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Die politische Ökonomie des Rentners: Die Wert- und Profittheorie der österreichischen Schule (1919)
Die politische Ökonomie des Rentners: Die Wert- und Profittheorie der österreichischen Schule (1919)
Die politische Ökonomie des Rentners: Die Wert- und Profittheorie der österreichischen Schule (1919)
Ebook279 pages3 hours

Die politische Ökonomie des Rentners: Die Wert- und Profittheorie der österreichischen Schule (1919)

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Nikolaj Bucharin (1888-1938), russischer Revolutionär, sowjetischer Politiker, Mitglied des ZK der KPdSU und der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Er war einer der führenden Wirtschaftswissenschaftler der kommunistischen Partei. Nach langjähriger Zusammenarbeit mit Stalin wurde er am 3. März 1938 unter absurden Beschuldigungen zum Tode veru

LanguageDeutsch
Release dateDec 19, 2020
ISBN9782369602675
Die politische Ökonomie des Rentners: Die Wert- und Profittheorie der österreichischen Schule (1919)

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    Die politische Ökonomie des Rentners - Nikolai Bucharin

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    N. Bucharin

    Die politische Ökonomie des Rentners

    (Die Wert- und Profittheorie der österreichischen Schule)

    (1919)

    2. Auflage 2020

    Embres-et-Castelmaure

    Monda Asembleo Socia (MAS)

    2020

    ISBN 978-2-36960-266-8

    (= MAS-libro n-ro 263)

    Diese Ausgabe folgt dem Text in:

    Marxistische Bibliothek, Werke des Marxismus-Leninismus, Band 2, 1926.

    Einzige vom Verfasser autorisierte Übersetzung von Dr. Anna Lifschitz.

    Transkription u. HTML-Markierung: Einde O’Callaghan für Marxists’ Internet Archive.

    Diese zweite Ausgabe dieses Titels in deutscher Sprache erfolgt anläss­lich des gleichzeitigen Erscheinens seiner Esperanto-Übersetzung (aus dem Russischen Original übersetzt von Jurij Finkel) in unserem Verlag: Nikolao Buĥarin: Politika ekonomio de rentuloj. La teorio pri valoro kaj profito de la aŭstra skolo. Embres-et-Castelmaure, Monda Asembleo Socia (MAS), 2020, ISBN 978-2-36960-262-0; (epub: 978-2-36960-263-7).

    Vorwort zur russischen Ausgabe

    Die vorliegende Arbeit wurde bereits im Herbst 1914 vollendet, d. h. zu Beginn des Weltkrieges. Das Vorwort ist im August/Sep­tember desselben Jahres geschrieben.

    Mich beschäftigte seit langem der Gedanke, eine systematische Kritik der theoretischen Ökonomie der neuesten Bourgeoisie zu geben. Zu diesem Zweck ging ich nach Wien, nachdem es mir geglückt war, aus der Verbannung zu entkommen; ich hörte dort Vorlesungen von Böhm-Bawerk, dem nun verstorbenen Professor an der Wiener Universität. In der Wiener Universitätsbibliothek studierte ich die Literatur der österreichischen Theoretiker. Es gelang mir aber nicht, die Arbeit in Wien zu beenden, da die öster­reichische Regierung mich vor Ausbruch des Krieges auf einer Festung einsperren ließ, während die Hüter der Ordnung das Manuskript einer sorgfältigen Prüfung unterwarfen. In der Schweiz, nach der ich ausgewiesen wurde, konnte ich in der Lausanner Universitätsbibliothek an Ort und Stelle die „Lausanner Schule" (Walras) und die älteren Volkswirtschaftler studieren und somit die Grenznutzentheorie bis auf ihre Wurzel verfolgen. Dort habe ich mich auch mit den englisch-amerikanischen Volkswirt­schaftlern eingehend beschäftigt. Politische Tätigkeit führte mich nach Stockholm, wo die königliche Bibliothek und die besondere volkswirtschaftliche Bibliothek der Handelshochschule mir die Möglichkeit gaben, mein Studium der neueren bürgerlichen Nationalökonomie fortzusetzen. Meine Verhaftung und Auswei­sung nach Norwegen versetzten mich in die Bibliothek des Nobel-Instituts in Christiania; nach meiner Übersiedlung nach Amerika konnte ich nun an Ort und Stelle in der Neuyorker öffentlichen Bibliothek die amerikanische volkswirtschaftliche Literatur noch ausführlicher kennen lernen.

