik scheint ohne Reibungsverlust zu laufen – ständig rotierend und doch souveräne Ruhe vermittelnd. »Es ging um unsere neue ›Ariadne‹, heute morgen, gestern abend war ja Premiere im Nationaltheater.« »Zufrieden?« Er neigt sich herüber und bemerkt leise und kühl: »Erfolgreich und unbedeutend.« Für eine Sekunde ist da nichts als kritische Härte.

    Selbstverständlich ist auch einem August Everding der Erfolg nicht geschenkt worden. Warum ging er nicht nach New York an die Metropolitan? Kann ein Mann so überheblich sein, diesen Spitzenjob in seiner »Branche« auszuschlagen? Jetzt schüttelt er das Haupt energisch. »Ich habe mich nicht gegen New York, sondern für München entschieden; ich will hier das Residenztheater wieder aufbauen und sonst einiges für das kulturelle Klima der Stadt tun.«

    Außerdem ist ihm eine Inszenierung pro Jahr an der »Met« sicher. Er versteht offenbar die seltene Kunst, einen Kuchen zu essen und zu behalten. August Everding kann mühelos lachen, schmunzeln, lächeln, zu passender Zeit und immer in der richtigen Art. »Der Fasan läßt auf sich warten.« Zum ersten Mal schaut er auf die Uhr, aber ganz gelassen. Gerd Käfer steckt den Kopf herein, auf seine eigene Weise motorisch. Zwei Profis sind sofort im Gespräch und auf dem Punkt. »Machen’s doch ein Fest im Resi, Herr Professor, die Garderobentische fürs Buffet, eine Band, was glauben’s, wie das lauft.«

    Schon ist der Wirbelwind wieder draußen und weiter. Everding schaut ihm nach, väterlich wohlwollend – in der Tat hat er vier Söhne. »Er macht meine Theaterbuffets hervorragend.« »Darf man sagen, der Käfer ist der Everding der Gastronomie?« Der Vergleich behagt ihm. Der Fasan kommt, wird zerlegt und serviert und gekostet und gelobt. Wie hat »der General« angefangen? Ganz theoretisch, auf der Universität, mit Philosophie, Theologie, Theaterwissenschaft und einer Doktorarbeit über den »Tod auf der Bühne«.

    Er verehrte Romano Guardini, den katholischen Schriftsteller, der von der Kirche nicht immer so hochgeschätzt wurde wie von der Jugend jener Jahre, August Everding wurde 1928 geboren, in Bottrop, Vater Organist. Die Praxis, das war dann zunächst Regieassistent bei Schweikart und Fritz Kortner. Den unzähligen Kortner-Anekdoten fügt er – »für Sie, Herr Koch, ich habe das noch nie erzählt« – eine hinzu. »Ich mußte einmal für einen Schauspieler einspringen, nur in der Probe. Ich hatte einen Finger zu heben, nicht zu hoch – ja, so ist es gut. Nächster Tag, mein Stichwort, ich erscheine, hebe den Finger, vielleicht 3 cm höher. Kortner: ›Everding, hemmen Sie Ihren Spieltrieb!«

    Genau das hat er nicht getan und es dadurch weiter als fast alle in seiner Generation, in seinem Metier gebracht. Fürs Dessert ist es schließlich zu spät. Wann und wo immer August Everding sich erhebt und verneigt, hat das Gewicht und Bedeutung. »Verstehen Sie sich gut mit Strauß, der auch so gern an diesem Käfertisch speist?« »Ich bin Westfale, wie Sie wissen, und wir haben mit den Bayern dreierlei gemein: Dickfälligkeit, Humor und Biestigkeit.«

    Sagt’s, neigt das Haupt und enteilt zu seinen Studenten und zu Karajan. Biestigkeit? Er ist ein Büffel, denke ich, ein starker, schöner Büffel, bei dem man nie weiß, ob er nicht bereits zu einer ungeheuerwuchtigen Aktion ansetzt, während er scheinbar nur zierlich mit den Hufen scharrt.

