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DER SCHÄMS-SCHEUSS-VIRUS: und andere unwahrscheinliche Geschichten
DER SCHÄMS-SCHEUSS-VIRUS: und andere unwahrscheinliche Geschichten
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DER SCHÄMS-SCHEUSS-VIRUS: und andere unwahrscheinliche Geschichten

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In diesen dreißig "unwahrscheinlichen Geschichten" erweist sich Karl-Ulrich Burgdorf als ein Autor, der in allen Spielarten der fantastischen Literatur zu Hause ist – von der klassischen Fantastik über Science-Fiction, Horror und Fantasy bis hin zu Tierfabeln und orientalischen Märchen im Stil von Tausendundeiner Nacht. Ein echtes Lesevergnügen für Menschen, die intelligente Kurzgeschichten lieben. "Der Schäms-Scheuß-Virus" ist amüsant, verblüffend und manchmal auch schockierend – immer aber: einfach fantastisch!
LanguageDeutsch
Publisherp.machinery
Release dateApr 5, 2021
ISBN9783957658692
DER SCHÄMS-SCHEUSS-VIRUS: und andere unwahrscheinliche Geschichten

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    DER SCHÄMS-SCHEUSS-VIRUS - Karl-Ulrich Burgdorf

    Burgdorf

    Der Schäms-Scheuß-Virus

    und andere unwahrscheinliche Geschichten

    Außer der Reihe 54

    Karl-Ulrich Burgdorf

    DER SCHÄMS-SCHEUSS-VIRUS

    und andere unwahrscheinliche Geschichten

    Außer der Reihe 54

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    © dieser Ausgabe: März 2021

    p.machinery Michael Haitel

    Neuausgabe in neuer Rechtschreibung des 2016 in der Westfälischen Reihe erschienenen Werkes.

    Titelbild: Rainer Schorm

    Autorenfoto: Matthias Holtz

    Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

    Korrektorat & Lektorat: Michael Haitel

    Herstellung: global:epropaganda

    Verlag: p.machinery Michael Haitel

    Norderweg 31, 25887 Winnert

    www.pmachinery.de

    ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 226 3

    ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 869 2

    Für Roswitha

    Vorwort

    Im Jahre 1817 formulierte der englische Poet, Literaturkritiker und Philosoph Samuel Taylor Coleridge seine damals vollkommen neuartige Theorie von der »willing suspension of disbelief« – neuartig deshalb, weil hier zum ersten Mal in der Literaturgeschichte die aktive Rolle des Lesers bei der Rezeption eines fiktionalen Werkes thematisiert wurde. Coleridge versuchte zu erklären, wieso es möglich sei, dass das Wissen eines Lesers um die fiktionale Natur des Erzählten sich nicht störend auf seinen durch die Lektüre erstrebten Kunstgenuss auswirke. Laut Coleridge ist dies darin begründet, weil der Leser sich dem Kunstwerk gegenüber nicht rein passiv verhält. Auch wenn es ihm vielleicht nicht bewusst ist, so willigt der Leser doch letztlich aktiv darin ein, seinen Unglauben wenigstens vorübergehend hintanzustellen und die vom Autor gemachten Vorgaben, mögen sie auch noch so unwahrscheinlich oder gar unmöglich sein, wenigstens für die Zeit der Lektüre für bare Münze zu nehmen. Tut er dies, so wird er gleichsam zum Komplizen des Autors und gewinnt dadurch die Möglichkeit, Vergnügen an der Lektüre zu empfinden – immer vorausgesetzt natürlich, dass das, was er da liest, ihm auch gefällt. Gefällt es ihm nicht, nützt auch die schönste »willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit« nichts.

    Die Aufgabe (oder, wenn Sie so wollen: die Kunst) des Autors bestünde demzufolge darin, dem Leser diese erhoffte und erwünschte Eigenleistung durch die Art der Darstellung so weit wie möglich zu erleichtern.