    Das Manuskript war in Christiania lange Zeit unauffindbar, und nur dank den energischen Bemühungen meines Freundes, des norwegischen Kommunisten Arvid C. Hansen, wurde es gefunden und im Februar 1919 nach Sowjetrussland gebracht. Ich habe ihm jetzt nur einige Bemerkungen und Anmerkungen hinzugefügt, die sich hauptsächlich auf die anglo-amerikanische Schule und die neueren Erscheinungen überhaupt beziehen.

    Das die äußere „Geschichte" dieser Arbeit. Was das Wesen der Sache betrifft, so lässt sich darüber folgendes sagen:

    Bis jetzt kannte man im marxistischen Lager hauptsächlich zwei Arten der Kritik der neuesten bürgerlichen Volkswirtschafts­lehre: entweder war es eine ausschließlich soziologische Kritik oder eine ausschließlich methodologische. Man stellte z. B. fest, dass das betreffende theoretische System mit einer bestimmten Klassenpsychologie verwandt ist, und damit war die Sache erledigt. Oder aber man wies darauf hin, dass gewisse methodolo­gische Grundlagen, das Herantreten an das Problem unrichtig sei, und hielt es deshalb für überflüssig, eine ausführliche Kritik der „inneren" Seite des Systems zu geben.

    Gewiss, wenn man davon ausgeht, dass nur die Klassentheorie des Proletariats objektiv richtig sein kann, so genügt, streng genommen, schon die Aufdeckung des bourgeoisen Charakters der betreffenden Theorie allein, um diese Theorie abzulehnen. Im Grunde genommen ist es auch so, denn der Marxismus beansprucht Allgemeingültigkeit eben gerade deshalb, weil er der theoretische Ausdruck der fortschrittlichsten Klasse ist, deren „Ansprüche" auf Erkenntnis viel kühner sind, als die konservative und infolgedessen auch beschränkte Denkweise der herrschenden Klassen der kapitalistischen Gesellschaft es ist. Trotzdem ist es klar, dass man diese Richtigkeit gerade im Kampfe der Ideologien untereinander beweisen muss, und zwar durch die logische Kritik der uns feindlichen Theorien. Und so entbindet uns die soziologische Charakteristik einer Theorie keineswegs von der Pflicht, den Kampf gegen sie auch auf dem Boden der reinen logischen Kritik zu führen.

    dasselbe gilt auch für die Kritik der Methode. Sicherlich wirft die Feststellung, dass der Ausgangspunkt der methodologischen Grundlagen falsch ist, das ganze theoretische Gebäude über den Haufen. Indes fordert der Kampf der Ideologien, dass man die Unrichtigkeit der Methode an den falschen TeilSchlussfolgerungen des Systems nachweist, und zwar kann man entweder auf die inneren Widersprüche des gesamten Systems hinweisen oder auf seine Unvollständigkeit, auf seine organische Unfähigkeit, eine Reihe für die betreffende Disziplin wichtiger Erscheinungen zu erfassen und zu erklären.

    Daraus folgt, dass der Marxismus eine ausführliche Kritik der neuesten Theorien geben muss, die sowohl die soziologi­sche als auch die methodologische Kritik mit einschließt, gleichzeitig aber auch eine Kritik des ganzen Systems bis in alle seine Verästelungen ist. So hat auch Marx das Problem gegenüber der bürgerlichen politischen Ökonomie gestellt (siehe seine Theorien über den Mehrwert).

    Während die Marxisten sich gewöhnlich auf eine soziologi­sche und methodologische Kritik der österreichischen Schule beschränkten, kritisierten die bürgerlichen Gegner dieser Schule sie hauptsächlich vom Standpunkt der Unrichtigkeit einzelner Schlussfolgerungen. Nur der fast alleinstehende R. Stolzmann hat versucht, eine ausführliche Kritik Böhm-Bawerks zu geben.

