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Der Televisionär: Wolfgang Menges transmediales Werk. Kritische und dokumentarische Perspektiven
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Der Televisionär: Wolfgang Menges transmediales Werk. Kritische und dokumentarische Perspektiven

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Wolfgang Menge (1924-2012) war einer der wichtigsten Drehbuchautoren der bundesdeutschen Nachkriegszeit. Fernsehspiele wie "Die Dubrow-Krise", "Das Millionenspiel" oder "Smog" schrieben TV-Geschichte, Serien wie "Stahlnetz", "Ein Herz und eine Seele" oder "Motzki" begeisterten und provozierten ein Millionenpublikum. Als Talkshow-Gastgeber wurde Menge zu einem der prominentesten Köpfe des Fernsehens - als Verfasser von Hörspielen, Theaterstücken und Kinofilmen, Romanen und Sachbüchern erprobte er transmediales Schreiben.
Dieser Band verbindet kritische mit dokumentarischen Perspektiven und versammelt Analysen seines Werks, Zeugnisse von Weggefährten sowie historische Schlüsseltexte über und von Wolfgang Menge.
LanguageDeutsch
PublisherFuego
Release dateSep 30, 2016
ISBN9783862871971
Der Televisionär: Wolfgang Menges transmediales Werk. Kritische und dokumentarische Perspektiven

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    Der Televisionär - Fuego

    coverDerTelevisionär.jpg

    Über das Buch

    Wolfgang Menge (1924-2012) war einer der wichtigsten Drehbuchautoren der bundesdeutschen Nachkriegszeit. Fernsehspiele wie »Die Dubrow-Krise«, »Das Millionenspiel« oder »Smog« schrieben TV-Geschichte, Serien wie »Stahlnetz«, »Ein Herz und eine Seele« oder »Motzki« begeisterten und provozierten ein Millionenpublikum. Als Talkshow-Gastgeber wurde Menge zu einem der prominentesten Köpfe des Fernsehens – als Verfasser von Hörspielen, Theaterstücken und Kinofilmen, Romanen und Sachbüchern erprobte er transmediales Schreiben.

    Dieser Band verbindet kritische mit dokumentarischen Perspektiven und versammelt Analysen seines Werks, Zeugnisse von Weggefährten sowie historische Schlüsseltexte über und von Wolfgang Menge.

    Herausgegeben von

    Gundolf S. Freyermuth (Prof. Dr. phil.) ist Gründungsdirektor des Cologne Game Lab der TH Köln. Er lehrt dort Media and Game Studies sowie Comparative Media Studies an der ifs internationale filmschule köln.

    Lisa Gotto (Prof. Dr. phil.) ist Professorin für Filmgeschichte und Filmanalyse an der ifs internationale filmschule köln sowie für Media and Game Studies am Cologne Game Lab der TH Köln.

    Impressum

    Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht auf Vervielfältigung und Verbreitung sowie Übersetzung. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung von Fuego oder den Autoren in irgendeiner Form reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

    © 2016 by Gundolf S. Freyermuth

    Eine gedruckte Ausgabe sowie eine PDF-Version dieses Buchs sind im transcript Verlag (Bielefeld) erhältlich (http://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3178-4/der-televisionaer).

    Für die vorliegende ePub-Edition

    © 2016 FUEGO

    www.fuego.de

    eISBN 978-3-86287-197-1

    v_1.0

    Inhalt

    Vorwort

    Gundolf S. Freyermuth und Lisa Gotto

    I Leben und Werk

    Wolfgang Menge: Authentizität und Autorschaft

    Gundolf S. Freyermuth

    II Kritische Perspektiven: Literatur, Radio, Film, Fernsehen

    Wolfgang Menge – in seinen Büchern

    Barbara Naumann

    »Rednaxela dnu Nairda«

    Wolfgang Hagen

    Modulation und Hybridität

    Ivo Ritzer

    Was der Fall sein könnte

    Lisa Gotto

    Kollektive Zivilisationsängste

    Klaudia Wick

    Experimentelles Fernsehen

    Lorenz Engell

    Subversion durch Transparenz

    Stefan Münker

    Komplexes Fernsehen 1974

    Jens Ruchatz

    III Dokumentarische Perspektiven: Texte, Porträts, Gespräche, Erinnerungen

    »Nun steigen Sie doch endlich ein!«

    Sabine Hering

    Land des müden Lächelns

    Wolfgang Menge

    Das Wiedersehen

    Wolfgang Menge

    Halloh Nachbarn!

    Wolfgang Menge

    Zeitvertreib

    Wolfgang Menge

    Die Stimme der Kritik

    Friedrich Luft

    Mein Mann

    Marlies Menge

    So isst die Rote Garde

    Wolfgang Menge

    »Wolfgang Menge war mein erster Autor«

    Günter Rohrbach im Gespräch mit Gundolf S. Freyermuth und Lisa Gotto

    Der verkaufte Käufer

    Wolfgang Menge

    »Das mit der Familie ist nun mal passiert«

    Hermann Schreiber

    »Menge war ein Visionär«

    Gunther Witte im Gespräch mit Lisa Gotto und Wolfgang Hagen

    Antworten auf den FAZ-Fragebogen

    Wolfgang Menge

    Der Würfel

    Gottfried Boettger

    »... weil das Risiko Spaß macht«

    Wolfgang Menge

    »Da haben wir zusammen geweint ...«

    Gisela Marx im Gespräch mit Gundolf S. Freyermuth und Stefan Münker

    Knopf an der Backe

    Wolfgang Menge

    Der Geschichte(n)erzähler

    Gundolf S. Freyermuth

    Sie tanzten nur einen Abend

    Michael Schmid-Ospach

    Schiller

    Wolfgang Menge

    Schalom

    Wolfgang Menge

    Beschäftigt mit dem Gang der Welt

    Regine Sylvester

    »Hauptsache, ich bin nicht zu Hause«

    Wolfgang Menge im Gespräch mit Günter Gaus

    Das letzte Foto

    Hans Janke

    Werkverzeichnis

    Carmen Schneidereit

    Autorinnen und Autoren

    Abbildungsverzeichnis

    Vorwort

    Gundolf S. Freyermuth und Lisa Gotto

    Wolfgang Menge (1924-2012) war einer der einflussreichsten Drehbuchautoren der bundesdeutschen Nachkriegszeit. Fernsehspiele wie Die Dubrow-Krise (1969), Das Millionenspiel (1970) oder Smog (1972) schrieben TV-Geschichte, Serien wie Stahlnetz (1958-1968), Ein Herz und eine Seele (1973-1976) oder Motzki (1993) begeisterten und provozierten ein Millionenpublikum. Im Titel und Untertitel dieses Bandes wird Menge nun zum einen als Televisionär und zum anderen als transmedialer Autor charakterisiert. Beide Behauptungen bedürfen einer Begründung.

    Television bedeutet Weitsicht. Von ihr zeugt Wolfgang Menges umfangreiches Werk. Denn es verbindet realistische, weil recherchierte und faktisch begründete Ein- und Hellsicht mit einem erzählerisch-imaginierenden Blick, der in der Gegenwart die Vorausandeutungen der Zukunft zu erspüren vermag. Solch televisionäre Qualitäten bewies Menge zudem in einer Vielzahl von Medien: als Autor journalistischer Berichte und literarischer Reportagen, als Romancier, als Verfasser von Sach- und Kochbüchern, als Hörspielautor und Dramatiker, als Autor von Drehbüchern für Kinofilme, Fernsehspiele und Fernsehserien und last but not least als souverän auftretender Talkshow-Gastgeber. Seine nicht nur außerordentlich erfolgreiche, sondern im zeitgenössischen Vergleich höchst ungewöhnliche Autorschaft zeichnete aus, dass sie die in der professionellen Produktion etablierten Me­diengrenzen nicht akzeptierte und wenn nicht dieselben, dann ähnliche und vergleichbare Interessen über eine Vielzahl medialer Ausdrucksformen hinweg verfolgte. Damit operierte Menge – im Rückblick aus der digitalen Gegenwart betrachtet – als transmedialer Autor avant la lettre.

    Seine Werke, tief in den Zeiten ihres jeweiligen Entstehens verhaftet, bieten so einerseits einen Schlüssel zur Medien- und Sozialgeschichte der Bundesrepublik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Andererseits weisen sie televisionär auf gesellschaftliche Themen und mediale Entwicklungen voraus, die sich erst Jahrzehnte später realisieren sollten und zum Teil erst in unserer Gegenwart realisieren.

    *

    Der Band gliedert sich in drei Kapitel: »Leben und Werk«, »Kritische Perspektiven: Literatur, Radio, Film, Fernsehen« sowie »Dokumentarische Perspektiven: Texte, Porträts, Gespräche, Erinnerungen«. Den Auftakt macht Gundolf S. Freyermuths programmatischer Beitrag, der Wolfgang Menges Biographie medienhistorisch kontextualisiert und medientheoretisch reflektiert. Er gibt die Leitlinie der Publikation vor, indem er die Stationen von Wolfgang Menges Lebensweg mit den Entwicklungsstadien seines Medienschaffens verbindet und dabei die komplexen Relationen von gesellschaftlichen Verhältnissen und medialen Verständnissen auffächert und entfaltet.

