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Einstürzende Gedankengänge: Eifel/Island-Krimi mit Rezepten
Einstürzende Gedankengänge: Eifel/Island-Krimi mit Rezepten
Einstürzende Gedankengänge: Eifel/Island-Krimi mit Rezepten
Ebook225 pages2 hours

Einstürzende Gedankengänge: Eifel/Island-Krimi mit Rezepten

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Kripo Trier. Hauptkommissar Dollinger hat Probleme mit seinem Kopf. Ihn plagen nicht nur starke Schmerzen, immer öfter muss er feststellen, dass sein Gedächtnis ihn im Stich lässt. Während Dollinger hartnäckige Tagträume immer wieder nach Island zurückversetzen, wo er mit seiner Tochter alles andere als erfolgreich versuchte, den größten Gletscher zu bezwingen, kann er sich auf wichtige Details der jüngsten Vergangenheit beim besten Willen keinen Reim machen. Dafür schießen ihm jetzt neuerdings auch noch quälende Erinnerungen aus seiner Kindheit messerscharf durchs Hirn. Eigentlich hat er also reichlich mit sich selbst zu tun, als ihm der Tod eines Kindes in die Quere kommt, das eingesperrt in einen Wohnhauskeller mitten in Trier jämmerlich verhungert ist. Als kurz darauf die Mutter des Jungen brutal ermordet aufgefunden wird und sämtliche Indizien Dollinger selber zum Verdächtigen machen, da weiß er sich keinen anderen Rat mehr, als die Polizeipsychologin aufzusuchen. Die aber kann auch nicht verhindern, dass er vom Dienst suspendiert wird. Was Dollinger jedoch keineswegs davon abbringt, auf eigene Faust weiter zu recherchieren. Schließlich will er auch den geringsten Zweifel an seiner Unschuld aus der Welt schaffen - und vor allem seine Selbstzweifel. Die Polizeipsychologin allerdings erweist sich dabei als wenig hilfreich.
LanguageDeutsch
Release dateJul 16, 2012
ISBN9783941895430
Einstürzende Gedankengänge: Eifel/Island-Krimi mit Rezepten

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    Book preview

    Einstürzende Gedankengänge - Ulrich Land

    www.readbox.net

    1

    Stammt das Geschrei, das dich da aus diesem schwarzen Traum reißt, von deinem verfluchten Wecker oder vom nicht weniger verfluchten Handy? Heh Mann, du bist auf Island. Warst die ganze Nacht auf Island. Mal wieder mit dem größten Gletscher da gekämpft. Und hast nicht gesiegt. – Okay okay, du sattelst ja schon die Hühner. Knallst mit deiner frisch ausgebeulten, aber immerhin metallic-blau nachgespritzten Blechpocke durch die Schluchten der Steinwüste längs der Saarstraße. Merkwürdig, dass deine Hände das Steuer irgendwie treffsicher einschlagen, während du immer noch deinem Islandschocktraum nachsinnst und deine Augen bloß diese verdammt hohe, verdammt harte, kalte Eiswand im Visier haben. Im Visier haben wollen. Wer, verflucht, besitzt die Frechheit, an den Marionettenfäden zu ziehen, die an deinen Kopf und die Schultern geknotet sind? Du kannst machen, was du willst, du funktionierst einfach. Wer weiß, vielleicht liegt es auch bloß daran, dass der CD-Player in deiner Karre mal wieder genau die richtige Musik zu bieten hat. »Wir fordern etwas Abwechslung in uns’rer Umlaufbahn, endgültige Befreiung von Newtons Schwerkraftwahn, keine Gravitätlichkeiten, fliegen fällt sonst schwer«, singruft Blixa Bargeld zu Schrottschlagwerk und mit dem Bogen gequälter E-Gitarre, bevor der Punkchor loslegt, »nur was nicht ist, ist möglich.« Okay okay: Röntgenstraße. Röntgen Ecke Goethe. Bin schon unterwegs.

    »Hier, Sheriff, kommen Sie hier durch«, natürlich die blecherne Stimme der Mahnemannschen, »hier hinten!«

    »Wie kommt das eigentlich, verdammt und zugenäht, dass Sie grundsätzlich vor mir an Ort und Stelle sind? Aber auch jedes Mal!«, rufst du ihr vorsorglich schon mal zu, während du dich durch das emsige Kellertreiben der Kollegen nach vorne durchruderst.