    Bei umfangreichen Romanen oder gar bei Romanserien ist dies vergleichsweise einfach. Hier hat der Autor die Möglichkeit, seine Prämissen über Hunderte, wenn nicht Tausende von Seiten durch immer neue Details anzureichern und sie dadurch in zunehmendem Maße plausibel zu machen. Zudem stellt sich beim Leser natürlich auch ein Gewöhnungseffekt ein – er erkennt die Personen und die Welt, in der sie agieren, bei jedem neuen Lektüreakt wieder und fühlt sich darum rasch in einem solchen Kosmos daheim. Bei Kurzgeschichten ist das anders. Man kann nicht einfach in die längst vertrauten Szenerien hineinschlüpfen wie in einen bequemen, über die Jahre hinweg immer mehr ausgelatschten Hausschuh. Denken Sie nur an die ewig gleichen Ermittlerteams in den heute so beliebten Fernsehkrimis und Kriminalromanen oder, um in der Fantastik zu bleiben, die liebevoll ausgestaltete Fantasy-Welt von Mittelerde beim Herrn der Ringe oder die fantastische Beinahe-Parallelwelt, in der Harry Potter seine magischen Abenteuer erlebt. Nimmt man solche Bücher zur Hand, setzt sofort nach den ersten Sätzen ein Wiedererkennungseffekt ein – und mit ihm ein wohliges Behagen am Altvertrauten. Ich habe das an mir schon oft beobachtet. Sie vielleicht ja auch an sich.

    Bei Kurzgeschichten hingegen muss der Leser – also Sie – sich alle paar Seiten auf völlig neue Gegebenheiten, völlig neue Prämissen einstellen, die sich in der Regel sogar untereinander widersprechen. Das ist natürlich nicht bequem, denn es erfordert eine hohe Flexibilität und eine besondere Bereitschaft zur aktiven Mitarbeit. Vielleicht ist das auch der Grund dafür, warum die fantastische Kurzgeschichte nach einer Blütezeit, die viele Jahrzehnte währte und noch bis in die 1980er-Jahre andauerte, heute eher ein Schattendasein fristet. Manchen Autor mag das abschrecken; andere fordert es vielleicht heraus.

    Hier also sind dreißig unwahrscheinliche Geschichten aus allen nur möglichen Bereichen der Fantastik – Science-Fiction, Fantasy, Weird Fiction (in Deutschland gerne auch »Horror« genannt), Märchen oder Fabeln – mit denen ich Ihre Flexibilität auf die Probe stellen und Ihre Imagination herausfordern möchte. Wenn Sie nicht bereit sind, sich darauf einzulassen, sollten Sie dieses Buch besser gleich wieder zuklappen und sich stattdessen lieber den nächsten Fünfhundert-Seiten-Fantasy-Schmöker aus der Buchhandlung Ihres Vertrauens besorgen. Ich würde es Ihnen nicht verübeln. Wenn Sie sich aber auf diese kurzen – und manchmal sehr kurzen – Geschichten einlassen und dem Unwahrscheinlichen durch Ihre Mitwirkung Wahrscheinlichkeit verleihen, werden Sie vielleicht ein ähnlich großes Vergnügen dabei empfinden wie ich, als ich diese Geschichten für Sie und für mich selber schrieb.

    Karl-Ulrich Burgdorf

    Der Hut

    Noch zehn Minuten bis zum Auftritt.

    Den Hut weit in den Nacken zurückgeschoben, saß Nick Corvin, Leadsänger der Band The Screaming Androids, in seiner Garderobe und dachte über die Widrigkeiten des Schicksals nach.

    Diese Widrigkeiten bestanden vor allem darin, dass die Karriere der Band gerade einen gewaltigen Absturz erlebte. Was, zum Teufel, mochte die Ursache dafür sein?

    Schließlich hatten sich ihre ersten beiden CDs verkauft wie guter Shit, und die Zahl ihrer Fans ging überall auf der Welt in die Millionen. Ihre dritte, unter größtem Aufwand produzierte CD hingegen lag wie Blei in den Regalen der Plattenläden. Die Klickzahlen für das neue YouTube-Video der Band bewegten sich nicht mehr im sechs-, sondern nur noch im vierstelligen Bereich, und auch die soeben begonnene Tournee hatte sich bereits nach den ersten Konzerten als Riesenflop erwiesen. Die vorab gebuchten Hallen und Arenen waren nicht einmal zur Hälfte gefüllt, das Publikum reagierte, wenn überhaupt, dann eher mit abfälligen Pfiffen auf die neuen und sogar auf viele der alten Stücke, obwohl die Band sie mit genau so viel Energie herunterschrammelte wie früher, und jetzt hatte auch noch ihr Manager angedeutet, dass sie die Tournee wohl entweder abbrechen oder aber die verbleibenden Auftritte wenigstens in kleinere Säle und Clubs verlegen mussten, um auf diese Weise doch noch zu retten, was vielleicht schon gar nicht mehr zu retten war.

