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Das unheimliche Haus
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Das unheimliche Haus

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About this ebook

Eines Morgens ist der Tresor der Jersey-Bank leer geräumt und Bankdirektor Harper samt Chauffeur spurlos verschwunden. Für eine Veruntreuung gibt es allerdings keinerlei Anhaltspunkte. Während die Polizei vor einem Rätsel steht, macht sich Glorias Bruder Mac Harper auf den Weg zu dem Nervenarzt, der seinen Vater vor Jahren behandelt hatte. Vielleicht könnte er die seltsame Flucht aufklären? Doch Dr. Wilkens ist nie zu sprechen. Mit Charme gelingt es Mac, die bezaubernde Sprechstundenhilfe Lilian Good zu überreden, die Adresse von Wilkens' Privatklinik zu verraten. Von der Öffentlichkeit völlig abgeschlossen, sollen in der Klinik sehr aufschlussreiche Experimente zur Erforschung von Geisteskranken gemacht werden. Macs Entschluss, nach einer erneuten Abweisung über die Mauer zu klettern, endet mit einer unfreiwilligen Nacht in der seltsamen Klinik. Auf einmal werden sein Vater und dessen Chauffeur auf einem Schiff gesichtet, fliehen aber unter Waffengewalt, als sie vom Boot geholt werden. Während Inspektor Law und sein Chef über den Fall auf die berüchtigte Grauvogel-Bande stoßen, und Gloria auf eigene Faust ihrem Vater hinterherreist, geht Mac mit Lilian, die inzwischen ihre Stelle gekündigt hat, den Spuren in der Privatheilanstalt des Dr. Wilkens nach. Denn dieses Haus birgt offenbar Unheimliches.-
LanguageDeutsch
PublisherSAGA Egmont
Release dateApr 11, 2016
ISBN9788711508732
Das unheimliche Haus

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    Das unheimliche Haus - Hans Heidsieck

    www.egmont.com

    Es ist ein nebelgrauer Vortfrühlingsabend. Vereinzelt nur dringen die Scheinwerferstrahlen schnellfahrender Limousinen durch das verschwommene Dunkel auf der Verbindungsstraße Hoboken-Paterson.

    Dort, wo die breite Chaussee den Passaic-River überquert, steht vor der Brücke einsam ein Mann mit hochgeschlagenem Kragen. Seine behandschuhten Hände sind tief in die Taschen des leichten Mantels vergraben. Unangenehm naßkalte Luft strömt vom Fluß herauf.

    Ein Bremsgeräusch läßt den regungslos vor sich Hinstarrenden aufhorchen. Ein sich in rascher Fahrt nähernder Wagen hat plötzlich abgestoppt. Der bisher Einsame eilt darauf zu, öffnet mit festem Griff eine der Seitentüren und sagt mit befehlender Stimme: „Kommen Sie! Folgen Sie mir!"

    Zunächst steigt ein älterer Herr mit rundem, vollem Gesicht aus dem Wagen. Ihm folgt sein Chauffeur.

    Beide gehen dem Fremden zu einem anderen, abseits stehenden Kraftwagen nach. Ohne ein Wort zu verlieren, steigen sie ein. Beide setzen sich in den Fond des Wagens, an dessen Steuer, Silhouettenhaft gegen die Windschutzscheibe sich abhebend, eine massive Gestalt zu erkennen ist. Von Zeit zu Zeit sieht man dort eine Zigarette aufglimmen.

    Der Regisseur dieser etwas unheimlichen Szene, der an der Brücke gewartet hatte, spricht jetzt den Fahrer an: „Los, Tedd — das andere Auto muß aus dem Wege. Fahre es in den Waldweg hinein und verwisch’ dann die Spuren."

    Der Angesprochene kommt sofort dieser Aufforderung nach, steigt aus und fährt den verlassenen Wagen in ein Dickicht hinein. Gedämpft hört man von draußen das Motorengeräusch.

    Nicht allzulange dauert es, bis der Fahrer zurückkehrt, um sich gleich wieder ans Steuer zu setzen. Neben ihm hat der Mann mit dem hochgeschlagenen Kragen Platz genommen.