    RALF DAHRENDORF

    UNRUHE IST DER NATÜRLICHE MITTELPUNKT SEINES LEBENS

    Mit wehendem Mantel betritt er das behäbig-

    gediegene Restaurant in der Drachenburg,

    wo einst der Reformator Johannes Hus während des

    Konstanzer Konzils gefangengehalten wurde.

    Ein Reformator, säkularisiert und liberal, ist auch

    Professor Dahrendorf. An unserem Tisch im Erker

    stellt er die zerknautschte Reisetasche ab und

    ruft noch im Stehen der hilfreichen Saaltochter zu,

    während wir uns die Hände schütteln:

    »Ich brauche einen Whisky.«

    Es ist Punkt 12 Uhr mittags, er ist mit dem Taxi über den Rhein und durch den Schweizer Zoll gedonnert, vor einer Viertelstunde stand er noch vor seinen Studenten der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Konstanz.

    »Wie hast du sie vorgefunden, deine Schüler?«, frage ich den alten Freund, der die neue Universität Konstanz 1966 »unter Kiesinger« mitbegründete. Er nimmt einen Schluck – pur auf Eis – atmet tief durch, lacht kurz und trocken und sagt: »Sie könnten mehr lesen, sie sollten genauer denken, sie hören leider nicht gut zu, allerdings sind sie auch materiell recht anspruchslos.«

    Neben mir auf der rotgepolsterten Bank unter den Butzenscheiben habe ich sein neuestes Buch: »Reisen nach innen und außen, Aspekte der Zeit«. Ich halte es ihm entgegen, auf dem Schutzumschlag diskutiert er mit Rudi Dutschke, ein berühmtes dpa-Foto. »Was ist von der Studentenrevolte 1968 geblieben?«

    »Die Dutschke-Generation, das ist doch heute schon wieder die Vätergeneration der jetzt Studierenden, infolgedessen wird sie von der abgelehnt. Wir damals jungen Professoren sind nur noch die Großväter – belächelt oder ignoriert.«

    »Wie ein Großvater wirkst du nun gerade nicht, stürmisch wie du hereinwehst und mit deinen 56 Jahren . . . Aber wir wollten ja eigentlich hier auch was Gutes essen, denn ich weiß, du bist ein Gourmet, wenn du dir die Zeit dazu nimmst.«

    Sein Dimple und mein Tio Pepe sind ausgetrunken, wir widmen uns der Karte, sie ist kurz und gediegen, die Saaltochter empfiehlt uns eine frische Lachsforelle aus dem Bodensee, gerade angelandet. Wir nicken, es soll kein ausgedehntes Festmahl werden, denn mein Feuergeist muß um 14 Uhr nach Kloten, zum Züricher Flugplatz. Also beschränken wir uns auf eine Flasche Dom Perignon und dazu als Appetitanreger ein Eßlöffelchen Kaviar.

    »Das ist mal ein Kaviar auf Erden,« sagt er, »sonst ißt man so etwas ja immer nur in der Luft, als Firstclass-Passagier.«

    »Wohin geht’s heute nachmittag?« »Nach London zu Ellen. Aber morgen weiter nach New York. Mit der Concorde.«

    »Fliegst du gern mit ihr?«

    »Nein, sie ist laut und so eng, daß du nicht mal die Times entfalten kannst, allenfalls Time Magazine. Aber sie spart Zeit. Nur mit ihr kriege ich meinen Vortragstermin morgen abend.«

    »Auf den Spuren Helmut Schmidts? Hoffentlich ist dein Mindesthonorar auch 10 000 Dollar.«

    »Ich war kein Bundeskanzler.«

    »Wärst es aber ganz gern geworden, hast auch mal so etwas gesagt.«

    Er hebt das Glas und lacht wieder kurz und trocken: »Meine Partei konnte nie den Bundeskanzler stellen. Fein, aber klein, wie sie ist. Und Staatssekretär bei Scheel im Jahr der Wende 1969, in der Morgenröte der sozialliberalen Koalition, die so viel in Bewegung setzte, das war gut genug.«