    Allein der Gedanke, sich in diesem Falle wieder eine gemeinsame Garderobe mit den anderen Musikern der Band teilen zu müssen, war für Nick Corvin unerträglich. Vor den Auftritten wollte er allein sein, um sich ohne unliebsame Zeugen jenen allabendlichen Schuß zu setzen, den er unbedingt brauchte, um dadurch in Höchstform für das anstehende Konzert zu kommen. Und nach dem Konzert benötigte er sie als Rückzugsraum, um mit seinen Groupies jene legendären – oder, wie manche Journalisten schrieben, berühmt-berüchtigten – Privatpartys feiern zu können, bei denen die anderen Bandmitglieder nur gestört hätten.

    Aber so viele Groupies kamen seit Beginn dieser Tournee ja auch nicht mehr in seine Garderobe …

    Von diesem Gedanken noch mehr deprimiert, griff Nick Corvin in die Schublade seines Frisiertisches und kramte mit zitternden Fingern das Spritzenbesteck heraus. Einen Augenblick später, als das Gift in seine Venen strömte, ließ das Zittern sofort wieder nach, seine Haut hörte auf zu jucken, und er fühlte er sich wieder stark und unbesiegbar. Jetzt konnte die Welt kommen! Denen da draußen, dem Pöbel im Zuschauerraum, würde er es heute Abend schon zeigen! Er würde singen wie Orpheus, oder wie Tom Waits oder doch wenigstens wie Bob Dylan, und dann würden sie ihm wieder zu Füßen liegen, die CD-Verkäufe würden von Neuem anziehen, und …

    Genau in diesem Augenblick klopfte es an der Garderobentür.

    O verdammt! Sein Manager? Oder, was noch viel schlimmer wäre, die Polizei? Angesichts ihrer derzeitigen Pechsträhne ließ sich selbst das wohl nicht ausschließen. Mit einer fahrigen Bewegung löste Nick Corvin die Lederschlaufe von seinem Oberarm, warf die gebrauchte Spritze mitsamt Zubehör in die Schublade zurück und zog den Ärmel herunter. Dann schnauzte er ein mürrisches »Herein!«

    Die Tür ging auf, und ein Mann trat ein, den Nick Corvin noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte. Wahrscheinlich jemand von der Hallenorganisation. Oder, im schlimmsten Falle, ein Reporter, der es irgendwie geschafft hatte, sich backstage Zutritt zu verschaffen. Für einen Fan sah der Kerl jedenfalls entschieden zu alt aus. Obwohl, wenn er es recht bedachte: Eigentlich konnte er gar nicht sagen, wie sein Besucher nun eigentlich genau aussah. Schaute man einen Augenblick lang weg und dann wieder hin, schienen sich seine Konturen jedes Mal ein wenig verändert zu haben … Vielleicht, dachte Nick, war der Stoff doch nicht so hundert Prozent rein gewesen, wie sein Dealer behauptet hatte? »Was gibt’s?«

    »Entschuldigen Sie bitte die Störung«, sagte der Besucher freundlich. »Ich habe nämlich davon gehört, dass Sie im Moment gewisse … Schwierigkeiten haben, und da dachte ich, ich könnte Ihnen vielleicht behilflich sein.«

    »Hä?«

    »Es ist Ihr Hut«, sagte der Besucher und deutete mit einem ausgestreckten Finger darauf. »Ich fürchte, er hat seine Magie verloren, und darum benötigen Sie dringend einen neuen, damit Sie und Ihre Band wieder den Erfolg haben, der Ihnen zusteht.«

    Unwillkürlich griff Nick Corvin nach dem Hut auf seinem Kopf und schob ihn ein wenig weiter nach vorne, Richtung Stirn. Sicher, den Hut trug er seit Beginn seiner Karriere bei all seinen Konzerten. Er hatte sich inzwischen tatsächlich zu so etwas wie seinem Markenzeichen entwickelt, vielleicht sogar zu so einer Art persönlichem Talisman, und deshalb hatte er ihn auch bei allen YouTube-Videos der Band getragen und natürlich auch auf den Booklet-Fotos ihrer drei CDs – von den Sexorgien mit den Groupies einmal ganz zu schweigen. Aber dass der Erfolg der Band allein davon abhing …? Von einem Hut? Nein, der Kerl da vor ihm war eindeutig ein Verrückter. Zum Glück schien er wenigstens nicht bewaffnet zu sein … aber vielleicht war es trotzdem besser, die Security zu rufen?