    Sofern einzelne Grundgedanken dieses Autors eine gewisse theoretische Verwandtschaft mit dem Marxismus aufweisen, ist unsere Kritik der „Österreicher der Stolzmanns ähnlich. Ich hielt es für notwendig, diese Übereinstimmung beider Kritiken auch in den Fällen hervorzuheben, in denen ich zu denselben Schlussfol­gerungen kam, noch ehe ich Stolzmanns Arbeit kennen lernte. Indessen stützt sich Stolzmann bei all seinen Vorzügen auf eine ganz unrichtige Auffassung der Gesellschaft als eines „Zweckge­bildes. Nicht umsonst verteidigt sich R. Liefmann, ein sehr wichtiger Anhänger der österreichischen Schule, die er vertiefte und deren Besonderheiten er schärfer hervorhob, gegenüber Stolzmann, indem er dessen Teleologie bekämpft. Dieser teleo­logische Standpunkt, zusammen mit den ausgesprochenen apologetischen Tönen, gestattet Stolzmann nicht, seiner Kritik der österreichischen Schule einen entsprechenden theoretischen Rahmen zu geben. Diese Arbeit können nur Marxisten leisten, und einen Versuch in dieser Richtung stellt die vorliegende Arbeit dar.

    Die Auswahl des Gegenstandes unserer Kritik braucht wohl nicht des längeren erörtert zu werden. Es ist allgemein anerkannt, dass der stärkste Gegner des Marxismus eben die österreichische Schule ist.

    Es kann sonderbar erscheinen, dass ich meine Arbeit in einer Zeit des tobenden Bürgerkrieges in Europa veröffentliche; indes haben sich die Marxisten nie verpflichtet, ihre theoretische Arbeit einzustellen, auch nicht zur Zeit der schärfsten Klassenkämpfe, wenn nur die physische Möglichkeit für eine derartige Arbeit vorhanden ist. Viel ernster wäre die Erwiderung, dass es doch mindestens unsinnig sei, die kapitalistische Theorie zu widerlegen, wenn Objekt und Subjekt dieser Theorie jetzt in den Flammen der kommunistischen Revolution untergehen. Aber auch eine solche Erwiderung wäre nicht stichhaltig, weil zum Verständnis der gegenwärtigen Ereignisse die Kritik des kapitalistischen Systems äußerst wichtig ist. Und sofern eine Kritik der bürgerlichen Theorien den Weg dazu ebnet, behält sie auch Erkenntniswert.

    Noch einige Worte über die Form der Darstellung. Ich habe mich bemüht, möglichst kurz zu sein, wodurch wahrscheinlich die relative Schwierigkeit der Darstellung verursacht worden ist. Anderseits habe ich viel zitiert, sowohl die Österreicher als auch die Mathematiker, die Anglo-Amerikaner usw. Gegen eine solche Art der Darstellung besteht in unseren marxistischen Kreisen große Abneigung, als gegen eine rein äußerliche „Gelehrsamkeit". Trotzdem hielt ich es für notwendig, einige Belege aus der historischen Literatur anzuführen, die die Leser in den Gegenstand einführen und die Orientierung erleichtern könnten. Die Feinde kennen zu lernen ist keineswegs überflüs­sig, umso weniger, als man sie bei uns wenig kennt. Dabei gebe ich in den Fußnoten in nuce zugleich parallel eine systematische Kritik der anderen Abzweigungen des bürgerlichen theoreti­schen Denkens.

    Ich möchte an dieser Stelle meinem Freunde, Jurij Leoni­dowitsch Pjatakow, mit dem ich öfter Fragen der theoretischen Nationalökonomie erörtert habe und der mir wertvolle Fingerzeige gab, meinen Dank aussprechen.

    Das Büchlein ist dem Genossen N. L. gewidmet.

    Vorwort zur deutschen Ausgabe

    Die Arbeit, die wir dem Leser vorlegen, ist vor vielen Jahren geschrieben. Wenn der Verfasser über freie Zeit verfügte, so würde er zweifellos auf Grund der seither erschienenen Literatur das Buch umarbeiten. Leider fehlt ihm die hierzu notwendige freie Zeit. Trotzdem hält er es für nützlich, dass das Buch auf dem deutschen Büchermarkt erscheint, weil es die einzige marxistische Arbeit ist, die eine systematische Kritik der grundlegenden Richtung des bürgerlichen theoretisch-ökonomischen Denkens gibt. Von diesem Standpunkt aus ist das Buch keineswegs veraltet und bewahrt unseres Erachtens seinen vollen theoretischen Wert. Den denkenden marxistischen Lesern gibt es die wichtigsten Richtlinien für die Kritik der Ideologen der modernen Bourgeoisie, und die neueste bürgerliche Literatur kann mit Leichtigkeit in den kritischen Rahmen gebracht werden, der durch die vorliegende Arbeit gegeben ist.

    Aus diesem Grunde haben wir uns entschlossen, das Buch in Deutschland zu veröffentlichen.