    »Weißt du noch, als du Scheel dein Jawort ins Telefon hauchtest?«

    »Genau, auf deinem Bettrand sitzend.«

    Er war mit seiner ersten Frau und zwei Töchtern an jenem Abend bei uns eingeladen, hatte unsere Telefonnummer angegeben, das Telefon klingelt, Walter Scheel meldet sich, Ralf will ungestört reden, das ging nur vom Zweitapparat im Schlafzimmer.

    »Warum bist du schon nach einem guten Jahr von Bonn nach Brüssel gegangen? Unruhe? Fortsetzung des Senkrechtstarts?«

    »So senkrecht war das übrigens nicht, wenn du die Stationen alle im Blick behältst, vom Studium in Hamburg gleich nach dem Krieg über London als Student, Saarbrücken, Gastprofessuren an mehreren europäischen und nordamerikanischen Universitäten, Eintritt in die FDP 1967, Bundesvorstand, Landtag Baden-Württemberg, Bundestag und die ungezählten Stühle in Gremien und Kommissionen, Gesellschaften zur Förderung von XYZ.«

    »Und Brüssel dann war der Höhepunkt? Als Kommissar für das Auswärtige der EG stand dir ja die Welt offen und stets auf höchstem Level. Du fuhrst einen rot-braunen Jaguar mit Chauffeur, erinnere ich mich, der rote Teppich war immer schon ausgerollt.«

    »Gute, interessante Jahre, gewiß. Aber die London School of Economics war mehr, länger, wichtiger für mich.«

    »Wohl nicht nur die Leitung dieser berühmten Hochschule, deine Arbeit, die Bücher, sicher wohl auch das Persönliche, Private. Daß du Ellen gefunden hast, deine zweite Frau. Ralf, du warst fast seßhaft geworden. Bist aber auch treu, kehrtest nach Konstanz zurück.«

    »Behielt die schöne Wohnung in London und habe noch ein Buen retiro im Schwarzwald.«

    »Wo warst du letzte Woche?«

    »In Jordanien.«

    Ich zeige ihm einen Ausschnitt aus dem Konstanzer Südkurier, ein Bericht über seine erste öffentliche Vorlesung nach der Rückkehr aus London. Es ist ein Foto von ihm dabei – Brille und eingerolltes Manuskript in der linken Faust, blickt er herausfordernd ins Weite.

    »Du kannst ziemlich aufmüpfig aussehen.«

    »Ich bin ein Radikaler.«

    »Ein radikaler Liberaler, also ein Widerspruch in sich.«

    »Ja.«

    Das Gespräch ist, wie immer mit ihm, ein so rasches Pingpong, daß wir die rosa Forelle aus dem Bodensee gar nicht richtig würdigen, eher schon den Champagner.

    »Bei dieser öffentlichen ›Rückkehrvorlesung‹ zitiertest du gern Kant. Der ist nie aus Königsberg herausgekommen und war zufrieden, wenn Diener Lampe ihm das Frühstück pünktlich hinstellte. In dieser Selbstbeschränkung entstanden dann Werke, die das Denken der Welt veränderten. Wann und wo schreibt Ralf Dahrendorf sein Opus magnum?«

    »Hier und bald. Immerhin gab es ›Gesellschaft und Demokratie in Deutschland‹.«

    »Das ist zwanzig Jahre her. War es dein wichtigstes Buch?«

    »Nein, ich denke immer noch ›Soziale Klassen und Klassenkonflikt‹. Hier in der Bundesrepublik wurden insgesamt 2000 Exemplare verkauft, in England und Amerika jedes Jahr so viele, noch heute.«

    »Hat dich swinging London geprägt? England, the british way of life?«

    »Mehr als alles andere. Ich bewege mich dort am reibungslosesten, lebendigsten. Meine jüngste Tochter Daphne, 15, ist ein typisches Collegegirl. Meine erste Frau war Engländerin, die zweite ist Amerikanerin.«