    Der große Bogen des ersten Teils wird im zweiten ergänzt durch acht Beiträge, die sich auf Wolfgang Menges Wirken in den Einzelmedien konzentrieren. Das Kapitel ist chronologisch aufgebaut und beginnt mit Barbara Naumanns Untersuchung von Menges Beziehung zu Literaturen und Lektüren. Daran anschließend spürt Wolfgang Hagen den Hörfunkanfängen Wolfgang Menges nach, und Ivo Ritzer befasst sich mit den medienkulturellen Implikationen von Menges Edgar-Wallace-Filmen. Die darauf folgenden fünf Beiträge beschäftigen sich mit Wolfgang Menges Arbeiten im und für das Fernsehen. Lisa Gotto betrachtet Wolfgang Menges Fernsehspiele als spekulative Anordnungen, Klaudia Wick analysiert sie als frühe Formen des Reality-TV. Lorenz Engell setzt sich mit experimentellen Verfahren der Television auseinander und richtet den Blick dabei auf Wolfgang Menges erfolgreichste Fernsehserie Ein Herz und eine Seele. Abschließend widmen sich die letzten beiden Beiträge der TV-Talkshow III nach 9: Stefan Münker diskutiert sie als innovativen Ausbruch aus der Sende-Routine, und Jens Ruchatz betrachtet ihre Komplexität aus der ihr zugrunde liegenden und durch sie zum Ausdruck gebrachten Liveness des Fernsehens.

    Das dritte Kapitel versammelt, einem Album gleich, Texte von und über Wolfgang Menge. Die Zusammen- und Gegenüberstellung von Originalbeiträgen und Wiederabdrucken umfasst Wolfgang Menges gesamtes Schaffen und bietet eine vielstimmige Dokumentation seines Wirkens mit anderen und seiner Wirkung auf andere. Neben zwei Autoren-Porträts aus Spiegel und Stern sowie den Erinnerungen von und Gesprächen mit Weggefährten – Kollegen, Freunden, Familienmitgliedern – präsentiert das Kapitel ausgewählte Texte Wolfgang Menges: eine Reportage, ein Hörspiel, das Manuskript zu einer Radiosendung, Auszüge aus einem Theaterstück, einem Kochbuch und einem Sachbuch, die erste Episode einer nicht mehr realisierten Sitcom, zudem zwei Reden und ein Interview. So, wie Wolfgang Menge als Autor seine Sujets umkreiste, um zu neuen Erzählweisen zu gelangen, so kann der Leser hier aus den unterschiedlichen Blickwinkeln eine neue Sicht auf vermeintlich Bekanntes gewinnen.

    *

    Den Nukleus des vorliegenden Bandes bildete eine Forschungskonferenz, die am 10. April 2014 – dem 90. Geburtstag Wolfgang Menges – am Cologne Game Lab der Technischen Hochschule Köln stattfand. Sie wurde von Gundolf S. Freyermuth und Lisa Gotto geleitet und gemeinsam mit der ifs internationale filmschule köln veranstaltet. Deren Geschäftsführerin Simone Stewens sowie dem Presseteam, insbesondere Miriam Edinger und Uljana Thaetner, danken wir für ihre Unterstützung. Die Plakate und Einladungen entwarf Julia Ziolkowski. Bei der Organisation und Durchführung der Konferenz haben uns Fabian Wallenfels mit organisatorischem Geschick und Holger Buff durch die Erstellung eines Filmtrailers mit Ausschnitten aus Wolfgang Menges Arbeiten tatkräftig geholfen. Der Geschäftsführerin der Film und Medienstiftung NRW Petra Müller, die schon im Jahre 2002 für die erste große Werkschau der Filme Wolfgang Menges im Rahmen der Cologne Conference mitverantwortlich war, haben wir für ihre ideelle und finanzielle Förderung der Konferenz zu danken.

    In besonderer Weise verpflichtet sind wir zudem den Zeitzeugen Gisela Marx, Günter Rohrbach, Gunther Witte und Jakob Menge, die wichtige historisch-biographische Informationen beisteuerten. Ihnen und allen Teilnehmern der Konferenz danken wir für ihre Beiträge. Erst auf deren Basis wurde es möglich, das stark erweiterte Konzept dieses wissenschaftlich-dokumentarischen Bandes zu entwerfen.

    Realisieren ließ es sich wiederum allein durch das Entgegenkommen einer Reihe von Personen und Institutionen. Erika und Bettina Gaus waren so freundlich, uns den honorarfreien Nachdruck des Fernseh-Gesprächs zwischen Günter Gaus und Wolfgang Menge zu erlauben. Ebenso genehmigten Bloch Erben den Abdruck der ersten Szenen des Theaterstücks Zeitvertreib und das Deutschlandradio den Abdruck des Manuskripts von Friedrich Lufts Sendung Stimme der Kritik vom 17. November 1962 sowie des dazustehenden Fotos. Sabine Hering, Günter Rohrbach, Regine Sylvester und Hans Janke stellten Fotografien aus ihrem Privatbesitz zur Verfügung, Bertrand Freiesleben Aufnahmen der Büste, die er 2010 von Wolfgang Menge anfertigte, und Karin Rocholl Fotografien, die sie 1987 machte.

    Vor allem und vor allen anderen aber gilt unser Dank der Familie Wolfgang Menges, ohne deren großzügige Unterstützung dieser Band so nicht hätte entstehen können. Marlies, Amelie und Jakob Menge halfen uns in vielfältiger Weise, indem sie uns Zugang zum Nachlass ge­währten, zahlreiche Texte Wolfgang Menges und Fotografien für diesen Band bereitstellten und sich immer wieder Zeit für biographische Auskünfte und Recherchen nahmen.

    Allen Autoren danken wir für die Textarbeit und die Geduld, die sie angesichts des langwierigen Herstellungsprozesses bewiesen. Unsere studentischen Mitarbeiter David Kade, Sonja Keßler, Daniel Kunkel und Carmen Schneidereit wirkten mit großem Einsatz an der Aufbereitung der Texte für die Druckvorlage sowie an der Bildrecherche mit und haben das Manuskript sehr umsichtig auf Fehler geprüft; das Layout der Druckausgabe ventwarf und besorgte Alexa Wernery. Die vorliegende E-Book-Ausgabe erstellte Leon S. Freyermuth. Die komplexe organisatorische Abwicklung des Forschungsprojekts am Cologne Game Lab leisteten Katharina Tillmanns und Katharina Klimek. Die Film und Medienstiftung NRW förderte die Drucklegung dieses Bandes. Ihnen allen danken wir sehr herzlich.

    Weitere Informationen finden sich unter www.dertelevisionaer.com

    I Leben und Werk

    Wolfgang Menge: Authentizität und Autorschaft

    Fragmente einer bundesdeutschen Medienbiographie

    
Gundolf S. Freyermuth

    Als Wolfgang Menge am 10. April 1924 in Berlin geboren wurde, galt der Stummfilm als eine Novität, die noch um ihre kulturelle Anerkennung zu kämpfen hatte, öffentliches Radio war ein gerade sechs Monate altes soziales Experiment, und das Fernsehen existierte nur in Laboren. 88 Jahre später, als er am 17. Oktober 2012 starb, ebenfalls in Berlin, waren weltweit über zwei Milliarden Menschen online und in den fortgeschrittensten Regionen des Planeten überholte die Nutzung des Internets die aller anderen Telekommunikationsmedien. Dazwischen aber – zwischen seiner Kindheit und seinem Alter – dominierten die industrielle Kultur zwei neue Audiovisionen, deren Popularisierung er miterlebte: seit den frühen 1930er Jahren der Tonfilm, seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts dann das Fernsehen.

    Dessen Anfänge datieren in der Bundesrepublik Deutschland auf Weihnachten 1952. Mit seiner innovativen Kombination von Fakten und Fiktionen formte die Television wie kein anderes Massenmedium die westdeutsche Gesellschaft, ihre Kultur und Politik. Spätestens in den 1960er Jahren hatte das Fernsehen, in seiner besonderen öffentlich-rechtlichen Verfasstheit, ein gänzlich neues Publikum geschaffen: die Fernsehnation, ein anonymes Millionenkollektiv, das wesentliche Teile seines Tagesablaufs wie auch die Themen privater und öffentlicher Diskurse den Programmen von ARD und ZDF abgewann. Ob nun das erste und einzige Programm lief oder ab 1963 auch das zweite: Die Mattscheibe der frühen Jahre zeigte die Welt aus recht gleicher, aus westlicher Sicht. Sie vermittelte demokratische Werte und stiftete bundesdeutsche Identität. Zu dieser allmählich vergehenden Epoche liefert die Television als Medium daher einen zentralen Schlüssel, nicht zuletzt auch, weil die zeitgenössischen Macher das TV-Programm, das sie produzierten und verantworteten, durchaus auch als Programm im emphatischen Sinne begriffen.

    Prominentester und einflussreichster Autor dieser Fernsehnation wurde seit Ende der 1950er Jahre Wolfgang Menge – durch eine Vielzahl kreativer und zugleich populärer Drehbücher zu Fernsehspielen und Fernsehserien, aber auch durch spektakuläre Auftritte als Talkshow-Gastgeber. Dass Menge von dem neuen Massenmedium angezogen und dann in ihm zum Star wurde, scheint mehr als zufällig. Denn er war, was man technikaffin nennt. Schon das erste Geld, das er kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs als Journalist verdiente, gab er – zu einer Zeit, in der die meisten deutschen Autoren mit der Hand schrieben und zu Fuß gingen – für Schreibmaschinen und Autos aus. Vor allem aber liebte er die industriellen Massenmedien. Seine Karriere zeichnete gewissermaßen die Geschichte ihrer technischen Entwicklung nach: Er begann als Printjournalist und arbeitete sich über Radio und Film zum Fernsehen vor, dem damals jüngsten, technisch fortgeschrittensten und organisatorisch offensten, deshalb für ihn spannendsten Medium.

