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Die Poesie des Biers 2
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Die Poesie des Biers 2

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About this ebook

Bei Jürgen Roth wird man nachgerade zum Bierbuchtrinker, ohne jemals einen zur Beschwernis werdenden Textkater davonzutragen, hingegen ein euphorisch stimmender Wörterschwips unter keinen Umständen ausbleibt, und ob der wahrlich wundervielfältigen Bierlobpreisungen der ein oder andere Griff ins Spezialitätenregal nicht ausbleibt, worauf denn die Hochstimmung von Hopfen und Malz glorios begleitet und unterfüttert wird. Schon mancher bekennende Weintrinker hat nach Roths Bierpoesielektüre seine jahrzehntealten Vorräte traubenvergorener Trophäen jäh in den Ausguss gekippt, um hernach nur noch dem Hopfensud zu huldigen und den lieben Mann im Mond einen guten Gott sein zu lassen. So oder ähnlich! Nach "Bier! Das Lexikon", "Bier! Das neue Lexikon", "Bier! Die CD", "Die Poesie des Biers" und der schon fast unverschämt überbordend erweiterten 2. Auflage derselbigen Poesie des Biers, kommt nun schlicht und ergreifend "Die Poesie des Biers 2" mit ausschließlich neu gebrauten Texten.

Jürgen Roth, 1968 geboren, studierte Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaft in Tübingen und an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main, wo er später auch promovierte. Heute lebt Jürgen Roth als freier Schriftsteller in Frankfurt am Main und veröffentlicht regelmäßig sprachkritische Beiträge in den Zeitschriften konkret, taz, Titanic und anderen Publikationen. Ein Schwerpunkte seiner schriftstellerischen Tätigkeit ist das Bier. So schrieb er mit Michael Rudolf "Bier. Das Lexikon" sowie alleine "Bier. Das neue Lexikon" (beide Reclam Leipzig) und "Die Poesie des Biers" (Oktober Verlag). Derzeit ist Jürgen Roth Deutschlands bekanntester Biertester.
LanguageDeutsch
Release dateOct 14, 2014
ISBN9783944369341
Die Poesie des Biers 2

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    Book preview

    Die Poesie des Biers 2 - Jürgen Roth

    Nachweise

    Eidetische Biere

    »Genaugenommen gibt es ›die Kunst‹ gar nicht. Es gibt nur Künstler«, beginnt Ernst H. Gombrichs Standardwerk Die Geschichte der Kunst, und ein paar Zeilen später weist Gombrich alles Gerede »über das ›Wesen der Kunst‹« als schädlich und töricht zurück.

    Damit hätten wir das.

    Also reden wir über den Künstler Metulczki. Als ich vor einigen Jahren zum erstenmal einiger Bilder aus seiner Serie »Bierleben«, die nun unter dem Titel »Trinkgedächtnisse« firmiert, ansichtig wurde, verschlug es mir buchstäblich beinahe den Atem. Die Präzision und die Leuchtkraft der meist kleinformatigen Acryl-Schellack-Lasurgemälde wirkten auf mich – und sie tun es bis heute unvermindert – epiphanisch, salvatorisch und beglückend zugleich. Das profane Wunder, das sich in zwei Biergläsern bezeugt, die, in warmes Licht gehüllt, auf einem Tresen oder einem hölzernen Kneipentisch stehen beziehungsweise ruhen wie Zeugen einer Welt ohne Kapital, Börse, Staat und Bürokratie – ja, tja, es ist eben: ein Wunder der Wirklichkeit selbst, eine Erscheinung dessen, was ist und zugleich sein sollte, ein Mirakel, das sich im Kleinteiligen, Mißachteten zeigt und deshalb schlicht von Wahrheit kündet, vom – mit Aristoteles und keinesfalls Richard D. Precht zu reden – guten Leben; das, Kürnbergers/Adornos Diktum vom Leben, das nicht mehr lebt, zum Trotz, in Trinkwirtschaften alten Stils noch eine Zufluchtsstätte findet; und auf Metulczkis verschwommenen, ins Abstrakte tendierenden »Kühlschrankbildern«, übermalten und mehrfach übergossenen und überklebten Alltagsphotoimpressionen von gesichtslosen Herumstehern und -hängern und -hockern und Säufern und Tippelbrüdern, schmerzlich konterkariert wird.

