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Kölner Krimi Kurzgeschichten: Zwischen Martinsfeld und Mordgelüsten
Kölner Krimi Kurzgeschichten: Zwischen Martinsfeld und Mordgelüsten
Kölner Krimi Kurzgeschichten: Zwischen Martinsfeld und Mordgelüsten
Ebook187 pages2 hours

Kölner Krimi Kurzgeschichten: Zwischen Martinsfeld und Mordgelüsten

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About this ebook

Ein Mann, der ein plötzliches Angebot bekommt, dem er nicht widerstehen kann! Eine Praline, die einen ganz besonderen Geschmack entwickelt! Eine merkwürdige Prozession, die ihre Folgen hat! Ein Antiquariat mit tödlichen Büchern! Ein tödlicher Auftrag, aber für wen? Eine ganz besondere Erinnerung, die nach Jahrzehnten ihre Wirkung entfaltet! Ein Einbruch mit einem fatalen Ende. Ein plötzlicher, unwillkommener Erbe! Ein Virus, das seine eigene Wirkung entfaltet. Ein tragisches Tagebuch …
Zehn Kriminalgeschichten mit überraschendem Ausgang, bei denen nichts so ist wie es scheint. Alle Geschichten spielen in Köln mit starkem Lokalkolorit und zum Teil sehr aktuellen Bezügen z.B. auf das Corona­virus oder den sog. Enkeltrick.
LanguageDeutsch
Release dateApr 15, 2021
ISBN9783961361052
Kölner Krimi Kurzgeschichten: Zwischen Martinsfeld und Mordgelüsten
Author

Rolf D. Sabel

Rolf D. Sabel, Jahrgang 1949, unterrichtet Latein und Rechtskunde an einem Kölner Gymnasium. Er ist bekannt für seine gut recherchierten historischen Romane.

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    Kölner Krimi Kurzgeschichten - Rolf D. Sabel

    1. Der Anzug

    Manchmal kommt der Segen des Reichtums unverhofft, und doch kann ein Segen auch zum Fluch werden. Wie in diesem Fall …

    Paul Slezak starrte wie gebannt auf die unwirkliche Szene, die sich da im Altarraum der Kirche abspielte. Ein Sarg, Kandelaber mit flackernden Kerzen, Orgeltöne, die ihn sanft umschmeichelten, ein Hauch von Weihrauch. Ein Szenario, das irgendwie unwirklich wirkte.

    Unheimlich! Und doch! Eine wunderbare, alte Kirche, in der es wärmer war als draußen, aber trotzdem ordentlich zog. Er fröstelte und zog den verschlissenen Schal enger um den Hals. Wie war er nur hierhin geraten?

    Um das zu verstehen, muss man etwas weiter ausholen und einen Ausflug in die Vergangenheit machen.

    Paul Slezak war vom Schicksal wahrlich nicht verwöhnt worden. Das begann schon in seiner Kindheit, als seine Eltern nach dem furchtbaren Krieg aus Schlesien vertrieben worden waren und eine neue Heimat in Köln suchten – und fanden. Eine kleine Sozialwohnung im Martinsfeld bildete jetzt den Mittelpunkt der Familie, doch Armut und Not, Krach und Streit waren die häufigsten Gäste dort. Die Mutter hatte mehrere Putzstellen bei besseren Leuten, der Vater war Straßenbahnfahrer bei der KVB und hatte bereits zwei Abmahnungen wegen Trunkenheit in den Akten. Aber da die Verkehrsbetriebe im Nachkriegs-Köln dringend Fahrer brauchten, sah man vorerst großzügig über diese Verfehlungen hinweg. So fuhr der Vater tagsüber und soff nur noch abends.

    Der kleine Paul ging zur nahen Volksschule in der Trierer Straße und lernte schnell. Vor allem lernte er schnell, dass er und seine Familie im heiligen Köln wenig willkommen waren. Das zerstörte Köln war weder bereit noch fähig, zusätzlich zu den vielen einheimischen Rückkehrern noch Flüchtlinge aus der kalten Heimat aufzunehmen, die merkwürdige Dialekte mit sich brachten und noch dazu überwiegend protestantisch waren, was im katholischen Köln grundsätzlich einen Makel darstellt. Und so waren Pimock oder Polak die Begriffe, die ihm häufig entgegen geworfen wurden, ohne dass er diese Wörter kannte oder verstand. Auch die Kinder, die ihm diese Wörter nachriefen, hatten keine Ahnung, was sie bedeuten könnten. Sie hatten sie zu Hause von ihren Eltern aufgeschnappt und fanden sie herrlich schräg, umso mehr, wenn sie bei den Kindern, denen sie sie nachriefen, Tränen hervorriefen.