    Ein breites Grinsen – jenes etwas diabolische Jack-Nicholson-Grinsen, das seine weiblichen Fans so liebten und das die Journalisten so gerne auf ihre Fotos bannten – erschien auf seinem Gesicht. Eigentlich war die ganze Sache doch ein total irrer Spaß, jedenfalls so lange, wie der Bursche nicht allzu lästig wurde.

    »Und was für einen Hut sollte ich Ihrer Meinung nach tragen?«

    »Probieren Sie es doch einmal mit diesem hier.« Erstaunlich fingerfertig zauberte der Besucher wie aus dem Nirgendwo einen Hut hervor und hielt ihn Nick Corvin hin. Also doch kein Irrer, sondern ein Hutverkäufer – oder vielleicht beides zugleich? I am the mad hatter, and I’m getting fatter, if you’d like to know … Tatsächlich schien der Besucher deutlich an Volumen zuzunehmen, als Nick diese uralte Songzeile in den Sinn kam. Was aber natürlich vollkommen unmöglich war … In Nicks Kopf begann mit einem Mal alles zu verschwimmen, und benommen beugte er sich vor, um den ihm angebotenen Hut näher in Augenschein zu nehmen. Tatsächlich sah er im Grunde genau so aus wie der, den er jetzt trug, nur vielleicht ein wenig flotter, eine Spur … ansprechender. Vielleicht war es gar nicht schlecht, einen solchen Hut in Reserve zu haben? Immerhin konnte es ja passieren, dass ihm der andere, der alte Hut vom Kopf geweht wurde, und er auf Nimmerwiedersehen irgendwohin verschwand … und dann würde es gut sein, einen zweiten Hut zu besitzen, denn ohne Hut auf die Bühne zu gehen, war für ihn nach all den Jahren praktisch unvorstellbar.

    »Schön, sehr schön«, stammelte er. »Was soll das Teil denn kosten?«

    Der Besucher sagte es ihm.

    Also doch ein Irrer. Aber selbst harmlosen Irren sollte man ja ihren Willen lassen, sonst wurden sie womöglich doch noch aggressiv; jedenfalls hatte er das einmal irgendwo gelesen. Und vielleicht ließ sich die Geschichte ja später sogar zu einem geilen Songtext verarbeiten?

    »Dann muss ich also wohl einen … Vertrag unterschreiben?«

    »O nein!« Der Besucher hob abwehrend die Hand. »Unter Ehrenmännern wie uns ist das wirklich nicht nötig. Es reicht, wenn Sie den Hut annehmen. Damit wäre die Vereinbarung verbindlich geschlossen.«

    »Also gut«, sagte Nick Corvin. »Dann geben Sie ihn schon her.«

    Im nächsten Augenblick hielt er den Hut in der Hand, der Besucher war verschwunden, und an der Garderobentür klopfte es erneut. Sie öffnete sich einen Spalt, und sein Manager lugte herein. »Du musst auf die Bühne, Nick. Alles okay so weit? Du siehst ein bisschen blass um die Kiemen aus.«

    »Ist schon okay.« Mit einem Achselzucken warf Nick Corvin den eben erstandenen Hut auf den Frisiertisch und folgte seinem Manager in Richtung Bühne, wo die anderen Bandmitglieder schon mit voller Power losgelegt hatten. Natürlich trug er auch diesmal wieder seinen alten Hut. Den neuen, dachte er, werde ich in Reserve behalten, für den Fall, dass der alte mir einmal abhanden kommt.

    Das erste Set war ein Fiasko.

    Es begann bereits damit, dass die Halle nicht einmal zur Hälfte – eigentlich höchstens zu einem Drittel – gefüllt war. Und obwohl Nick Corvin sich die Kehle heiser brüllte und die Band sich durch die Songs schrammelte wie arme Seelen in der Hölle, kam unter den spärlichen Zuhörern von Anfang an so gut wie keine Stimmung auf. Nach dem zweiten Song wanderten sogar schon die ersten ab; nach dem dritten noch mehr; und nach dem vierten Song war Nick Corvin klar, dass es so nicht weitergehen konnte. Statt den fünften Song anzusagen, krächzte er bloß »Wir machen jetzt eine kleine Pause und sind dann gleich wieder für euch da« ins Mikrophon und verschwand backstage, verfolgt von den wütenden Mitgliedern der Band und den gellenden Pfiffen des Publikums. Sein Manager – der eigentlich der Manager der gesamten Band war, aber Nick dachte von ihm immer gern als »seinem« Manager – schien auch nicht sonderlich erfreut. Genauer gesagt, war er so mörderisch sauer, wie Nick es während ihrer gesamten Karriere noch nicht erlebt hatte