    Hie das Lichte, Exakte, Plastische, Gegenständliche, das in seiner »Zuhandenheit« (Heidegger) schier sprachlos machend Schöne und Besänftigende; da das Amorphe eines intoxikierten Lebens, das Metulczki, ohne uns mit sozialpädagogischen Implikationen zu behelligen, festhält, womöglich auch transzendiert.

    Das Stilleben war in der durchweg bewunderungswürdigen protestantisch-holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts das am stärksten ausdifferenzierte Genre. Da »konnte der Künstler sich aussuchen«, schreibt Gombrich, »was er gerne malen wollte, und die Gegenstände so auf dem Tisch anordnen, wie es ihm paßte. So wurde die Bildgattung zu einem wunderbaren Experimentierfeld für malerische Probleme.«

    Hier war der Maler wohl zum erstenmal frei – befreit von den Diktaten seiner Auftraggeber, von den Potentaten, die schmeichelhaft-repräsentative Porträts bestellten, von geschichtlichen Großerzählungen und Mythenstoffen. In der Konzentration auf die Dinge vollzog sich die Suspendierung der Herrschaft, und so konnten »ganz uninteressante Gegenstände ein vollendetes Bild ergeben« (Gombrich).

    Ich zögere keinen Augenblick, Metulczki an die Seite eines Willem Kalf oder eines Vermeer zu stellen, dem Gombrich attestierte, reine »Wunder« geschaffen zu haben. Die harmonischen Licht-Schatten-Kontraste, die Reflexe und Brechungen, die wie naturgegeben in sich vollendeten Farb-Form-Kompositionen, die »Körperlichkeit« der Gläser, Stühle, Tische und angeschnittenen Räume – all das läßt die »Trinkgedächtnisse« bisweilen photographisch wirken, was, wie man hört, in der vermaledeiten »Kunstszene« heute kein Malus mehr ist.

    »Dinge sichtbar zu machen, die schon sichtbar waren, aber nicht gesehen wurden« (Sandra Markewitz) – diesem Ziel galten Siegfried Kracauers Studien über die »Errettung der äußeren Wirklichkeit«. Metulczki setzt sie fort und ist dabei völlig glaubwürdig. Er hat jedes einzelne der zu sehenden Biere höchstselbst getrunken – und dabei vermutlich als allererster Maler das eidetische Bier entdeckt.

    »Eidos« bezeichnet bei Aristoteles, in Abgrenzung zur bloßen Materie (»hyle«), die »inseiende Form«, das Allgemeine am je besonderen Stofflichen. Das Wesen des Bieres wird geschaut, an Hand des angeschauten einzelnen Gegenstandes (Bierglases). Metulczkis Bier- Eidetik folgt dergestalt der von Edmund Husserl entwickelten phänomenologischen Methode der eidetischen Reduktion: des Erfassens evidenter Phänomene, die es der Intuition zufolge tatsächlich gibt. Durch reines Schauen, das »intentionale Erlebnis« unter Ausschluß aller Vorurteile (»Epoché«), erschließt sich die Wesenhaftigkeit der Dinge – respektive das Wesen (»Eidos«) des Bieres. Bierphänomenologie also ist Husserl zufolge: »Wesensschau des Gegebenen«.

    Da allerdings schwer zu sagen ist, was das Wesen des Bieres schlechthin ausmacht, ordert Metulczki immer wieder ein Glas Bier, schaut es schweigend an, photographiert es, trinkt es und malt es hinterher, in mehreren Schichten. Und wenn Ernst H. Gombrich angesichts der holländischen Meister erläutert: »Sie waren es, die uns gelehrt haben, das Malerische in der vertrauten Umgebung zu suchen«; sie »konnten ohne dramatische Effekte auskommen; sie malten einfach ein Stück Welt, wie sie es sahen« – dann sage ich: Metulczki, dieser »Hexenmeister« (Gombrich über Rembrandt), macht eine Welt, eine Wirklichkeit, eine Wesenhaftigkeit sichtbar, die bislang niemand gesehen hat und doch jeder kennt.

