Tor der Träume: Sci-Fi/Fantasy
Von Dana Müller und Jenny Müller
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Über dieses E-Book
Als Kind muss Kaskadian mitansehen, wie seine Mutter von den Drohnen der Herrscherstadt Asklepios getötet wird. Adam entreißt ihn den Armen seiner sterbenden Mutter und nimmt ihn mit nach Eden.
Jahre vergehen, in denen er sich immer weiter von der Gemeinschaft abkapselt. Eines Tages taucht das Mädchen Tara im Camp auf und überbringt eine schreckliche Nachricht. Die mysteriöse Fremde bittet um Hilfe bei der Befreiung ihrer Schwester aus den Fängen des Dr. Tree.
Warum Adam ausgerechnet Kas für diese Mission wählt, kann er nicht nachvollziehen. Die Ereignisse überschlagen sich und dem 19-jährigen Wandler mit der Gabe, das Tor zu den Träumen zu öffnen, bleibt keine Wahl. Er muss in Begleitung des Kindes an den schicksalsträchtigen Ort zurückkehren.
Achtung: Überarbeitete Neuauflage des Buchs "Kaskadian & the reality of dreams"
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Tor der Träume - Dana Müller
München
Tor der Träume
Ein Roman von
Dana Müller & Jenny Müller
Wald und Wasser
Von rauschenden Wasserfällen und ausufernder Flora hatte Kaskadian lange Zeit nur gehört. Die Alten erzählten tagein tagaus dieselben Geschichten aus vergangener Zeit.
Kas konnte sie kaum glauben, bis sich eines Tages die Erzählungen in Realität verwandelt hatten.
Wie so oft war er auf der Suche nach einem abgeschiedenen Ort gewesen, an dem er allein mit sich und seinen inneren Dämonen sein konnte – und davon besaß er einige. Er hatte den Hügel erklommen und war in den Wald der toten Bäume gelaufen. Dass sich ausgerechnet darin eine Oase befand, hätte er nie für möglich gehalten. Offenbar lag dieser winzige Fleck auf der Erde so günstig, dass er von der zweimonatigen Regenzeit mehr als andere Orte profitierte.
So stand Kaskadian vor einer der letzten Wasserstellen der Erde.
In den Kaskaden des majestätisch anmutenden Wasserfalls funkelte das Licht. Das Rauschen des Wassers umwarb sein Gehör. Er schloss die Augen und ließ sich vom Klang der Natur tragen. Unzählige Male war er schon hier gewesen, sodass er jeden Stein, jedes Sandkorn wiedererkannte. Er näherte sich dem Ufer. Kaltes Wasser umschmeichelte seine Beine. Es empfing ihn sehnsüchtig, umgarnte ihn und bat ihn tiefer herein. Für einen Moment fühlte er die Gnade, die Mutter Natur in ihrem Herzen trug.
Nässe kletterte seine schlanken Fesseln zu den muskulösen Schenkeln hinauf. Der See nahm ihm die Last des getränkten Fells unmittelbar ab. Kaskadian schritt noch tiefer in das klare Wasser, dessen Ruf weit in seine Seele drang. Er schüttelte das mächtige Geweih. Zwölf Enden wuchsen daraus empor, doch er trug es nicht mit Stolz. Wer wollte schon gerne ein Hirsch sein? Es war sein Schicksal, das er hinnehmen musste. Deshalb prahlte er auch nicht damit.
Schnaufend tauchte Kas die Nase in das Wasser, sodass unzählige Blubberblasen seine Nüstern kitzelten. Als er den kräftigen Hals aufrichtete, perlten große und kleine Tropfen daran herunter. Ein weiteres Schütteln entfesselte einen feinen Nebel, der ihn wie eine Aura umgab. Sonnenstrahlen verfingen sich darin und brachten einen zarten Regenbogen hervor. Dies war einer der kurzen und seltenen Augenblicke, in denen sich Kas verzaubert fühlte. Eine undurchdringliche Kraft schien ihn zu umgeben, hinter der er das sein konnte, was er war. Er tat dies nicht, weil er so gerne in diesem Körper steckte. Er befreite den Hirsch nur, weil es ihn unglaublich viel Kraft kostete, das Tier in seinem Inneren zurückzuhalten.