    »Was bildest du Arschloch dir eigentlich ein?« brüllte er ihn im Gang zu den Garderoben an. »Du kannst doch nicht einfach …«

    »Nur eine kleine Pause«, wiederholte Nick stur und warf die Tür seiner Garderobe hinter sich zu. Normalerweise hätte er sich jetzt einen zweiten Schuss gesetzt, um sich auf diese Weise über die schwarze Depression hinwegzuretten, die ihn angesichts ihres totalen Misserfolgs auf der Bühne überfallen hatte. Aber diesmal nicht. Stattdessen warf er seinen alten Hut achtlos in den nächsten Papierkorb und setzte sich das neue Exemplar auf, das immer noch auf dem Frisiertisch lag. Verzweifelte Situationen verlangen verzweifelte Maßnahmen. Noch einmal holte er tief Luft, dann trat er wieder aus der Garderobe und riss die Tür nebenan auf.

    »So, Jungs, jetzt können wir weitermachen!«, rief er den verdutzten Mitgliedern seiner Band zu. Im nächsten Moment war er auch schon vor ihnen in Richtung Bühne gestürmt.

    Bereits als er die Bühne betrat, sah er, dass die Situation sich grundlegend geändert hatte.

    Offenbar war die Leere im Zuschauerraum zu Beginn des Konzerts nur darauf zurückzuführen gewesen, dass es irgendwo im Bereich der Halle einen Verkehrsstau gegeben hatte. Inzwischen hatten immer mehr Leute zu ihren Parkplätzen gefunden, und nun strömten sie in Massen durch die weit geöffneten Türen und quetschten sich in die Lücken zwischen den anderen Zuhörern. Ausverkauft mochte die Halle zwar immer noch nicht sein, aber gut gefüllt war sie jetzt allemal. Und auch die Stimmung änderte sich mit einem Schlag. Kaum hatte die Band auf ein von Nick Corvin ins Mikro gebrülltes »Now it’s showtime, folks!« die ersten Akkorde herausgehauen, als sich der Raum direkt vor der Bühne in einen Moshpit verwandelte, in dem die Leute pogten wie die Besessenen. Weiter hinten liefen La-Ola-Wellen durch den Saal, und jetzt schrien sich nicht nur Nick und der Leadgitarrist, der die zweite Stimme sang, sondern auch die begeisterten Fans drunten im Publikum vor Begeisterung die Kehle heiser.

    Das Konzert war ein rasender Erfolg, und so blieb es auch auf dem Rest der Tournee. Die Hallen waren nicht einfach nur ausverkauft, sondern die Screaming Androids – die jetzt als Nick Corvin and the Screaming Androids angekündigt wurden – mussten regelmäßig Zusatzkonzerte geben, und selbst für die gingen die Preise der wenigen auf dem Schwarzmarkt erhältlichen Tickets sofort durch die Decke.

    Die Zahl der Groupies nahm ebenfalls exponentiell zu.

    Und die Qualität des Heroins auch.

    Einen Wermutstropfen gab es allerdings: Die CDs der Bands lagen immer noch wie Blei in den Regalen, und auch die Download- und YouTube-Klickzahlen blieben mau.

    »Das ist unmöglich«, sagte Nicks Manager kopfschüttelnd. »Eigentlich müsste sich das alles bei den Konzerten und den Kritiken jetzt verkaufen wie geschnitten Brot. Aber das tut es nicht! Warum denn nicht, verdammt noch mal? Und vor allem: Was können wir dagegen unternehmen?«

    »Ich glaube, ich weiß da was«, sagte Nick. Nachdem er seinem Manager seine Idee erklärt hatte, schüttelte dieser nur den Kopf. »Das wird die Plattenfirma niemals machen«, verkündete er. »Viel zu teuer. Und außerdem werden sie dich für total verrückt halten. Meinst du denn allen Ernstes, dass es an einem Hut liegen kann?«

    »Dann bezahle ich es eben selbst«, beharrte Nick. »Und für verrückt hält mich sowieso schon jeder.«

    »Nun, unter diesen Bedingungen könnte ich es vielleicht irgendwie hinkriegen … aber ein Hut?«

    Tatsächlich spielte die Plattenfirma mit. Ein Grafiker wurde engagiert, der in den Druckvorlagen für die CDBooklets aller bisher erschienenen Platten der Screaming Androids

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