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Einigkeit und Recht und Freiheit: Die Geschichte der deutschen Nationalhymne
Einigkeit und Recht und Freiheit: Die Geschichte der deutschen Nationalhymne
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Ebook281 pages2 hours

Einigkeit und Recht und Freiheit: Die Geschichte der deutschen Nationalhymne

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A tour through 200 years of German history indicates the extent to which the German national anthem has been influenced by different systems of government and thus by the spirit of the times, and the ways in which it has been used and misused as a national symbol. Jörg Koch offers a richly illustrated survey of the origins of the ?Deutschlandlied=, showing how it succeeded in establishing itself over other anthems from the end of the 19th century and the fortunes that have befallen it since it was proclaimed as the national anthem in 1922. Providing plenty of background information, the book is also dedicated to the anthem=s author, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben; the composer of the melody, Joseph Haydn; and to the national anthem of the German Democratic Republic, which is also part of the eventful history of the German national anthem.
LanguageDeutsch
Release dateMar 3, 2021
ISBN9783170401860
Einigkeit und Recht und Freiheit: Die Geschichte der deutschen Nationalhymne

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    Einigkeit und Recht und Freiheit - Jörg Koch

    16   Abbildungsverzeichnis

    1

    Einleitung

    Der Nationalfeiertag der Bundesrepublik, der »Tag der Deutschen Einheit« am 3. Oktober, blickt auf eine kurze Geschichte zurück; er wird seit 1990 gefeiert, proklamiert anlässlich der »Wiedervereinigung Deutschlands«, d. h. des Beitritts der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik nach Artikel 23 GG. Eine weitaus längere Tradition weisen die staatlichen Gedenk- und Feiertage Volkstrauertag und 1. Mai auf: Bereits im März 1922 fand im Reichstag eine erste offizielle Gedenkstunde zu Ehren der Gefallenen des Ersten Weltkrieges statt und der 1. Mai wurde als »Feiertag der nationalen Arbeit« reichsweit erstmals 1933 zum arbeitsfreien Tag erklärt; als Protesttag der Arbeiter ist er wesentlich älter. Die geschichtlichen Wurzeln unserer Bundesfarben Schwarz-Rot-Gold und damit unserer Bundesflagge liegen gar im frühen 19. Jahrhundert. Auch andere Staatssymbole können von einer langen und ebenso wechselvollen Geschichte erzählen, etwa die »Neue Wache« in Berlin. Die von Karl Friedrich Schinkel errichtete und 1818 eingeweihte »Neue Wache« dient seit dem Volkstrauertag 1993 als zentrale Gedenkstätte für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in Deutschland. Wie kaum ein anderer Ort vereint dieses Gebäude die so ambivalente Geschichte Deutschlands: einst preußische Königswache, dann Gedächtnisstätte der Weimarer Republik, nationalsozialistisches Ehrenmal, schließlich Mahnmal der DDR und nun Gedenkstätte der Bundesrepublik.

    Als nationales Symbol zwar jünger, dennoch gleichfalls voll wechselvoller Geschichte und voller Geschichten ist unsere Nationalhymne. Ihr liegt das 1841 von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben gedichtete »Deutschlandlied« zugrunde. So bekannt dieses Lied den Deutschen ist, so wenig ist ihnen seine facettenreiche Geschichte vertraut. Sie steckt voller Widersprüche und Überraschungen. Im August 1922 wurde das aus drei Strophen bestehende »Lied der Deutschen« von Reichspräsident Friedrich Ebert zur Nationalhymne der Weimarer Republik erklärt, Adolf Hitler ließ ab 1933 nur die erste Strophe (»Deutschland, Deutschland über alles«) singen. Trotz aller, zumeist berechtigter Brüche »nach 1945« knüpfte die Bundesrepublik an das Lied mit seiner von Joseph Haydn stammenden eingängigen Melodie an; dies rief Zustimmung und Irritationen hervor. 1991, im inzwischen wiedervereinigten Deutschland, präzisierten Bundespräsident Richard von Weizsäcker und Bundeskanzler Helmut Kohl den Umfang der Hymne, die seitdem nur aus der dritten Strophe besteht: »Einigkeit und Recht und Freiheit.« Dieser Dreiklang, quasi das Motto unserer Republik, verdrängte die inhaltlich und melodisch ebenso gehaltvolle Nationalhymne der DDR »Auferstanden aus Ruinen«.