    Siegfried Kracauer beschrieb einmal die tiefreichende Interdependenz einer besonderen künstlerischen Begabung mit einerseits zeitgenössischen medialen Fortschritten und andererseits gesellschaftlichen und kulturellen Tendenzen: Der Aufstieg des Komponisten und Impresarios Jacques Offenbach zum zeitgenössischen Medienstar habe erst begonnen, als »sämtliche Voraussetzungen für die Heraufkunft der Operette gegeben« waren.¹ In der Konsequenz sei er gleichermaßen von seiner Gesellschaft, der des kurzlebigen Zweiten Kaiserreichs, bewegt worden, wie er diese bewegt habe. Seine Operetten seien »nicht allein der repräsentativste Ausdruck der kaiserlichen Ära, sondern greifen zugleich mit verwandelnder Kraft in das Regime ein. Sie spiegeln ihre Epoche und helfen sie sprengen – zweideutige Projekte eines Künstlers, der auch durch seine Person die Phantasie der Zeitgenossen erregt.«²

    Ähnliches lässt sich von Wolfgang Menge sagen. Sein Aufstieg knüpfte sich an ein neues Medium, und auch er war »von einer überaus großen Empfindlichkeit gegen die Struktur der Gesellschaft.«³ In seinem vielfältigen Werk und insbesondere in den Arbeiten für das öffentlich-rechtliche Fernsehen verdichtete er wie in einem Brennspiegel die westdeutsche Gesellschaft und Kultur seiner Zeit. Dabei initiierte er größere politische Auseinandersetzungen und intervenierte in existierenden nationalen Debatten. Die Darstellung seiner Biografie und seines Schaffens werde ich daher mit zweierlei verschränken: mit Skizzen der Medien- und Kulturgeschichte und insbesondere der Geschichte des Fernsehens sowie mit Reflexionen auf thematische Schwerpunkte, um die seine künstlerische Existenz kreiste, insbesondere Fragen von Authentizität und Autorschaft. Die Darstellung seines Lebens und seines Werks teilt sich in fünf Abschnitte:

    I Vor dem Fernsehen schildert Wolfgang Menges Kindheit, Jugend und seinen frühen Werdegang als Journalist für Print und Radio sowie als Drehbuchautor für den Film. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelangte der junge Autor zunächst von Gedichten zu Nachrichten, von Erfundenem zu Gefundenem. Seine damaligen Erfahrungen mit dem ›britischen Stil‹ journalistischer Berichterstattung – verkürzt gesagt: mit der Insistenz auf Faktenrecherche statt Meinungsmache – sollten bis zuletzt sein künstlerisches Werk prägen. Zu dessen wichtigstem formalen Moment wurde die Konzentration auf semi-dokumentarische Formen und damit verbunden die Produktion von Authentizität beziehungsweise das mediale Spiel mit ihr.

    II Im Fernsehen der 1950er und 1960er Jahre verfolgt Menges Wechsel vom – damals kulturell noch angeseheneren – Film zum Fernsehen und seine zweigleisige Karriere in dem neuen Medium: zum Ersten als Autor der ersten bundesdeutschen Kriminalserie und anderer erfolgreicher Kriminalspiele, zum Zweiten als Autor kritischer und formal innovativer Fernsehspiele zu aktuellen politischen Fragen.

    III Im Fernsehen der 1960er und 1970er Jahre analysiert, wie Menge zwischen 1968 und 1973 TV-spezifische Formate wie Magazin oder Show narrativ für das Fernsehspiel nutzbar machte. Inhaltlich versuchte er damit gegenwärtige Zustände in denkbare Zukünfte fortzuschreiben. Zentral für den Erfolg dieser Fernsehspiele bei Kritik wie Publikum aber war der Rekurs auf mediale Mischformen aus Fakten und Fiktionen, wie sie bis dahin nur im angelsächsischen Radio, Film und auch Fernsehen existiert hatten.

    IV Im Fernsehen der 1970er und 1980er Jahre beschreibt, wie Wolfgang Menges Interesse an liveness als besonderer Qualität des Mediums Fernsehen ihn in den frühen siebziger Jahren zu dreierlei Innovationen veranlasste. Zunächst importierte und adaptierte er das angelsächsische TV-Format der Talkshow und wurde damit zwischen 1973 und 1986 als Talkshow-Gastgeber selbst zum Fernsehstar. Nahezu zeitgleich importierte und adaptierte er auch die Form der vor Publikum live produzierten Sitcom – situation comedy –, um in ihr den sozialen und kulturellen Wandel so aktuell begleiten und satirisch kommentieren zu können, wie es sonst nur dem Kabarett möglich war. Gegen Ende der siebziger Jahre schließlich wendete er sich Themen der deutschen Geschichte zu und entwickelte dafür innovative Darstellungsformen, in denen sich wiederum Dokumentarisches und Inszeniertes mosaikhaft zu einer nicht mehr linearen Narration mischten.

    V Jenseits des Fernsehens versucht, die Charakteristika von Menges Autorschaft zu bestimmen. Von entscheidender Bedeutung für seinen künstlerischen Erfolg scheint die Möglichkeit, im audiovisuellen Medium der Television eine Autorenrolle behaupten zu können, wie er sie aus den älteren Medien Print und Radio gewohnt war. Auf dieser souveränen Autorschaft basierte Menges Schaffen als Fernsehautor. Insofern war das Ende seiner TV-Karriere eng verbunden mit dem institutionellen Wandel und schleichenden Niedergang des öffentlich-rechtlichen Fernsehens selbst. Menges Kritik an der Selbstzerstörung des Fernsehens, wie er es kannte, begann in den späten 1970er Jahren und eskalierte sukzessive, bis ihm um das Jahr 2000 gewissermaßen das Medium abhanden kam, das seine künstlerische Karriere für fast vier Jahrzehnte bestimmt hatte.


    1 Kracauer, Siegfried: Jacques Offenbach und das Paris seiner Zeit, Werke, Bd. 8, Frankfurt am Main: Suhrkamp 2005 (*1937), S. 11.

    2 Ebd., S. 12.

    3 Ebd., S. 10.

    I Vor dem Fernsehen: Zeitung, Radio, Film

    Das Verlangen nach Television scheint so alt wie die Menschheit. In der westlichen Neuzeit lässt es sich über die Jahrhunderte hinweg auf eine lange Reihe mechano-optischer Schauapparate zurückverfolgen.

    1 Zur Vorgeschichte der Television: Sehnsüchte

    Grundsätzlich gliedern sich die televisionären Bestrebungen in zwei Varianten. Zum einen galt die Suche technischen Apparaturen, die – wie etwa das von Galileo Galilei im frühen 17. Jahrhundert entwickelte Fernrohr – Bli­cke auf ferne Realitäten ermöglichten, die das bloße Auge nicht mehr erkennen konnte, die jedoch dem Prinzip nach zeitgleich existierten. Zum anderen ent­standen technische Apparaturen, die – wie der seit dem 17. Jahrhundert be­kannte und seit dem 18. Jahrhundert äußerst populäre Guckkasten – Blicke auf Realitäten ermöglichten, die malerisch oder drucktechnisch erzeugt und über Lichteffekte optisch inszeniert oder auch animiert wurden, also dem Prinzip nach nicht vorgaben, zeitgleich zu existieren. Unter ihnen lassen sich wiederum faktisch und fiktional orientierte Darstellungen unterscheiden, also einerseits Inszenierungen von Orten und Ereignissen, welche die Macher aus eigener Anschauung kannten, wie etwa Nachempfindungen ferner Landschaften oder Städte, und andererseits Inszenierungen von historischen oder fiktiven Orten und Szenen, die frei gestaltet wurden, wie z. B. die Nachstellung von Szenen aus der klassischen oder christlichen Mythologie.

    Deutlich zeichnen sich so in den Vorläufermedien des industriellen Fernsehens bereits seine beiden hauptsächlichen Leistungen und Aufgabenfelder ab: die Live-Übertragung und das Transportieren beziehungsweise Versenden von vorproduziertem Material, sei es fiktional oder non-fiktional.

    In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzten dann Anstrengungen ein, mittels fortgeschrittener technischer Mittel und Medien dem In-die-Ferne-Sehen eine neue industrielle Gestalt zu geben: Bilder und später auch Töne sollten nun in Echtzeit von einem Ort an einen anderen transportiert werden.¹ Zweierlei ist an diesem Ursprung der Television – der Terminus selbst wurde erst um 1900 geprägt² – medienhistorisch auffällig. Zum einen kamen Versuche zur Fernübertragung von stehenden und laufenden Bildern gleichzeitig in mehreren Ländern auf: »This was a typical case of simultaneous conception; inventors followed, drawing on similar educations and inspiration by scientific discoveries and technological developments in the last quarter of the nineteenth century.«³ Zum anderen verliefen die ersten Versuche, das Fernsehen als Medium für den Transport von Bildern über den Raum zu erfinden, parallel zu neuen und ebenfalls auf industrieller Technologie beruhenden Bemühungen um die Erfindung des Films – eines Mediums also, das reale Ereignisse in Form bewegter Bilder speichern und damit nicht nur über den Raum, sondern auch über die Zeit transportieren konnte.

    Den technologischen Weg für die Television hatte seit den 1830er Jahren eine Reihe außerordentlicher Erfindungen bereitet, insbesondere die Telegrafie, die Fotografie beziehungsweise Chronofotografie, die Anfänge des Bildfaxes, die Telefonie und die Verbesserung elektrischer Birnen.⁴ In ihrer Summe führten sie dazu, dass um 1880 eine Vielzahl von Wissenschaftlern und Hobbyisten in mehreren Zentren der Industrialisierung – insbesondere in England, Deutschland, Frankreich und den USA – zu der Ansicht kam, die Fernübertragung laufender Bilder, wie sie wenige Jahrzehnte zuvor noch fantastisch erschien, sei in den Bereich des technisch Möglichen gerückt. Gedacht war zu diesem Zeitpunkt noch an einen Transport über Kabel nach dem Modell von Telegrafie und Telefonie, da die Existenz elektromagnetischer Wellen erst 1887 von Heinrich Hertz bewiesen und ihre Übertragungsfähigkeit erst Mitte der 1890er Jahre von Guglielmo Marconi demonstriert wurde.