    Und wie er das macht, das ist ein Wunder, das bewundert werden soll. Nein, muß.

    Die sieben heiligen Schlucke

    »Trink es mit den Augen!« Fergal Murray, Braumeister im Stammhaus von Guinness in Dublin, hebt das Glas und nimmt einen Schluck. Dann setzt er es behutsam auf dem rötlich schimmernden Holztresen ab und sagt: »Weiche Textur. Es ist die weiche Textur.«

    Die weiche Textur. Die sei es. Das sei es, was die Biertrinker der Welt, unabhängig davon, welchen Alkoholgehalt das Guinness habe (in Afrika trumpft es, da die Leute nach »Impact« verlangten, mit acht Prozent auf), an jenem Stout schätzen, das die Gemeinde seiner Verehrer seit mehr als zweihundertfünfzig Jahren zum Schwärmen bringe, auch deshalb, weil man, ergänzt Murray, an Geschmacksmoden keinerlei Konzessionen mache. Brauer, bleib bei deiner Rezeptur, und Murray erläutert, es sei ihm sogar ausdrücklich untersagt, mit anderen als den glänzend bewährten Geschmackstönungen zu experimentieren.

    Das Guinness ist eine Weiterentwicklung des klassischen englischen Porters, eines dunklen, röstmalzigen Vollbieres, und dennoch ist Guinness eine urirische Angelegenheit. Sein Erfinder, besser: sein Schöpfer, Arthur Guinness, wird adoriert wie eine Art Nationalheiliger. Das zumindest suggerieren die öffentliche und die mit einem gewissermaßen unaufdringlichen Aplomb unterbreitete Meinung des Unternehmens, das nach wie vor in Dublins ältestem Arbeiterviertel produziert, in den Liberties, westlich des Cathedral Districts.

    Wir unterstellen Furgal Murray nicht, daß er schnöde werbliche Interessen verfolgt, wenn er uns zum Toast auffordert: »Gedenkt dieses Mannes! Gedenkt Arthur Guinness’! Nicht des Bieres! Welch ein Genie! Welch ein Genie!« Wir sind artig und nehmen den zweiten Schluck. »So schmeckt ein jahrhundertelang gewachsenes Erbe«, betont Murray noch einmal, und er hat ja recht. Erbe hin oder her, es schmeckt, quirlig, leicht sämig, solide im Körper, feinfühlig und gleichwohl stark bittergehopft, auf den Aromahopfen zur Abrundung kann man getrost verzichten. Es schmeckt bereits zur Mittagszeit, und zwar vorzüglich, zweifelsohne – was wir allerdings schon vorher wußten.

    Ein Guinness zu trinken ist ein gesamtsensorisches Erlebnis, ein komplexer Akt der Perzeption, versucht uns Murray zu vermitteln. Man müsse sehen, was ein Guinness ausmache, »ein Guinness-Trinker trinkt zuerst mit dem Auge, denn ein Guinness ist ein Kunstwerk«. Der Erschaffung des Kunstwerkes durch das Zapfen sei daher ein gerüttelt Maß an Aufmerksamkeit zu schenken. Man befolge also geflissentlich folgende sechs Schritte: 1) Das saubere Glas konzentriert beäugen. 2) Das Glas mit vier Fingern und dem Daumen umklammern. 3) Das Glas im Fünfundvierzig-Grad- Winkel unter den Zapfhahn halten und bis zum Rand füllen. 4) Das Glas absetzen, zwei Minuten nicht berühren und »dabei beobachten, wie das Bier zum Leben erweckt wird«, wie sich der cremige Schaum durch die erwachenden und aufsteigenden Bläschen zu bilden und zu stabilisieren beginnt. 5) Kurz bis zur Oberkante nachzapfen. 6) Glas auf den Tresen stellen.

    Und schließlich, 7): trinken – unbedingt in gerader Körperhaltung, den Ellbogen fünfundvierzig Grad abgewinkelt. Andernfalls entrate der Ritus des Trinkens der Würde und des Stolzes. Im übrigen, beendet Fergal Murray seinen Vortrag, werde ein Glas Guinness in exakt sieben gleichen Zügen geleert, was sich hinterher an sieben gleichmäßig angeordneten Schaumringen ablesen lassen müsse.