Hätte er eine Wahl gehabt, wäre Kas ein Tiger oder ein Wolf – wendig und jeder Gefahr trotzend. Doch allein der Hirsch schlummerte in seinen Genen und brach immer öfter aus ihm hervor.
Die Kieselsteine auf dem Grund glitzerten wie kleine Diamanten. Dieser Anblick ließ ihn all das Leid beinahe vergessen, dem seine Generation ausgesetzt war. Traumhaft schön ergoss sich ebenfalls der kleine, seitlich gelegene Wasserfall. Dahinter hatte er oftmals Stunden verbracht. Spielerisch schob er das Geweih zwischen die Fäden und teilte sie, was ein zartes Kribbeln im Nacken verursachte. Winzige Fischlein streiften seine Haarspitzen. Es war, als hießen sie ihn in ihrem Reich willkommen. An keinem anderen Ort empfand er so viel Geborgenheit wie hier. Gehüllt in das Glück des Moments ließ er sich von der Seele des Wasserfalls locken und trat durch den kräftigen Vorhang.
Das Wasser raste ungestüm herunter. Trotzdem vernahm er durch die überwältigende Akustik ein leises Rufen, das den Zauber kurzerhand unterbrach. Jemand näherte sich und das missfiel ihm, denn so geborgen er sich hier auch fühlte, im Wasser war er angreifbar. War das ein Jäger, der es auf sein Fleisch abgesehen hatte? Einen winzigen Augenblick ließ er den Gedanken zu, dass dieser Mensch lediglich die Orientierung verloren haben könnte. Doch als ihn das Rascheln von Laub erreichte, richteten sich all seine Sinne auf die Gestalt aus.
Das Geschöpf schien ganz nah am Ufer zu verharren. Erstarrt stand er im See und rasterte die Umgebung mit Argusaugen. Jegliche Bewegung vermeidend versuchte Kaskadian das Umfeld in sich aufzunehmen. Einige Tropfen fielen von seinem wassergetränkten Geweih herab. Mit größter Vorsicht sah er sich um. Hier stand er wie auf einem Präsentierteller. Die Kugeln eines Jägers würden mit Leichtigkeit ihr Ziel erreichen, ebenso die Betäubungspfeile einer Drohne.
Er konnte hier nicht bleiben. Vor allem nicht in dieser Gestalt. Kas musste sich sofort in seinen menschlichen Körper zurückverwandeln. Hochkonzentriert rief er seine Gene dazu auf, in Gang zu kommen. Das einsetzende Reißen seiner Gliedmaßen kannte er zu Genüge, aber er würde sich niemals daran gewöhnen. Der Schmerz war kaum auszuhalten. Es kostete ihn unheimlich viel Energie, nicht zu schreien. Diese Qual war mit nichts gleichzusetzen, am ehesten aber mit dem Sturz von einem Berg zu vergleichen. Mit den Jahren hatte er gelernt, ihn in Energie umzuwandeln, die er nutzte, um die Tortur zu überstehen. Kaskadian spürte die Verwandlung seiner Füße. Die Zehen drückten sich Knochen für Knochen durch die Hufe. Das erste Reißen war das Schlimmste. Er hielt den Atem an. Die Ferse arbeitete sich voran und Finger stoben aus den vorderen Zehenhufen. Wie ein Ungetüm brach der Mensch aus seinem Körper hervor und verschluckte das Fell. Er fühlte die Neuanordnung seiner Organe, die ihren Platz wieder beanspruchten. Kas stieß den Atem aus und mit ihm die Pein. Zwischen den Zehen spürte er feinen Sand und kleine Steinchen, die er mit den Füßen im Grund des Sees aufgewühlt hatte.