    Dabei stellte sich den Fernseh-Forschern bis in die 1920er Jahre hinein ein dreifaches Problem: Wie lässt sich am Sendepunkt Licht in elektrische Signale umwandeln? Wie können diese elektrischen Signale für die Übertragung genügend verstärkt werden? Wie lassen sich die elektrischen Signale am Empfangspunkt gleich wieder in Licht zurückverwandeln?⁵ Zwei prinzipielle Lösungsansätze konkurrierten miteinander: der mechanische und der elektronische. Während der mechanische Ansatz zu den ersten Erfolgen führte – einige experimentelle Sender nahmen 1929 in den USA und England sowie 1932 in Deutschland ihren Betrieb auf –, setzten sich im Laufe der 1930er Jahre dann elektronische Verfahren durch, basierend auf der 1897 erfundenen Braunschen Röhre.⁶

    2 Jugend ohne Fernsehen: Medien, Krieg, Flucht, Frieden

    Wichtige Anfänge datieren auf das Jahr 1924.⁷ Im Januar starb Wladimir Iljitsch Lenin. Sein Nachfolger Josef Stalin ordnete die erste einer langen Reihe von ›Säuberungen‹ in der kommunistischen Partei Russlands an. In Deutschland begann Ende Januar der Hochverratsprozess gegen Adolf Hitler und seine Mitverschwörer beim gescheiterten Putsch vom 9. November 1923. Im Februar hielt Calvin Coolidge als erster US-Präsident eine Radioansprache, und in der britischen Zeitschrift Radio Times erschien unter dem Titel »Seeing the World from an Armchair: When Television is an Accomplished Fact« ein Artikel, basierend auf Experimenten von John Logie Baird, einem Pionier des mechanischen Fernsehens, demzufolge der Durchbruch des neuen Bildmediums unmittelbar bevorstand.⁸

    Im März endete in der Türkei das islamische Kalifat, die säkulare Modernisierung des Staates unter Kemal Atatürk setzte ein. Ende März wurden im inflationsgeplagten Deutschland die letzten Papiermarkscheine im Wert von fünf Billionen Mark gedruckt. Nach der Umstellung auf die neue Reichsmark, zu der es im August kommen wird, werden sie fünf Mark wert sein. Am 1. April wurde Adolf Hitler wegen Beihilfe zum Hochverrat zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. Noch vor Weihnachten desselben Jahres sollte man ihn wieder in die Freiheit entlassen. Am 6. April fanden in Italien Wahlen statt. Die Faschisten, angeführt von Benito Mussolini, gewannen sie mit einer Zweidrittelmehrheit.

    In diese Welt wurde am 10. April 1924 Wolfgang Menge geboren; als erstes Kind eines – wie es nach 1933 heißen wird – ›arischen‹ Vaters und einer jüdischen Mutter.⁹ Der Vater Otto Menge war Kaufmann und handelte mit automatischen Waagen. Die Mutter Golditza, geborene Schorr, stammte aus Rustschuk - heute Russe –, demselben bulgarischen Dorf, in dem auch Elias Canetti das Licht der Welt erblickte. Wenige Monate nach Geburt des ersten Sohnes zog die Familie von Berlin nach Hamburg.¹⁰ Politisch waren Otto Menge und seine Familie zerrissen, ein Umstand, der zu der späteren Distanz Wolfgang Menges beigetragen haben mag, wie sie Marlies Menge beschreibt:

    »Wolfgang hatte sich lange Zeit kaum für seine Vorfahren interessiert. Es sei denn, sie waren für eine Geschichte gut. Wie die vom Bruder seines Vaters. Otto Menge, sein Vater, hatte zwei Brüder. Da war Karl, ein alter Kämpfer, soll heißen: ein frühes NSDAP-Mitglied, ein höherer Beamter, nämlich Stadtdirektor in der Verwaltung von Braunschweig, so dass es – nur sehr vielleicht – sein kann, dass er es war, der Hitler eingebürgert hat. Denn der Österreicher Hitler wurde erst durch einen Braunschweiger Beamten Deutscher. Das ist amtlich. Ob dies nun wirklich der Bruder meines Schwiegervaters war, ist nicht bekannt. Für Wolfgang war es eine wunderbare Geschichte. Der zweite Bruder war Kassierer bei den Elektrizitätswerken. Otto Menge, Wolfgangs Vater, war [...] kein Nazi. Er hätte sonst kaum in der Nazizeit zu seiner jüdischen Frau gehalten.«¹¹

    In Wolfgang Menges Kindheit waren laufende Bilder noch stumm. Der Aufstieg des Radios zum Massenmedium und die Einführung des Tonfilms fanden dann primär in Diensten eines Regimes statt, das ihn zu einem Außenseiterdasein verdammte: »Ich bin völlig ohne Freunde groß geworden, völlig allein. Ich habe mich immer gewundert, dass ich keine Freunde hatte in der Klasse. Und das hat mir meine Mutter dann erklärt.«¹² Zu seinen frühen Erinnerungen gehörte ein Einkauf:

    »Meine Eltern hatten wenig Geld. Ich musste dann in Hamburg irgendwohin fahren, wo die Schaufenster kaputt waren. Das war nach der Reichskristallnacht, da ist meine Mutter mit mir hingegangen und hat mir Schuhe gekauft.«¹³

    Generell aber, das hat Wolfgang Menge immer wieder betont, erinnerte er so gut wie nichts aus seiner Kindheit und Jugend.

    »›Sehen Sie‹, sagt Menge, ›ich halte Leute für unseriös, die behaupten, sie könnten sich an ihre Kindheit und Jugend erinnern. Ich glaube, daß da sehr viel im Nachhinein zurechtgelegt wurde.‹

    ›Wußten Sie, daß Ihre Mutter ...?‹

    ›Ja, schon. Aber wann? War ich mir schon 1935 oder 1936, also während der Schulzeit, darüber im klaren, daß meine Mutter Jüdin war? Ich weiß es nicht. Ich habe das möglicherweise wie alle Deutschen nicht wahrhaben wollen.‹«¹⁴

    Nach dem Schulabschluss absolvierte Menge Anfang der 1940er Jahre eine kaufmännische Lehre und verkehrte, wie Sabine Hering schreibt, »in einem illustren Freundeskreis, zu dem viele Künstler« gehörten.¹⁵ In diesen Jahren begann seine Liebe zur Literatur: »Der Vater von einem Freund fuhr zur See und brachte immer Bücher mit, die verboten waren, zum Beispiel Stefan Zweigs Die Welt von gestern.«¹⁶ Darüber hinaus hörte die Familie – ebenso verbotenes – englisches Radio, »den Sender Gustav-Siegfried-Eins, nicht zuletzt wegen der Musik.«¹⁷

    1941, mit 17 Jahren, wurde Wolfgang Menge – nach den Kriterien des Rassenwahns ›M1‹ (›Mischling ersten Grades‹) – zum Reichsarbeitsdienst eingezogen, 1942 dann zu einer Sondereinheit der Armee, die ab 1943 in Polen stationiert war [s. Abb. 2]:

    »Ich war ja bei der deutschen Wehrmacht tätig ein paar Jahre lang, ohne großen Erfolg bedauerlicherweise. Denn ich bin ja nicht mal Gefreiter geworden, was glaube ich keinem Menschen gelungen ist – so lange dabei zu sein, ohne zumindest Obersoldat zu werden ...«¹⁸

    Damals trug er immer Gift bei sich, das er sich von einem befreundeten Arzt besorgt hatte. 1944 wurde seine Einheit in Polen eingekesselt und Menge leicht verwundet. Sabine Hering beschreibt, wie er sich daraufhin mit Hilfe eines Tricks ausfliegen ließ:

    »Er geht mit einem Zettel um den Hals, auf dem vermerkt ist, dass er behandelt werden soll, um ein Flugzeug herum, in dem Schwerverletzte ausgeflogen werden. Der beaufsichtigende Offizier sieht das und sagt: ›Nun steigen Sie doch endlich ein!‹ Das tut er auch und kommt auf diese Weise nach Schlesien in ein Lazarett. Durch gefälschte Papiere, welche ihm eine Krankenschwester besorgt und die ihn als Schwerkranken ausweisen, kann er dort eine Weile bleiben.«¹⁹

    Schließlich floh er:

    »Ich war im Lazarett. Und bin dann etwas vorher nach Hause gefahren. Wie nennt man das? Fahnenflucht oder so. Als ich sah, dass ich meine Eltern nicht mehr gefährde, bin ich abgehauen und habe mich versteckt.«²⁰

    Sabine Hering schildert diese Flucht – aus der Gegend um Wien²¹ – detaillierter und dramatischer:

    »Als die Front näher rückt, desertiert er mit zwei Kumpeln zusammen in einem Kübelwagen Richtung Hamburg. Sie schlängeln sich zwischen der amerikanischen und russischen Front durch. Eine SS-Streife, die sie unterwegs anhält, schießen sie nieder. Als sie zu dritt in Hamburg ankommen, wird einer von ihnen als Deserteur gefasst und erschossen.«²²

    Menges Eltern hatten sich an der Ostsee in Sicherheit gebracht. Er selbst versteckte sich bei Freunden im ausgebombten Hamburg. Eine Weile nächtigte er im Keller des leerstehenden schwedischen Generalkonsulats. So feierte er, in steter Todesgefahr, seinen einundzwanzigsten Geburtstag. Einen knappen Monat später endete der Zweite Weltkrieg. Menge erkannte es zuerst daran, dass im Radio plötzlich die – von ihm verehrten – Andrews Sisters gespielt wurden.²³ Sofort ließ er sich von einem Freund, dem Kunststudenten Bernd Hering, falsche Papiere herstellen, um der Internierung durch die britische Besatzungsmacht zu entgehen.