    »Sehr emanzipiert?«

    »Sie ist berufstätig, Historikerin, übersetzt aus dem Russischen.«

    »Und ist liberal mit ihrem liberalen Ralf, schätze ich. Und wer hat dich in der Soziologie am meisten beeinflußt? Die Frankfurter Schule, Horkheimer, Adorno?«

    »Nein, im Gegenteil: Karl Popper.«

    »›Die offene Gesellschaft und ihre Feinde‹ ist ja auch für Helmut Schmidt eine Art Evangelium. Übrigens, du hast dich manchmal etwas reserviert über den Altbundeskanzler geäußert?«

    »In Hamburg beim Studium war er unser Vorsitzender, beim SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund), und wir Jungen mochten die altgedienten Offiziere nicht. Er war ein guter Kanzler. Er war der einzige westliche Regierungschef, der etwas von Wirtschaft und Strategie verstand. Aber er zeigte es zu sehr, zu lehrhaft. Seine Arroganz machte ihn unbeliebt.«

    »Die SPD ohne ihn. Deine Partei ohne Scheel, jetzt ohne Genscher. Auch ohne Dahrendorf? Werden euch die Grünen nicht ablösen als Zünglein an der Waage im Parteienringelreihen bei Bund und Ländern?«

    »Im Bund wird die FDP sich knapp halten. Die Grünen gehen an ihren inneren Widersprüchen kaputt. Und an der Demographie.«

    »An der?«

    »Wir haben eine schrumpfende Bevölkerungsentwicklung. Es wird immer weniger Junge und immer mehr Alte geben. Das verteilt auch die Farben im Parteienspektrum allmählich um. Ohnehin ist der Trend: neokonservativ.«

    »Jeans raus, Krawatte rein?«

    »An der Uni noch nicht, aber schau mal in einige Gymnasien, da ist Bügelfalte optimal.«

    »Ich mag sehr dein Amerikabuch ›Angewandte Aufklärung‹. Rennen wir Europäer wieder einmal den USA hinterher?«

    »Europa wird und wird nicht, jedenfalls nicht so, wie wir es uns dachten. Der Weltgeist, wenn es einen gibt, hält sich heute in den USA auf.«

    »Aber du fliegst sicherlich nicht nur deshalb so gern über den Atlantik, um drüben den Weltgeist von Hegel zu grüßen. Du findest dort deine eigene Unruhe, ›aufgehoben‹ – im Hegelschen Sinn.«

    »Unruhe ist der natürliche Mittelpunkt des Lebens.«

    Sagt’s, lacht noch einmal kurz und trocken und sitzt schon im wartenden Taxi, als ich, ihm freundlich nachblickend, meinen Kaffee gemächlich trinke.

    GERD BACHER

    WIEN, WIEN, NUR DU ALLEIN . . .

    Vom rotgedeckten Frühstückstisch im Restaurant

    des Hotels im Palais Schwarzenberg blicken wir in

    den Park, der das Palais Schwarzenberg und das

    Schloß Belvedere verbindet, das sich vor 300 Jahren

    Prinz Eugen, der edle Ritter, bauen ließ.

    »Dort drüber wohne ich«, sagt Gerd Bacher,

    »im Gesindehaus des Belvedere.«

    Österreichs Würdenträger werden auch heute, im Zeitalter der Demokratie, feudal untergebracht. Die Schlösser, Palais und Herrensitze der Habsburger Monarchie sind ja alle noch da. Wien überstand, anders als Berlin, den Zweiten Weltkrieg ohne Totalzerstörung.