    Mit diesen unantastbaren Regeln im Gepäck machen wir uns auf die Suche nach geeigneten Stätten, um dem Ritual der sieben heiligen Schlucke zu frönen. In der Grafton Street, Dublins Haupteinkaufsstraße, die den Park St. Stephen’s Green und das Trinity College an der Nassau Street verbindet, säumen Bettler und Immigranten, die mit Piktogrammen auf Pappdeckeln auf Fastfood- und Kleidungsläden hinweisen, die herausgeputzten Häuserzeilen. Ja, »überall herrscht tiefe Depression« (Spiegel), aus dem »keltischen Tiger« Irland ist, man hört es – obschon jüngst irgendwer Signale der Besserung wahrgenommen haben will – unablässig, eine »getretene Katze« (Spiegel) geworden, »täglich macht eine Kneipe in Irland dicht« (taz), die »Konsumphantasien« (Le Monde diplomatique) sind passé, heute laufe man wieder durch das altbekannte »Armenhaus« (taz).

    Wir biegen von der Grafton Street rechts ab in die Duke Street. Linker Hand blitzen goldene Lettern auf einer schwarzen Fassadenvertäfelung: The Duke. Einmal, ein einziges Mal über Dublin schreiben, ohne James Joyce zu erwähnen? Eher denken wir bei der Sahara an Orangenbäume.

    Joyce kehrte regelmäßig im Duke ein, einem großräumigen Pub mit zahlreichen Sitznischen und weitgeschwungenen Tresen. Vom Trinity College brauchte er zu Fuß zwei Minuten hierher. Es ist halb eins, wir trinken unser erstes public Pint Guinness. Es kostet 4,70. Irland ist das teuerste Land der Eurozone. Das verstehe einer.

    Das Glas schmiegt sich in die Hand. Vier Finger und der Daumen halten es im Klammergriff. Das Auge, das mittrinken soll, schaut den seidigsten Bierschaum aller Zeiten. Das Ohr vernimmt ein saumleises Bitzeln. Die Nase erhascht die noble Bittere. Die Zunge gibt sich den weichen Wirbeln des rubinroten Zaubertranks hin. Gottgefällig rinnt der ruhmreiche Rotz den Hals hinunter.

    Der Geist eines Getränks, er offenbart sich, wer hätte es gedacht, im Trinken, jedoch zudem im Blick, im Rückblick darauf, was man gerade getan hat. Ein angetrunkenes Glas Guinness, das vor einem thront, erfüllt einen mit majestätischer Zufriedenheit, und es fordert stumm: Komm, weiter geht’s, aber mit der Ruhe!

    »Enjoy Guinness sensibly«, ermahnt uns ein Schriftzug auf der Markise unter dem Markenlogo mit der Harfe, das Dublin beherrscht wie die Gier die Wall Street. Sensibly, logisch, genieße mit Verstand, nicht mit Gefühl. Ralf Sotscheck, seit 1985 Irland-Korrespondent der taz, gibt in seinem Dublin-Buch Die blaue Tür mit der Nummer sieben (Wien 2009) preis, man müsse im Pub nur den Zeigefinger heben, dann erhalte man in kürzester Zeit ein Guinness. Sotscheck weiter: »Weicht die Qualität des Guinness auch nur eine Nuance vom hohen Anspruch der Trinker beiderlei Geschlechts ab, so nimmt der Wirt das Pint anstandslos zurück – selbst wenn das Glas schon fast leer ist, weil die halbe Kneipe davon probiert und dem Gebräu Ungenießbarkeit bescheinigt hat.«

    Die halbe Kneipe besteht jetzt aus uns und einer Mittfünfzigerin, einer irischen Fremdsprachenlehrerin. Zu beanstanden ist nichts. Im Gegenteil. »Großartiges Zeug!« prostet sie uns zu. »Es macht dich sachte betrunken. Die Krise? Vergiß sie! Wir haben Guinness!«