    Unversehens stehst du in einem hell erleuchteten Kellerraum. Du hältst die Hand vor die Augen, um das gleißende Scheinwerferlicht wenigstens ein bisschen abzumildern. Das erste, was du siehst, als du wieder was siehst, ist: das Kind. Spätestens jetzt ist Island restlos verschwunden, der Traum zu Ende.

    Du musst, musst einfach woanders hinsehn. Tust so, als würdest du dich rasend für die Arbeit der Spurensicherung interessieren, der Kamera beim Blitzen zusehn, den Schritten beim Durcheinanderrennen zuhören. Du willst alles, nur jetzt nicht kotzen müssen! Das nicht, nicht das. Jetzt. Vor der Mahnemannschen und der versammelten Mannschaft. Also redest du, redest auf Deibel komm raus.

    »Scheiße«, sagst du und weißt, wie recht, wie verflucht recht du hast. »Ich war ja auf allerhand gefasst, aber das ...!«

    Muss man mal vor seinem inneren Auge durchspielen: Da stehst du also im Keller eines ganz gewöhnlichen Mietshauses. Offenbar wenig frequentiert. Seit keine Kohlen und Kartoffeln mehr eingelagert werden, geht man eh nur noch einmal im Vierteljahr runter. Ziemlich verwaist, der ganze Keller. Trotzdem alles akkurat und ordentlich, die Türen brav in Reih und Glied, die Flurwände in makellosem, wenn auch schon etwas vergilbtem ... Nur der Putzdienst, der scheint seit Monaten nicht mehr ... obwohl einer der Mieter mit beamtischer Akribie einen Plan fabriziert und an die Kellerflurtür ... Dran angebunden ein speerspitzer Bleistift. Auf dem Putzplan erkennst du zwar ein paar Häkchen und Namenskürzel, aber das letzte Mal scheint da vor mehreren hundert Jahren einer was eingetragen zu haben. Wahrscheinlich ist der Putzkalenderbeamte längst ... Und du findest dich also am Ende des Flurs in diesem Keller hier wieder. Die Tür von den Kollegen aufgebrochen. Der Leichengestank könnte zwar deutlich penetranter ausfallen, reicht aber allemal, dir den Atem zu verschlagen. Du trittst noch einen Schritt vor und siehst an der Mahnemannschen vorbei und ... Scheiße! Du warst ja auf allerhand gefasst, aber das – ...!

    Das kleine Gesicht eingefallen, die Wangenknochen hervorgetreten. Unter der schlaff herabhängenden Kleidung zeichnet sich kantig der hagere Körper ab. Etliche Fingernägel gesplissen, teilweise bis zum Nagelbett abgebrochen. Passend zu den Kratzspuren am Holzverschlag des Kellerraums und an diesem Vorkriegsküchenschrank. Das Haar büschelweise ausgerissen und im ganzen Raum verteilt. Ansonsten keine Wundmerkmale erkennbar. Der Körper zusammengekrümmt auf dem staubgrauen Kellerboden. Arme, Beine angewinkelt, der Rücken rund. Die rechte Hand zwischen schwerem Kopf und kaltem Boden, die linke aufs Gesicht gelegt. Wie zur Abschirmung gegen das grelle Licht der Dunkelheit.

    »Ist Ihnen nicht gut, Herr Kommissar?«, was Intelligenteres konnte die Mahnefrau wahrhaftig nicht fragen. Nein. Dir ist nicht gut. Dir ist überhaupt nicht gut.

    »Bühren nimmt an, dass der Kleine rasend hohes Fieber gehabt haben muss und dass er schon vier, fünf Tage ...«, setzt sie an.

    »Und das da, dieser halbleere Napf, das war wahrscheinlich das Letzte, wovon er gegessen hat«, sagst du, um was gesagt zu haben. Und plötzlich merkst du: Die Routine trägt so was wie den Sieg davon und sorgt dafür, dass allmählich, so ganz allmählich die Blutversorgung des Gesichts wieder in Gang kommt. Und als wolltest du genau das unterstreichen, greifst du in den Werkzeugkoffer mit Sprechblasen: »Bloß noch Haut und Knochen, das Kerlchen.«