Doch im Vergleich mit der darauf einsetzenden Leere erschien ihm die körperliche Verwandlung wie ein Spaziergang. Das schwarze Nichts, das sich in seiner Brust ausbreitete, hielt für gewöhnlich einige Stunden an, was ihn mit wiederkehrender Ausdauer in eine Spirale der Haltlosigkeit riss. Dem musste er entgegenwirken. Zumindest so lange, bis sich herausstellte, wer ihn hier aufsuchte. Er beugte die Knie ein wenig, sodass nur noch sein Kopf oberhalb der Lippen aus dem Wasser ragte. Vorsichtig bewegte er sich zum Seeufer.
»Kas?«
Diese liebreizende Honigstimme kannte er. Erleichterung nahm die grauenvolle Erwartung mit sich. Es war kein Jäger und auch keine Drohne, kein Fremder und kein Feind. Es war Leandra, Freundin und der bessere Teil von ihm, wie er fand. Er warf sich nach hinten und tauchte hinter den Wasserfall. So sehr er sie auch mochte, er wollte seine Ruhe haben. Wenn sie ihn nicht entdeckte, würde sie weiterziehen, hoffte er.
»Komm raus, ich weiß, dass du da drin bist«, rief sie über den See.
Hatte sie ihn gesehen oder war das nur ein Trick, um ihn hervorzulocken? Er schmulte an dem Wasserfall vorbei. Tatsächlich stand sie am Ufer und hielt etwas hoch. Ehe er erkennen konnte, was es war, klärte sie ihn auf.
»Ich habe hier deine Sachen. Also komm raus oder du musst nackt zurücklaufen.«
Mit der Handkante schlug er so heftig auf die Wasseroberfläche, dass es zu allen Seiten spritzte. »So ein Mist!«
Sie stand mit einem frechen Grinsen da. Ein leichtes Lüftchen erfasste ihr rotblondes Haar und legte es über ihr Gesicht. Sie schob die Strähne hinters Ohr und stemmte eine Hand in die Hüfte.
»Wie oft soll ich dir sagen, dass du deine Klamotten verstecken musst, wenn du ins Wasser gehst?«
Kas wollte nicht, dass Leandra etwas von seiner Sorge mitbekam, die Oase könnte entdeckt werden. »Sehr witzig. Außer dir kommt keiner hier vorbei.«
Aus irgendeinem unerfindlichen Grund war dieser Ort noch nicht von dem Konzern P-Tree aufgespürt worden. Dabei gediehen hier die verschiedensten Pflanzen.
»Was willst du hier?«, fragte Kaskadian, während er Leandra mit einer gleitenden Handbewegung andeutete, dass sie ihren Blick senken sollte. Immerhin war er unterhalb der Wasserlinie, wie Gott ihn geschaffen hatte, splitterfasernackt. Sie bedeckte folgsam ihren Blick mit der freien Hand und reichte ihm seine Kleidung. Rasch griff er die Sachen und wandte ihr den Rücken zu.
»Adam sucht dich«, sagte sie.
Ihr Blick kitzelte in seinem Nacken. Es war ihr einfach nicht auszutreiben, ihn mit ihren Augen zu verschlingen. Er hatte es mehrmals versucht, aber all seine Bemühungen waren in einem bodenlosen Loch verschwunden. Deshalb unterließ er weitere Appelle an ihre Moral und schlüpfte hastig in seine Kleidung. Das erwies sich als Fehler, denn je mehr er sich eilte, umso schwerer bekam er die enge Hose über die nassen Beine. Leandras Seufzen überschritt das Maß seiner Geduld, was ihn dazu veranlasste, sein Schweigen zu brechen.
»Ich weiß, so einen kraftstrotzenden Körper hast du bei niemandem gesehen, aber so langsam fühle ich mich verpflichtet, dich zu bremsen, bevor sich unerfüllbare Sehnsüchte in dir regen.« Kas schloss die Knöpfe seiner Hose und drehte sich Leandra zu.
Er hatte erwartet, dass sie peinlich berührt wäre. Aber das schien sie nicht zu sein. Mit einem Schulterzucken senkte sie die Hand und griente ihn frech an.