    »Fünfundvierzig, das verlief bei uns vergleichsweise gelinde, mit den vier Besatzungmächten ›in einem Jeep‹. Aber das Jahr 1918/19, das war hier ein wesentlich tieferer Einschnitt als in Deutschland. Beispielsweise wurde nach dem Weltkrieg Nummer 1 in Österreich der Adel abgeschafft. Seine Durchlaucht, der Fürst Karl Johannes von und zu Schwarzenberg, in dessen Haus wir hier frühstücken, durfte sich nur noch Herr Schwarzenberg nennen. ›Von Karl dem Großen geadelt, von Karl Renner entadelt‹, hieß es damals.«

    »Dennoch«, sage ich »blieb Österreich – anders als wir ›draußen im Reich‹ – konservativ bis in die Knochen. Bis heute? Oder heute wieder? Oder heute erst recht?«

    Er schenkt sich bedächtig etwas Kaffee nach, greift zu einem Kipferl: »Schauen Sie, der Kreisky, das war doch nichts weiter als ein Theaterdonner, ein sozialistischer. Was hat der denn seinem beklagenswerten Nachfolger Sinowatz hinterlassen? Einen Trümmerhaufen.«

    »Sie waren, Herr Bacher, einmal Berater Helmut Kohls, bevor er Bundeskanzler wurde. Und Sie wollten dazu beitragen, daß er es wurde. Wie beurteilen Sie ihn heute, nachdem er es ist?«

    Viele kleine Fältchen um die blauen Augen geben seinem Blick etwas Lustig-listiges. Gerd Bacher, ein Herr von 59 Jahren, trägt ein dezent kariertes Jackett, weinrote Strickkrawatte und Pullunder. Er redet lebhaft und gern, kann aber auch aufs Liebenswürdigste geduldig zuhören. Er sagt:

    »Man spricht ihm Brillanz ab. Seine Art zu regieren sei ohne Glanz – ein Kleinbürger. Insofern ist Helmut Kohl vielleicht wirklich a bisserl der Gegentypus zum Kreisky. Aber er ist es eben auch im positiven Sinne. Wo auf der Welt finden Sie heute eine so solide, erfolgreiche Regierungsarbeit wie in Bonn? Nennen Sie mir ein einziges Land. Von Wien aus betrachtet, muß ich es schon erstaunlich finden, daß man diesen deutschen Bundeskanzler – und sein großartiges Team notabene – nicht so schätzt, wie er es verdient. Nur weil er nicht so ›brillant‹ ist wie sein Vorgänger Helmut Schmidt?«

    »Nun, er hat vielleicht etwas zu vollmundig von der großen Wende gesprochen. Die blieb aus: für die Arbeitslosen, bei der Rentenfinanzierung. Aber Sie kennen nicht nur Helmut Kohl, den Politiker. Man sagt, er liebe Österreich ganz besonders. Warum, was glauben Sie?«

    »Er hat 13 Jahre lang hintereinander stets bei uns seinen Urlaub verbracht. Er mag uns, wir mögen ihn. Vielleicht findet er bei uns eine Lebensart, die leichter ist als die seine, wir nehmen halt auch das echt Tragische nicht so ganz tragisch. Nein, ich bewundere ihn wirklich. Allein wie er mit seinem großen Problem in München fertig geworden ist. Na . . .«

    Die Serviererin im weißen Schürzchen möchte uns gern noch etwas Kräftigeres bringen, vielleicht Rührei mit Schinken? Er dankt: »Ich unterhalte mich besonders gern morgens in der Früh, aber es bleibt beim kleinen Caféhaus-déjeuner.«

    »Was wurde aus dem Wiener-Caféhaus? Ich gehe in Wien natürlich immer mindestens einmal zum Dehmel.«

    »Schon der leckeren Canapés wegen?«

    »Ja. Und ein bißchen nostalgisch ins Sacher-Café, wo ich früher stets Friedrich Torberg traf.«

    »Er und Hans Weigel – in ihrem Caféhaus hielten sie geradezu Hof, täglich. Dort schrieben sie auch ihre Rezensionen, die dann ganz Wien in zwei Lager spalteten. Das ist vorbei. Wir beide, Herr Koch, trafen uns das letzte Mal ja in Ihrer Heimatstadt, in Berlin.