    Nach einem »ersten Durchatmen«, wie er es einmal nannte, stellte sich ihm im Sommer 1945 die Berufsfrage. Kurzfristig betätigte er sich als Schwarzmarkthändler, wurde verhaftet und brillierte auf Grund seiner literarischen Vorbildung als Gefängnisbibliothekar.²⁴ Nach einer – durch die erfolgreiche Bestechung eines Justizbeamten – vorgezogenen Entlassung schwankte seine Berufswahl zwischen Fotoreporter und Kabarettist. Unter einigen Mühen beschaffte er sich eine Fotoausrüstung. Gleichzeitig besuchte er immer wieder Kabarettvorstellungen in einem Kino am Eppendorfer Baum, nicht weit von seiner Wohnung. Besonders begeisterten ihn Werner Finck und Heinz Ehrhardt.

    Zwei zentrale Elemente seines zukünftigen Werks deuteten sich in diesen Neigungen an: das Streben einerseits nach authentischer Dokumentation, andererseits nach ebenso geistreicher wie respektloser Kritik. Als sich erste Hoffnungen auf eine Karriere als Fotograf zerschlugen,²⁵ verlegte sich Menge vom Bild auf den Text:

    »Ich wollte irgendetwas mit Schreiben zu tun haben. Meine Neigung ging eher in Richtung Kabarett. Das war aber zunächst einmal unerreichbar für mich und deswegen habe ich mich halt umgesehen, was es in diesem Metier sonst noch alles gibt.«²⁶

    Um 1946 setzte so der Prozess einer Selbstfindung und auch bewussten Selbstkonstruktion ein, in dessen Verlauf der 22-Jährige sich so nachhaltig verändern sollte, dass er sich im Rückblick selbst kaum mehr wiedererkannt:

    »Ich habe mir einen Stoß meiner alten Briefe vorgeholt, die ich von meiner ersten Verlobten zurückbekommen habe, und auch ein Tagebuch und andere Briefe aus der Zeit. Die habe ich alle durchgelesen, und es ist mir nichts von mir klargeworden. Ich kann’s nicht rekonstruieren. Auch die Nachkriegszeit nicht. Was da drin steht, scheint mir etwas zu sein, was ich nicht gewesen bin. Wie eine total fremde Person.«²⁷

    3 Journalismus I: Lehrjahre, Zeitung, Radio

    Unmittelbar nach dem Kriegsende begann unter Kontrolle der West-Alliierten die (Re-) Konstruktion demokratischer Medien. Ein Zentrum dieses Neu-Aufbaus lag in der britischen Besatzungszone, vor allem in Hannover und Hamburg. Im Bereich des Rundfunks wurde das öffentlich-rechtliche System nach dem Vorbild der britischen BBC etabliert. Als größte Rundfunkanstalt in den Westzonen entstand der NWDR, »Mitbegründerin der ARD, maßgeblich für den Wiederbeginn des Fernsehens 1952.«²⁸ Für die Massenpresse wurden unter Auflagen Lizenzen an – vermeintlich oder tatsächlich – nicht-vorbelastete Personen vergeben. Zwischen 1946 und 1948 begannen so die Karrieren, die Westdeutschland auf Jahrzehnte bestimmen sollten, u.a. von Rudolf Augstein (Der Spiegel), Henri Nannen (Stern) und Axel Caesar Springer (Hamburger Abendblatt).

    Wolfgang Menge war insofern zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Nur wenige Wochen nach seinem Entschluss, ein neues Leben als Journalist zu beginnen, bewarb er sich beim German News Service. Die von der britischen Besatzungsmacht in Hamburg betriebene Nachrichtenagentur residierte wie der NWDR an der Rothenbaumchaussee [s. Abb. 4]:

    »Ich bin da zuerst mit Gedichten hin. Die haben mich natürlich rausgeschmissen, aber ich bin immer wieder hingegangen [...] Man kann sich das heute überhaupt nicht mehr vorstellen, aber es war wirklich so, dass man von diesem Beruf eigentlich so gut wie nichts wusste. [...] Es ist mir dann tatsächlich gelungen, ein Volontariat zu bekommen. Das hat mir nach einiger Zeit auch großen Spaß gemacht. [...] Ich habe da in der Innenpolitik gesessen.«²⁹

    Auf die Dauer allerdings lag ihm abhängige Bürotätigkeit nicht. In Hamburg waren Mediengründerzeiten. Mit seinem Freund Richard Gruner, Lehrling bei der Traditionsdruckerei Broschek, Sohn des Besitzers der Dru­ckerei Gruner & Sohn in Itzehoe und später Mitbegründer des Großverlags Gruner + Jahr, versuchte Wolfgang Menge, nebenbei ein Jugendmagazin zu entwickeln, das sie lebensbejahend Ja nannten. Chefredakteur Menge – »Das war ich wohl ...«³⁰ – füllte die Probenummer mit satirischen Artikeln. Doch die Behörden erteilten den beiden Anfängern keine Lizenz.³¹ Der Nachwuchsredakteur musste weiter seine Bürostunden absitzen.

    Ändern sollte sich das, wie Wolfgang Menge gerne erzählte, im Frühjahr 1947. Im Dezember zuvor war Richard Gruner senior bei einem Verkehrsunfall gestorben. Als einziger Nachkomme erbte Richard Gruner junior nicht nur die Druckerei, sondern auch die luxuriöse Borgward-Limousine seines Vaters. An einem der ersten warmen Tage des Jahres 1947 fuhr er mit ihr bei Wolfgang Menge vor.

    »Die Freunde saßen auf dem Balkon und genossen die Sonne. Doch das Vergnügen fand ein baldiges Ende, denn um drei Uhr begann Menges Schicht [beim German News Service].

    ›Ich fahr dich natürlich hin‹, sagte Richard Gruner.

    Als sie am Rothenbaum ankamen, fragte Menge: ›Und was machst du jetzt?‹

    ›Ich lege mich in die Sonne, in meinen Garten.‹

    ›Warte mal ‘n Moment.‹

    Menge verschwand in der Eingangstür seiner Arbeitsstätte.

    Nach wenigen Minuten kehrte er zurück. Die beiden Freunde fuhren nach Lokstedt, Wolfgang Menge hatte gekündigt, er wollte sich auch in die Sonne legen.«³²

    Es war die erste in einer lebenslangen Reihe von Kündigungen und Aufkündigungen, abrupten Enden und Neuanfängen. Nur ein paar Monate später sollte sich Wolfgang Menges Leben ein weiteres Mal verändern: Der Nachwuchsjournalist erhielt ein dreimonatiges Stipendium zu einer Fortbildung beziehungsweise ›Umerziehung‹ in Wilton Park. [Abb. 5] Während des Zweiten Weltkriegs war der englische Landsitz als Gefangenenlager genutzt worden.³³ Ab 1946 wurden dort – zurückgehend auf eine Initiative Winston Churchills – Re-Education-Kurse durchgeführt:

    »Die Lagerschule stand unter der Leitung des deutsch-jüdischen Emigranten Dr. Heinz Köppler, der von Anfang an offene, freie Diskussionen förderte. [...] Das Lehrerkollegium bestand zum Teil aus meist sozialdemokratisch orientierten deutschen Emigranten, zum Teil aus Engländern.«³⁴

    Der Erfolg des Programms führte bald dazu, dass zusätzliche Gäste aus Deutschland und anderen Ländern nach Wilton Park eingeladen wurden, »where they were educated on the British way of life and democracy.«³⁵ Im Lauf der Jahre nahmen über 4000 Deutsche teil.³⁶ Während seines dreimonatigen Kurses – »Eine hervorragende Einrichtung ...«³⁷ – begann Wolfgang Menge, sich für das Leben der deutschsprachigen Emigrantengemeinde zu interessieren, deren Mitglieder zu einem großen Teil im Londoner Bezirk Swiss Cottage wohnten. »[D]a bin ich immer hingegangen, wenn ich Zeit hatte. Und so habe ich die noch kennen gelernt.«³⁸ Einer seiner Bekannten offerierte ihm einen Job:

    »Ich war da so zweiter Mann bei einem Emigranten-Korrespondenten, etwas über ein Jahr. [...] Ich wollte eigentlich nie wieder nach Deutschland zurück, ich wollte raus aus Deutschland.³⁹ [...] Weil wir ja nicht diesen Bruch gehabt haben, wie alle Welt immer vermutet, dass nach 45 sich alles geändert hat. Es ist ja alles gemütlich weitergegangen, nur dass die Juden nicht mehr umgebracht wurden.«⁴⁰

    Aus den Erfahrungen seiner Zeit in Großbritannien rührte eine nachhaltige Prägung, Wolfgang Menges ›Britishness‹. Sie reichte von literarischen Vorlieben über den spezifischen Menge-Humor bis zu der Art, sich zu kleiden. Barbara Naumann spricht von »einer gewissen Conan-Doylisierung des Mengeschen Stils«.⁴¹ Vor allem anderen betraf sie sein Verständnis des Journalismus: dass es dessen vornehmste Aufgabe sei, Fakten zu ermitteln und zu vermitteln. Meinungsjournalismus verachtete Wolfgang Menge Zeit seines Lebens. Einen am Faktischen orientierten Realismus, gepaart mit respektlosem Witz und einem gewissen Galgenhumor, präferierte er nicht minder in der Literatur und den anderen Künsten.