    Anhand dieser Darstellung zeigt sich, wie sehr gerade die deutsche Nationalhymne und ihre Vorgänger-Hymnen als musikalischer Ausdruck des National- bzw. Staatsgefühls den unterschiedlichen Herrschaftssystemen und damit dem Zeitgeist ausgesetzt waren, wie sie als nationales Symbol verwendet und missbraucht wurden. Nationalhymnen, also feierliche Gesänge, mit denen sich ein Staat zu besonderen Anlässen präsentiert, entstanden vorwiegend im 19. Jahrhundert mit der Bildung der Nationalstaaten. Diese besonderen Lieder sind, wie auch Sprache, Religion oder Geschichte, ein Merkmal der Gemeinschaft, der Zugehörigkeit. Vergleichsweise spät kam Deutschland zu einer Nationalhymne. Längst gab es da »Nationalbank«, »Nationaldenkmal«, »Nationalfarben«, Nationalliteratur« oder »Nationaltheater«. Viel früher existierten auch die »Marseillaise«, als Revolutionslied entstanden und seit 1795 französische Nationalhymne, oder »God Save the King« bzw. (»God Save the Queen«), das seit Anfang des 19. Jahrhunderts als Huldigungshymne in Großbritannien erklingt.

    Der vorliegende Band bietet einen quellenreichen Überblick zur deutschen Nationalhymne, eingebettet in rund 200 Jahre deutsche Geschichte. Er blickt auf die Vor- und Entstehungsgeschichte des »Deutschlandliedes« und zeigt, wie dieses sich ab Ende des 19. Jahrhunderts gegenüber anderen »Deutschlandliedern« als allseits akzeptierte Hymne durchsetzte und welches Schicksal ihm seit seiner Proklamation zur Nationalhymne im Jahr 1922 beschieden ist. Neben der mehr als 180-jährigen bemerkenswerten »Erfolgsgeschichte« dieses Liedes widmet sich die Darstellung ebenso gebührend seinem Verfasser August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der zu Lebzeiten mehr Ächtung als Achtung erfuhr, sowie mit kurzen Beiträgen dem Komponisten der Melodie, Joseph Haydn, und der Nationalhymne der DDR, die gleichfalls einen Teil der wechselvollen Geschichte der deutschen Nationalhymne bildet.

    Für Anregungen und Hinweise danke ich Dr. Bernd Braun, Maria Reichsgräfin von Plettenberg, Theodor Cronewitz sowie Dr. Peter Kritzinger und Dr. Julius Alves vom Kohlhammer Verlag für die konstruktive Zusammenarbeit.

    2

    Deutschland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts

    Deutschland als Nationalstaat, wie wir ihn heute kennen, gibt es erst seit 1871. Zuvor waren die einzelnen deutschen Länder jahrhundertelang vereint im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, das nach rund 900-jähriger Existenz 1806 zugrunde ging. Nach dem politisch-militärischen Ende der Herrschaft Napoleons (1769–1821) gründeten die Staatsmänner jener Zeit auf dem Wiener Kongress 1815 den Deutschen Bund. Ein einheitliches Deutschland gab es auch weiterhin nicht; dieser Bund bestand bei Gründung aus 35 souveränen Staaten und den vier Freien Städten (Hamburg, Bremen, Lübeck und Frankfurt). Hinsichtlich Größe, Bevölkerung und Wirtschaftskraft waren die Länder sehr heterogen. Preußen mit rund zehn Millionen Einwohnern verfügte über eine Fläche von 316.000 Quadratkilometern, das Fürstentum Schaumburg-Lippe mit der Hauptstadt Bückeburg dagegen war nur 340 Quadratkilometer groß und hatte Anfang des 19. Jahrhunderts noch nicht einmal 10.000 Einwohner. Auch das Kaiserreich Österreich gehörte dem Deutschen Bund mit einem Teilgebiet an. Dieser Bund, also das damalige Deutschland, war eine völkerrechtliche Gemeinschaft ohne eine gemeinsame Hauptstadt, ohne einheitliche Flagge oder Hymne – im Gegensatz zu Großbritannien oder Frankreich. Gemeinsame Beschlüsse, etwa in der Kriegs-, bald auch der Wirtschaftspolitik, wurden von Delegierten der einzelnen Landesregierungen auf der Bundesversammlung, dem einzigen Bundesorgan, in Frankfurt beschlossen. Die Bewohner des Bundes verstanden sich zunächst als Bayern, Hessen, Westfalen, Badener etc., noch nicht als Deutsche. Ihr Vaterland war der jeweilige Kleinstaat, doch war den Menschen bewusst, dass sie aufgrund der gemeinsamen Sprache und Kultur eine Nation bildeten. Die Übereinstimmung von Staat und Nation entwickelte sich erst allmählich. Beflügelt wurde die »nationale Idee« in den Befreiungskriegen 1813/15, als Preußen mit verbündeten Armeen über Napoleons Truppen siegte; infolge der Vielvölkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813 musste Napoleon Deutschland räumen. Vier Jahre später riefen Studenten in ihren Reden auf dem Wartburgfest (Oktober 1817) zur Einheit und Freiheit Deutschlands auf. Vor wesentlich größerem Publikum wiederholten die Redner des Hambacher Festes (Mai 1832) solche Forderungen. Die Kleinstaaterei sollte endlich überwunden werden, ein freies und geeintes Deutschland mit Bürgerrechten, die uns heute selbstverständlich sind, wie Presse- oder Versammlungsfreiheit, sollte geschaffen werden.

