Seewölfe - Piraten der Weltmeere 722: Gefährliche Freundschaft
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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 722 - Sean Beaufort
8
1.
Kapitän Jens van Aacheren stieß einen lauten Fluch aus, aber der heulende Sturm riß ihm die Worte von den Lippen. Wieder fühlte er durch die Planken des Achterdecks, wie der Kiel zitterte und sich durchzubiegen schien, wie einzelne Planken brachen und die Erschütterungen die Fleute vom Ruder bis zum Vorsteven schüttelten.
Nur ein einziger Gedanke ging immer wieder wie eine Beschwörung durch seine Gedanken: So schnell bricht ein gutes Schiff nicht auseinander!
Und die „Wilhelm van Oranien" war ein verdammt gutes Schiff. Sie war an zwei Stellen aufs Riff aufgekommen, und auch die letzte Flut hatte sie nicht heben können. Seit Stunden wütete dieser grauenhafte Sturm.
Jens van Aacheren hoffte inbrünstig, daß aus der nächtlichen, von Blitzen flackernd erhellten Finsternis eine riesige Woge heranrauschen und das gequälte Schiff von den Felsen schieben würde. Langsam in die Höhe und dann mit einem Schwung ins freie Wasser, das keine zwei Kabellängen entfernt war.
Jens klammerte sich an die Pfosten des Schotts. Sie hatten schon zwei Geschütze an Deck gemannt und über Bord gekippt. Nichts half, die Fleute saß fest, legte nach Backbord und Steuerbord über, schüttelte sich und krachte, und ab und zu setzte sie mit der vorderen Hälfte hart auf die knirschenden Felsen. Jedesmal gingen Geräusche und Erschütterungen durch den bauchigen Rumpf, als treibe man mit dem Hammer einen Nagel durch die Hirnschale der Seeleute.
Neununddreißig Männer schufteten seit Stunden an Deck und in allen Laderäumen bis hinunter zur stinkenden Bilge.
„Jan! schrie der Kapitän. „Wie sieht es aus? Schafft ihr’s?
Der Schiffszimmermann, der Plankenstücke und Bretter unter den linken Arm geklemmt hatte und sich an einer Leine quer über das Deck hangelte, schüttelte den Kopf. Auch seine Antwort war kaum zu verstehen.
„Am meisten nutzt jetzt das Lenzen!" brüllte er.
Wieder rollte ein gewaltiger Donnerschlag über die weite Bucht. Der Zimmermann tappte weiter und enterte einen Niedergang ab.
Ununterbrochen arbeiteten die Lenzpumpen. Aus mindestens einem Dutzend kleiner und großer Lecks tropfte, sickerte und lief Wasser ins Schiff, oder es schoß im dicken Strahl in eins der unteren Decks.
Lasten schwammen auf und behinderten die Männer. Das steigende Wasser erreichte die Ölfunzeln, löschte die Flammen und kippte die Behälter um. Bilgenwasser, Seewasser, Dreck und Öl bildeten eine Brühe, in der die Seeleute versuchten, die Risse in den Planken und die aufgebrochenen Fugen auszubessern und zu verschließen.
Wieder packte ein Brecher das Schiff von Backbord, gischtete an den Planken in die Höhe, brach über dem Schanzkleid zusammen und schoß gurgelnd und schäumend über die Kuhl.
Die Fleute legte sich nach Steuerbord über. Bedrohlich schwankten die Masten, aber das stehende Gut hatte bisher noch am besten durchgehalten. Die Wanten schwangen peitschend hin und her und wirkten im kurzen, kreidigen Licht des nächsten Blitzes wie Spinnweben.
Der Sturm jaulte und kreischte von Nordwesten heran und brach sich am auslaufenden Felskamm der Insel. Er verwandelte die Zacken der Felsen, in denen sich der Kamm unter der Wasserlinie fortsetzte, in kleine Zonen aus nassem Gestein und weißem Schaum, aus dem die Brecher in riesigen Fontänen senkrecht in die Dunkelheit geschleudert wurden. Regen hämmerte auf die Planken, die Schauer wurden umhergewirbelt und prasselten nacheinander aus unterschiedlichen Richtungen gegen Bordwand und Aufbauten.
Jeder Mann an Bord, sowohl die elf Mann der untergegangenen „Harlingen als auch die neunundzwanzig Seeleute der „Wilhelm van Oranien
schufteten weiter, ohne sich um das tobende Gewitter zu kümmern. An mehreren Stellen des Schiffes dröhnten Hammerschläge, oft lauter als das Krachen, mit dem die Wellen gegen die Planken, den Bug und das Heck schmetterten.
„Es hilft nur eins, murmelte der Kapitän, als er mit der brennenden Funzel in der linken Hand durch die Luke ins Deck unter seiner Kammer kletterte. „Weiter schuften. Bis zum bitteren Ende.
Er fügte einen langen holländischen Fluch hinzu und lauschte auf das Gurgeln des eindringenden Wassers.
Das Gewitter mit Regen und Sturm, mit aufgewühlten Wellen und dem mahlenden Knirschen von Kiel und Planken auf Stein und Korallen schien nicht enden zu wollen. Jens van Aacheren fühlte, als er sich unter Deck befand und der Lärm des Sturms leiser wurde, wie das Schiff stöhnte und ächzte. Und in jeder dieser drohenden Geräusche mischte sich das Hämmern und Sägen der Seeleute und das Klopfen und Zischen der Lenzpumpe.
