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Swiss Paradise: Ein autobiographischer Bericht
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Swiss Paradise: Ein autobiographischer Bericht

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About this ebook

"Das Lächerlichste auf der Welt: Hörer abheben, Nummer wählen, warten, bis sich am anderen Ende der Leitung eine Stimme meldet. Es ging nicht. Es ging einfach nicht."

Unvermittelt, an einem Tag wie jeder andere, muß Rolf Lyssy, der Generationen mit seiner Komödie "Die Schweizermacher" zum Lachen gebracht hatte, erkennen, daß nichts mehr funktioniert in seinem Leben. Er befindet sich in einer schweren Depression.

Der Meister der hellen Ironie und der lächelnden Kritik beginnt nach seiner Krankheit eine Reise in sein Innerstes, die ihn von der Emigration seiner jüdischen Großeltern aus Osteuropa nach Frankfurt und schließlich in die Schweiz führt. Aus Aufzeichnungen, die ihm die Mutter hinterlassen hat, erfährt er, daß seine schweizerische Geburt ihr Überleben bedeutete - während den Großeltern und den anderen Verwandten der rettende Paß verwehrt blieb. Sie wurden deportiert und ermordet.

Das vorliegende Buch ist Rolf Lyssys literarische Verarbeitung seiner Depression, seiner Regisseurenlaufbahn und der Geschichte seiner Vorfahren.

Pressestimmen
"Ein berührendes und mutiges Buch ..." Urs Widmer

"Mit ›Swiss Paradise‹ ist Lyssy ein vielschichtiges Buch gelungen." Die Zeit
LanguageDeutsch
Release dateJul 24, 2012
ISBN9783907625583
Swiss Paradise: Ein autobiographischer Bericht

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    Book preview

    Swiss Paradise - Rolf Lyssy

    Freunde

    Vorwort

    Rolf Lyssy hat ein berührendes und mutiges Buch geschrieben, das ich allen Leserinnen und Lesern ans Herz legen möchte. Er erzählt uns die Geschichte einer Depression, seiner Depression, und beschreibt ebenso genau wie unsentimental einen ihn überrumpelnden Bruch in der eigenen, eben noch so erfolgreichen und auch glücklichen Geschichte. Swiss Paradise ist der Bericht einer Reise ins Herz der eigenen Finsternis. Rolf Lyssy stürzte jäh in ein schwarzes, schier bodenloses Loch und entkam ihm ein halbes Jahr nicht mehr.

    Die Depression ist eine alle Lebenskräfte so sehr lähmende Erkrankung, eine Art Tod bei lebendigem Leibe, daß sie in der Regel keine klare Beschreibung durch den Kranken erfahren kann. Hier ist das Seltene gelungen. Rolf Lyssy gesundet, hat die Kraft und den Mut, sich den vergangenen Horror nochmals zu vergegenwärtigen. Er beschreibt, mit beteiligter Nüchternheit, seine Symptome und die Versuche der Ärzte, ihn von diesen zu befreien. Es gelingt ihm, neugierig und wohl immer noch erschrocken, von einer Zeit zu sprechen, die nicht weit zurückliegt und in der er weder zu Schrecken noch Neugier fähig war.