    Jetzt weißt du auch endlich, wieso du so plötzlich die Fassung wiedergefunden hast: Der kleine Bursche hier hat die Augen zu. Als würde er schlafen, friedlich schlafen. Verflucht noch mal, ist das gut! Du dankst Gott oder wem auf Knien, dass der Junge die Augen noch rechtzeitig hat schließen können. Vielleicht ist das grundsätzlich so bei Kindern, die sterben, schießt es dir durch den Kopf, dass sie, weil sie nicht wirklich begreifen, was da auf sie zukommt, dass sie also, sobald der Tod im Anmarsch ist, merken, da passiert irgendwas, irgendwas Besonderes, wovor man Angst haben muss – oder doch müsste –, dass sie dann sozusagen reflexartig die Augen zumachen, die Flucht ins Dunkel ergreifen und in tiefen Schlaf sinken. Dass sie also hinüberschlafen, der Horror selbst sie gar nicht mehr erwischt. Und also musst du jetzt die Todesqual im letzten Blick von dem Jungen nicht mit ansehn. Jedenfalls vermutest du mal, dass sich die Qual in den Augen abzeichnet. Vor allem in den Augen!

    Die Mahnemannsche scheint aus deiner zurückgekehrten Gesichtsfarbe geschlossen zu haben, dass du wieder einigermaßen zurechnungsfähig bist.

    »Und der Wassernapf«, quasselt sie auf dich ein, »da drüben, sehn Sie, da ist nur noch eine Pfütze drin. Und zwar genau so tief, wie ein Kind mit der Zunge kommt, wenn’s das Gesicht auf den Rand presst. Wahrscheinlich hatte der Kleine am Ende gar nicht mehr die Kraft, den Pott zum Trinken anzuheben.«

    Bevor die Farbe wieder aus deinem Gesicht weicht, gehst du schleunigst dazwischen: »Mahnemannsche, das will ich mir überhaupt nicht so genau ausmalen.«

    Verflucht noch mal, das willst du dir nun wirklich nicht so genau ausmalen. Gibt keinen grausameren Anblick als den eines elend umgekommenen Kindes, und zwar nicht in den Blechhüttenfavelas von Sao Paulo, sondern mitten in der Wohlstandsgesellschaft, im Keller der Wohlstandsgesellschaft. Die Mahnemannsche weist dich zu allem Überfluss noch auf die Beißspuren an der Innenkante der Kellertür hin; er hatte offenbar versucht, sich durchzu... Jetzt ... Bühren zeigt auf den Rücken des Jungen ... da, durch das zerschlissene Hemd leuchtet ein sattes Hämatom durch. Bühren schiebt das Hemd hoch ... Es trifft dich der Schlag! Du kannst genau die fünf Finger der Hand erkennen, die man dem kleinen Kerl auf den Rücken geprügelt hat, mit solcher Kraft, dass ... dass er die Schnauze hält, dass er definitiv die Schnauze hält.

    - . -

    2

    Du siehst sie fallen. Obwohl du sie beim Fallen überhaupt nicht gesehn hast, definitiv nicht! Warst viel zu sehr mit dir selbst beschäftigt. Du siehst, wie sie strauchelt, stürzt. Runter im freien Fall. Immer weiter, immer tiefer. Ins Bodenlose. Du hasst diese Träume. Aber sie kommen hartnäckig wieder.

    Ständig schleicht sich diese brutal kahle Steinwelt ins Traumbild. Schon immer das Land deiner Träume. Als Knirps schon. Du wolltest, obwohl es natürlich vollkommen utopisch war, unbedingt nach Island. Dabei – was wusstest du als Siebenjähriger schon von Island! Wahrscheinlich waren’s die Filmbilder, die verfangen hatten. Brünhilds Herkunftsland, in diesem Uralt-Nibelungenfilm, war das noch Schwarz-Weiß oder schon Farbe? Wenn, dann blutarm blassbleiche Farben. Aber für Island, jedenfalls für vier Fünftel der Insel, macht’s ja eh kaum einen Unterschied. Steine sind eben grau, die allermeisten jedenfalls, auch auf Island, abgesehn von den schwefelgelbroten Vulkanausblühungen hier und da. Und Eis und Schnee sind eben weiß. Mehr oder weniger. Wenn sich nicht schwarzer Vulkanstaub reingefressen hat.