»Wer sagt das denn? Nichts bleibt unerfüllbar, man muss es nur wollen.«
Kas wollte widersprechen, denn das Leben hatte ihn eines anderen belehrt. Fast die ganze Menschheit litt unter einer unstillbaren Sehnsucht, die für alle Zeit unerfüllbar bleiben würde. Eine tiefe Sehnsucht, die vornehmlich junge Frauen in den Suizid trieb.
»Okay«, lenkte sie ein. »Für unseresgleichen ist keine Sehnsucht unerfüllbar.«
Manchmal fragte er sich, wie es sein konnte, dass zwischen ihnen lediglich zwanzig Tage lagen. Wie auch bei ihm jährte sich in diesem Monat Leandras Tag der Geburt zum neunzehnten Mal. Dabei verhielt sie sich nicht selten wie ein Kind. Ganz anders stand es um ihre äußeren Werte, denn Leandras Rundungen waren längst allem Kindlichen entwachsen. Ihre Wendigkeit verdankte sie wohl dem Fuchs in ihr, dem Menschen die robuste, griffige Seite.
Hätte er sie nicht schon vor langer Zeit kennengelernt; hätte er nicht gesehen, wie aus dem kleinen Mädchen ein großes geworden war, könnte er vielleicht Gefühle für sie zulassen. Aber das hielt er angesichts der Tatsache, dass sie mit ihrer Schutzbedürftigkeit eher zu der Kategorie kleine Schwester zählte, für falsch. Wie sollte er also mit einer jungen Frau umgehen, die ihn mit einem Wimpernschlag ihrer großen grünen Augen bezirzen könnte, wenn er es zuließe?
»Was will Adam von mir?« Er wechselte rasch das Thema, um nicht in Bedrängnis zu geraten.
»Ich weiß nicht.«
Die Art, wie sie dabei seinem Blick auswich, entlarvte die Lüge. Es war nicht zu übersehen, dass die Wahrheit aus ihr herauspreschen wollte. Doch sie hielt sie gefangen. Dieses Spiel kannte er bereits und wusste, dass sie nun erwartete, ausgefragt zu werden. Danach war ihm aber ganz und gar nicht zumute. Wortlos streifte er sein Shirt über und fuhr sich durch das dunkelbraune Haar. Ebenso stumm trat er den Heimweg an, dicht gefolgt von Leandra.
»Hey, bist du denn gar nicht neugierig?«
»Worauf?«
»Auf ... Na, auf ...« Sie stammelte und stutzte, als Kas an einer Weggabelung stehen blieb und rasch überschlug, welche Richtung er einschlagen sollte. Einerseits wartete Adam auf ihn. Das bedeutete, dass er seinem Ruf folgen musste, wenn er sich keinen unnötigen Ärger einhandeln wollte. Doch andererseits brauchte er etwas, mit dem er dieses Vakuum in seiner Brust füllen konnte, ehe er im Camp auftauchte. Der rechte Waldweg führte direkt zu Adam – der linke nach Erimol, dem Vorort der Kuppelstadt Asklepios. Er blieb stehen.
»Hast du vergessen, welcher Weg nach Hause führt?«
Sein Blick schwenkte langsam zu Leandra. »Hast du dich jemals gefragt, wie es wohl in Erimol ist?«
Sie hob die Brauen. »Der Handel mit Medizin jeglicher Art floriert dort unten und es gibt allerhand Möglichkeiten sein Leben zu verwirken. Warum sollte ich über Erimol nachdenken. Adam weiß schon, warum er uns beide niemals dorthin mitnimmt.«
»Manchmal träume ich von diesem Ort«, gestand Kas. »Ich meine Asklepios.«
Ihre großen Augen wurden noch größer. »Wie kannst du wissen, dass es die Kuppelstadt ist, wenn du nie dort warst?«
Leandras Worte trugen so viel Wahrheit in sich, dass sie schmerzten. Nach Asklepios gelangte nur, wer genetisch rein war und seinen Beitrag im Sinne der Gemeinschaft zu leisten vermochte. Es war eine Forscherstadt, ein Ort der Gelehrten, eine Festung der Ehemaligen, wie seine Mutter stets zu sagen gepflegt hatte. Eine menschliche Rasse, die sich den Todesschuss gesetzt hatte und nun mit allen Mitteln ihren Fehler auszugleichen versuchte. Er war einer dieser Fehler. Er gehörte zu den anderen – er war ein Wandler. Genau wie Leandra und Adam. Alle in dem Camp trugen das defekte Gen in sich. Insgeheim bezeichnete Kas sich und alle, die waren wie er, als verurteilt. Doch seine Mom hatte einen schöneren Namen für die Wandler: die Beschenkten. In allem hatte sie das Gute gesehen. Die vom Menschen herbeigeführte Veränderung war für sie nichts anderes als beschleunigte Evolution.