    Allein dies würde das Buch wertvoll und lesenswert machen. Es ist aber mehr als eine Kranken- und Gesundungsgeschichte, weit mehr. Vor allem enthält (und kommentiert) es einen autobiographischen Bericht der Mutter Rolf Lyssys, den dieser in ihrem Nachlaß fand. Wir lesen die vitale Lebensgeschichte einer deutschen Jüdin mit russischen Wurzeln, die es in jungen Jahren in die Schweiz verschlug. Durch ihren Bericht gewinnt das Buch ein gewaltiges Stück Welthaltigkeit hinzu. Seine eigene Geschichte wird unversehens ein Teil der Zeitgeschichte und natürlich, in erster Linie, ein Teil der Geschichte der Juden in diesem für sie besonders unseligen vergangenen Jahrhundert. Die Geschichte der Mutter, voller Lebenskraft und mit Witz geschrieben, ruft ein weiteres Mal und dennoch in neuer Beleuchtung die Leiden der Juden in Deutschland (und anderswo) in Erinnerung. Der (affektive, nicht materielle) Reichtum ihrer weitverzweigten Familie wird wunderbar deutlich, auch deren Macken und Defizite. Ihr Sohn, sagt die Mutter, habe ihr das Leben gerettet: Ohne ihre Schwangerschaft und die Heirat mit Lyssys Vater im Jahre 1936 wäre sie nach Deutschland ausgewiesen worden und hätte wohl das Schicksal ihrer Familie erlitten, das in diesem Fall Minsk hieß und genauso den Tod bedeutete wie für andere Auschwitz oder Birkenau. Und so wird Rolf Lyssy für uns, während wir sein Buch lesen, mehr und mehr auch ein jüdischer Künstler, und wir erinnern uns mit aller Deutlichkeit, daß ihn immer wieder jüdische Themen bewegt haben: 1974 ein erstes Mal deutlich, als er in Konfrontation die Geschichte David Frankfurters erzählte, jene Rabbinersohns aus Kroatien, der 1936 den Landesgruppenleiter der NSDAP in Davos, Wilhelm Gustloff, erschossen hatte und dafür von einem Gericht in Chur zu achtzehn Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. Oder dann, vor wenigen Jahren erst, als er das einfühlsame Porträt seines Bruders drehte (Ein Trommler in der Wüste, 1991) und es unversehens zur Studie eines Lebens in Israel werden ließ.

    Ja, Rolf Lyssy ist ein Filmemacher (sein bekanntester Film, ein regelrechter Knüller, ist Die Schweizermacher, 1978; Leo Sonnyboy, 1989, und vor allem Teddy Bär, 1983, mein Lieblingsfilm unter Lyssys Filmen, stehen diesem in nichts nach), und darum ist sein Buch auch eines über das Filmemachen. Das Filmemachen in der Schweiz. Der Auslöser seines Sturzes in den Abgrund war ja, Hand in Hand mit der Trennung von seiner Frau, das Scheitern eines Films. »Swiss Paradise« hätte er heißen sollen; nun hat das Buch seinen Titel geerbt. Daß, wie und warum »Swiss Paradise« scheiterte, ist eine spannende Ebene dieses Buchs. Hier, beim Thema Film, wird Rolf Lyssy durchaus polemisch und aggressiv, gottseidank. Auch wenn er – beinahe hätte ich gesagt: in gut protestantisch- zürcherischer Tradition – die Schuld auch bei sich sucht, so zeigt er doch, daß diese Schuld mindestens sosehr im Zustand der helvetischen Filmförderung liegt. Es ist in der Tat schwer nachzuvollziehen, wie es möglich war, daß die zuständigen Gremien immer erneut die Drehbücher zurückwiesen, die Lyssy ihnen vorlegte; auch wenn sie dann zusehen konnten, wie diese, dennoch realisiert, erfolgreich wurden. (Auch das Drehbuch der Schweizermacher war abgelehnt worden.) Ein Filmemacher in der Schweiz muß offenkundig sehr robust sein, und er muß Kränkungen noch besser aushalten können als andere Künstler in diesem Land, in dem viele auch in den Künsten das Pädagogische und den Konsens suchen. Rolf Lyssy ist ja denn auch nicht der einzige Filmemacher, der in und an der Schweiz schier verzweifelt. Kurt Gloor ist nur der, meines Wissens, letzte in einer langen Reihe von Filmkünstlern, die sich umbrachten oder sonstwie elend untergingen.

    Es ist ein Jammer, daß »Swiss Paradise« nicht gedreht worden ist und wohl, weil inzwischen zu vieles geschehen ist, tatsächlich nicht mehr gedreht werden wird. »Swiss Paradise« hätte eine Art Schweizermacher zwanzig Jahre danach werden können, mit den gleichen Helden an einem anderen Ort, in einer veränderten Zeit. Rolf Lyssys Filme haben mir immer besonders gut gefallen, weil sie sehr genau ihren Ort und ihre Zeit definieren. Rolf Lyssy hat stets Ungenauigkeiten abgelehnt, nur weil dann ein größeres Publikum erreicht werden könnte. So sprechen die Menschen eben, wenn ein Film in der Schweiz spielt, ihren Dialekt, kein allgemein verbindliches Bühnendeutsch. »Swiss Paradise«, der zu einem guten Teil in den USA hätte spielen sollen, wäre also ein schweizerdeutsch- englischer Film geworden, in dem die Indianer – ein von Indianern betriebenes Spielkasino spielt eine Rolle – gewiß auch hie und da ihr eigenes Idiom gesprochen hätten. Rolf Lyssy hat nie nach dem größtmöglichen Vielfachen geschielt, und genau deshalb sind ihm einige Filme gelungen, die die große Menge sehr wohl erreicht haben.