    Dazu kam, dass Paul von schmächtiger Gestalt war und dünnes, rotes Haar seinen Kopf bedeckte. In Köln wurde so jemand ne Fuss genannt und die Kinder neckten ihn gerne, indem sie riefen: „Fuss kum erus, de Kirch es us." Dieser Spruch war so herrlich sinnlos, aber er reimte sich und fand Gefallen.

    Zur damaligen Zeit sprachen die meisten Kinder in seiner Schule ein breites Kölsch, und auch wenn dem kleinen Paul der Sinn dieses Spruches gänzlich verborgen blieb, ahnte er doch in seiner armen, gepeinigten Seele, dass dieser Reim und die anderen Begriffe, die die Kinder für ihn fanden, nichts Schönes bedeuteten und abwertend gemeint waren. Und so kam er nahezu täglich tränenüberströmt nach Hause und begab sich in die Arme seiner trostspendenden Mutter.

    Der Vater hatte für solche Dinge freilich kein Verständnis. Wenn er einmal nüchtern war, und das kam eher selten vor, schnauzte er ihn an, verteilte Ohrfeigen und meinte, ein echter Mann müsse so etwas aushalten. Er habe im Krieg sehr viel mehr ausgehalten und sei daran nicht zerbrochen. Daran schlossen sich meist blutige Berichte aus dem Kriegsalltag des Vaters an – er hatte es immerhin bis zum Matrosenobergefreiten gebracht – und dann pflegte er seinen alten Seesack hervorzuholen, in dem alle Reminiszenzen einer vergangenen Zeit Platz gefunden hatten. Stolz zeigte er seine Orden und Urkunden, bevor er zum nächsten Bier griff.

    Dann die kurze Gefangenschaft bei den Amerikanern, die Rückkehr in die ersehnte Heimat und schließlich die Vertreibung aus Gleiwitz, jener Stadt in Oberschlesien, in der der Zweite Weltkrieg seinen Anfang genommen hatte, die doch für Jahrhunderte Stammsitz der Familie Slezak gewesen war.

    „Das macht einen Mann hart, Paul, nimm dir daran ein Beispiel und heul hier nicht rum!"

    Zum Schluss noch zwei Ohrfeigen, der Griff nach der Bierflasche und die pädagogische Unterweisung war beendet.

    Schließlich hatte sich Paul nach zwei Ehrenrunden durch die Volksschule in der Trierer Straße durchgequält, und die Eltern gaben ihn zu einem Bekannten, einem Schlosser in die Lehre, damit er endlich was Vernünftiges lernen könnte.

    Aber da kam er vom Regen in die Traufe.

    Schlossermeister Grabowski teilte sowohl die Ansichten als auch die Trinkgewohnheiten des Vaters. Er hatte das gleiche Schicksal eines Vertriebenen hinter sich, das ihn nicht nur hart, sondern auch unempfindlich für die Lebensnöte eines Sechzehnjährigen machte.

    Und doch gelang es Paul Slezak irgendwie, ohne größere Schäden an Leib und Seele die Lehrzeit zu beenden, und präsentierte seinen Eltern eines Tages stolz den Gesellenbrief, auch wenn dieser keine andere Note als ausreichend enthielt. Der Vater rülpste, warf einen kurzen Blick auf das Dokument und meinte lapidar: „Nix Besonderes!, um sich wieder seiner Bierflasche zuzuwenden. Die Mutter in ihrer abgetragenen Kittelschürze, verhärmt und hohlwangig, nahm ihn in die Arme, streichelte seinen Kopf und murmelte: „Gut gemacht Jungchen, gutgemacht.

    Verstohlen wischte sie sich die Tränen aus den Augen und widmete sich wieder ihrer Bügelwäsche.

    Von da an schien es für Paul Slezak aufwärtszugehen. Da er selbst für die Bundeswehr zu schwach und zu kränklich war (T3), blieb ihm der Wehrdienst erspart, was seinen Vater zu bösartigen Begriffen wie Drückeberger oder Schwächling verleitete und ihn in der Achtung des Vaters noch weiter sinken ließ, sofern das überhaupt möglich war.