Sie fehlte ihm so sehr. Eine Träne stahl sich aus seinem Auge. Rasch wischte er sie fort.
»Lass uns weiter gehen«, sagte Leandra und schob ihre Hand in die seine.
»Weißt du, dass Adam mich in Erimol gefunden hat?«
»Als du klein warst«, erwiderte sie und drängte ihn zum Gehen.
Kas gab nach und trat einige Schritte in Richtung des Camps, blieb aber abrupt stehen. »Verstehst du nicht? Ich bin aus Erimol. Wie kannst du mir dann trauen?«
Sie trat an ihn heran. Ihr Atem traf sein Gesicht. »Du meinst, weil dieser Slumring um Asklepios von Halunken, Mördern und Menschenhändlern bewohnt wird?«
»Was ist, wenn ich auch so bin und es nicht weiß. Was, wenn in mir nichts Gutes schlummert?«
»Kas«, hauchte sie und nahm auch seine andere Hand. »Ich weiß, dass das nicht so ist. Du warst ein Kind, als Adam dich gefunden hat. Er hat dich geprägt. Was auch immer vorher war, hat er mit seinem positiven Einfluss ausradiert.«
Er nickte, auch wenn er es besser wusste. Adam hatte einen Jungen aufgegabelt, der miterleben musste, wie seine Mutter von den Heerscharen des weißen Königs ermordet worden war.
Dieser König trug eine blutige Krone aus Hoffnungen und Träumen der Menschheit. Dieses Bild vom gekrönten Marcus Tree hatte sich in seinem Gehirn eingebrannt. Er war der Enkel des Monsters, das das Ende der Menschheit eingeleitet hatte und mindestens genauso gefährlich wie sein Vorfahre, wenn nicht noch schlimmer, denn Marcus Tree hatte sein Reich, seine Macht auf den Trümmern des Scheusals aufgebaut.
»Darf ich dich daran erinnern, dass Adam auf dich wartet?«, unterbrach sie seine Überlegung.
Es war eine Unheil versprechende Sehnsucht, die Kas nach Erimol zog. Das Schlimmste daran war, dass er keinen Drang verspürte, sich gegen sie zu wehren. »Ich muss erst was erledigen«, erwiderte er knapp.
Sie schnaufte leise und sagte voller Ehrfurcht: »Aber es ist wichtig. Es ist was Großes.«
Er warf ihr einen Schulterblick zu. »Und? Das kann warten!«
»Kann es nicht. Wenn du zu lange wartest, verlässt sie uns vielleicht wieder und das darf sie nicht. Sie hat hierhergefunden und könnte ...« Ihre Stimme klang plötzlich belegt und in ihrem hübschen runden Gesicht erkannte er den Anflug von Furcht.
»Wer? Von wem redest du denn?«
»Keine Ahnung, sie ist was Besonderes, meint Adam.«
Damals hatte Adam dasselbe von ihm behauptet. Bei seiner Ankunft im Camp hatte er einige Bruchstücke eines Gesprächs zwischen Adam und jemand anderem aufgeschnappt. Damals hatte er Kas als ein großes Glück für den Untergrund beschrieben. Allerdings erschloss sich Kaskadian bis heute nicht, warum.
