Wiener Alltagspoeten
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Zwischen Schmäh und Tragödie ständig hin- und hergerissen: In Wien liegt die Poesie auf der Straße. Wer durch die Stadt spaziert, im Kaffeehaus sitzt oder mit der Straßenbahn fährt, taucht durch unzählige Gesprächsfetzen und Alltagssituationen hindurch. "Das sollte man doch mal aufschreiben", dachte sich Andreas Rainer vor über drei Jahren, und startete die Plattform Wiener Alltagspoeten. Was als kurzes Experiment angelegt war, ist heute eine Instagram-Seite mit über 100.000 Followern. Nun erscheint eine Auswahl der denkwürdigsten Alltagspoeten-Momente in Buchform – inklusive bisher unveröffentlichter Gustostückerl.
Wer Wien erlesen möchte, kann den Reiseführer wegpacken, denn das echte Wien ist das der Alltagspoeten.
1010, Café Diglas
Ältere Dame: "Sind die Torten frisch?"
Kellner: "Zwei waren nicht frisch – aber die sind eh schon weg."
1050, Beisl.
Wirt: "Servas Peter."
Gast: "Gusch, und schenk ein."
12., Billa Längenfeldgasse
Älterer Herr: "Kann ich die Kondome umtauschen?"
Verkäuferin: "Wieso, sans zu groß?"
Bus, Linie 26A
Fahrgast: "Entschuldigung, Sie haben da Ihre Jacke verloren."
Frau: "Das ist mein Hund."
Andreas Rainer
Andreas Rainer ist der Wiener Alltagspoet. Er verbrachte drei Jahre in Nordamerika, wo er im Montreal Holocaust Memorial Centre seinen Zivildienst absolvierte und danach mittels Fulbright Stipendium am Bard College und der University of Connecticut unterrichtete. Nach sechs Jahren als Marketing Director für eine Social Media Plattform aus San Francisco beschloss er 2017, diese Karriere hinter sich zu lassen, um seinen Traum vom Schreiben zu verfolgen. Noch im selben Jahr gründete er die Instagram Seite Wiener Alltagspoeten auf der er seitdem Zitate und Beobachtungen aus dem Alltag Wiens für mittlerweile 180.000 Follower veröffentlicht. Was als kurzzeitiges Experiment geplant war, wurde zu einer der meist gelesenen Seiten Österreichs. Heute verbringt er seine Zeit als Autor und mit dem Sammeln von Alltagspoesien.
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Book preview
Wiener Alltagspoeten - Andreas Rainer
Impressum
Einleitung
In Wien liegt die Poesie auf der Straße – eigentlich müsste man sie einsammeln und niederschreiben. Mit diesem Vorsatz begann im Herbst 2017 das Projekt »Wiener Alltagspoeten«. Wer durch Wien spaziert, in der U-Bahn fährt oder im Kaffeehaus sitzt, streift die Schicksale unzähliger anderer Menschen. Für Sekundenbruchteile sind wir Statist im Leben eines Unbekannten, doch bevor wir eine tragende Rolle einnehmen können, sind wir auch schon wieder vorbei. Dennoch nehmen wir etwas mit: einen Wortfetzen, einen Kommentar zur politischen Situation, eine Anklage gegen die Wiener Linien, dass die nächste U-Bahn schon wieder ganze fünf Minuten auf sich warten lässt. Manchmal erzählen wir unseren Freunden von diesen kurzen Begegnungen, doch zumeist geraten sie schnell wieder in Vergessenheit, wie ein Traum, den man nach den ersten wachen Momenten des Tages gewollt oder ungewollt wieder abgeschüttelt hat.
Ich begann, einige dieser Zufallsbegegnungen aufzuschreiben – zunächst nur auf meinem Handy, wo sie eine Zeitlang die Schaltkreise meines iPhones amüsierten. Irgendwann während einer kalten Nacht Ende November erstellte ich die Instagram-Seite mit dem Titel »Wiener Alltagspoeten«. Obwohl ich sechs Jahre für eine Social-Media-Plattform aus dem Silicon Valley tätig gewesen war, hatte ich damals keinen privaten Instagram-Account – und habe bis zum heutigen Tag keinen. Doch auch mir war bewusst, dass auf Instagram das Visuelle gefeiert wird, dass es um den einen, perfekten Schnappschuss geht. Um den sollte es auch bei den »Wiener Alltagspoeten« gehen: um den einen, wienerischen Wortfetzen. Jedoch ohne Bilder, ohne Filter, ja sogar ohne Farben. Schwarzer Text auf weißem Hintergrund, und dazwischen ganz viel Wiener Charme und Schmäh, das war die Idee, quasi ein Gegenentwurf zum Erfolgsrezept eines Influencers.
Tagelang unterhielt ich meine zweihundert Follower, die wahrscheinlich keine Ahnung hatten, was das überhaupt sollte – etliche davon waren frühere Arbeitskollegen in entfernten Ländern dieser Welt, die kein Deutsch, und schon gar kein Wienerisch sprachen, und die mir, weil es die Höflichkeit gebietet, zurückfolgten. Nach zwei Wochen erhielt ich eine Nachricht von einer Freundin mit dem Inhalt: »Diese Seite hat mir in meinem Leben gefehlt.« Sie war auch die Autorin der ersten Lesereinsendung, der bald darauf viele mehr folgen sollten – zum Glück, denn ich konnte schließlich nicht den ganzen Tag U-Bahnfahren oder im Kaffeehaus sitzen, in der Hoffnung, dass jemand etwas Tolles von sich geben würde.
Aus dem als kurzfristiges Experiment angelegten Projekt ist mittlerweile so etwas wie die Stimme der Stadt geworden. Auch wenn oft der Schmäh und Charme regiert, möchte ich mit der Seite die ganze Bandbreite Wiens abbilden. Dazu gehören auch negative Vorfälle, wie zum Beispiel Szenen des Alltagsrassismus, gegen