    Kürzlich war zu lesen, die irische Regierung appelliere mal wieder an die Bevölkerung, sich durch Eigeninitiative aus dem Sumpf zu ziehen. Und bei einer solchen Gelegenheit erinnert man bevorzugt an das Jahr 1959, als Guinness aus Anlaß des zweihundertsten Geburtstages eine berühmt gewordene Werbekampagne lancierte: Auf dem Atlantik ließen die PR-Strategen 150.000 Guinness-Flaschen über Bord gehen. In jedem Gebinde steckten eine Botschaft des »Büros von Neptun« und eine Bastelanleitung, mit deren Hilfe sich die Flasche zu einer Schreibtischlampe umbauen ließ. Noch heute tauchen die Guinness-Leuchten rund um den Erdball auf, und Premierminister Enda Kenny verweist gerne auf diese Geschichte. Sie soll den Iren vor Augen führen, daß man »Unternehmergeist, Kreativität und Erfindungsreichtum« entwickeln müsse.

    Ja, Guinness und die Werbung. Die Qualität der »samtschwarzen Muttermilch der Iren« (Guinness) allein dürfte nicht sicherstellen, daß täglich weltweit zirka zehn Millionen der in fünfzig Ländern gebrauten Pints über die Tresen wandern. Als »legendär« werden die Werbeaktionen eines Unternehmens bezeichnet, das längst nicht mehr irisch ist und zu dem in London ansässigen Getränkekonzern Diageo gehört, der den Globus auch mit Tausenden von Schnapsmarken beglückt.

    1929 trat Guinness zum erstenmal werblich in Erscheinung, mit dem Spruch »My Goodness my Guinness«. Ein Jahr später startete man eine Plakatkampagne. Auf einem der Motive bringt ein Knappe St. Georg, im Harnisch auf seinem Pferd sitzend, auf einem Tablett ein Glas Guinness, nach dem der Drachentöter erwartungsfroh die Hand ausstreckt. Bildlegende: »Guinness for strength«.

    Die Sentenz »Guinness is good for you« stammt von der Krimiautorin Dorothy L. Sayers. Mit derlei einprägsamen Formeln begnügt man sich indes schon lange nicht mehr. Die PR-Maschinerie läuft ununterbrochen auf Hochtouren, und seinen Höhepunkt erreicht der Vermarktungsrummel seit 2009 jedes Jahr am »Arthur’s Day« Ende September. Dann stemmen, verbreiten die bierologischen Spin Doctors, in praktisch ganz Irland und in Asien, der Karibik, in Rußland, Deutschland, Schweden und andernorts um genau 17.59 Uhr Ortszeit, flankiert von Musikveranstaltungen und sonstigen Festivitäten und selbstverständlich vom Fernsehen begleitet, Millionen die Gläser in die Höhe, gedenkend »Uncle Arthur«, der am 23. September 1759 den über neuntausend Jahre laufenden Pachtvertrag für das Grundstück an der Liffey unterschrieben hatte.

    Das imposante, 1904 im Stil der Chicagoer Schule errichtete Storehouse auf dem Brauereigelände, in dem einst der größte Maischbottich der Welt untergebracht war und heute allerlei multimedialer Klimbim rund ums Brauen in Augenschein genommen werden darf, sei, prahlt die Werbeabteilung, das meistbesuchte Ausflugsziel in Dublin. Nicht minder brüstet man sich damit, »daß Guinness-Konsumenten pro Pub-Besuch mehr Geld für Essen und Trinken ausgeben als der durchschnittliche Biertrinker«.

    Wir können das bestätigen. Wir haben die Duke Street gequert und hocken vor dem Davy Byrne’s, vor, tja, der Stammkneipe von Joyce. Im Innenbereich recht geschmacklos-nüchtern, läßt es sich draußen gut aushalten, umgeben von Einheimischen mit zerzaustem Haar und in ausgebleichten Sakkos, die vor ihren schwarzen Flüssigkeitszylindern allesamt die Kunst der Bedachtsamkeit zelebrieren. Jetzt darf es ruhig auch mal ins Glas regnen. Das ist das Dubliner Gefühl.