    In dieser nationalen und liberalen Stimmung im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts entstanden patriotische Lieder, die den Geist der Zeit widerspiegelten. Eines der bekanntesten und häufig zitierten Lieder jener Jahre ist Ernst Moritz Arndts »Des Deutschen Vaterland« (1813). Zunächst über Flugblätter verbreitet, wurde es erstmals anlässlich des Sieges über Napoleon und des Einmarschs preußischer Truppen unter General Gebhard Leberecht von Blücher (1742–1819) in Paris öffentlich 1814 in Berlin dargeboten. Der Autor forderte einen großdeutschen Nationalstaat, dem alle deutschsprachigen Länder angehören sollten. Aus damaliger Sicht selbstverständlich unter Einbeziehung Österreichs und der Deutschschweiz, d. h. Arndt orientierte sich hier im Wesentlichen an dem 1806 untergegangenen Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation:

    Was ist des Deutschen Vaterland?

    Ist’s Preußenland, ist’s Schwabenland?

    Ist’s, wo am Rhein die Rebe blüht?

    Ist’s, wo am Belt die Möwe zieht?

    O nein! nein! nein!

    Sein Vaterland muss größer sein!

    Was ist des Deutschen Vaterland?

    Ist’s Bayerland, ist’s Steierland?

    Ist’s, wo des Marsen Rind sich streckt?

    Ist’s, wo der Märker Eisen reckt?

    O nein! nein! nein!

    Sein Vaterland muss größer sein!

    Was ist des Deutschen Vaterland?

    Ist’s Pommerland, Westfalenland?

    Ist’s, wo der Sand der Dünen weht?

    Ist’s, wo die Donau brausend geht?

    O nein! nein! nein!

    Sein Vaterland muss größer sein!

    Was ist des Deutschen Vaterland?

    So nenne mir das große Land.

    Ist’s Land der Schweizer, ist’s Tirol?

    Das Land und Volk gefiel mir wohl

    doch nein! nein! nein!

    Sein Vaterland muss größer sein!

    Was ist des Deutschen Vaterland?

    So nenne mir das große Land.

    Gewiss, es ist das Österreich

    an Ehren und an Siegen reich?

    O nein! nein! nein!

    Sein Vaterland muss größer sein!

    Was ist des Deutschen Vaterland?

    So nenne endlich mir das Land!

    So weit die deutsche Zunge klingt

    und Gott im Himmel Lieder singt,

    das soll es sein!

    das, wackrer Deutscher, nenne dein!

    das nenne dein!

    Das ist des Deutschen Vaterland

    wo Eide schwört der Druck der Hand,

    wo Treue hell vom Auge blitzt

    und Liebe warm im Herzen sitzt.

    das soll es sein!

    das, wackrer Deutscher, nenne dein!

    das nenne dein!

    Was ist des Deutschen Vaterland

    wo Zorn vertilgt den welschen Tand

    wo jeder Frevler heißet Feind

    wo jeder Edle heißet Freund

    Das soll es sein, das soll es sein

    das ganze Deutschland soll es sein

    Das ganze Deutschland soll es sein!

    O Gott vom Himmel, sieh darein!

    Und gib uns rechten deutschen Mut

    dass wir es lieben treu und gut!

    Das soll es sein!

    Das soll es sein!

    Das ganze Deutschland soll es sein!