    Berlin und Wien haben einiges gemeinsam. Zum Beispiel auch dies: den Verlust der Juden. Das haben beide Städte nie verwunden. Dreihunderttausend waren es in Wien, die nach dem ›Anschluß‹ 1938 verschwanden, man hatte Wien ganz zu Recht das zweite Jerusalem genannt.«

    »Männer von Weltgeltung wie Sigmund Freud mußten emigrieren. Immerhin, Torberg und Weigel, Hilde Spiel, andere kamen nach 1945 zurück.«

    »Das war ungeheuer wichtig, ich war ein junger Mann damals, ich habe zu ihren Füßen gesessen. Aber nach Wien kehrten die paar Überlebenden noch zögernder heim als nach Deutschland. Warum? Weil man sich 1945 und danach hier viel schlimmer als bei Ihnen aus der Verantwortung gestohlen hat. Das mußte einem Wiener Juden doppelt widerwärtig sein. Er hatte ja am eigenen Leibe den Antisemitismus Wiens erfahren, auch vor 1938, vor 1933, noch früher, als Hitler selbst seinen Judenhaß hier in Wien so grauenhaft folgenreich in sich aufsog.«

    »Gerd Bacher stammt aus Salzburg, wurde fast so etwas wie ein Wiener Lokalpatriot, aber er bleibt auch hier der kritische Beobachter und Historiker?«

    Wieder lächelt er lustig-listig mit seinen Augenfältchen: »Vielleicht auch deswegen, weil es sehr wienerisch ist, Wien zu kritisieren.«

    Wir kommen – wie könnte es anders sein – auf unsere recht unterschiedlichen Erfahrungen mit den elektronischen Medien in Österreich und Deutschland zu sprechen. Der Gebieter über alle Rundfunk- und Fernsehsendungen in Österreich führt es auf Wien zurück, daß die Atmosphäre in seinem »network« auch heute noch immer persönlicher ist, legerer und gerade deshalb auch kreativitätsfördernd.

    »Mir steht nur ein Fünftel des Etats zur Verfügung, über den Herr Stolte in Mainz gebietet. Damit machen wir täglich 137 Stunden Rundfunk und 22 Stunden Fernsehen. Täglich, Herr Koch!«

    Er beugt sich über sein Gedeck zu mir herüber und ist nun sichtlich engagiert. Natürlich könne auch er nicht ohne bürokratischen Apparat auskommen. Aber der sei wesentlich kleiner, habe nicht so viel zu sagen wie in Deutschland.

    »Der entscheidende Vorteil jedoch heißt schlicht und einfach Wien. Hier ist alles, hier ist jeder. Wir von der ORF leben kulturell von diesen herrlichen Institutionen der Musik, des Theaters, von der Burg, von der Staatsoper, in die Sie heute abend gehen. Bedenken Sie, der kleine Staat Österreich mit seinen 7 Millionen Einwohnern gibt jährlich 300 Millionen Mark, nicht Schilling, für die Kultur aus.«

    »Und zugleich haben Sie das gesamte politische Leben ihres Landes in unmittelbarer Nähe.«

    »Genau, in der Bundesrepublik Deutschland fehlt das nationale Zentrum, es fehlt Berlin.«

    »Hand aufs Herz, Herr Bacher: Ist Intendant eines großen Funk- und Fernsehhauses heute nicht ein ›impossible job‹? Was soll der arme Mann nicht alles sein: ein souveräner Programmplaner und bedeutender Journalist, ein Verwaltungs- und Finanzgenie, ein Betriebs- und Menschenführer erster Güte und last but not least: alle Parteien müssen ihn – es lebe der Proporz – akzeptieren.«

    Der Generalintendant lehnt sich zurück, blickt hinaus zu den Statuen Lorenzo Matiellis im Park und spricht die geflügelten Worte:

    »Ich liebe meinen impossible job, ich bin gern Intendant, mit Leib und Seele. Ich bin hier in Wien frei, alle wichtigen Personalentscheidungen allein zu treffen und zu verantworten: meine Unterschrift genügt. Und ich bin stolz auf das, was wir machen. Überall in der Welt weiß man das, erkennt man es an, nur bei uns zuhause nicht: Das deutsche Fernsehen – und da schließe ich das österreichische ein – ist das beste der Welt. Gleich nach dem englischen, sollte ich fairerweise hinzufügen.«

    Hat auch er ein Generationenproblem? Hat er in seinen Redaktionen Alternative, Grüne?

