Ein ganzer Kerl: Auf Asphalt und Stoppelfeld
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Peter Erlenwein
Peter Erlenwein, Jahrgang 1942, Physiker und Reisender mit in jeder Hinsicht bestem Erinnerungsvermögen - nicht nur an's Essen.
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Book preview
Ein ganzer Kerl - Peter Erlenwein
7. März 1964
2. Dezember 2010
Inhalt
Erinnerungen
Laß' das
Der Flechter
Die Bremsen
Liese
Glatteis
Ein richtiger Kerl
Kurze Beine
Scheitel rechts
Ein Sechser
Jack Morlan
Die Lebensmittel-Karte
Osterwasser
Rote Punkte
Der Weidenkorb
Blaue Hemden
Erinnerungen
Das Kind heißt Paul. Die Großen heißen Erwachsene. Wenn sie über ihn sprechen, nennen sie ihn das Kind
.
Paul begriff rasch, daß damit er selbst gemeint war. Also dachte er von sich selbst auch als dem Kind
. Von dieser Zeit wird hier erzählt.
Paul wuchs und nahm zu an Jahren. Als er verstand, daß ein Langer nur selten auch ein Großer ist, war Paul ein Erwachsener. Von dieser Zeit wird später erzählt.
Laß' das!
Frankfurt/Oder, 1944
Sehr steil war die Straße nicht.
Dennoch ging seine Mutter langsamer als sonst. Vorbei an großen, eingezäunten Vorgärten, die er längst kannte, auch die, meist von der Straße entfernt gebauten, Häuser. Seine Mutter war hier schon oft stehen geblieben, hatte mit anderen Frauen gesprochen.
Das Kind schaute dann auf die Gartentüren oder, falls man sie von der Straße aus sehen konnte, auf die Haustüren. Es hoffte, daß jemand mit einem Hund herauskäme, der seine Mutter anbellte. Dann würde sie sich schnell von der anderen Frau verabschieden und mit ihm weitergehen. Bisher war das nur einmal geschehen.
Am häufigsten blieb sie oben, gegenüber dem auf der anderen Straßenseite einmündenden Weg stehen. An dieser Ecke waren drei Häuser sehr nah nebeneinander gebaut. Sonst gab es auf dieser Straßenseite nur weite Wiesen.
Die Frauen wohnten in den drei Häusern. Aber weshalb kamen sie immer gerade dann heraus, wenn seine Mutter mit ihm hier vorbei ging?
Seine Mutter redete dann mit den Frauen und Paul langweilte sich an ihrer Hand. Er zog an ihrer Hand, wollte weiter. Seine Mutter schüttelte meist nur den Kopf. Schaute nicht einmal zu ihm herunter. Paul, laß das!
Also guckte er weiter auf langweilige Röcke oder lange Mäntel, die nicht einmal ein Muster hatten. Weshalb mußten die Großen immer so lange miteinander reden? Niemals spielten sie miteinander, redeten nur.
Heute waren sie an den drei Häusern fast vorbei. Er freute sich. Sie hatten niemand getroffen. Noch ein paar Schritte und sie würden in ihre eigene Straße abbiegen.
Paul hörte den hellen Ruf. Seine Mutter auch. Sofort blieb sie stehen, schaute sich um. Ach, das ist Frau ...!
Den Namen hatte er nicht verstanden.
Die Frau, die gerade eine Gartentür auf ihrer Seite, genau gegenüber den drei Häusern, zuzog, kannte er nicht. Daß sie nicht einmal aus den Drei-Häusern kam, sondern auf ihrer eigenen Seite wohnte, fand Paul hinterlistig.
Die Frau streckte die Hand aus, als sie auf seine Mutter zukam, schaute dabei aber ihn an: Das ist aber nett! Jetzt lerne ich auch endlich mal ihr Söhnchen kennen.
Sie beugte sich zu ihm hinab. Du bist aber goldig! Wie heißt Du denn?
Sie streckte den Arm aus, wollte ihm über die Haare streichen. Rasch bog er den Kopf zur Seite und sagte: Paullasdas!
Was ... aber wieso? Ich dachte ...
Die Frau schaute seine Mutter an. Das tat er auch, denn er hatte ein mulmiges Gefühl im Bauch. Als er aber sah, daß seine Mutter die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen hatte, war dieses Gefühl aber gleich wieder weg. Das mit der Lippe, das machte sie immer, wenn sie nicht lachen wollte, aber eigentlich doch lachen mußte.
Diesmal blieb seine Mutter auch nicht lange stehen, redete nur kurz mit der Frau. Als sie ein paar Schritte weiter gegangen waren, hielt sie gleich wieder an. Sie bückte sich und nahm ihn auf den Arm: "Du bist ja vielleicht ein Filou! Wenn ich das der Oma erzähle, wird sie's mir nicht glauben!
Sie lachte ihn an und gab ihm einen Kuß auf die Backe. Das tat sie nicht sehr oft. Sofort hatte er wieder so ein Gefühl im Bauch. Diesmal aber ein gutes.
Der Flechter
Lindow, 1948
Die Flechter hingen hinter der Tür des Pferdestalls. Man durfte sie nicht anfassen und man durfte nicht Peitsche
sagen. Jeder Flechter hatte seine eigene Geschichte. Opa Rintisch erzählte manchmal, welche Kunststücke er früher mit dem Flechter fertiggebracht hatte. Jeht aber heut' nich' mehr, wejen die verdammte Gicht.
Manchmal, wenn Onkel Otto besonders gut gelaunt war, gab er dem Kind einen Flechter in die Hand: Riech' mal das Leder! Und fühl', wie glatt die Riemchen geflochten sind. Hat noch der alte Gustav gemacht. Lebt ja nu' och schon lange nich' mehr.
Für das Kind waren die Flechter schwer zu halten. Den langen dicken Griff konnte es nur mit beiden Händen umfassen. Wenn er versuchte, das dreifach verflochtene Lederband über die Schulter zu schwingen, fiel er fast auf den Rücken. Onkel Otto lachte: "Na, na. Nu'