    C.G. Jung hat die Depression »eine Dame in Schwarz« genannt, die man nicht wegweisen solle. »Nein, die Depression ist keine Dame in Schwarz«, sagt dagegen Rolf Lyssy mit guten Gründen. »Sie ist vielmehr ein Krake, der plötzlich aus den Tiefen hervorsteigt, die Seele von Körper und Geist abkoppelt, alle Gefühlszugänge blockiert, sich mit seinen Fangarmen festsaugt, einen umschlingt und zu ersticken droht. Man schnappt hilflos nach Luft, zappelt, will reden, aber es geht nicht. Gelingt es einem, sich irgendwo festzuhalten, bevor man von diesem Monster in die Tiefe gezogen wird, dann besteht Hoffnung auf Rettung. Mir war es in der Tat gelungen, mich festzuhalten, obwohl ich nicht sagen könnte, wie und wo. Vielleicht hatte ich einfach nur unfaßbares, unbeschreibliches Glück gehabt.«

    Urs Widmer

    1

    Ich hätte mich ohrfeigen können. Freiwillig war ich in die Klinik eingetreten, auf Anraten meines Psychiaters Dr. K. Zuvor hatten wir es drei Monate lang mit ambulanter Gesprächstherapie und Psychopharmaka versucht. Vergeblich.

    Am Donnerstag hatte sich mein Zustand massiv verschlechtert: Die Angst und das zwanghafte Grübeln waren kaum mehr zu ertragen. Ich tigerte in der Wohnung herum, schlug zwischendurch immer wieder verzweifelt den Kopf an einen Türrahmen, um das wahnsinnige Rotieren der wirren, unkontrollierten Gedanken zu stoppen. Ich machte das täglich, schon seit Wochen. Ein Wunder, daß mein Schädel noch keinen Schaden genommen hatte. Mir graute vor den bevorstehenden Pfingstfeiertagen: leere Tage, Alleinseinstage.