    1769 auf Rügen geboren und 1860 in Bonn verstorben, war Arndt Professor für Geschichte in Greifswald und Bonn, 1848 war er zudem Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung. Im 19. Jahrhundert

    Abb. 1: Ernst Moritz Arndt (1769–1860), Verfasser des Lieds »Des Deutschen Vaterland«, Postkarte um 1935.

    war der Freiheitskämpfer deutschlandweit so bekannt wie Johann Wolfgang Goethe (1749–1832) und Friedrich Schiller (1759–1805). Mit seinen Gedichten und Schriften wandte er sich gegen die Besetzung Deutschlands durch Napoleon. Einst als Patriot verehrt, verurteilen ihn heute einige Kritiker als Nationalisten. Jahrelange Debatten führten in Greifswald sogar dazu, dass die Ernst-Moritz-Arndt-Universität ihren traditionsreichen Namen 2018 in Universität Greifswald änderte. Immerhin tragen noch immer rund 330 Straßen in Deutschland Arndts Namen (2021). Seinen neun Strophen wurden mehrere Melodien unterlegt, durchgesetzt hat sich die 1826 erstmals veröffentlichte Komposition von Gustav Reichardt (1797–1884), jahrzehntelang waren Gesangsrunden oder Konzerte von Burschenschaftlern und Männergesangsvereinen undenkbar ohne dieses »Vaterlandslied«.

    Ebenso populär wurde das Lied »Ich hab’ mich ergeben« von Hans Ferdinand Maßmann. Wie auch Arndt war der 1797 in Berlin geborene und 1874 in Muskau verstorbene Maßmann Germanistik-Professor an der Münchener Universität, geprägt vom Kampf gegen die napoleonische Fremdherrschaft. Als Student hatte er am Wartburgfest 1817 teilgenommen. Sein bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein bekanntes Lied verfasste er 1820. Die Melodie stammt von August Daniel von Binzer (1793–1868), Urburschenschaftler und ebenfalls einer der rund 500 Teilnehmer des Wartburgfestes. Die Melodie hatte Binzer zunächst seinem 1819 getexteten Burschenschaftslied »Wir hatten gebauet ein stattliches Haus« (1819) unterlegt. In späteren Zeiten wurde, außerhalb evangelischer Studentenverbindungen, die dritte Strophe wegen des konfessionellen Bekenntnisses zu Martin Luther (1483–1546) ausgelassen:

    Ich hab’ mich ergeben

    mit Herz und mit Hand

    dir, Land voll Lieb’ und Leben,

    mein deutsches Vaterland.

    Mein Herz ist entglommen,

    dir treu zugewandt,

    du Land der Frei’n und Frommen,

    du herrlich Hermannsland!

    Du Land, reich an Ruhme,

    wo Luther erstand,

    für deines Volkes Tume

    reich ich mein Herz und Hand.

    Will halten und glauben

    an Gott fromm und frei,

    will, Vaterland, dir bleiben

    auf ewig fest und treu.

    Ach Gott, tu erheben

    mein jung Herzensblut

    zu frischem freud’gen Leben,

    zu freiem frommen Mut.

    Lass Kraft mich erwerben

    in Herz und in Hand,

    zu leben und zu sterben

    fürs heil’ge Vaterland!

    Frankreichs Ziel, mit dem Rhein eine natürliche Staatsgrenze im Osten zu haben, war infolge des Pfälzischen Erbfolgekriegs (1688–1697) unter Ludwig XIV. (1638–1715) nur bedingt und unter Napoleon um 1800 nur vorübergehend erreicht worden; zumindest was den Rheinverlauf ab Karlsruhe rheinabwärts anbelangt, hatte der Wiener Kongress diesem Ansinnen ein Ende bereitet. Doch 1840 gab es erneut in Frankreich unter der Regierung von Adolphe Thiers (1797–1877) Bestrebungen, das Territorium bis an den Rhein auszuweiten, den französischen Einfluss Richtung Osten, aber auch im Mittelmeer zu verstärken.

    Als Reaktion auf die als »Rheinkrise« bezeichneten deutsch-französischen Spannungen entstanden deutscherseits nationalistisch-patriotische Lieder wie das »Rheinlied« (»Sie sollen ihn nicht haben, den freien, deutschen Rhein, bis seine Flut begraben des letzten Manns Gebein«) von Nikolaus Becker (1809–1845) und »Die Wacht am Rhein«, 1840 von Max Schneckenburger (1819–1849) getextet:

    Es braust ein Ruf wie Donnerhall,

    Wie Schwertgeklirr und Wogenprall:

    Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein!

    Wer will des Stromes Hüter sein?

    Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,

    Fest steht und treu die Wacht am Rhein!