»Bitte«, sagte sie flehentlich.
Er sah sie eindringlich an. »Aber ich verspreche nichts.«
Offenbar bedeutete ihr sein Erscheinen bei Adam viel. Sie jauchzte, warf sich ihm an den Hals und drückte ihm einen Kuss auf die Lippen. Das hatte zur Folge, dass sie ihn mit großen Augen ansah, ihre Arme senkte und mit einschießender Gesichtsröte einen Schritt zurücktrat. »Sorry«, warf sie rasch hinterher und biss sich auf die Lippe. »Ich will nur nicht, dass du Ärger bekommst.«
Kaskadian war angesichts der unerwarteten Situation verwirrt, aber er verbarg es. Ja, es war ein Kuss. Doch er hatte nichts dabei empfunden, was ihn beschämte. Deshalb schenkte er ihr ein Lächeln und ein: »Schon gut.«
Schließlich gingen sie wortlos nebeneinander her. Währenddessen dachte Kaskadian darüber nach, was sie dazu veranlasst hatte, und ob er vielleicht unbewusst falsche Signale sendete.
Tara
Vor ihnen erstreckte sich das Tal Eden, in dem die Ruinen einer alten Siedlung standen. Sie waren nicht bewohnbar, denn außer einigen Betonpfählen und Fundamenten gab es nur noch vereinzelte Mauerstücke und hier und da den Teil eines Flachdachs. Die Natur hatte ihren Beitrag geleistet und überwucherte das meiste, was von der Zivilisation hier übrig geblieben war.
»Hör mal«, sprengte Leandra die Stille zwischen ihnen. »Wäre nett, wenn du niemandem was von dem Kuss erzählen würdest.«
Daran hatte er gar nicht mehr gedacht. Dennoch gab er ihr sein Wort. »Ich schweige wie ein Grab.«
Schlagartig verwandelte sich ihr ernster Ton. »Wer zuerst unten ist«, rief sie ungezwungen und rannte los.
»Hey, warte!« Nein, er folgte ihr nicht. Der Abstieg ins Tal war steil und er hatte keine Lust, über herausragende Wurzeln zu stolpern. Immer wieder fragte er sich, wie ihr das unbeschadet gelang.
Kas ließ sich Zeit und die nutzte er, um sich auf ein Treffen mit einem neuen Gesicht einzustellen. Es gab nicht viele, die so waren wie die Leute des Untergrunds, die so waren wie er: anders. Aufkommende Sorge verdrängte beinahe die Leere.
Fragen schoben sich in den Vordergrund, die er selbst nicht beantworten konnte: Was will sie hier? Wie hat sie die Höhlen gefunden, in denen sie lebten? Was, wenn sie eine Normale ist? In dem Fall wäre sie ein Klon, aber von wem? Wie war der Mensch, dem sie ihre Gene verdankt?
»Soll ich dir im Gehen die Schuhe besohlen?«, hörte er Leandra drängeln.
»Was?«
Schulterzuckend klärte sie ihn auf. »Hab ich in einem alten Buch gelesen. Das hat man früher so gesagt.«
Neben dem Zugang zur Höhle stand Kassandra weinend da. Sie wurde von zwei Frauen aus dem Camp getröstet.
»Was hat sie?«, fragte er.
»Jana ist verschwunden.«
»Verschwunden wie: Sie hat sich verlaufen?«, hakte Kas nach.
»Sie haben im Wald einen Schuh gefunden. Von der Kleinen fehlt jede Spur.«
»Im Wald am See oder meinst du die andere Seite?«
»Nein Kas, nicht am See.«
»Oh«, war alles, was er darauf zu antworten vermochte. Die andere Seite war Kas nie geheuer gewesen. Dort hatte er das eine oder andere Mal Drohnen gesehen. Zwar aus sicherer Entfernung, aber ihm war trotzdem das Herz in die Hose gerutscht. Außerdem waren die Tiere auf dieser Seite des Waldes entstellt. »Was hat sie da nur gemacht?«
Verunsichert sah Kas die junge Frau an. Ein Kind zu verlieren, stellte er sich genauso schlimm vor, wie eine Mutter zu verlieren.