    Seine Augen werden etwas kleiner, kühler, der Mund wird spitz, aber auch spitzbübisch: »Schauen’s, natürlich, die Jungen müssen sich artikulieren, müssen opponieren, haben wir doch auch getan. Die Grünen, das sind für mich die Romantiker des ausgehenden 20. Jahrhunderts, sie knüpfen an die Romantiker des frühen 19. Jahrhunderts an. Die herrliche Lyrik der deutschen Romantik, was feierte sie? Tod und Vergehen. Und die Grünen heute? Ihr Schlüsselerlebnis ist die Angst. Haben Sie bemerkt, daß unser deutsches Wort Angst gerade im Begriff ist, ein angelsächsisches Lehnwort zu werden? Sie können heute in der International Herald Tribune Sätze lesen wie: ›The main issue in Germany today is angst . . .‹«

    Sieht er diese »deutsche Angst« auch in Österreich?

    »Wir nehmen ›Angst‹ vielleicht nicht ganz so teutonisch-tragisch. Wir sind ja angeblich Lebenskünstler. Aber wenn Sie mich fragen, was liegt alledem zugrunde, so antworte ich Ihnen mit Arnold Toynbee: Eine Zivilisation, die nicht mehr um ihr Überleben kämpft, ist zum Untergang verurteilt. Offenbar sind wir jetzt dran, nachdem sieben Hochkulturen vor uns schon zur Hölle gefahren sind, weil sie zu schwach waren, zu bequem und zu satt, um ihr Überleben zu kämpfen.«

    Gerd Bacher ein Kulturpessimist? Er blickt mich voll an. Keine Allüren, keine Rhetorik, ohne jeden Wiener Schmäh’ sagt er leise und fest: »Ja.«

    Greift zu Mantel und Hut, wünscht mir ein »Alles Walzer« beim Opernball, eilt ins Chefzimmer der ORF und tut das Seinige, um den Untergang des Abendlandes aufzuhalten. Oder nur: so angenehm wie möglich zu gestalten?

    LOTHAR-GÜNTHER BUCHHEIM

    VOM U-BOOT ZUR KUNST

    Bei Eckart Witzigmann zu tafeln, ist sowieso

    ein Fest. Mit Lothar-Günther Buchheim bei

    Eckart Witzigmann zu tafeln, ist schon fast so,

    als fiele Weihnachten und Ostern auf einen Tag.

    Den einen Superstar am Herd hinter mir,

    den anderen Superstar auf dem Stuhl vor mir –

    ich brauche etwas Angemessenes, um der Situation

    gewachsen zu sein und bestelle einen Gimlet,

    wie ihn Hemingway so schätzte.

    Der »Boot«-Autor steigt mit ein: »Weil ich Hemingway mag wie Sie, und weil man dem Zufall seine Chance geben soll.«

    Wir laben uns an Rose’s Lime Juice (2 Teile) und Finlandia Wodka (3 Teile) oben in der Bar, die sich nach 19 Uhr langsam bevölkert. Uns zu Füßen die Max-Joseph-Straße im Schneegestöber des letzten Apriltages. Behagen stellt sich ein. Wir verstehen uns schon deshalb gut, weil wir die gleiche Sprache sprechen können, genauer: denselben deutschen Dialekt, den angeblich schrecklichsten und doch so gemütvollen: sächsisch. Er ist in Weimar geboren und in Chemnitz aufgewachsen,

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