    Er fand eine Stelle bei Pohlig in Zollstock und arbeitete dort gerne und gut. Er tat, was man ihm sagte, und er war mit seiner kleinen Welt zufrieden.

    Dann starb der Vater, er starb überraschend früh und plötzlich, offenbar war es die Leber leid geworden, ständig mit einem Übermaß von Alkohol konfrontiert zu werden und hatte ihre Arbeit eingestellt.

    Paul konnte sich trotz aller Mühe nicht zu einer Form von Trauer durchringen und brachte die Beerdigung auf dem Südfriedhof ohne irgendeine gefühlsmäßige Anwandlung hinter sich. Jetzt war in der kleinen Wohnung im Martinsfeld mehr Platz, auch wenn sich die finanziellen Verhältnisse eher noch verschlechtert hatten. Seine Mutter putzte noch mehr, stopfte seine Sachen, bekochte ihn so gut, wie es das schmale Haushaltsgeld zuließ und überließ ihn ansonsten seiner eigenen Welt, und Paul war auch damit zufrieden.

    Aber das Schicksal hatte noch einige Überraschungen für Paul auf dem Lager.

    Eines Tages erhielt er auf der Arbeitsstelle einen Anruf der Polizei, durch den ihm mitgeteilt wurde, dass seine Mutter auf dem Salierring von einem betrunkenen polnischen LKW-Fahrer überfahren worden sei. Einem Polen – ausgerechnet!

    Paul Slezak eilte verstört ins Severinsklösterchen, nur um die dürre Gestalt seiner Mutter ein letztes Mal unter einem dünnen Laken wahrnehmen zu können. Bei der Beerdigung vergoss er die Tränen, die er für den Vater nicht gehabt hatte, und als er in die Wohnung zurückkehrte, fühlte er sich auf einmal allein, richtig allein.

    Zum ersten Mal erschien ihm die Wohnung im Martinsfeld viel zu groß und er begann sich darin unwohl zu fühlen. Anderen Menschen würden jetzt ihre Freunde zur Seite stehen, oder ihre Partner.

    Aber richtige Freunde hatte er nie gehabt und Beziehungen zum anderen Geschlecht waren ihm völlig fremd, wenn man davon absieht, dass er vor Jahren einmal im Keller einen flüchtigen Blick auf die schmalen Brüste der vierzehnjährigen Nadine aus der Nachbarschaft hatte werfen dürfen, was ihn einen Eisbecher mit vier Kugeln gekostet hatte.

    So ging er täglich zur Arbeit, kam abends zurück, wärmte sich etwas in der Mikrowelle auf und verbrachte die restliche Zeit bei Actionfilmen und unsäglichen Talkshows vor dem kleinen Fernseher.

    Die Jahre vergingen und Paul Slezak war zufrieden. Mehr hatte er vom Leben nicht erwartet.

    Einmal, ja einmal ging er mit Anna, einer ansehnlichen Lageristin aus der Firma ins Kino, aber als er behutsam ihre Brust streicheln wollte, wie er es in den Filmen so oft gesehen hatte, erhielt er eine schallende Ohrfeige und damit waren seine Beziehungsversuche zum weiblichen Geschlecht endgültig beendet. Für das, was er jetzt noch brauchte, war ihm seine Hand genug.

    Mehr und mehr besuchte er jetzt abends die gemütliche Eckkneipe in seinem Veedel, nahm an den inhaltsleeren Gesprächen teil und warf Runden und Würfel, um gegen Mitternacht in die leere Wohnung zurückzukehren.

    Aber das Schicksal war noch nicht fertig mit ihm.

    Kurz vor Weihnachten machte seine Firma dicht und er landete mit den kargen Segnungen des Arbeitslosengeldes versehen im Niemandsland der Arbeitslosigkeit. Eine neue Stelle war nicht zu finden, bei den wenigen Vorstellungsgesprächen wurde seine erbärmliche Erscheinung lediglich mit mitleidigen Blicken bedacht und am Schluss ignorierte er die Vorschläge, die das Arbeitsamt ihm machte, völlig.

    Und so ging er den Weg, den so viele vor ihm auch gegangen waren.

    Das Geld reichte nicht mehr für die Wohnung, er erhielt die Kündigung und landete auf der Straße. Seine Gläubiger leerten seine Wohnung – das Meiste landete im Müllcontainer – und was er jetzt noch besaß, passte in den alten Seesack, den ihm sein Vater vererbt hatte. Die wenigen enthaltenen Orden und Uniformteile landeten beim Alträucher und sorgten für den Unterhalt der nächsten Tage.