    Einleitung: Die bürgerliche Nationalökonomie nach Marx

    1. Die historische Schule in Deutschland. Die soziologi­sche Charakteristik der historischen Schule. Die logische Charakteristik.

    2. Die österreichische Schule. Die soziologische Charak­teristik der österreichischen Schule. Kurze logische Charakteristik.

    3. Die anglo-amerikanische Schule.

    4. Die Vorläufer der „Österreicher".

    Es sind bereits 30 Jahre verflossen, seit die flammenden Worte des großen Denkers des 19. Jahrhunderts, dessen Gedanken zum Hebel der proletarischen Bewegung in der ganzen Welt wurden, für immer verstummt sind; die ganze wirtschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte – die tolle Konzentration und Zentralisation des Kapitals, die Verdrängung des Kleinbetriebes auch in den entlegensten Winkeln, das Auftreten der mit goldenen Kronen gekrönten mächtigen Industriekönige einerseits, das Anwachsen der proletarischen Armee, die, wie Marx sagt, durch den Mecha­nismus der kapitalistischen Produktion selbst geschult, vereinigt und organisiert ist, andererseits – das alles bestätigt die Richtigkeit des ökonomischen Systems von Marx voll und ganz, der sich zum Ziele setzte, das wirtschaftliche Gesetz der Bewegung der heutigen kapitalistischen Gesellschaft zu entdecken. Die Prognose, die zuerst im Kommunistischen Manifest und dann in vollständigerer und entwickelterer Form im Kapital gestellt worden ist, hat sich zu neun Zehnteln glänzend bestätigt. Einer der wichtigsten Teile dieser Prognose, die Theorie der Konzentration, ist nun Gemeingut und allgemein anerkannte Wahrheit der Wissenschaft geworden. Zwar wird sie gewöhnlich in einer anderen theoretischen Sauce gereicht, so dass sie ihre Einheitlichkeit, die für die Marxsche Theorie so charakteristisch ist, verliert. Aber die „ökonomische Romantik", die in dieser Theorie nur eine Phantasie eines Utopis­ten sah, hatte jeden Boden verloren, als in der letzten Zeit die von Marx aufgedeckten und erklärten Tendenzen so schnell und in solch grandiosem Umfange hervorgetreten sind, dass nur noch Blinden das siegreiche Fortschreiten des Großbetriebes unbemerkt bleiben konnte. Wenn einzelne gutmütige Leute in den Aktienge­sellschaften nur die „Demokratisierung des Kapitals sahen und in ihrer Sentimentalität diese für eine Garantie des sozialen Friedens und des allgemeinen Wohlstandes hielten (und solche Leute gab es leider auch in den Reihen der Arbeiterklasse), so zerstört die „öko­nomische Wirklichkeit der Gegenwart dieses kleinbürgerliche Idyll in gröbster Weise. Denn das Aktienkapital ist zu einem mächtigen Mittel in den Händen eines Häufleins Usurpatoren geworden, um das Vorwärtsstreben des „vierten Standes" scho­nungslos zu unterdrücken. Schon dies allein zeigt, was für ein wichtiges Erkenntnismittel die theoretische Konstruktion von Marx bildet. Aber auch die Erscheinungen der kapitalistischen Entwicklung, die erst jetzt aufgetreten sind, können nur mit Hilfe der Marxschen Analyse begriffen werden.¹ Die Bildung von mächtigen Unternehmerverbänden, von Syndikaten und Trusts, die Entstehung von nie dagewesenen Bankorganisationen, das Eindringen des Bankkapitals in die Industrie und die Hegemonie des Finanzkapitals im gesamten ökonomischen und politischen Leben der entwickelten kapitalistischen Länder – das alles bedeutet nur die weitere Entwicklung der von Marx schon konstatierten Tendenzen. Die Herrschaft des Finanzkapitals beschleunigt nur die Konzentrationsbewegung um das Vielfache und verwandelt die Produktion in eine gesellschaftliche Produk­tion, die reif ist, unter eine gesellschaftliche Kontrolle gestellt zu werden. Zwar haben die bürgerlichen Gelehrten unlängst erklärt, dass die Organisation der Unternehmer der Produktions­anarchie ein Ende machen und die Krisen beseitigen würde. Aber ach, der kapitalistische Organismus wird nach wie vor periodisch von Zuckungen heimgesucht, und nur ganz naive Leute glauben noch daran, dass der Kapitalismus mit Hilfe von reformistischer Flickarbeit geheilt werden könnte. Die histori­sche Mission der Bourgeoisie ist bereits in der ganzen Welt erfüllt und geht ihrem Ende entgegen. Es tritt eine Periode der großen Aktionen des Proletariats ein, wobei der Kampf schon jetzt die nationalen Grenzen des Staates überschritten hat, immer mehr die Formen eines Massendruckes auf die herr­schenden Klassen annimmt und sich dem Endziel stark nähert. Die Zeit ist nicht mehr fern, in der die Voraussagung von Marx in Erfüllung gehen wird, dass die letzte Stunde des kapitalisti­schen Eigentums schlagen werde. Wie überzeugend die Tatsa­chen auch die Richtigkeit der Marxschen Konzeption bekunden, so ist dennoch ihr Erfolg unter den offiziellen Gelehrten nicht nur nicht gestiegen, sondern eher noch gesunken. Wenn früher in den rückständigen Ländern, beispielsweise in Russland und zum Teil in Italien, sogar Universitätsprofessoren zuweilen mit Marx liebäugelten, wobei sie allerdings ihre größeren und kleineren „Korrekturen einflochten, so führt nun die ganze soziale Entwicklung, die Zuspitzung der Klassengegensätze und die Konsolidierung aller Schattierungen der bürgerlichen Ideologie dazu, dass alle den Kampf gegen die Ideologie des Proletariats aufnehmen, indem die „Übergangstypen ausgeschaltet werden und an ihre Stelle der „rein europäische, „moderne Gelehrte im theoretischen Gewand nach der preußischen, österreichischen oder gar nach der neuesten anglo-amerikanischen Mode tritt.² Zwei Grundrichtungen in der Volkswirtschaftslehre konnte die Bourgeoisie dem ehernen Marxschen System entgegenstellen: die sogenannte „historische Schule (Roscher, Hildebrandt, Knies, Schmoller, K. Bücher u. a.) und die „österreichische Schule (Karl Menger, Böhm-Bawerk und Wieser), die in der letzten Zeit eine gewaltige Verbreitung gefunden hat. Beide Richtungen bedeuten indes den Bankrott der bürgerlichen politischen Ökonomie. Nur kommt dieser Bankrott in zwei völlig entgegengesetzten Formen zum Ausdruck. Während die erste Richtung der bürgerlichen Theorie Schiffbruch erlitt, indem sie eine negative Stellung gegenüber jeder abstrakten Theorie überhaupt einnahm, versuchte die andere Richtung eben bloß eine abstrakte Theorie zu konstruieren und kam dabei zu einer Reihe von sehr geschickt erdachten „scheinbaren Erklärungen, die aber gerade dort sich als untauglich erwiesen, wo die Theorie Marx’ besonders stark ist, nämlich in den Fragen der Dynamik der heutigen kapitalistischen Gesellschaft. Die klassische Volkswirtschaftsschule suchte bekanntlich die allgemeinen, d. h. die „abstrakten Gesetze des Wirtschaftslebens zu formulieren, und ihr hervorragendster Vertreter, Ricardo, gab staunenswerte Beispiele für diese abstrakt-deduktive Forschung.