    Im Ulysses kommt das Davy Byrne’s als »moral pub« ordentlich weg. Allerdings schrieb Joyce 1906: »Die Dubliner sind die hoffnungsloseste, nutzloseste und widerspruchsvollste Rasse von Scharlatanen, der ich je auf der Insel oder auf dem Kontinent begegnet bin. Der Dubliner verbringt seine Zeit mit Schwatzen und Rundgängen durch die Bars, Schenken und Spelunken […], und nachts, wenn nichts mehr reingeht und er mit Gift angefüllt ist wie eine Kröte, stolpert er aus einem Nebenausgang und geht, geleitet vom instinktiven Wunsch nach Standhaftigkeit, die geraden Häuserfronten entlang […]. Er ertastet sich den Weg ›mit dem Arsch‹, wie wir auf englisch sagen. Da haben Sie Ihren Dubliner.«

    Vor dem Davy Byrne’s sind Guinness Nummer zwei und drei fällig, wir wollen nicht von Lokal zu Lokal hetzen. Siebenhundert Wirtshäuser soll es in Dublin noch geben, »auf dreihundertfünfzig Einwohner kommt ein Pub, doch an Wochenenden reicht das manchmal nicht aus« (Sotscheck).

    Im Davy Byrne’s hielt sich desgleichen Flann O’Brien auf, der »bessere Joyce«, wie viele behaupten. Eine Zeitgenossin O’Briens erzählte Harry Rowohlt, dem deutschen Übersetzer dieses Genies, mal: Er »ließ sich morgens kurz auf dem Amt sehen und ging dann zum Arbeiten über die Liffey in eine seiner Stammkneipen. Alle zwei Stunden kam ein Bürobote, um frische Akten zu bringen und erledigte Akten abzuholen. Nachmittags, nach getaner Arbeit, verließ er die Kneipe und begab sich unendlich vorsichtig mit three o’clock list (Drei-Uhr-Schräglage) in die nächste.«

    Das tun wir ihm gleich, jedoch noch wacker im Lot. Wir schlendern Richtung Liffey, vorbei am Trinity College, Ziel: der Bezirk Temple Bar, das Greenwich Village Dublins, hinter der monströs häßlich ins gregorianische Architekturensemble hineingepflockten Central Bank.

    In den achtziger Jahren wollten die Stadtväter das verwahrloste Viertel planieren, um ebenda einen Busbahnhof zu bauen. Heute wird das Vergnügungsquartier penibel gepflegt, die kleinen Geschäfte und die Händler von früher sind verschwunden.

    Sieben mal sieben Schlucke Guinness – so lautet unser Auftrag. Wir lassen The Bankers und The Quays links liegen und konzentrieren uns auf The Temple Bar. Während das wie eine Miniaturburg und zwischen Neubauten in der Bridge Street einige Gehminuten weiter westlich ein wenig verloren wirkende Brazen Head das älteste Pub Irlands ist, gilt The Temple Bar mit ihrer schmucken roten, umlaufenden Halbfassade als beliebtestes Lokal der Insel.

    Die Kellner tragen T-Shirts, auf deren Rücken »Working« steht, als müßten sie sich vom ausufernden Geselligkeitsgewusel samt Livemusik in den verkastelten Räumen ostentativ distanzieren. Wir wenden uns im »Biergarten«, das heißt im mit Heizpilzen ausstaffierten, lichten Innenhof wieder dem flüssigen Nationalsymbol zu. Geschmacklich läßt es kein Gran nach, aber bei 5,50 pro perfect Pint denken wir fünfeinhalb Sekunden lang ernsthaft darüber nach, uns der »größten Whiskeysammlung Irlands« zu widmen.

    Nummer vier und fünf laufen, ordnungsgemäß auf vierzehn Schlucke verteilt, in uns hinein. Als »Redemption Song« erklingt, wird es uns zuviel der Atmosphäre, und wir fliehen den Süden Dublins, um in den schäbigeren Norden der Kapitale zu gelangen, genauer: zum John Kavanagh am Friedhof Glasnevin.

    Der Taxifahrer lobt das Gravediggers, wie der Laden im Volksmund heißt, überschwenglich. »Linken Eingang benutzen!« hatte uns Ralf Sotscheck angewiesen. Er sitzt bereits da, direkt an der Tür, in einem Ambiente, in dem man sich hundertfünfzig Jahre zurückversetzt wähnt.

    Kein Gedudel, kein Eventgetue. Einzig und allein eine betörende Stimmenkakophonie über altmodischem Gestühl. Der Duft von Irish Stew. Gestaffelt leuchtende Biergläser.