    Aber: Zurück auf Los! Wie ihr beide also tatsächlich da hochgeklettert seid. Da, wo’s keine Zerrissenheit gibt, nicht hin, nicht her, nur vorwärts. Keine andere Besessenheit. Wo der Kampf nur dem Gletscher gilt. Woher jetzt dieses Irrsinns-Krachen? – Da drüben! Nein, kein Donner, viel zu nah. Da wird ein Eisstück abgebrochen sein und abgestürzt, die Gletscherzunge runtergeschlittert. Schlittenfahrt ohne Schlitten. Aber jetzt die Eiswand hier über der Gletscherzunge, die ist nicht zu schaffen. Kaum der Aufstieg, und schon umkehren? Zurück. Nicht zu schaffen. Ihr werdet aufgeben müssen.

    Oder nein, vielleicht doch nicht. Es funktioniert doch einigermaßen. Weiter.

    Deine Tochter macht mal wieder eine verflucht gute Figur. Kondition und Hartnäckigkeit, ohne verbissen zu sein. Sie will einfach nur hoch da. Ganz einfach. Also. Und du? Dir gerät der Atem kurz und kürzer. Aber du machst einigermaßen gute Miene zum bösen Spiel. Bloß nichts anmerken lassen. Schon gar nicht die verfluchte Angst, die du immer wieder um die Tochter hast, mit ihren siebzehn Lenzen. Dass die einen Abgang machen könnte. Immer diese Irrsinnsangst. Da kann die noch so sicher sein! Fragt sich doch verdammt noch mal, warum du dann überhaupt mit ihr hierher ... aber die Frage lässt du nicht zu. Sowieso zu spät.

    Also: weiter steigen, klettern, der Tochter hinterher. Weiter. Acht, vielleicht neun Meter, die Hälfte der Eiswand hast du. Der Schritt steht. Während Marina ein Stück weiter oben den nächsten Stand baut. Drüben, die erste Sonne wirft ihr Altgold auf die bizarren Schnee-Eishänge.

    Der Felsbrocken, vorne, über euch, der aus der Eiswand ragt, wenn ihr den schafft, habt ihr erst mal wieder festen Boden untern Füßen.

    Und plötzlich – schwarz!

    - . -

    3

    Da sticht er sofort wieder in die Augen, der Blick auf diese Fels-, Eis- und Aschewüste. Krallt sich fest hinter der Stirn. Während ihr, die Mahnemannsche, der halbe Tross der Spurensicherung und du, während ihr mehr schlecht als recht verrichteter Dinge die Kellertreppe wieder raufsteigt. Im Eingangsbereich des Treppenhauses angekommen, verfliegt sämtlicher Tatendrang wieder, der dich die letzten ein, zwei Stunden hat überstehen lassen, der sich völlig automatisch abspulte, sämtliche Kreuz- und Quergedanken ausschaltete, dich perfekt funktionieren ließ – alles weg. Nur noch die eine Frage im Kopf: Und was jetzt? Was jetzt als Nächstes? Einer wie der andre blicken die Kollegen dich ratlos an. Schließlich bist du der Boss hier. Aber du, Mann, du weißt doch am allerwenigsten, wo’s langgeht. Sämtliche Gedanken wie festgefroren, angefroren von innen an der Schädeldecke. Eisern eisig. Stillstand.

    Genau in dem Augenblick, als die bleierne Ratlosigkeit unerträglich wird, hörst du plötzlich, wie mit einem Schlüssel im Schloss der Haustür rumgestochert wird. Ihr steht stumm wie die Ölgötzen da und starrt die Frau an, die jetzt den Hausflur betritt, euch mindestens ebenso konsterniert anstarrt und mit der geistesabwesenden Mechanik einer Gliederpuppe ihren Briefkasten öffnet, dessen Klappe unter herzerweichendem Kreischen nachgibt.

    »Was ist denn hier los?«, nörgelt die junge Frau und meint damit nicht etwa die vier, fünf Kuverts und die farblose Broschüre der Arbeitsagentur, die ihr durch die aufgeklappte Briefkastentür entgegenpurzeln.

    »Kerstin Engelsberg?« Aha, eine Stimme hast du also noch. Wenigstens das.

    »Und mit wem hab ich das Vergnügen?«, kontert sie, während sie auf den Knien rutschend ihre Briefkastenschätze aufklaubt.

    »Hauptkommissar Dollinger, Trierer Mordkommission.« Und wieder, jedes Mal aufs Neue bist du überrascht über die Wirkung dieser Visitenkarte.