    Dieses Verlangen nach Authentizität korrelierte mit dem Zeitgeist. Im Film, dem wichtigsten Massenmedium, traten nach dem Kriegsende mehr denn je Züge des Dokumentarischen hervor, im italienischen Neorealismus, im deutschen Trümmerfilm, in semi-dokumentarischen Werken Hollywoods wie The House on 92nd Street⁴², Boomerang⁴³ und The Naked City⁴⁴. Dem Wunsch der vom Krieg desillusionierten Zeitgenossen, Wirkliches möglichst aktuell und unverstellt zu erfahren, entsprach die rasante Durchsetzung des Fernsehens, die in Großbritannien und den USA mit der Aufnahme des regulären Sendebetriebs unmittelbar nach dem Kriegsende begann.⁴⁵

    In London – in der Arbeit mit britisch geprägten deutschen Exil-Journalisten und durch die Erfahrung angelsächsischer Massenkultur – lernte Wolfgang Menge so kennen und können, was über Jahrzehnte hinweg sein Werk und vor allem seine künstlerischen Arbeiten für Film und Fernsehen kennzeichnen sollte: das Handwerk des Recherchierens und die Kunst, Wissensvermittlung mit Unterhaltung zu verbinden. Zentral dafür war das literarische Genre des Tatsachenberichts. Viel später sollte er als Drehbuchautor daraus diverse audiovisuelle Spielarten entwickeln. Zunächst aber transportierte er es nach Deutschland, als er im Januar 1949 nach Hamburg zurückkehrte:

    »Da war das Hamburger Abendblatt vier Wochen alt. Ich ging meine alten Kollegen vom News Service besuchen, die alle dort waren. Und da habe ich gesagt: ›Hier fange ich auch an.‹ Da haben die gesagt: ›Tut uns leid, wir haben alle Ressorts besetzt.‹ Nur bei Lokales war noch der Job eines Reporters frei. Und ich wollte eigentlich nach Afrika. Aber bei einem Faschingsfest lernte ich ein Mädchen kennen. Eine Woche später habe ich dann gesagt: ›Gut, ich mache den Lokalreporter.‹«⁴⁶

    In dieser Zeit befreundete sich Menge nicht nur mit Axel Caesar Springer und seinem einflussreichen Generalbevollmächtigten Christian Kracht, er erprobte auch journalistisch, was er in England gelernt hatte, und schrieb erste umfangreiche Tatsachenberichte. Der unmittelbare Anlass dafür war sein Verlangen nach – natürlich britischen – Autos:

    »Ich wurde auf die erste Automobilausstellung nach dem Kriege geschickt, die in Frankfurt stattfand. Da war ein Auto, ein MG, so schön, mit Speichenrädern, freien Scheinwerfern, Faltdach. Der Motor zum Scheibenwischer war ein Extra, der war eigentlich mit Handbetrieb [...] Man bekam sein Geld als Journalist damals ja gleich immer in bar, und das steckte ich immer in meine Hemdtasche. Wenn die Seite fertig war, dann wurde schon der Anstrich gemacht, da hat der Chef seine Honorare hingeschrieben, und man hatte ja jeden Tag etwas im Blatt. Da sind wir dann schon zur Kasse gegangen, noch bevor die Zeitung auf dem Markt war [...] Also, ich fasse in meine Hemdtasche und da waren ungefähr 400 Mark. Damit habe ich das Auto angezahlt und einen Wechsel unterschrieben [...] Und jetzt kam ich nach Hamburg und dachte, um Gottes Willen, wie kriegst du das Geld zusammen? Das waren neun-, zehntausend Mark, ein wahnsinniges Geld! [...] Und da habe ich dem Chefredakteur des Hamburger Abendblatts eingeredet, wir müssten mal so einen Tatsachenbericht machen – das kannte ich aus England. Der wusste gar nicht genau, was das ist, etwas in Folgen. Und dann habe ich irgendeine Mordgeschichte aus dem Hamburger Hafen mit Fortsetzungen gemacht, mit einem ordentlichen Honorar. [...] Und dann fand ich dieses Schreiben von Tatsachenberichten ganz lustig.«⁴⁷

    Gleichzeitig begann Menge, um seinen MG zu bezahlen, freiberuflich für den NWDR zu arbeiten. Zudem erfand er eine satirische Kolumne für das Hamburger Abendblatt, die er unter dem Pseudonym »Onkel Hugo« verfasste: »Die Idee war, über Meldungen zu schreiben, die normalerweise in den Papierkorb fallen, etwa ein Kleingärtner aus Lokstedt ruft an im Frühjahr, die erste Rose ist erblüht ...«⁴⁸ Nach zweieinhalb Jahren jedoch endete sein Dasein als Lokalreporter abrupt: Im Hamburger Abendblatt erschien, mit Billigung des Verlegers, ein Beitrag von Karl Aloys Schenzinger, dem Verfasser des NS-Propagandaromans Hitlerjunge Quex.⁴⁹ »Das konnte ich nicht mit meinem Gewissen vereinbaren und habe dann als jüngster und erster überhaupt bei Axel Springer gekündigt.«⁵⁰

    Der NWDR beschäftigte ihn sofort als Festen Freien in der Redaktion »Unterhaltendes Wort«.⁵¹ Dort geriet Wolfgang Menge in eine andere Tradition, von der später auch seine Fernseharbeiten geprägt werden sollten: die des ›Kulturauftrags‹. Konstitutiv war für sie eine Verbindung von Bildung und Unterhaltung, wie sie vor allem die Radiopioniere Hans Bredow und Hans Flesch formulierten und wie sie das deutsche Radio seit der Mitte der 1920er Jahre und bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 kultiviert hatte.⁵² Nach dem Krieg suchte das bundesrepublikanische öffentlich-rechtliche System an diese Tradition anzuschließen. Menge hatte eine zweiwöchige Kabarettsendung namens Karussell zu betreuen und war nun seinem ursprünglichen Berufswunsch sehr nahe gekommen. Doch zufrieden war er nicht:

    »Ich wusste nicht, was ich da machen sollte. Ich habe immer rumgesessen und in der Nase gebohrt. [...] Ich habe den Redakteur immer gefragt, es muss doch etwas zu tun geben? Aber der selbst tat überhaupt nichts und konnte mich nicht verstehen.«⁵³

    Aus »lauter Verzweiflung« und im Rückgriff auf seine ehemalige »Onkel Hugo«-Kolumne habe er, so Menge, dann die Radiosendung Adrian und Alexander entwickelt. Ihr berühmter Anfangssatz lautete »Hallo Nachbarn«. Das Publikum begeisterte sie nicht zuletzt auch durch die eklektische, sehr angelsächsische und von Menge verantwortete Musikauswahl: »Es war eigentlich eine Sendung, wie ich sie gerne gehört hätte.«⁵⁴ Ihr wohl markantestes Element war die Stimme des Sidekicks, eines Homunkulus:

    »Ich hatte mir in meiner jugendlichen Naivität ausgedacht, dass der Sprecher anschließend ein rückwärtslaufendes Band abspult und quasi mit diesem Band spricht. Denn dieses Geräusch hatte mir immer großen Spaß gemacht. [...] Das hat aber irgendwie nicht funktioniert. Ich habe dann den Regisseur, der bei den Aufnahmen ohnehin immer ein wenig gestört hat, dazu bewegen können, dass er diese Stimme nachmacht.«⁵⁵

    Öffentliches Aufsehen und auch Anstoß erregte die Sendereihe bald durch ihre humoristisch verpackte, aber dennoch ungewohnt freizügige politische Kritik. Mit ihr bewies Wolfgang Menge zum ersten Mal »seine besondere Begabung [...], politische Zeitprobleme auf dem Wege spannender Unterhaltung bewusst zu machen«.⁵⁶ Bereits nach einem halben Jahr gab es zu der Sendung eine Anfrage ihm Bundestag:⁵⁷

    »Da kriegte der Redakteur Albin Stuebs, auch ein Emigrant aus London [...], den Auftrag, von nun an sich die Sendung – wir haben die immer Freitag abends gemacht und Samstag wurde sie ausgestrahlt [...] – gefälligst vorher anzusehen. Der hat vorher immer dagesessen, hat sich tot gelacht über die Sendung, und von dem Moment an, wo er sie offiziell angucken sollte, um Böses zu verhindern, hat er sich überhaupt nicht mehr geregt, hat mit stummem Gesicht dagesessen. Er hat aber nie irgendwie eingegriffen [...]«⁵⁸

    Mit Adrian und Alexander erschrieb sich Wolfgang Menge zum ersten Mal eine gewisse Prominenz. Nach etwas mehr als zwei Jahren verließ er den NWDR wieder, um in Berlin – nach der Restitution des von den Nazis enteigneten Ullstein Verlags im Jahre 1952 – beim Aufbau der Berliner Morgenpost und der BZ mitzuarbeiten. Als freier Mitarbeiter aber blieb er dem Sender noch fast ein Jahrzehnt verbunden. In Berlin kaufte er, da das Hamburger Geschäft seines Vaters damals in Schwierigkeiten geraten war, seinen Eltern ein kleines Hotel. »Es war seine Idee, diese Pension ABC zu nennen, damit sie im Branchenverzeichnis ganz vorne steht.«⁵⁹

    4 Journalismus II: Korrespondent, Abschied

    1954 ging Wolfgang Menge als Auslandskorrespondent für die – zwar gerade von Axel Springer erworbene, aber mit Autoren wie Sebastian Haffner und Erich Kuby immer noch überwiegend liberale – Tageszeitung Die Welt nach Ostasien. Zunächst aus Tokio⁶⁰, dann aus der britischen Kronkolonie Hongkong⁶¹ schrieb er über gut drei Jahre hinweg politische Berichte, große Reportagen und auch Hörspiele. Während dieser Zeit lebte er im obersten Stockwerk des Hongkonger Foreign Correspondents Club – als einziger Bewohner des gewaltigen Gebäudes. Ein zentrales Thema war die Entwicklung in Mao-Tse-Tungs kommunistischem China.⁶²