    Ab geht die Fahrt. Rasch ist der schwere Wagen auf vollen Touren. An dem Polizeiposten jenseits der Brücke braust er bereits mit höchster Geschwindigkeit vorbei.

    Diese ganze wortkarge Szene hatte sich in weniger als fünfzehn Minuten abgespielt.

    *


    Eine gewaltige Aufregung herrschte in den feudalen Räumen der „Jersy-Bank. Zunächst allerdings fiel den zahlreichen Angestellten, die fröstelnd durch den nebligen Morgen angestapft kamen, um sogleich ihre Arbeitsplätze einzunehmen, noch gar nichts Besonderes auf. Erst, als der alte Moore, wild mit dem Tresorschlüssel gestikulierend, ins Hauptkontor gestürzt kam und mit vibrierender Stimme rief: „Leer! Kein einziger Dollar mehr im Tresor! wirbelte alles erregt durcheinander.

    Die Kassierer umdrängten ihn. „Aber was ist denn los, Mister Moore? Aus dem Tresor — — —"

    „Alles entnommen, ich sagte es doch. Ich verstehe das auch nicht. Die Polizei muß sofort verständigt werden."

    „Ob man nicht doch erst Herrn Harper anruft?"

    Harald Moore, der Vorsteher, faßte sich an den Kopf, als müßte er zunächst überlegen, was nun das Richtige sei. Dann griff er hastig zum Hörer und wählte die Nummer des Bankdirektors. Eine Zofe meldete sich. Moore stotterte: „Kann ich Direktor Harper sprechen — sofort — ganz dringend? Hier Moore."

    „Einen Augenblick, bitte. Verbinde Sie mit der gnädigen Frau."

    Moore trat nervös von einem Bein auf das andere und biß sich die Lippen wund.

    „Hier Gloria Harper!" meldete sich eine jugendliche, weibliche Stimme nach einer Ewigkeit.

    „Ihr Papa, Fräulein Gloria — —?"

    „Tut mir leid — ist nicht zu Hause, ist überhaupt nicht nach Hause gekommen — seit gestern abend. Mam’ ist schon völlig verzweifelt, und ich weiß auch nicht — — was ist denn los, Mister Moore? Sie wollten ihn dringend sprechen?"

    „Ach, gnädiges Fräulein — — entsetzlich — — als ich den Tresor öffnete, war er vollständig leer. Alles Hartgeld und sämtliche Banknoten sind verschwunden."

    „Wahrhaftig? Mein Gott! Oh — der arme Dadd! Er ist also beraubt worden!"

    „Nein, Fräulein Gloria — — Ihr Papa muß das Geld selber an sich genommen haben, bevor er gestern abend als letzter den Tresorraum verließ. Niemand anders war seither in der Bank. Nun wollte ich ihn eben befragen — —"

    „Sie öffneten mit dem Reserveschlüssel?"

    „Ja, den ich, wie ausgemacht, immer in meiner Wohnung habe."

    „Mein Gott, — warum aber sollte Pa alles Geld an sich genommen haben? Er hatte doch keinerlei Schulden! Wo steckt er denn überhaupt?"

    „Herrgott ja — und ich dachte doch — —"

    „Rufen Sie die Polizei an, Mister Moore! Das ist das einzige, was wir zunächst tun können. Ich werde versuchen, Mama zu beruhigen, und dann komme ich gleich zur Bank."

    „Ist Ihr Herr Bruder erreichbar?"

    „Nein, Mac ist zu einer Konferenz nach Philadelphia unterwegs."

    „Schade. — Na, also ich rufe zunächst einmal die Polizei an!"

    „Tun Sie das, bitte! Ich komme, sobald ich kann." —

    *


    Der Polizeigewaltige des Distrikts, Mister Bill Gray, war ein geachteter und gefürchteter Mann. Von martialischer Gestalt und gewaltigen Körpermaßen war er mit seiner dröhnenden Baßstimme der Schrecken sowohl aller Verbrecher wie auch sämtlicher Untergebener.

    Auf Moores Anruf hin hatte er sich sogleich zusammen mit dem Kommissar Law auf den Weg gemacht, um bei der Bank im Privatkontor des Direktors mit seinen Vernehmungen zu beginnen.