    Und von da an ging es steil bergab!

    Jetzt waren die Grünanlagen an den Ringen seine neue Heimat, eine Heimat, die er sich mit Alkoholikern, Drogensüchtigen und Kleinkriminellen teilte. Vom Schlossergesellen zum Penner hatte er eine rasante Karriere hingelegt.

    Hätte ihn seine Mutter gesehen, sie hätte sich für ihn geschämt. Seine kleine, hagere Gestalt war ungepflegt und strotzte vor Schmutz, er sah unangenehm aus und roch auch so. Wenn er schwarz mit Bahn oder Bus fuhr, achteten die Mitfahrer peinlich genau auf den gehörigen Abstand und verzogen geringschätzig ihr Gesicht.

    Seine Kleidung bezog er aus den Kleidercontainern, seine Tätigkeit bestand aus Betteln und Flaschensammeln. Und ab und zu ließ er auch Kleinigkeiten aus den umliegenden Supermärkten mitgehen, sorgsam darauf bedacht, dass er nicht erwischt wurde, was ihm stets gelang. Obwohl er manchmal glaubte, dass er im Klingelpütz, wie die JVA in Ossendorf immer noch bei einigen Betroffenen genannt wurde, besser aufgehoben wäre. Drei Mahlzeiten am Tag, ein warmes Zimmer, Duschen und saubere Kleidung – das waren Dinge, von denen er jetzt allenfalls träumen konnte. Aber wer Freiheiten aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, verdient weder Freiheit noch Sicherheit, dieses Zitat von Benjamin Franklin hatte er in der Schule vierzigmal abschreiben müssen, weil er die Katze des Hausmeisters in eine Blechkiste gesteckt hatte und so war es ihm dauerhaft im Gedächtnis geblieben.

    Und doch, in diesem Winter, der so kalt war und dessen zugige Winde durch seine armselige Kleidung fuhr und seine verbliebenen Zähne klappern ließen, in diesem Winter kam die Wende! Er hatte gerade seinen achtundsechzigsten Geburtstag gefeiert, ohne dass das irgendjemanden interessiert hätte, als das Schicksal beschlossen zu haben schien, ein Einsehen mit ihm zu haben.

    Rastlos und frierend schlurfte er durch sein altes Viertel, vorbei an seiner alten Wohnung, in der jetzt laut Klingelschild eine Familie namens Matruskeit wohnte und landete schließlich vor der Pfarrkirche St. Pantaleon.

    Als Protestant hatte er diese Kirche, eine der schönsten romanischen Kirchen Kölns, noch nie betreten, obwohl sie nur wenige Meter von seiner alten Wohnung gelegen war.

    Aber jetzt schienen ihn der kalte Wind und die dicken Schneeflocken, die sich in der anbrechenden Dunkelheit wie ein Teppich über die Stadt legten, geradezu magisch in die Kirche zu treiben. Zögernd betrat er die Kirche durch einen Seiteneingang und legte den Seesack, der seine wenigen Habseligkeiten enthielt, auf den Boden hinter die Tür. Seine Augen brauchten eine Zeit, bis sie sich an die Dunkelheit des großen Kirchenraums gewöhnt hatten und es waren zuerst seine Ohren, die den dezenten Klang einer Orgel wahrnahmen. Hätte er sich mit Musik etwas ausgekannt, hätte er vielleicht gewusst, dass es sich um das Deutsche Requiem von Brahms handelte, aber so empfand er die Musik einfach nur als angenehm. Angenehm auch die Atmosphäre von Ruhe, etwas Wärme und der Geruch von Weihrauch, der von der letzten Messe übrig geblieben war und wie ein feiner Schleier im Kirchenraum hing.

    Er sah sich um. Er war allein in der Kirche, oder jedenfalls fast allein. Ganz vorne, in der ersten Reihe saß ein Mann in einem schwarzen Anzug, einige Reihen dahinter eine Frau in einem dunkelfarbigen Kostüm, daneben ein älterer Mann in einem dunklen Trenchcoat.

    Und er!

    Paul Slezak.

    Da stand er nun, unschlüssig, was zu tun. Er nahm allen Mut zusammen und ging etwas nach vorne, um sich in eine der letzten Reihen zu setzen.

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