    In manch einem Pub durften Frauen bis vor kurzem kein großes Bier bestellen, erklärt Ralf Sotscheck und zeigt auf das Snug zur Rechten, einen Nebenraum mit eigenem Zugang zum Tresen, in dem sich einst die Damen und die Geistlichen aufzuhalten hatten. Mittlerweile findet es nicht allein Jasmine Guinness, das Supermodel aus der Dynastie, »sexy, wenn Frauen Guinness trinken«.

    Zügig vertilgen wir das »vielleicht beste Guinness der Stadt«, wie Sotscheck meint, in Flaschenwurfweite zum Grab von Brendan Behan, der sich sein ganzes Leben inständig »für die Kunst interessierte, wie man zwei Dutzend Flaschen Bier köpft«.

    »Guinness hat seit jeher am eigenen Mythos herumgeschraubt«, sagt Sotscheck. »Man denke zum Beispiel an den Werbespot, in dem dreißig Sekunden lang ein schwarzer Bildschirm zu sehen war, bis eine Off-Stimme brummte: ›Die vergangenen dreißig Sekunden Dunkelheit wurden Ihnen von Arthur Guinness ins Haus gebracht.‹«

    Wir erinnern uns an einen Satz von Fergal Murray: »Jeder spricht überall auf der Welt nur gut über Guinness.« Sotscheck lacht. »Klar, und was ist mit dem grauenhaften Hellen, dem Harp, das sie außerdem brauen? Mein Schwager ist nach neun Gläsern Harp mit Magenbluten im Krankenhaus gelandet. Der Arzt fragte ihn: ›Haben Sie Harp getrunken?‹ Mein Schwager bejahte. Da sagte der Arzt: ›Dachte ich mir, Sie haben eine Harpattack.‹«

    Mag sein, daß, wie Anthony Burgess monierte, in Dublins Pubs »zuviel geredet« wird. Aber reden macht durstig – eine angenehme Reziprozität. Wir ordern regelwidrig ein achtes Guinness, und allmählich haben wir uns »in eine weiche […] Stimmung getrunken«, von der es bei Brendan Behan des weiteren heißt: »Jeder war jedermanns Freund, und das ist das größte Glück, das wir auf dieser Welt haben, wenn es auch nicht immer leicht und gewiß ist, ob man diesen Zustand erreicht.«

    Wir haben ihn erreicht.

    Wolkengewölle, dahin und wieder

    daher

    Er freue sich »sehr auf dieses ernsthafte, tannendunkle Gebirge«, schrieb Karl Immermann vor einer Wanderung zum Ochsenkopf und anschließend nach Wunsiedel. »Gott gebe schönes Wetter.«

    Wir wissen nicht, wie der Wettergott dann gestimmt war, aber die meteorologischen Realitäten im östlichen Oberfranken sind – sogar im Hochsommer – zumeist ernüchternd, manch einer behauptet: beschämend. Schon in der Gegend von Bayreuth quetschen sich für gewöhnlich aschige und bedrohlich finstere Wolkenknäuel und -kleckse in- und übereinander, fürwahr wütend wirkt das. Auf Aufhellungen zu hoffen ist in der Regel sinnlos, das Fichtelgebirge kennt in Sachen Witterung selten Spaß.

    »Die Gegend um Wunsiedel ist sehr kalt«, hielt Immermanns Zeitgenosse Ludwig Tieck im berühmten Briefwechsel mit seinem Freund Wilhelm Heinrich Wackenroder über ihre »Pfingstreise von 1793 durch die Fränkische Schweiz, den Frankenwald und das Fichtelgebirge« fest. Hätten die beiden Erlanger Studenten ausschließlich das granitene Rumpfgebirge durchstreift, die nachträgliche Korrespondenz wäre nicht zum Gründungsdokument der deutschen Romantik geworden.

