Das Violoncello: Anthologie
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Book preview
Das Violoncello - Jochen Bauschke
Impressum
Das Violoncello
Veronika Schima
„Ich will nicht üben! Nein, ich will nicht!, schrie die siebenjährige Lena. „Ich hasse das Cello! Ich will jetzt fernsehen!
Mit diesen Worten versetzte sie mir einen heftigen Tritt. Gott sei Dank war ich in meinem schützenden Koffer, denn Lena hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, mich auszupacken.
„Lena, wenn du nicht übst, melde ich dich von der Musikschule ab!", rief Lenas Mutter aus der Küche.
Lena wurde still. Nach einer Weile sagte sie: „Aber Mama, das will ich nicht! Meine Lehrerin wird enttäuscht sein! Und das letzte Konzert war doch so toll! Aber ich habe nun mal keine Lust zum Üben!" Sie weinte.
„Es ist jeden Tag dasselbe. Wenn ich sage, dass du üben sollst, explodierst du fast! Ich will das nicht mehr. Und deine Lehrerin sagt auch, dass es keinen Sinn hat, weiter zu lernen, wenn du nicht übst. Du hast eine letzte Chance!", antwortete Lenas Mama mit inzwischen auch wütender Stimme.
„Gut!, schrie Lena beleidigt, „lass ich es eben bleiben. Ich hasse es sowieso!
Traurig schaute ich in die Schwärze des geschlossen Cellokoffers. Ich wusste, dass Lena schon gerne weitergespielt hätte, es aber nicht ertrug, das in diesem Streit ihrer Mutter gegenüber zuzugeben. Es war nicht einfach, als Cello jemanden zu finden, der gerne und viel übte – erst recht nicht, wenn man ein Viertelcello war, also ein kleineres für kleinere Kinder. Da gab es oft solche Situationen.
„Die Stunden für den Rest des Schuljahres sind bereits bezahlt. Das sind noch drei Monate. So lange musst du noch dabeibleiben. Du übst jetzt oder du hast eine Woche Fernsehverbot."
Wütend und unsanft öffnete Lena den Koffer. Ihre blauen Augen blitzten immer noch vor Wut. Als sie mich herausnahm, konnte ich die duftende Seife riechen, mit der sie ihre Hände wusch. Als sie sich bückte, um meinen Stachel herauszuziehen, kitzelten mich ihre langen braunen Haare. Sie spannte den Bogen, setzte sich hin und begann Tonleitern zu spielen. Quietschend und unsauber tönte mein Klang durch die Wohnung. Klar können Celli wunderschön klingen. Aber Lena spielte auf der C-Saite zu hoch, auf der G-Saite zu tief, je nach Laune. Sie gab sich nicht einmal Mühe. Es lief mir kalt den Rücken hinunter. Es war grauenvoll für mich und fast eine Demütigung, denn ich wusste, wie schön ich klingen konnte. Eigentlich war Lena eine ziemlich begabte Cellistin. Und anfangs hatte sie ja auch viel geübt – aber jetzt eben nicht mehr.
Nach zehn Minuten, die ihr überhaupt keinen Fortschritt gebracht hatten, pfefferte sie mich zurück in den Kasten, klappte ihn zu, ohne die Schnallen zu schließen, und verließ den Raum. Krachend hörte ich die Türe hinter ihr zufallen. Ich rieb mir erst mal die schmerzende Schnecke. Das tut nämlich auch einem Cello weh, wenn es so unsanft behandelt wird. Es musste sich etwas ändern, das war mir klar. Auch einem Cello kann einmal die Geduld reißen.
Als ich einige Stunden später hörte, wie Lena und ihre Mutter ins Bett gingen, stand mein Entschluss fest: Ich würde nicht bei Lena bleiben, denn ich wollte ein schönes und musikalisches Leben haben.
Da Lena den Koffer nicht richtig verschlossen hatte, hatte ich kein Problem damit, herauszuschlüpfen und mich erst einmal schräg auf den Boden zu legen. Dann fuhr ich meinen Stachel aus. Im Haus rührte sich nichts. Also stellte ich mich auf meinen Stachel und begann, so leise wie möglich auf die Tür zuzuhüpfen. Mein Bogen begleitete mich selbstverständlich.
Ich war sicher, dass es nicht allzu viele siebenjährige Kinder gab, die ein Cello gut behandeln würden, weil sie eben so klein waren und dadurch vieles nicht wussten. Auch nicht, dass man mit einem Cello sorgfältig umgehen musste, damit der Lack keine Kratzer bekam. Aber so wie Lena mich behandelt hatte, musste ich mich nicht mehr behandeln lassen. Doch wusste überhaupt irgendein so kleines Kind, was es tun sollte? In dem Alter …?
Vieles ging mir durch den Kopf. Und dann hatte ich eine Idee! Hatte Lena nicht heute das letzte Konzert erwähnt? Es hatte im Stadttheater stattgefunden. Dort gab es jeden Tag ein Konzert. Manchmal mit Profimusikern! Da konnte ich Musik hören, würde aber selbst nicht schlecht behandelt werden. Das war die Idee! Ich hüpfte los.