    Vorher hatte ihm Moore noch einmal den Tatbestand kurz geschildert.

    „Wer verließ gestern abend als letzter die Bank?" fragte Gray.

    „Ich selber, erwiderte Moore, „vorher war Mister Harper noch einmal kurz im Tresorraum und schloß ihn dann ab.

    „Sahen Sie, ob er eine gefüllte Aktentasche mit sich herausbrachte?"

    „Nein. Darauf halbe ich nicht geachtet. Ich hatte im Kassenraum noch mit dem Abschluß zu tun."

    „Der Tresorraum im Keller ist nur vom Korridor aus zu erreichen?"

    „Ja."

    „Um welche Zeit gingen Sie und Herr Harper?"

    „Es muß kurz nach sechs Uhr gewesen sein."

    „War außer Ihnen beiden noch jemand in diesen Räumen?"

    „Ich war mit Herrn Harper allein. Er besprach mit mir noch kurz die Dispositionen für den heutigen Tag. Als ich dann in die Kasse zurückging, hörte ich, wie Herr Direktor Harper die Kellertreppe zum Tresorraum hinunterstieg."

    „Kann das nicht jemand anders gewesen sein, der sich verborgen gehalten hatte?" warf Kommissar Law, ein kleiner, schmächtiger Herr mit randloser Brille, ein.

    Moore erwiderte: „Wie Sie sich selbst überzeugen können, hat der Korridor weder Nischen noch Winkel, in denen sich jemand verbergen könnte. Es ist ein glatter, gestreckter Raum ohne weitere Türen mit einem einzigen vergitterten Fenster."

    „Könnte Herr Harper nicht einmal vergessen haben, den Tresor zu verschließen?"

    „Nein. Erstens hatte ich ihn noch gefragt — — und außerdem ist der Tresor ja auch heute verschlossen gewesen, als ich ihn öffnete. Da nur zwei Schlüssel vorhanden sind — —"

    „Hm, machte der Kommissar, „auf seine Aktentasche achteten Sie also nicht?

    „Nein. Ich saß an meinem Schreibtisch rechts in der Ecke und addierte die gestrigen Ausgänge, als Mister Harper hinter mir durch den Raum schritt und sich mit einem ‚Guten Albend, Moore!‘ von mir verabschiedete. Das muß gegen ein Viertel 7 gewesen sein."

    „Danke, sagte Gray. „Wer war sonst noch anwesend?

    „Nur noch der Wächter Frank Hamson draußen im Vorraum. Er hatte Nachtdienst und wurde heute früh abgelöst. Ich habe bereits nach ihm geschickt, er soll herkommen."

    Moore mußte nun genau angeben, wie sich der Wächter verhalten hatte, wann er seinen Dienst antrat, und wo er sich aufhielt. Dabei erfuhr man, daß er seinen Platz neben der Gangtür hatte, die immer offen blieb, damit er von hier aus gleichzeitig auch die Tür zum Privatkontor des Direktors sowie die Kasse und den Haupteingang überblicken konnte.

    Während Moore noch diese Erklärungen abgab, hörte man hastige Schritte nahen. Dann wurde lebhaft an die Türe gepocht.

    „Herein!" rief Gray mit Stentorstimme.

    Schüchtern trat eine ärmlich gekleidete, ältere Frau herein. „Bitte die Herren zu entschuldigen, stotterte sie erregt, „aber ich möchte gern wissen, wo sich mein Mann befindet!

    Inspektor Gray sah sie verwundert an. „Wie — Ihr Mann? Ja — wer ist das denn?"

    „James Faith —"

    „Der Chauffeur von Herrn Harper! erklärte Moore, und, sich sofort an die Frau wendend, fuhr er fort: „Ist er denn etwa auch nicht nach Hause gekommen?

    Die Frau zog ein Tuch aus der Tasche und wischte sich damit die Tränen ab. „Nein! stammelte sie, „das verstehe ich einfach nicht. James pflegt sonst immer pünktlich um 7 Uhr zu Hause zu sein, nachdem er den Herrn Direktor zu seiner Wohnung gefahren hat, — — außer natürlich, wenn etwas Besonderes vorlag. Aber das hätte er mir doch gesagt.