»Wenn du mich fragst, wurde sie verschleppt«, sagte Leandra.
Ihre Aussage traf Kas mitten ins Herz. Das konnte nur bedeuten, dass das Kind zu Forschungszwecken geholt worden war, aber das wiederum setzte voraus, dass man das Camp entdeckt hatte. Mit gemischten Gefühlen betrat er den vorderen Bereich der Höhle. Wie ein Omen jagte plötzlich ein Beben durch seinen Köper.
So etwas hatte er an dem Morgen des Tages gespürt, an dem seine Mutter getötet worden war. Kas hielt inne, atmete tief durch und schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter. In Gedanken an jenen schicksalsträchtigen Tag begab er sich in das verästelte Höhlensystem und erreichte einige Gabelungen und Markierungen später die große Haupthöhle, von der aus ein Gang zu Adams Raum führte.
Die Haupthöhle war ein Gemeinschaftsraum, in dem zusammen gegessen und geplant wurde. Adam hatte diesen Ort damals mit seiner Frau Jasmond gefunden und zu einer Zufluchtsstätte für Wandler gemacht. Seitdem hatten sich viele von ihnen in der neuen Heimat eingefunden. Früher dachte Kas, die Wandler wären ein vereinzelt auftretendes Phänomen, doch die Jahre hatten ihn eines Besseren belehrt.
Er ging an den Tischen vorbei und hielt auf den Gang zu, als sich hinter ihm Leandra meldete. »Er ist da nicht.«
Schwungvoll drehte er sich um. »Wo ist er dann?«
Sie verschränkte die Arme und deutete mit dem Kopf zum mittleren von drei Zugängen. »Trainingsraum. Ich hab ihm gesagt, dass das keine gute Idee ist. Wenn sie eine Spionin ist, kann das nach hinten losgehen, aber auf mich hört er ja nie.«
»Okay«, erwiderte er knapp und wollte weitergehen, da drängte ihn eine Frage und er wandte sich erneut an Leandra. »Warum hältst du sie für eine Spionin?«
Schulterzuckend verdrehte sie die Augen. »Ist so ein Gefühl.«
Er nickte langsam und seufzte. »Wir werden sehen.«
»Ja, aber verscheuch sie nicht gleich. Adam meinte, sie ist ...«
»Schon klar, sie ist wichtig.«
Mitunter verwirrte ihn Leandras Meinung, die manchmal widersprüchlicher nicht sein konnte. Trotzdem behielt er ihre Sorge im Hinterkopf. Bei dem Anblick des Mädchens wischte er seine Bedenken jedoch beiseite. Sie war noch ein Kind, vielleicht zehn oder elf Jahre alt. Noch dazu sah das Mädchen sehr mitgenommen aus. Die Kleine war in eine Wolldecke gewickelt, die sie bis zu den Zähnen hochgezogen hatte. Sie zitterte wie Espenlaub.
Hinter ihr lehnte Killian im Halbdunkeln an der Wand.
In dem gedimmten Licht konnte Kas den Raum nicht richtig überblicken. In den dunklen Ecken konnte sich jemand verbergen. Das jagte ihm einen Schauer über den Rücken. So sehr er Adam auch vertraute, gingen ihm manchmal erschreckende Bilder durch den Kopf. Sie entsprangen alle seiner Vorstellungskraft, dennoch fühlte er sich dadurch verunsichert. Außerdem hasste Kas Überraschungen.
Killian trat hervor. Der schlaksige junge Mann fuhr sich durch das ungepflegte Haar. Es stand ihm vom Kopf ab, aber sein Äußeres störte ihn nicht, das wusste Kas. So chaotisch er nach außen wirkte, war er doch im Inneren auf eine gewisse Geradlinigkeit angewiesen. Er hasste Unpünktlichkeit und fremde Gerüche. Was aber