    In einem Anflug von Klarheit beschloß ich, mich selbst einzuliefern, in die Klinik, die ich zwei Wochen vorher schon einmal vorsorglich begutachtet hatte. Wenn schon Klinik, dann wollte ich zuerst sehen, was mich erwarten würde. Die wohlgemeinten Ratschläge meiner Freunde hatten mich zusätzlich verunsichert. Die einen plädierten für einen sofortigen Klinikaufenthalt, andere sprachen sich mit Vehemenz dagegen aus. Einmal der Klinikpsychiatrie ausgeliefert, würde ich für immer stigmatisiert sein, sagten die einen. Und die anderen gaben mir zu bedenken, daß nur geschultes Fachpersonal mir helfen konnte. Ich fühlte mich nach wie vor nicht krank. Ich hatte ein Arbeitsproblem, aber ich war nicht krank. Oder doch? Seit beinahe drei Monaten quälte ich mich durch die Tage. Ich konnte die Klinikfrage nicht länger hinausschieben und ich wußte, niemand würde mir einen Entscheid abnehmen, auch wenn ich mir das noch so wünschte. Ich fühlte mich wie das Kind in Brechts Kaukasischem Kreidekreis, das von den zwei Müttern beinahe auseinandergerissen wird. Was mir aber, so absurd es klingen mag, am meisten zu schaffen machte, waren tonnenschwere Schuldgefühle gegenüber meinen Freunden. Mich für oder gegen einen Klinikaufenthalt zu entscheiden, empfand ich den einen oder den anderen gegenüber als unloyal. Dies alleine zeigte schon, wie sich mein Gefühlshaushalt völlig jenseits eines normalen Empfindens bewegte. Aber wie immer ich mich entscheiden würde, ohne mir selber ein Bild von der Situation in der Klinik gemacht zu haben, glaubte ich nicht fähig zu sein, überhaupt zu einem Schluß zu kommen. Und so hatte mich Oberarzt Dr. B., von Dr. K. über meinen Zustand informiert, durch die Station geführt, mir die Zimmer und Aufenthaltsräume gezeigt und mit ernster Miene zu verstehen gegeben, daß ich unter einer sehr schweren Depression litt. Er empfehle mir, so rasch als möglich in die Klinik einzutreten. Ich wunderte mich. Wie konnte er wissen, daß ich eine schwere Depression hatte? Ich wußte, daß ihn mein Arzt über meinen Zustand aufgeklärt hatte, aber er hatte doch kaum mit mir gesprochen. Sah man mir das an? Sah er in mich hinein? War er wirklich der kompetente Seelenarzt, den man mir empfohlen hatte? Vielleicht würde er mir helfen können. Seinem Mienenspiel war deutlich anzusehen, wie ungern er mich wieder gehen ließ. Doch prompt machten sich erneut Widerstände in mir bemerkbar. Was würde er mit mir alles anstellen? Ich war ja schon lange nicht mehr in der Lage zu argumentieren. Ich wußte, ich konnte seinem Willen und seiner Erfahrung nichts entgegensetzen. Ich würde ihm ausgeliefert sein, und meine Widerstände verwandelten sich in Angst. Ich verabschiedete mich von Dr. B. und versprach ihm, daß ich mit Dr. K. über einen möglichen Klinikaufenthalt nochmals reden würde. In meinem Innern aber dachte ich, daß es unter keinen Umständen in Frage kam. Jetzt nicht und auch später nicht. Nie. Nicht für mich.

    2

    Begonnen hatte alles drei Monate zuvor, Mitte Februar 1998. Eines Tages schoß ein Kugelblitz mit ungeheurer Gewalt durch meinen Kopf und durchtrennte mit einem Schlag alle Kommunikationswege im Gehirn. Zerstückelt, zerrissen, verbrannt, lahmgelegt – die dramatische Folge einer fatalen Fehlgeburt. Ich hatte einsehen müssen, daß die auf den Sommer des gleichen Jahres geplante Produktion meines neuen Spielfilms, einer Komödie mit dem Titel »Swiss Paradise«, nicht zustande kommen würde. Es gab verschiedene Gründe: Zum einen war es dem Produzenten nicht gelungen, die Finanzierung sicherzustellen, zum andern entdeckte ich bei der letzten Drehbuchüberarbeitung derart gravierende Mängel, die mir früher nie aufgefallen waren, so daß an eine Realisierung des Films zum vorgesehenen Termin nicht mehr zu denken war.

    Über drei Jahre hatte ich mich in dieses Projekt geradezu verbissen, wollte mit dem Kopf durch die Wand, auch aus Gewohnheit, weil man in diesem Land, will man einen Film realisieren, gezwungen wird, diesen Weg zu gehen: straight through the wall. Nur diesmal war es anders. Alle Mühen, alle Hoffnungen waren vergeblich gewesen: Das Buch, an dem ich mit Christa M., Autorin und Filmemacherin aus Berlin, und Georg J., Cutter und Regieassistent dreier meiner früheren Spielfilme, geschrieben hatte, war in dieser Form unbrauchbar. Ich ahnte, nein, ich hatte tief in mir die Gewißheit, daß der Film das Licht der Leinwand wohl nie erblicken würde. Trotzdem machte ich mit Christoph S., dem vorgesehenen Produktionsleiter, in der ersten Märzwoche eine Rekognoszierungsreise nach New Glarus, America’s Little Switzerland, wie sich der Ort im US-Bundesstaat Wisconsin nennt. In diesem idyllischen amerikanischen ›Schweizerdorf‹ sollte der Film spielen. Dadurch, daß ich nicht alleine reiste, wurde ich zwar etwas abgelenkt, blieb aber innerlich hin- und hergerissen zwischen der Gewißheit, daß der Film nicht zustande kommen würde, und einer illusorischen Hoffnung, daß es vielleicht doch noch klappen könnte, obwohl aus meiner Sicht nichts mehr dafür sprach. Absolut gar nichts.