    Durch Hunderttausend zuckt es schnell,

    Und Aller Augen blitzen hell,

    Der deutsche Jüngling, fromm und stark

    Beschirmt die heilge Landesmark.

    Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,

    Fest steht und treu die Wacht am Rhein!

    Er blickt hinauf in Himmelsaun,

    Wo Heldengeister niederschaun,

    Und schwört mit stolzer Kampfeslust:

    »Du Rhein bleibst deutsch wie meine Brust.«

    Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,

    Fest steht und treu die Wacht am Rhein!

    »Und ob mein Herz im Tode bricht,

    Wirst du doch drum ein Welscher nicht;

    Reich wie an Wasser deine Flut

    Ist Deutschland ja an Heldenblut.«

    Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,

    Fest steht und treu die Wacht am Rhein!

    »So lang ein Tropfen Blut noch glüht,

    Noch eine Faust den Degen zieht,

    Und noch ein Arm die Büchse spannt,

    Betritt kein Feind hier deinen Strand.«

    Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,

    Fest steht und treu die Wacht am Rhein!

    Der Schwur erschallt, die Woge rinnt,

    Die Fahnen flattern hoch im Wind:

    Zum Rhein, zum Rhein, zum deutschen Rhein!

    Wir Alle wollen Hüter sein!

    Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein,

    Fest steht und treu die Wacht am Rhein!

    Dieser Text provozierte Erwiderungen: 1840 dichtete Alfred de Musset (1810–1857) »Le Rhin allemand«:

    Wir haben ihn gehabt, den deutschen Rhein.

    In unserm Glas sahn wir ihn funkeln.

    […]

    Lasst friedlich fließen euern deutschen Rhein.

    Es spiegele sich geruhsam wider

    Der Dome gotisches Gestein.

    Doch hütet euch, durch trunkne Lieder

    Von ihrem blutgen Schlaf die Toten zu befrein.

    Versöhnlicher klang das Ende seines Gedichts »Marsaillaise de la paix«, das Alphonse de Lamartine (1790–1869) 1841 vorlegte (»Fließe frei und erhaben zwischen deinen weiten Ufern, Rhein, du Nil des Westens und Trinkschale der Nationen! Und nimm mit dir fort Trotz und Ehrgeiz der Völker, die an deinen Ufern lagern und aus deinen lebendigen Wassern schöpfen.«).

    Die Haltung Victor Hugos (1802–1885) dagegen war zwiespältiger. Der heutzutage auch in Deutschland vielzitierte und verehrte französische Dichter war ein Fürsprecher der politischen Forderung. Seine Feststellung lautete lapidar: »Wir befinden uns auf dem linken Rheinufer, d. h. in Frankreich, so wie man auf dem rechten Ufer in Deutschland ist.« Und im Schlussteil seiner 1842 erschienenen Rheinreise, steht:¹

    »Die Lösung besteht darin, jeden Anlass für Hass zwischen den beiden Völkern abzuschaffen, die Wunde zu schließen, die uns 1815 an unserer Flanke zugefügt wurde, die Spuren einer heftigen Reaktion auszulöschen, Frankreich zurückzugeben, was Gott ihm geschenkt hat: das linke Rheinufer.«

    Erst mit der schwungvollen, marschähnlichen Melodie von Carl Wilhelm (1815–1873), Dirigent der Krefelder Liedertafel, und damit erst nach dem Tode des Dichters, erhielt »Die Wacht« eine größere Aufmerksamkeit. Die Komposition entstand 1854 anlässlich der Silberhochzeit von Prinz Wilhelm von Preußen (1797–1888), dem späteren Kaiser Wilhelm I., und Prinzessin Augusta (1811–1890). Im Kaiserreich häufig bei offiziellen Anlässen gespielt, war die »Wacht am Rhein« gleichsam eine Hymne, die in Konkurrenz zu »Heil dir im Siegerkranz« stand. Doch so populär ihre Zeilen waren, so fehlte in ihnen jeglicher Hinweis auf die Hohenzollern, als offizielle Nationalhymne konnte sie daher nicht in Betracht kommen. Der Liedtitel entspricht einem Programm und einem symbolträchtigen Motto in der militärischen Auseinandersetzung mit Frankreich, er kündet von Deutschlands Macht und Stärke. Fünf der sechs Strophen dieses martialischen Vaterlandliedes finden sich auf einem Relief auf der Südseite des 1883 eingeweihten Niederwalddenkmals (Germania) bei Rüdesheim. So wundert es nicht, wenn in den folgenden

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