    Moore deutete auf einen Stuhl und forderte die Erregte auf, Platz zu nehmen. „Herr Harper, erklärte er dann, „ist gleichfalls seit gestern abend nicht nach Hause gekommen. Darüber beraten wir ja gerade hier.

    „Mein Gott — mein Gott! stöhnte die Frau, „was mag nur den beiden passiert sein!

    „Ein eigenartiger Fall! murmelte der Inspektor, „verschwunden mit Auto, Chauffeur und Geld! Er legte der Frau eine Hand auf die Schulter. „Wir werden natürlich gleich nach den beiden forschen! erklärte er, „möglich ist es ja immerhin, daß sich für den Direktor plötzlich eine dringende Fahrt nach außerhalb ergeben hat, daß man dabei eine Panne hatte — — wer kann das wissen.

    „Wenn man sie nun überfallen hat!" rief die Frau.

    „Sieht mir eigentlich gar nicht so aus, erwiderte Gray beruhigend, „noch hat sich kein Grund ergeben, so etwas anzunehmen. Wir werden Ihnen schon Ihren Mann wiederbringen, — gehen Sie nur getrost nach Hause und warten Sie ruhig ab, bis Sie von uns Nachricht erhalten, Frau Faith. Sobald wir etwas ermittelt haben, geben wir Ihnen sofort Bescheid.

    Die arme Frau schluchzte jetzt nur noch heftiger. „Er ist tot! schrie sie, „oh — mein armer James!

    Moore und der Kommissar führten die Gebrochene, tröstend auf sie einsprechend, zur Türe hinaus. Gray, der unter rauher Schale ein mitfühlendes Herz besaß, blickte ihr bewegt nach ...

    *


    Inzwischen traf auch der Wächter Hamson ein. Übernächtigt und völlig verwirrt trat er dem massigen Gray gegenüber, vollkommen ahnungslos, was man eigentlich von ihm wollte. Allmählich erst ging ihm das auf, als er nun sachlich und eingehend über alles befragt wurde.

    Seine Aussagen deckten sich völlig mit denen, die Moore vorher gemacht hatte. Jedenfalls hatte sich Harper vollkommen unbeobachtet im Tresorraum aufhalten können. Dem Wächter war auch an der Aktentasche des Bankdirektors nichts aufgefallen.

    Nach seiner Aussage wurde Hamson gebeten, sich in den Kassenraum zu begeben und dort zu warten, bis er vielleicht noch einmal gerufen würde.

    Gray wollte inzwischen mit Moore und Law zusammen noch einmal zu einer Lokalbesichtigung schreiten.

    Der Kommissar prüfte die Eisenstäbe, die vor den Fenstern des Privatkontors angebracht waren, — doch gab es hier nichts zu beanstanden. Die Stäbe staken fest in der Vermauerung und waren unversehrt. Genau so verhielt es sich mit dem Korridorfenster, das anschließend besichtigt wurde.

    Anschließend stiegen alle drei Männer die Treppe zum Keller hinab und traten in den Tresorraum, der keine Fenster besaß und nur durch Neonröhren beleuchtet war. Ein großer, sowie ein kleinerer Tresor waren hier, einander gegenüberliegend, in die Wand eingelassen. Der Haupttresor war sowohl durch ein Zahlenschloß, wie auch besonders noch durch einen Geheimmechanismus gesichert, so daß ein normales Öffnen durch einen Unbefugten ausgeschlossen erschien.

    Inspektor Gray, der einmal einen Spezialkurs im Tresorwesen mitgemacht hatte und also in solchen Dingen durchaus bewandert war, prüfte alles auf das Genaueste — mit dem Ergebnis, daß jede gewaltsame Handlung hier ausschied.

    Kopfschüttelnd begab er sich mit den beiden anderen Herren wieder nach oben in das Privatkontor des Direktors. Nach einer kurzen Besprechung wandte er sich mit der Bitte an Moore, ihm die einzelnen Buchhalter vorzustellen. Dabei fragte er, ob sie alle anwesend wären.