    Eine Woche wollten wir in New Glarus bleiben. Anschließend sollte Christoph nach Hause zurückfliegen, während ich noch einige Tage bei meinem Sohn Elia, der in New York lebt und arbeitet, verbringen wollte. Als ich am Tag nach unserer Ankunft mit Christoph durch den Ort spazierte, um ihm mögliche Drehortezu zeigen, sank meine Stimmung auf einen absoluten Tiefpunkt. Plötzlich schien alles so sinnlos. Ich glaubte an nichts mehr und fühlte nichts mehr. Ich hatte nur den einen Wunsch, so rasch als möglich wieder abzureisen. Gleichzeitig war mir bewußt, daß ich das Christoph nicht antun konnte und dem Besitzer des Hotels, das eine wichtige Rolle im Film haben sollte, schon gar nicht, denn dieser bemühte sich, uns den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Ich hatte nicht den Mut, ihnen zu gestehen, daß ich nicht mehr an das Projekt glaubte. Ihr Engagement und ihr Optimismus konnten meine unaufhaltsame verzweifelte Fahrt ins Nirgendwohin nicht aufhalten.

    Ich kam mir vor wie auf einer Folterbank, gefesselt, hilflos Schuldgefühlen, Gewissensbissen und abgrundtiefen Ängsten ausgeliefert. Ich haderte mit mir, weil ich unfähig gewesen war, das Steuer dieses langjährigen, mühseligen, verfahrenen Filmprojekts rechtzeitig herumzureißen. Christoph konnte nicht wissen, wie es in mir aussah. Ohne in Einzelheiten zu gehen, versuchte ich ihm verständlich zu machen, daß ich nicht in der Lage sein würde, im Hinblick auf die Realisierung Entscheide zu fällen. Er nahm es relativ gelassen, sagte, daß er genug zu erledigen hätte, ohne daß ich mich daran beteiligen müßte. Das war zwar gut gemeint, änderte jedoch an meiner seelischen Verfassung nichts. Christoph erklärte sich außerdem bereit, mit mir das Drehbuch im Hinblick auf Verbesserungen nochmals durchzugehen, und ich willigte ein. Vielleicht, mit seiner Hilfe, die Schwachstellen eliminieren und dann doch…?

    Das Hotel, in dem wir wohnten, bestand aus zwei sehr großen Chalets. In der Filmgeschichte waren die beiden Häuser sozusagen das Objekt der Begierde und die Handlung war folgende: Max Bodmer, der Kantonspolizist aus meinem Film Die Schweizermacher, erbt zur Hälfte von seiner im Alter von neunzig Jahren verstorbenen Tante das Hotel Landhaus in New Glarus. Als Dank für die gute Arbeit hat die Besitzerin die andere Hälfte ihrem Hotelmanager Norbert Hagmann vererbt. Hagmann war zehn Jahre zuvor aus der Schweiz nach New Glarus eingewandert. Nun lernt er eines Tages seinen Erbpartner Bodmer kennen, der mit einer Reisegruppe aus der Schweiz im Hotel abgestiegen ist, um sich zuerst einmal inkognito ein Bild zu machen. Verärgert stellt Bodmer fest, daß sich in diesem ›Schweizer‹ Hotel mehr indianische als schweizerische Einrichtungsgegenstände befinden. Zudem ist Hagmann, ein großer Indianerfan, mit einer Indianerin verlobt, deren Bruder in der Nähe von New Glarus ein Spielkasino führt. Hagmann sieht sich bald mit unerhörten Forderungen Bodmers konfrontiert. Und damit beginnt der ›Leidensweg‹ der beiden ungleichen Erben. Hier der bodenständige frustrierte Ex-Polizist und dort der aufgeschlossene, modern denkende Manager. Daß das auf die Dauer nicht gutgehen kann, versteht sich von selbst. Und als sich dann im Laufe der Handlung eine reiche amerikanische Witwe, mit einer offensichtlichen Schwäche für gestandene Schweizermänner, in Bodmer verliebt, läuft erst recht nicht mehr alles so, wie es einmal ursprünglich geplant war. Das war der Ausgangspunkt zu einer Komödie, bei der es mittlerweile nichts mehr zu lachen gab. Wir setzten uns zusammen, überlegten, diskutierten, schrieben auf und verwarfen wieder, noch einmal von vorne … Es half nichts. Das Handlungsgefüge der Geschichte und damit deren Glaubwürdigkeit waren nach meinem Empfinden auseinandergebrochen. Der Karren mit der Szenenfolge, den Figuren und ihren Dialogen war zu tief im Schlamm eingesunken, als daß er sich noch hätte herausziehen lassen. Ich sehnte das Ende der Woche herbei.