    Umgekehrt entstand die „historische Schule als eine Reaktion gegen diesen „Kosmopolitismus und „Perpetualismus" der Klassiker.³ Dieser Unterschied hat seine tiefen sozial-wirtschaft­lichen Wurzeln. Die klassische Theorie mit ihrer Lehre vom Freihandel war trotz ihres „Kosmopolitismus sogar sehr „natio­nal: sie war das notwendige theoretische Produkt der englischen Industrie. England, das infolge einer Reihe von Umständen die ausschließliche Herrschaft auf dem Weltmarkte erhielt, befürchtete keine Konkurrenz und hatte keine künstlichen, d. h. gesetzgeben­den Maßnahmen nötig, um seinen Sieg über die Konkurrenten zu sichern. Deshalb hatte es die englische Industrie nicht nötig, sich auf die speziellen englischen Verhältnisse zu berufen, um irgendwelche Zollmauern zu rechtfertigen. Die Theoretiker der englischen Bourgeoise brauchten darum auch nicht ihre Auf­merksamkeit auf die spezifischen Besonderheiten des englischen Kapitalismus zu richten: obschon sie die Interessen des englischen Kapitals zum Ausdruck brachten, sprachen sie von den allgemei­nen Gesetzen der wirtschaftlichen Entwicklung. Ein ganz anderes Bild stellte die wirtschaftliche Entwicklung des europäischen Kontinents und Amerikas dar.⁴