    »Mordkommission?«

    »Und das ist meine Kollegin Barbara Mahnemann.«

    Worauf die sofort den Staffelstab übernimmt: »Sie sind die Mutter des fünfjährigen Johannes?«

    »Ich, ähm ...«

    »Ja?«, gehst du in die Lücke, um der Frau die Luft für irgendwelche Ausflüchte zu nehmen.

    »Ich such ihn wie verrückt, die ganze Zeit.« Man kann zusehn, wie sie die bislang in Anschlag gebrachte Unnahbarkeit tauscht gegen eine deutlich, ausgesprochen deutlich sichtbare Betroffenheit. »Haben Sie was von ihm gehört? Ist er ... er ist doch nicht ... doch nicht etwa ...«

    »Doch, Frau Engelsberg, ich muss Ihnen leider mitteilen«, stichst du erbarmungslos in die bereitwillig hingehaltene Wunde – wobei du ihr nicht mal die wirklich abnimmst, stinkt doch gen Himmel alles, da ist verdammt was faul. »Frau Engelsberg, wir haben Ihren Sohn tot im Keller gefunden.«

    »Nachbarn war der Geruch aufgefallen«, assistiert die Mahnemannsche.

    »Das ähm, nein nicht, tot, mein kleiner, mein winziger ...! Im Keller, das ist doch nicht zu glauben! Da wär ich als Allerletztes drauf gekommen. War ich schon ewig nicht mehr, im Keller.«

    »Aber irgendwer muss ihn da unten versorgt haben. Mehr schlecht als recht. Aber immerhin«, baut die Mahnemann ihr noch eine goldene Brücke, die du natürlich sofort wieder einreißt: »Und schließlich dann irgendwann nicht mal mehr das! Jedenfalls nicht so, wie ein fieberkrankes Kind das braucht.«

    »Fieber? Wieso denn Fieber?«, und endlich hält diese Kerstin Engelsberg den Zeitpunkt für gekommen, in Tränen auszubrechen. »Er ist also elend zugrunde gegangen?«, resümiert sie stammelnd und schluchzt noch einmal herzzerreißend.

    Aber du bist noch nicht zufrieden, willst noch mehr aus dieser Situation rausholen. Du weißt genau, so waidwund kriegst du diese – ja, soll man sagen: Mutter? – nie wieder vor die Flinte. »Kann es sein, Frau Engelsberg, dass Sie sich mit Ihrem Sohn überfordert fühlten? So jung, wie Sie sind.«

    »Was soll denn das heißen?« Augenblicklich ist das Gejammer verstummt, und sie blitzt dich mit nadelspitzem Blick an. Ein Blick, mit dem sie wahrscheinlich jeden bedient, der sich ihr von Amts wegen auf weniger als zehn Meter nähert. Hartz-IV-Sozialarbeiter, Jugendamtsmenschen, Familienberatungsstelle – du musst unbedingt rauskriegen, wer sich schon alles in den Vorgang Engelsberg eingeklinkt hatte. Aber das kommt später. Jetzt zückst du erst mal die Handschellen und ...

    »Moment mal!«

    Es gibt Momente, da könntest du deine Kollegin so was von an die Wand quacken! Wieso jetzt »Moment mal«? Die Mahnemannsche nimmt dich zur Seite und lispelt dir irgendwas von wegen beileibe nicht ausreichendem Anfangsverdacht ins Ohr. Bloß weil die Engelsberg die Mutter sei, heiße das ja noch lange nicht ... reiche auf alle Fälle nicht, sie mir nichts, dir nichts in U-Haft zu stecken ... sei doch zum jetzigen Zeitpunkt noch völlig spekulativ, dass die Frau am Hungertod des Kleinen beteiligt sein könnte.

    »Beteiligt, was heißt denn hier beteiligt?!«, willst du grade lospoltern, als die Mahnefrau dir auf den Fuß tritt und den mahnenden Zeigefinger zu den Lippen führt. Ja, ist ja schon gut, du flüsterst ja schon. Aber das heißt noch lange nicht ... obwohl, doch, sieht verdammt so aus, als wär’ dein Widerstand schon gebrochen. Du merkst, wie von deinen Einsichten und Argumenten nur noch Fransen übrig bleiben, nichts als blinder Zorn.

    Du begibst dich also zähneknirschend zurück

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