    Am Samstag war es soweit. Christoph verabschiedete sich am Morgen und fuhr mit dem Mietwagen nach Chicago, von wo er gleichentags zurück in die Schweiz flog. Rechtzeitig, denn im Laufe des Nachmittags wurde das Land von einer riesigen Ladung Vorfrühlingsschnee zugedeckt.

    Tags darauf kam Elia, der in der gleichen Woche in Milwaukee einen Werbespot für Miller’s Beer gedreht hatte. Am Abend saßen wir in der Pizzeria des Hotels und ich berichtete ihm ausführlich über die vergangenen Tage. Ich mußte davon reden, das war ich ihm schuldig, denn schließlich hatten wir geplant, daß er bei meinem Film hinter der Kamera stehen würde. Ich erzählte ihm von meiner Verzweiflung, vom sinnlosen Umherirren in New Glarus, von den vergeblichen Bemühungen, mit Christoph Verbesserungen am Buch anzubringen. Er sprach mir Mut zu und war überzeugt, daß es trotz aller momentanen Schwierigkeiten sicher noch Möglichkeiten gäbe, den Film zu retten. Ich wollte ihn nicht enttäuschen und widersprach ihm nicht. Ich hatte auch nicht die Kraft dazu. Ich fühlte mich leer. Im Kopf und im ganzen Körper.

    Am andern Tag – der Winter hatte die Gegend weiterhin eisig im Griff – fuhr uns der Hotelbesitzer frühmorgens zum Flughafen von Madison. Es sollte eine Reise voller Tücken werden. Da der Flughafen von Chicago geschlossen war, waren wir gezwungen, mit einer andern Fluggesellschaft als der ursprünglichen über Detroit nach New York zu fliegen. Elia mußte seine ganze Überzeugungskraft bei der Dame am Check-in einsetzen, um zwei Plätze für die nächste Maschine zu bekommen. In Detroit verpassten wir den Anschlußflug, weil wir beide vergessen hatten, daß wir über eine Zeitzone geflogen waren – eine Folge der intensiven Gespräche darüber, was in den letzten Monaten geschehen war: die Trennung von Dominique, meiner Frau, im Herbst 97, die für Außenstehende, auch wenn sie uns noch so gut kannten, völlig überraschend kam und nur schwer nachvollziehbar war. Ich sprach von meiner über Jahre dauernden Unlust und Gleichgültigkeit, die sich in unserer Ehe fast unbemerkt eingeschlichen hatte, von der Unfähigkeit, darüber zu reden, aus falscher Angst, dem Partner zu nahe zu treten, ihn womöglich unbeabsichtigt zu verletzen. Das fatale Festhalten an der trügerischen Hoffnung, es würde sich alles von selber regeln. Unsere Ehe war nicht gescheitert, weil wir den Respekt zueinander verloren hatten, sondern weil wir uns, so paradox es klingen mag, mit zuviel Respekt begegneten. Zuviel Respekt als Deckmantel vor dem eigenen Unvermögen, Konflikte offen und ehrlich auszutragen. Trotz meines lamentablen Zustandes drängte es mich, Elia über den Sachverhalt so gut ich konnte aufzuklären. Ich wollte nicht, daß Dominique in seinen Augen als Alleinschuldige dastand. Das wäre mir zu simpel gewesen. Es war ja nicht nur die unbefriedigende Situation in unserer Ehe, die mich zunehmend belastet und schließlich in diese geistig-seelische Totalblockade, genannt Depression, getrieben hatte. Unbefriedigend und zermürbend im höchsten Maß war auch das über Jahre dauernde Hin und Her um »Swiss Paradise«. Einerseits hatte die zweimalige Rückweisung des Projektes durch den Begutachtungsausschuß der Eidgenössischen Filmkommission die Suche nach zusätzlichen Finanzierungsquellen immer wieder hinausgezögert, anderseits war das Drehbuch aber auch von zwei deutschen Fernsehstationen zurückgewiesen worden, mit der Begründung, für diese bilinguale (Dialekt und Englisch) Schweizer Komödie würde sich kein deutsches Publikum finden. Dieses fragwürdige Argument kannte ich seit Jahrzehnten. Jedes meiner Drehbücher, von Konfrontation über Die Schweizermacher und Teddy Bär bis zu Leo Sonnyboy, war jeweils von deutschen Fernsehanstalten genau aus diesem Grund abgelehnt worden. Waren dann allerdings die Filme produziert, konnten sie nicht schnell genug angekauft werden. Durch die deutschen Absagen war die Finanzierung des »Swiss Paradise«- Projekts in Frage gestellt.