    Deutschland, die Wiege der „historischen Schule, war, im Vergleich zu England, rückständig und in der Hauptsache ein Agrarland. Die emporkommende deutsche Industrie litt ganz empfindlich unter der englischen Konkurrenz, insbesondere litt darunter die Schwerindustrie Deutschlands. Bedurfte auf diese Weise die englische Bourgeoisie keiner besonderen Betonung der nationalen Besonderheiten, so war es für die deutsche Bourgeoisie umgekehrt notwendig, doppelte Aufmerksamkeit eben der Eigenart und Selbständigkeit der deutschen Entwicklung zu widmen, mit ihnen theoretisch die Notwendigkeit der „Erziehungszölle zu beweisen. Das theoretische Interesse konzentrierte sich eben auf die Klarstellung des historisch Konkreten und national Beschränkten; in der Theorie vollzog sich die Auswahl und das Hervorheben gerade dieser Seiten des wirtschaftlichen Lebens. Vom soziologischen Standpunkt aus betrachtet, war die historische Schule der ideologische Aus­druck dieses Wachstumsprozesses der deutschen Bourgeoisie, die die englische Konkurrenz fürchtete, deshalb den Schutz der nationalen Industrie forderte und daher die nationalen und historischen Besonderheiten Deutschlands, und später – verallgemeinernd – auch die der anderen Länder, in den Vordergrund schob. Vom sozialgenetischen Standpunkt aus ist sowohl die klassische wie die historische Schule „national, da die eine wie die andere Richtung Produkt einer historisch und territorial beschränkten Entwicklung ist; vom logischen Standpunkt aus aber sind die Klassiker „kosmopolitisch, die Historiker „national". So war die deutsche Schutzzollbewegung die Wiege der historischen Schule. In ihrer weiteren Entwick­lung brachte sie eine ganze Reihe Schattierungen hervor, deren wichtigste Richtung, mit Gustav Schmoller an der Spitze (die sogenannte „jüngere historische oder „historischethische Schule), eine agrar-konservative Färbung annahm. Die Idealisierung der Übergangsform in der Produktion, insbesondere der „patriarchalischen Verhältnisse zwischen den Agrariern und Landarbeitern, die Furcht vor der „Proletarier-Seuche und der „roten Gefahr stellen diese „objektiven Professoren ständig bloß und zeigen die sozialen Wurzeln ihrer „reinen Wissenschaft".⁵ Aus dieser soziologischen Charakteristik ergibt sich nun auch die entsprechende logische Charakteristik der historischen Schule.

    Von der logischen Seite her sind die „Historiker vor allem durch ihre negative Stellung zur abstrakten Theorie charakterisiert. Gegenüber derartigen Untersuchungen empfanden sie eine tiefe Abscheu; jede Möglichkeit, derartige Untersuchungen zu unter­nehmen, wurde ohne weiteres bezweifelt, mitunter überhaupt in Abrede gestellt; das Wort „abstrakt bedeutete im Munde dieser Gelehrten „unsinnig; manche dieser Gelehrten verhielten sich skeptisch sogar gegenüber dem wichtigsten Begriff jeder Wissen­schaft – nämlich dem des „Gesetzes – höchstens, dass sie nur die sogenannten „empirischen Gesetze" anerkannten, die mit Hilfe historisch-wirtschaftlicher und statistischer Forschungen aufge­stellt werden.

    Und so bildete sich ein enger Empirismus aus, der vor jeglicher Verallgemeinerung zurückschreckte. Die extremen Vertreter dieser Schule machten die Sammlung von konkret-historischem Material zu ihrer Losung und verschoben die verallgemeinernde theoreti­sche Arbeit auf unbestimmte Zeit. So charakterisiert Schmoller, dieses anerkannte Haupt der historischen Schule, die „jüngere Generation" wie folgt: „Der Unterschied der jüngeren historischen Schule von ihm (d. h. Roscher, N. B.) ist der, dass sie weniger rasch generalisieren will, dass sie ein viel stärkeres Bedürfnis empfindet, von der polyhistorischen Datensammlung zur Spezial­untersuchung der einzelnen Epochen, Völker und Wirtschafts­zustände überzugehen. Sie verlangt zunächst wirtschaftliche Monographien. Sie will lieber zunächst den Werdegang der einzel­nen Wirtschaftsinstitutionen als den der ganzen Volkswirtschaft und

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