    Das Hörspiel Das Wiedersehen etwa thematisierte das Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit, Liebe und Arbeit im Kommunismus chinesischer Prägung: Zwei junge Liebende vom Land werden dadurch getrennt, dass der Mann, der »Schmelzmeister Wei«, in eine aus dem Boden gestampfte Industriestadt umziehen muss. In dem halben Jahr seit ihrer Hochzeit hat das Paar sich nur zwei Tage sehen können. Nun darf die junge Hao ihrem Mann nachfolgen, weil beiden eine Wohnung in einem Neubau zugeteilt wurde. »Auf jedem Flur steht ein Lautsprecher... wir müssen ja die Vorträge gemeinsam hören können...«, schwärmt eine Mit-Bewohnerin.⁶³ Doch als Hao am Bahnhof eintrifft, holt Wei sie nicht ab. Die Arbeit am Aufbau des sozialistischen Vaterlands geht vor. In der neuen, ihr noch unbekannten Wohnung muss Hao allein auf ihren Mann warten:

    »Hao (für sich): Wie schön alles ist... (sie streicht über den Tisch) alles neu gestrichen... das Bett sogar aus Stahl... ein Küchenmesser ist auch da... nein, so was, ein Wasserklosett... (sie erinnert sich) einmal habe ich erst eins gesehen... im Kino in der Kreishauptstadt... und jetzt... für mich ganz allein... Aber das Schönste ist doch das neue Bildnis von Mao Tse-tung...«⁶⁴

    Während seiner Zeit als Korrespondent sammelte Wolfgang Menge auch erste Erfahrungen mit dem neuen Massenmedium Fernsehen:

    »Ich war in Hongkong gewesen [...] und hatte dort für einen Freund bei ›movietone news‹, der von einer Segeltour nicht rechtzeitig zurückkommen konnte, eine Story über irgend so ein Schiff gemacht. Diese Sendung ist dann prompt auch bei uns im Fernsehen ausgestrahlt worden.«⁶⁵

    Primär aber verstärkte der Aufenthalt in der britischen Kronkolonie Wolfgang Menges angelsächsisch geprägte Weltläufigkeit. Während seiner Auslandsjahre in den 1940er und 1950er Jahren erschuf sich der junge Autor in seinen Arbeits- und Schreibweisen wie auch als Person so britisch, wie er es als geborener Berliner und in Hamburg Aufgewachsener nur konnte.

    Ende 1956 geschah dann dreierlei. Zum Ersten intensivierte sich der Briefwechsel, den Wolfgang Menge mit einer jungen Frau aufgenommen hatte. Marlies Lüder, aus dem Osten Berlins stammend, betreute in Hamburg die Mitgliederzeitung der Ölfirma Esso, fühlte sich in der Stadt jedoch unwohl und suchte einen Au-Pair-Job bei einer britischen Familie, zur Not auch in Hongkong. Zwar hatte man sie gewarnt, dass Wolfgang Menge »nicht sonderlich sympathisch«⁶⁶ sei, doch nachdem ihr die Einreise in die USA verweigert worden war – »wegen Kommunismusverdacht«, da ihre Familie erst kurz zuvor aus der DDR nach Westdeutschland gezogen war –, musste sie jede Chance nutzen. Bevor er ihr helfen könne, schrieb Wolfgang Menge an Marlies Lüder zurück, müsse er erst einmal wissen, wie sie aussehe: »Ob ich hübsch sei, was er für sich nicht hoffe, oder hässlich, was er für mich nicht hoffe, oder irgendwas dazwischen, was das Praktischste wäre.«⁶⁷

    Zum Zweiten bat ihn die Chefredaktion der Welt, in Asien Reaktionen auf zwei bedrohliche Zeitgeschehnisse zu sammeln: den Volksaufstand in Ungarn und die Suezkrise in Ägypten. »Das hatte ich ganz knapp gemacht. Nur Zitate von Politikern und aus Zeitungen. Ausschließlich Dokumente, nichts von mir.«⁶⁸ Als er Wochen später die Zeitung erhält, ist er der einzige Korrespondent, dessen Beitrag nicht erschienen ist. Auf Nachfrage erhält er vom stellvertretenden Chefredakteur die Antwort: »Sehr geehrter Herr Menge, ich weiß nicht, warum Sie sich wundern. Sie hätten sich vorstellen können, dass das keinen Platz hatte, denn all die darin vertretenen Ansichten waren denen der Chefredaktion diametral entgegengesetzt.«⁶⁹ Menge erkannte: Nun, ein paar Jahre, nachdem Springer die Welt übernommen hatte, fing das ›Einmischen‹ ein. Politische Tendenz, d.h. Meinung wurde wichtiger als Fakten.

    Zum Dritten aber erhielt der Fernost-Korrespondent nach mehreren Anläufen und als erster westdeutscher Journalist die Genehmigung zu einer Fahrt mit der transsibirischen Eisenbahn von Peking nach Moskau. Im Frühjahr 1957 trat er die 13 000 Kilometer lange Reise an. [Abb. 9] In vierzehn Tagen reiner Fahrzeit – unterbrochen von einem mehrtägigen Aufenthalt in Peking – führte sie ihn von Hongkong beziehungsweise Kanton über Peking und Moskau nach (Ost-) Berlin und schließlich Hamburg. Seine Erlebnisse in Rotchina und der UDSSR schilderte Wolfgang Menge in einer Serie von Einzelberichten.⁷⁰

    Am umfangreichsten und vollständigsten scheint die überlieferte Hörfunk-Fassung, die unter dem Titel Land des müden Lächelns ab dem 7. Mai 1957 an vier Abenden vom NDR gesendet wurde.⁷¹ Sie beweist Wolfgang Menge am unmittelbaren Ende seiner Karriere als Auslandskorrespondent als nicht nur ironischen Beobachter, sondern auch – in der ebenso geschickten wie komplizierten Verschränkung der Zeitebenen – als meisterhaften Erzähler. Der Bericht beginnt mit der Rückkehr, der Ankunft in Ostberlin, die den Reisenden als unerhörten Einzelnen inmitten kommunistischer Kollektive einführt. Rückblickend wird dann Spannung aufgebaut, indem Menge schildert, wie schwierig es für westliche Journalisten ist, nach China zu gelangen, und wie unzulänglich die meisten bisherigen Reiseberichte sind. Als er dann überraschend eine Einreisegenehmigung erhält, mag er es kaum glauben:

    »China, das meistumstrittene Land der Welt sollte nun von mir angesehen werden, ich sollte es wirklich wahrnehmen und endlich wahrhaft empfinden. Würde es anders sein, als ich es mir nach tausend Erzählungen, Gesprächen, Büchern und Berichten vorstellte?«⁷²

    Erst jetzt erfolgt die szenische Schilderung des Reisebeginns, nur um gleich wieder unterbrochen zu werden von einem – durch einen tatsächlichen Blick zurück eingeleiteten – längeren Rückblick auf das vorherige Korrespondenten-Dasein in Hongkong. Vor dem Hintergrund des ›westlichen‹ Alltags in der britischen Kronkolonie zeichnet sich umso deutlicher die Andersheit des Lebens im ›östlichen‹, d.h. kommunistischen China ab; eine Andersheit, die laut Menge zwar mit dem Verlassen Hongkongs beginnt, aber erst weit jenseits der Landesgrenzen Rotchinas wieder enden wird: in Marienborn, dem bei Wolfsburg gelegenen Grenzübergang von Ost- nach Westdeutschland, also mit dem Ende des so genannten Eisernen Vorhangs: »Von Peking bis Pankow hat eine unheimliche Macht die Landschaft uniformiert.«⁷³

    Die Vielzahl der teils kritischen, teils amüsanten Einzelbeobachtungen, die Menge auf der langen Reise durch die ebenso fremde wie 1957 noch recht neue Welt des Kommunismus gelingen, reicht von der in Rotchina verbreiteten Vorliebe für Schweizer Armbanduhren als Statussymbol und den Usancen des Umgangs der chinesischen Zensur mit westlichen Korrespondenten über das Verhältnis der Chinesen zu ihren russischen ›Beratern‹ und sein eigenes Verhältnis zu seinem Dolmetscher, der des Deutschen weitgehend unkundig ist, bis zu dem für die damalige China-Berichterstattung klassischen Topos des Schmutzes. Ihn nimmt er zum Anlass, um seine Rolle als Journalist gegenüber den Hörern eindeutig zu definieren.