    „Nur einer fehlt, sagte Moore, „der ist schon vierzehn Tage lang krank. Mit diesen Worten wollte der Vorsteher sich entfernen, doch Gray hielt ihn zurück und sagte: „Übrigens eine Frage noch, Mister Moore — — haben Sie eine schriftliche Vollmacht von Ihrem Chef, daß Sie den Reserveschlüssel benutzen und mit in Ihr Heim nehmen dürfen."

    Moore schaute ihn, leicht errötend, verwundert an. „Nein, erwiderte er, geradezu trotzig, „zwischen Herrn Harper und mir bedurfte es nicht solcher Förmlichkeiten. Ich bin sein Vertrauter und schon seit über fünfzehn Jahren in dieser Firma. Er sprach mir dieses Recht vor etwa sieben oder acht Jahren mündlich und ohne jede Förmlichkeit zu.

    „Haben oder hatten Sie mit Herrn Harper außerhalb dieses Bankbetriebes irgendwelche geschäftlichen Beziehungen?"

    Moores etwas gedrungene Stirn ist in Falten gezogen. Man merkt ihm jetzt deutlich eine gewisse Erregung an, die er nur mühsam zurückdrängt. „Nein! erwiderte er, seine Stimme erhebend, „derartige Beziehungen hatten wir nicht. Übrigens muß ich schon sagen, Inspektor, daß Ihre Fragen mich recht seltsam berühren.

    Gray spielte nachlässig mit einer Zigarrenspitze. „Wieso denn? Es ist meine Pflicht, mich genauestens über alles zu unterrichten. Im übrigen — —"

    Er unterbrach sich und rief: ‚Herein!‘, da es plötzlich geklopft hatte.

    Der zweite Wächter steckte den Kopf durch die halb geöffnete Tür, um zu melden, daß eben Miß Harper gekommen sei. Ob sie eintreten dürfe?

    Gray ließ sie bitten.

    *


    Gleich darauf schwebte Gloria Harper ins Zimmer. Tatsächlich hatte ihr Gang etwas Schwebendes, und die Anmut ihrer Bewegungen fesselte den Inspektor sofort. Gloria war eine hübsche Erscheinung, blond und blauäugig, schlank gewachsen, mit einem reizenden Grübchen auf ihrer linken Wange. Gemessen, doch höflich begrüßte sie die Anwesenden. Gleichzeitig entschuldigte sie sich, falls sie störe, — aber sie habe ja schon telefonisch versprochen zu kommen. „Gleichzeitig, meinte sie, „glaube ich Ihnen dadurch einen Weg zu unserer Villa erspart zu haben, Inspektor!

    „Den werden wir doch wohl noch machen müssen, erwiderte Gray, freundlich lächelnd, „denn schließlich wird es nicht zu umgehen sein, daß ich mich auch mit Ihrer Frau Mutter ein wenig über den Fall unterhalte. Er war sehr höflich, der Herr Inspektor, und suchte das Wort Vernehmung nach Möglichkeit zu vermeiden.

    „Hm. Schade, erwiderte Gloria sichtlich enttäuscht; „denn ich hoffte, dies würde sich durch mein Kommen vermeiden lassen. Mama ist schwer leidend und hütet schon einige Wochen das Bett. Ihr Herz ist so angegriffen, daß ich beim Eintreffen Ihrer Nachricht das Schlimmste befürchten mußte, — und tatsächlich hat sie auch gleich wieder einen schweren Anfall bekommen. Ich wollte ihr daher auch jede weitere Aufregung fernhalten —

    „Sehr verständlich, nickte Gray, „na, wir werden mal sehen — — wenn sich’s vermeiden läßt — — wollen Sie mir zunächst einmal einige Fragen beantworten, Mistreß Parker?

    „Gewiß. Bitte fragen Sie nur!"

    „Ist Ihnen an Ihrem Herrn Vater — ich meine, was sein Benehmen betrifft, — in letzter Zeit irgend etwas Besonderes aufgefallen?"

    „Nein. Ganz und gar nicht."

    „Vielleicht eine gewisse Nervosität"

    „Nein — auch das nicht."

    „Hm. Und Sie können sich auch nicht denken, warum er die Bankgelder an sich nahm, um damit zu verschwinden?"

    Gloria starrte Gray fassungslos an. „Mit den Bankgeldern?" stammelte sie.