    Doch die Geldsuche war nur das eine Problem, das andere war der Produzent selbst. Seine rosarot gefärbten Versprechungen, trotz belastender Hypotheken aus seinen früheren Produktionen die Restfinanzierung in absehbarer Frist auf die Beine zu stellen, blieben, was sie von Anfang an waren: Seifenblasen. Ich mußte mich aber auch selbst an der Nase nehmen, hatte ich doch meine Bedenken über seine Fähigkeiten als Produzent fahrlässig zur Seite gewischt und ihm nie klar gesagt, daß er ohne Zweifel in der Lage sei, die Arbeit eines Produktionsleiters zu bewältigen, als Produzent jedoch zuwenig Know-how besitze, um sich auf dem Kampffeld der nationalen und internationalen Filmszene erfolgreich zu behaupten. Ich hätte mich längst von ihm trennen müssen, denn seine Selbstüberschätzung war mir schon nach ein paar Monaten Zusammenarbeit bewußt geworden. Aber, so wie in der Beziehung zu meiner Frau, überließ ich auch in der Beziehung zu meinem Produzenten das Boot, in dem wir beide saßen, dem Zufall des Wellenspiels und wartete auf irgendeine Entscheidung, die wer immer auch treffen würde, nur nicht ich. Was war es denn, das mich hinderte, das Steuer selbst in die Hand zu nehmen? Vorsicht? Rücksicht? Unentschlossenheit? Unsicherheit? Ich denke, es war nichts anderes als Angst. Angst um die Beziehung, Angst um den Film, Angst um die Zukunft, Angst um mich selber. Falsche Angst. Gefährliche Angst.

    Auch wenn es alles andere als erfreuliche Gedanken waren, mit denen ich Elia konfrontierte, so zeigte er viel Verständnis und versuchte mir, trotz aller Schwierigkeiten, ein Gefühl von Hoffnung zu geben. Er konnte nicht wissen, daß meine Verzweiflung jede Form von Hoffnung im Keim erstickte.

    Als wir schließlich abends um sechs wohlbehalten auf dem regnerischen New Yorker La Guardia Airport landeten, sandte ich ein Dankgebet zum Himmel, daß ich diese Reise nicht alleine hatte machen müssen. Meine innere Auflösung war so weit fortgeschritten, daß ich mich wie ein verängstigter, zittriger Greis fühlte. Die Angst war mittlerweile meine ständige Begleiterin. Die vier Tage in New York ertrug ich trotz meines angeschlagenen Zustandes wider Erwarten gut. Elia hatte eine interessante Kameraarbeit hinter sich und wir diskutierten stundenlang über gestalterische Fragen. Ich freute mich mit ihm und mein Vaterstolz verdrängte für kurze Zeit meine Verzweiflung.

    Er hatte in die Tat umgesetzt, wovon ich vor fast vierzig Jahren kurz geträumt hatte, nämlich mit einer farbigen Frau in Amerika zusammenzuleben und Filme zu realisieren. Ich

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