    »Ich hätte den Schmutz gar nicht erwähnt. Aber es scheint mir angebracht, weil so oft das Gegenteil behauptet wird und ich mich herausgefordert fühle, die Dinge so zu beschreiben, wie ich sie angetroffen habe und nicht, wie man sie denn so gern hätte.«⁷⁴

    In dieser Betonung, eben kein Meinungsjournalist, sondern ein Reporter des Tatsächlichen zu sein, schwingt deutlich der Bezug zu dem Konflikt mit, der ihn allererst wieder nach Hamburg geführt hatte. Denn ursprünglich sollte und wollte Menge von Moskau aus wieder nach Hongkong zurückreisen. In der russischen Hauptstadt angekommen entschied er sich jedoch anders: »Ich hatte das Gefühl: Du fährst besser nach Hamburg und haust dem Chefredakteur eine auf die Nuss. Da war schon zu viel Ärger aufgestaut.«⁷⁵

    Als Menge im Februar 1957 an der Alster eintraf, kündigte er als erstes bei der Welt. Danach arbeitete er als freier Journalist, primär für die Wochenzeitung Die Zeit und den NDR. Vor allem aber traf er sich mit seiner Brieffreundin. Die Hochzeit von Marlies Lüder und Wolfgang Menge fand am 7. Juni 1957 im Harvestehuder Standesamt statt. [Abb. 10] Für die Zeremo­nie lieh sich der Bräutigam den Trauring: »Weil – wie er sagte – er nie so ein Ding tragen würde«, erinnert sich Marlies Menge.⁷⁶ Zur Hochzeitsfeier schickte der befreundete Kabarettist Wolfgang Neuss einhundert rote Rosen. »Der Idiot weiß doch, dass wir morgen früh abreisen!«, schimpfte Menge.⁷⁷

    Nach den Flitterwochen zog das Paar in die Heide, nach Bensdorf. Doch als sich herausstellte, dass ihr im Februar 1958 geborener erster Sohn Moritz schwerbehindert war und in Spandau eine besonders fortschrittliche Behandlung für spastisch kranke Kinder existierte, siedelte die Familie 1961, wenige Monate vor dem Mauerbau, nach Westberlin über; zunächst nach Groß-Glienicke, 1964 dann nach Zehlendorf.⁷⁸

    Um diese Zeit beendete Wolfgang Menge seine Karriere als Journalist, der seinen Lebensunterhalt mit Beiträgen für Tages- oder Wochenzeitungen bestritt. Bis in seine letzten Lebensjahre sollte er zwar weiterhin non-fiktionale Text verfassen, doch nurmehr als Intermezzo und nebenbei. So pub­lizierte der begeisterte Koch – neben einer Vielzahl von Restaurantkritiken⁷⁹ – als Spätfolge seiner asiatischen Erfahrungen in den sechziger Jahren chinesische Kochbücher, von denen vor allem das zweite ein Werk von literarischer Qualität war.⁸⁰ 1971 erschien nach einjähriger Recherche sein Sachbuch-Bestseller Der verkaufte Käufer, ein »Leitfaden durch die Tricks und Taktiken der Verkaufsstrategen«, der, wie der Spiegel schrieb, »aus dumpfen deutschen Verbrauchern kritische Konsumenten machen« sollte.⁸¹ Ebenso gab Menge in den achtziger und neunziger Jahren Sachbücher zu seinen historischen Fernsehspiele heraus.⁸² Der Schwerpunkt seines Schaffens jedoch verlagerte sich um 1960, nach seiner Rückkehr aus Ostasien und mit seinem Umzug nach Berlin, ins Fiktionale und in die audiovisuellen Medien. Denn wie er, der widerwillig erwachsen gewordene Familienvater, später immer wieder betonte: »Journalism is for boys.«⁸³

    5 Film I: Adaptationen, Ironisierungen, dokumentarische Perspektiven⁸⁴

    1959 wurde Wolfgang Menge 35 Jahre alt, während die Bundesrepublik, in der er nun wieder arbeitete, ihren zehnten Geburtstag feierte. Allmählich zeitigten Wirtschaftswunder und Demokratisierung kulturelle Konsequenzen. Die alte Garde derjenigen, die Weimarer Republik, NS-Zeit oder Exil als Erwachsene erfahren hatten und dann die Anfänge der Bundesrepublik dominierten, erlebte die Konkurrenz und Opposition der nachfolgenden Hitlerjungen-Generation. 1959 war in dieser Hinsicht das Annus mirabilis, das Jahr einer Wende, die nicht zuletzt zu einer kritischeren Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nazi-Zeit führte. Literarisch zeigte sich das mit Heinrich Bölls Billard um halb zehn, dem ersten Band von Uwe Johnsons Jahrestage-Romanen und Günter Grass’ Die Blechtrommel.⁸⁵

    Ähnliche Veränderungen kündigten sich im deutschen Film an. Erfolg hatte seit den frühen 1950er Jahren gehabt, was die Realität der zerbombten Städte und zerstörten Leben radikal verleugnete: Heimat-, Arzt- und Schlagerfilme. Nun geriet dieses Unterhaltungskino in eine doppelte Krise, bedroht zum einen durch den Aufstieg des Fernsehens und zum anderen durch eine wachsende Unzufriedenheit gerade des jüngeren Publikums mit diesen deutschen Produktionen. Zwischen Mitte und Ende des Jahrzehnts fiel die Zahl der jährlichen Kinobesuche von 800 auf 600 Mio.⁸⁶Ökonomisch unter Druck gesetzt, reagierte die Branche einerseits mit Rückzug auf Bewährtes. Andererseits boten sich auf der Suche nach Marktlücken künstlerische Chancen. Werke wie Wir Wunderkinder, Hunde, wollt ihr ewig leben oder Die Brücke, die allesamt 1959 ins Kino kamen,⁸⁷ standen formal unter dem Einfluss des italienischen Neorealismus und der französischen Nouvelle Vague und stellten sich inhaltlich dem, was die Presse als ›jüngste Vergangenheit‹ zu umschreiben pflegte.

    »Ich fand Die Brücke hervorragend«, erinnerte sich Wolfgang Menge einmal.⁸⁸ Ende der fünfziger Jahre sah er zudem einen Film mit Sonja Ziemann: »Da wurde raffiniert gegengeschnitten. So etwas richtig Filmisches wollte ich unbedingt machen.«⁸⁹ Die Gelegenheit, das erste Drehbuch für einen Kinofilm zu schreiben, ergab sich durch die Bekanntschaft mit dem Regisseur Harald Philipp. Es ging um die Adaptation des Konsalik-Beststellers Strafbataillon 999.⁹⁰ »Ich habe die ersten zehn Seiten gelesen. Es war unerträglich! Dann habe ich einfach meinen eigenen Stoff gemacht.«⁹¹ Die Produktion war Teil einer Kriegsfilm-Welle, die mit der Wiederbewaffnung Deutschlands einsetzte, und sie war ziemlich schlecht.⁹² Doch der 1960 uraufgeführte Film zog weitere Aufträge nach sich, darunter die Adaptation eines anderen schlechten Romans: Der rote Kreis.⁹³ »Der Wallace war auch furchtbar. Diese Romane – wenn du einen mal gelesen hattest, kanntest du sie alle ...«⁹⁴ Menges Adaptation war nach einem Stummfilm aus dem Jahre 1929 die zweite Verfilmung der Roman-Vorlage und zugleich nach Der Frosch mit der Maske (1959) der zweite Edgar-Wallace-Film in einer langen Reihe der von Horst Wendlandt geleiteten Produktionsfirma Rialto-Film.⁹⁵ Bis 1972 sollten über 30 weitere Adaptationen folgen. Das routinierte Genre-Stück, das Menge ablieferte, bewies, wie schnell er sich das branchenübliche Handwerk angeeignet hatte.

    Schon mit dem nächsten Drehbuch, wiederum nach einem Wallace-Ro­man, demonstrierte er jedoch, wie gering sein Interesse war, Konfektionsware zu liefern. Bei Der grüne Bogenschütze⁹⁶ passte nicht mehr der Autor sich dem Stoff und er den Stoff wiederum filmischen Konventionen an. Stattdessen verfuhr Wolfgang Menge nach eigenen Interessen und Vorlieben und dabei höchst selbstironisch. Das Drehbuch offenbarte ein deutliches Talent zum intelligenten Witz wie zu formaler Innovation. Die rasant geschriebene Handlung – inszeniert von Jürgen Roland mit Gert Fröbe, Karin Dor und Klausjürgen Wussow – spielte mit den Konventionen des Genres bis hin zur Zerstörung filmischer Illusion. Sie begann bereits bei der narrativen Klammer: Eddi Arent in der Rolle des Reporters durchbricht die vierte Wand, indem er sich ein- und ausleitend direkt ans Publikum wendet. Die Dekonstruktion filmischer Konventionen setzt sich in einer Reihe von Frotzeleien fort, die immer wieder den Spielcharakter der Handlung in Erinnerung rufen. So kommentiert Eddi Arent, als in einer Dialogszene im OFF unmotiviert Schüsse fallen, mit Blick aus dem Fenster: »Da wird nur der nächste Wallace-Film gedreht.«

    Was heute postmodern wirkt, verstörte damals Teile des Publikums wie der Kritik. Auch dem deutschen Fernsehen der sechziger Jahre war derlei Unernst für massenhafte Abendunterhaltung zu gewagt: Lange Zeit wurde der Kinofilm nur stark geschnitten ausgestrahlt. Ivo Ritzer bezeichnet denn auch beide Wallace-Adaptationen, zu denen Wolfgang Menge das Drehbuch beisteuerte, als »paradigmatische Filme eines postklassischen Kinos«, die »ihr Publikum auf den Prüfstand stellen«, da sie »durch den Bruch mit Konventionen narrative Komplexität zum primären Telos des Erzählens« machen.⁹⁷ Dies trifft um ein Vielfaches mehr als auf Der Rote Kreis auf Der grüne Bogenschütze zu.

    Unter biografischer Perspektive fällt zudem Wolfgang Menges selbstiro­ni­sches Spiel mit der eigenen Britishness ins Auge. Beide Adaptationen – gedreht in Kopenhagen beziehungsweise bei Hamburg – spielen in einem fiktiv-zeitlosen Großbritannien und unter Engländern, bei denen es sich um bekannte deutsche Schauspieler in sichtlich karikierenden Varianten britischer Garderobe handelt. Die einschlägigen und deutlich aus stock footage eingeschnittenen Erkennungszeichen typisch britischer Urbanität und Ruralität mischen sich mit deutschsprachiger Schrift an Läden und Türen. »Beide Filme scheinen situiert in einer Form von Paralleluniversum, das sich aus stilistischen Idiosynkrasien und generischen Versatzstücken konstituiert«, schreibt Ivo Ritzer.⁹⁸ Was für die – von ihren Machern zugleich unter- und überzeichnete – Welt der beiden Filme gilt, betraf auch ihren Drehbuchautor und seine in

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