    Der Inspektor nickte. „Das ist es eben, was uns das meiste Kopfzerbrechen verursacht.

    Gloria richtete sich in ihrer ganzen Größe empor. „Wollen Sie etwa behaupten, Inspektor, daß Dadd — —? Ein krampfhaftes Lachen erschütterte sie. „Dadd! Der die Ehrlichkeit selber war! Wenn der Fall nicht so ernst wäre, müßte ich wirklich darüber lachen! — Nein, nein — hier muß etwas anderes vorliegen — — irgend ein Irrtum — — oder gar ein Verbrechen — —

    „Eine Erpressung!" warf der Kommissar ein.

    Gloria sah ihn betreten an. Wie erschlaffend ließ sie sich tief in den Sessel zurückgleiten, in dem sie Platz genommen. „Gestatten Sie, daß ich mir eine Zigarette anstecke", bat sie und zog ein Etui aus der Tasche. Inspektor Gray reichte ihr Feuer. Sie tat einen tiefen Zug durch die Lunge, was sie sofort zu beruhigen schien.

    Gray fuhr zu fragen fort. Ob die Vermögensverhältnisse Harpers geregelt gewesen seien.

    Gloria zweifelte nicht daran.

    „Hatte Ihr Vater vielleicht irgend welche Passionen, die ihn viel Geld kosteten?"

    Gloria wußte nichts davon.

    „Oder — spielte er?"

    „Nein. Im Gegenteil — er verabscheute jegliches Spiel um Geld!"

    „So. Hm. — Und daß er vielleicht — hm — — eine Freundin hatte, das glauben Sie auch nicht?"

    Gloria zuckte zusammen. „Nein! rief sie, „ausgeschlossen! Das wäre das Letzte, was ich ihm zutraute, Herr Inspektor. Er war der beste Familienvater, den ich mir denken kann. Außerdem gab er sein Geld nur aus, wo es unbedingt nötig war. Wenn es allerdings galt, Mam oder uns Kindern eine Freude zu machen, dann konnte er manchmal geradezu verschwenderisch sein.

    Gray trommelte mit den Fingern auf die Lehne des Sessels, in welchem er saß. Mit einer raschen Wendung des Kopf es wandte er sich Mister Moore zu. Ob die Bank etwa Verluste hatte.

    Moores Stimme bebte — wohl aus Empörung ob dieser Zumutung — als er erwiderte: „Nein, Inspektor. Die Bank ist ein altes Unternehmen mit ganz solider Stammkundschaft. Sie warf und wirft stets einen guten Gewinn ab."

    „Hob Harper stets den ihm zustehenden Anteil ab?" warf der Kommissar ein.

    „Nein, erwiderte Moore, „nur das, was er monatlich unbedingt brauchte. Das war kaum die Hälfte. So wuchs sein Guthaben fortlaufend an.

    „Rätselhaft! brummte Gray, Law einen fragenden Blick zuwerfend, „alles bleibt undurchsichtig, wir scheinen hier der Erklärung um keinen Schritt näher zu kommen. Da wird es noch eine harte Kleinarbeit geben. Sich an Gloria wendend: „Jedenfalls danke ich Ihnen für Ihre Auskunft, Miß Gloria! Wenn Sie mit Mister Moore jetzt draußen im Kassenraum bitte noch einen Augenblick warten wollten — —"

    Die beiden Genannten erhoben sich und gingen mit einem Achselzucken hinaus.

    Gray und Law blieben allein zurück. Der Inspektor fragte: „Nun, Law — was halten Sie von der Sache? Nicht der geringste Anhaltspunkt ist zu finden!"

    „Allerdings, gab Law zu, „äußerlich scheint ja auch alles in bester Ordnung zu sein. Doch irgend etwas bleibt uns verborgen — — und da werden Sie schon dahinterkommen. Ein Fall, der durch Sie, Herr Inspektor, nicht aufgeklärt worden wäre, ist ja undenkbar.

    „Durch uns — wollten Sie mindestens sagen!" Gray grinste geschmeichelt, „na ja — — glaube doch auch, daß man uns nicht allzulange hinters Licht führen wird. — Was halten Sie nun von Moore und

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