Eine Stunde später war ich vor dem großen Gebäude und schlüpfte durch die für Zuschauer geöffnete Tür. Und schon wurde ich von den wunderschönen Klängen eines Orchesters überrascht. Leise lehnte ich mich gegen die Tür für die Musiker – der Bühneneingang. Sehr vorsichtig schlich ich mich nach hinten. „Hoffentlich entdeckt mich keiner!", schoss es mir durch den Kopf. Ob ich doch umkehren sollte? Nein, dafür war ich schon zu weit gekommen.
Da hörte ich Schritte! „Oh nein! Was soll ich bloß tun? Wenn mich jemand entdeckt, bin ich geliefert!", dachte ich. Schnell überlegte ich. Aber … Das war doch klar! Ich war ein Cello. Und bei einer Musikveranstaltung fiel ein Cello bestimmt nicht auf. Also legte ich mich einfach auf den Boden. Die Schritte kamen näher … Ich bekam Herzklopfen. Und zwar sehr stark. Die Schritte kamen immer näher. Und da fiel mir siedend heiß ein, warum ich nicht dort sein sollte. Ich war ein Viertelcello! Und ein Viertelcello hat bei einer Veranstaltung von lauter Erwachsenen nichts zu suchen. Blieb nur zu hoffen, dass sich der Mensch, der immer näher kam, da nicht so auskannte.
Inzwischen waren die Schritte schon ganz nah. Ich hatte schreckliche Angst, dass ich entdeckt würde. Was würde mit mir geschehen? Die Schritte bogen um die Ecke … sie kamen noch näher … Es war ein Mann, das konnte ich an den schweren Schritten hören. Jetzt waren sie dicht neben mir. Ich zitterte. Ich hatte das Gefühl, dass sie kurz innehielten … und dann weitergingen. Ich atmete erleichtert auf. Endlich konnte ich sie nicht mehr hören und richtete mich vorsichtig auf. Ich hopste weiter den Gang entlang und hörte die Musik plötzlich ganz laut. Das war die Bühne! Und darunter konnte ich mich wunderbar verstecken und außerdem die Musik genießen. Toll! Ich legte mich darunter und schloss die Augen, um mit voller Hingabe dem Konzert zu lauschen.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, dauerte es ein bisschen, bis mir alles wieder einfiel. Ich vermisste Lena, obwohl ich wusste, dass sie mich spätestens am Nachmittag genauso unsanft behandelt hätte wie gestern. Aber an meinem Entschluss war nicht zu rütteln: Ich würde nicht zurückgehen.
Die nächsten paar Tage verliefen relativ gleich. Ich wachte morgens auf, mir war langweilig, ich hörte am Abend das Konzert an und hatte wahnsinnige Lust, mitzuspielen. Am vierten Tag musste ich feststellen, dass ich alleine vom Musik hören nicht glücklich werden konnte. Ich wollte auch selber spielen.
„Jetzt weiß ich, was ich tun kann!", fiel mir ein. Lena hatte mich in einem Musikgeschäft gekauft. Und dort waren mehrere Kinder gewesen, die Instrumente kaufen wollten. Da konnte ich erneut verkauft und glücklich werden. Noch bevor die ersten Musiker kamen, schlich ich mich nach draußen und machte mich auf den Weg. Das Musikgeschäft war Gott sei Dank nicht weit entfernt. Kurz vor Ladenschluss konnte ich durch die Tür schlüpfen, während der Ladenbesitzer mit einem Kunden weiter hinten im Geschäft sprach. Ich legte mich in eine Nische und beschloss zu schlafen. Der Besitzer würde mich morgen schon finden.
„Mama, schau mal«, hörte ich ein kleines Mädchen rufen. Davon wurde ich heute geweckt. „Dieses Instrument will ich spielen!
„Ein Cello ist aber sehr teuer, Marie. Ich weiß nicht, ob ich das bezahlen will", antwortete eine andere Stimme. Die der Mutter, vermutete ich.
„Bitte, Mama. Ich übe auch jeden Tag eine Stunde lang, bat das Mädchen. Das war ja fast, als würden alle meine Träume in Erfüllung gehen! Ich öffnete die Augen einen Spalt breit und sah ein Mädchen, das genau so groß war wie Lena! Wie schön. Die Mutter rief nach dem Ladenbesitzer. „Wie viel soll dieses Cello kosten?
, fragte sie.
Der Mann schaute verdutzt auf mich herab. „Ähm, stammelte er, denn er wusste ja gar nichts von mir. Eigentlich hätte ich ja nicht hier sein sollen. Aber er fasste sich schnell wieder. „800 Euro
, sagte er.
„Marie, das muss ich erst mit Papa besprechen. Das ist sehr viel Geld", sagte die Mutter. Marie schaute betreten drein.