Unter den Decksplanken breitete sich ein Geruch aus, der schwindelerregend war. Es stank nach Gewürzen, die sich im Seewasser verteilten und auflösten.
Ab und zu enterte ein Seemann an Deck, um Luft zu schnappen. Ein halbes Dutzend Niederländer stand im peitschenden, warmen Regen, hustete würgend und holte fast stöhnend Luft.
Wieder zeigte ein Blitz ringsum das aufgewühlte Meer. Jede riesige Welle trug eine weiße Schaumkrone, die der Sturm fast waagerecht wegschleuderte. Plötzlich schien der Sturm nachzulassen oder gar aufzuhören. Eine seltsame Ruhe breitete sich aus, und als das Summen in den Ohren leiser wurde, hoben die Seeleute die Köpfe und warteten. Sie wußten nicht, auf was, aber sie fühlten, daß in der Finsternis etwas lauerte, das sie umbringen und die Fleute zertrümmern konnte.
Ein leises Rauschen war zu hören, ein Winseln, dann wuchs das Geräusch an. Ein ferner Donnerschlag rollte durch die Luft. Das brausende Rauschen wurde lauter, und noch ehe die Seeleute begriffen, was ihnen drohte, wurde das Heck der Fleute in die Höhe gestaucht. Dann schoß das Schiff nahezu senkrecht vom Felsen, der Bug hob sich wieder, und eine unwiderstehliche Kraft schleuderte die Fleute voraus in die Dunkelheit. Die Masten schwankten, das Ruderblatt wurde hin und her gerissen, der Bug senkte sich.
Joop Horn, der Erste, brüllte durch das Knarren und Zischen: „Wir sind frei! Die ‚Wilhelm‘ ist vom Riff freigekommen!"
„Ich gehe ans Ruder! schrie Piet Bloom, der Profos, der neben dem achterlichen Niedergang stand und ein Spanntau umklammerte. „Sonst schlagen wir quer!
Er hastete, so gut es auf den nassen, glitschigen Planken ging, zum Kolderstock und packte zu. Das Ruderblatt stellte sich mittschiffs, und die Wucht der riesigen Welle, auf deren Kamm die Fleute wie ein bockendes Pferd ritt, schob den Rumpf des Schiffes in die Dunkelheit.
Der Kapitän enterte wieder auf, ließ beinahe die Funzel fallen und rammte mit der Schulter schwer gegen einen Decksbalken.
„Was ist los? Ist jemand am …", brüllte er.
„Ich bin am Ruder! rief der Profos. „Wir sind vom Riff!
„Habe ich gemerkt. Also doch ein Wunder!" rief Jens van Aacheren.
Er hob die Schultern und versuchte, in der aufgewühlten See irgend etwas zu erkennen, aber im flackernden Licht der Hecklaterne sah er nur die weißen Gischtstreifen. Der nächste Blitz zeigte wenigstens, daß sich in unmittelbarer Nähe der Fleute kein Land befand und das Schiff durch tiefes Wasser jagte.
„Wird sich zeigen, Schipper! rief der Profos. „Ich bleibe hier, bis mich der Rudergänger endlich abgelöst hat.
„Schon gut. Wir versuchen, die Fock zu setzen. Wir müssen auf Kurs bleiben."
„Aye, aye, Schipper." Der Profos stemmte sich gegen die Hebelkräfte.
Die „Wilhelm van Oranien" krängte in beängstigender Schnelligkeit nach Backbord und Steuerbord, hob und senkte den Bug und schoß durch die Wellen. Die riesige Woge, die das Schiff vom Riff gerissen hatte, schien sich in der Dünung aufgelöst zu haben, von der die Fleute sacht gehoben und ins Wellental abgesenkt wurde. Der Kapitän und eine Handvoll Seeleute setzten das Focksegel. Sie hatten beträchtliche Schwierigkeiten.
Daß die Fleute frei schwamm, war das beste Zeichen, daß die Seeleute erwarten konnten, aber der Umstand änderte nichts daran, daß unter Deck unaufhaltsam das Wasser kletterte.
„Vielleicht finden wir noch in der Nacht einen flachen Strand! brüllte Peer Jordaan, der Bootsmann. „Es sind so viele Inseln um uns herum, daß es schon mit dem Satan zugehen müßte.
An den Schwengeln der Lenzpumpe arbeitete jetzt die dritte Ablösung. Wieder wurden die Strahlen, die aus dem Rohr aus Holz und Lederbälgen schoß, dick wie ein Männerschenkel. Rochus van Traa und Jan Laan, die Schiffszimmerleute der Fleuten, hatten einige Lecks, noch über der Wasserlinie, gut abdichten können. Werg, Leinwand und mühsam erhitztes Pech waren mit Plankenstücken und Kanthölzern festgenagelt und mit Spieren gegen Innenhölzer und Spanten verkeilt worden. Aber unverändert drang entlang des Kiels und in der Bilge Wasser ins Schiff.
In einigermaßen ruhigem Wasser würden die Schiffbrüchigen der „Harlingen und die Crew der „Wilhelm
versucht haben, die Lecks von außen mit Segeltuch und dünnen Platten aus Blei abzudichten. Im Sturm war nicht daran zu denken.
Die Männer nagelten und zimmerten Platten zusammen, preßten sie mit Gewalt unter den schwappenden Wasserspiegel und schoben sie an die Stellen, an der sie, tauchend oder mit ausgestreckten Armen, die Bruchstellen der Lecks ertastet hatten. Die Platten schwammen wieder in die Höhe, wurden zur Seite