    »Man nennt diese Gegend ›das bayerische Sibirien‹«, sagt der aus Hof stammende Theaterregisseur und -dramaturg Helmut Schödel. »Das Gefühlsleben der Menschen hat Frostbeulen, und ihre Sprache ist knapp, schroff und karg.«

    Die Wölfe kehren zurück, wird erzählt. Die Raubtiere benötigen dünnbesiedelte Habitate, und das Fichtelgebirge entvölkert sich seit Jahren geradezu. Eine Stadt wie Selb liegt gewissermaßen in Agonie, die Porzellanindustrie weithin am Boden. Ortskerne veröden und zerbröseln, Wunsiedel soll zu einer Stadt der Senioren werden. Vor dem Fall der Mauer kamen wenigstens noch die Westberliner und machten Urlaub. Auch vorbei.

    An der Autobahn hinter Bayreuth prangt ein Schild: »Genußregion Oberfranken – Land der Brauereien«. Kurz nach Bad Berneck, wo ein Getränkemarkt mit dem Slogan »Lust auf Durst?« verzweifelt um Kundschaft buhlt, kasteln uns Fichtenrigipswände ein. Über uns hetzen Wolkengewölle dahin und wieder daher.

    Bischofsgrün kauert im Holz. »Das Wetter war sehr trübe, und es regnete sogar etwas«, klagte Tieck. »Wir kamen in eine ziemlich uninteressante Gegend. Das Wetter ward immer unangenehmer; ein kalter, schneidender kleiner Regen trieb uns entgegen; ein feuchter Nebel stieg aus den Bergen und Wäldern auf.« Und jetzt schiebt sich der Nebel wie ein Schleier über den schummerigen Fichtelsee und eine einsame, herzergreifend stille Landschaft, deren herbe Schönheit, da müssen wir Tieck widersprechen, an manchen Ecken beinahe Züge von Amönität gewinnt.

    Eine Viertelstunde Fahrt gen Osten, durch einen undurchdringlichen Forst, nach Wunsiedel. Eine »gute, lichte Stadt« sei sein Geburtsort, meinte Jean Paul, Kollege Tieck hielt dafür: »Die Stadt ist klein. […] Sie hat ein sonderbares Aussehen«, während Reisegefährte Wakkenroder das unbestechliche Urteil fällte: »Die Straßen gehen bergauf, die Häuser sind ziemlich gut.«

    Die Straßen gehen auch wieder bergab, und einige Häuserzeilen im Zentrum, herausgeputzt, lakkiert, poliert, sind tatsächlich schön anzusehen. Doch die »Stadt der Brunnen«, die auf Grund der hiesigen Niederschlagsmengen keines künstlichen Zulaufs bedürfen, empfängt uns mit energisch verwitternden Häuserwänden, heruntergewirtschafteten hölzernen Fensterläden und Hoftoren, unlesbaren Wegweisern, graubraunen, geduckten, merkwürdig zusammengewürfelten Bauten, mit Geschäften mit Billigstangeboten und mit der stillgelegten Sechsämtertropfen-Manufaktur.

    Von der Gaststätte Schelter, eigentlich: Gaststätte Wiesental, in Wintersreuth war im Vorfeld die Kunde gegangen, von einer schlichten Bauern- und Brotzeitwirtschaft, wie es sie kaum mehr gebe. Ein Kleinod des Unprätentiösen sei die Schelter, früher ist sie geführt worden vom Schelters Gorch, vom Georg Schelter, heute regieren der Sohn, der Metzgermeister Rudi, und die alte Frau Schelter in der Küche, und im Schankraum hat die Anni das Sagen, Rudis Frau.

    Also wieder Richtung Osten, allerdings bloß ein paar Kilometer. Wintersreuth. Im Mai, im Juni, im Juli kann hier Winter sein. Felder und Wiesen ziehen sich wie Samt übers sanfte Tal. Bachbäume, Buschsäume, Obstbaumsolitäre vor Fichtenparavents, die naßglänzende Straße schlängelt sich durch übermütig sprießendes Grün, der Himmel ergraut in allen denkbaren Anthrazittönen, der Nebel schleicht umher.

    Neben dem unauffälligen Wirtshaus ein kleiner, ordentlich eingefeuchteter Biergarten mit Blick auf die mild geböschte Umgebung – und, inmitten einer Wiese, ein kniehoch hölzern eingezäunter Kräutergarten, ein Sinnbild für Franken. »Nichts will hier imponieren«, lobte der Reiseschriftsteller Horst Krüger Ende der siebziger Jahre Franken,

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