Mit dem Rücken zur Wand: Israel im Sommer 1948: Ein Augenzeugenbericht
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Mit dem Rücken zur Wand - Arthur Koestler
Übersetzerin.
Mit dem Rücken zur Wand
Bei der Belagerung Jerusalems
unterhielten sich zwei alte Juden.
«Wir können höchstens noch
durch ein Wunder gerettet werden»,
sagte der eine, «oder durch ein
natürliches Ereignis.»
«Und was wäre das
für ein natürliches Ereignis?»,
fragte der andere.
«Nun, die Ankunft des Messias.»
Während der ersten vierzehn Tage im Leben des neugeborenen Staates sah es so aus, als müsste er das Schicksal der kleinen Kinder unter Herodes teilen, deren zarte Körper dem Schwert zum Opfer fielen. Der 15. Mai, das Datum der offiziellen Beendigung des britischen Mandats, war der verabredete Tag X, an dem die Armeen von fünf souveränen arabischen Staaten von Norden, Osten und Süden in Palästina einmarschierten. Es schien, als wären die Tage des neuen Staates gezählt und eine schnelle Kapitulation die einzige Chance der Juden, einem großen Blutvergießen zu entgehen.
Entgegen allen Erwartungen behaupteten sich die Männer der Haganah¹.
Zwischen dem 15. Mai und unserer Ankunft in Haifa am 4. Juni hatten im Wesentlichen folgende militärische Aktionen stattgefunden: zunächst der ungehinderte Vorstoß einer ägyptischen Kolonne durch die Wüste bis zur südlichen Grenze des jüdischen Küstengürtels in der Gegend von Gaza, unter Umgehung der jüdischen Siedlungen im Negev.
Eine zweite ägyptische Kolonne, die ebenfalls durch rein arabische Gebiete vorstieß, hatte die südlichen Ausläufer Jerusalems erreicht.
Im Norden hatten die Juden Akko genommen und rückten entlang der Küste bis zum libanesischen Grenzübergang in Ras en Nakura vor.
Syrische und libanesische Angriffe auf jüdische Siedlungen in Galiläa und im Jordantal waren zurückgeschlagen worden.
Entlang der Grenze zwischen dem jüdischen Küstengürtel und dem Bergland von Samaria war es zu ergebnislosen Gefechten mit irakischen Truppen gekommen.
Die einzigen schweren Kämpfe fanden in der Altstadt von Jerusalem statt und an der strategisch wichtigen Straße, die Jerusalem mit Tel Aviv verbindet.
Elf Minuten, nachdem der Vorläufige Staatsrat in Tel Aviv die Unabhängigkeit Israels erklärt hatte, verkündete Präsident Truman die De-facto-Anerkennung des neuen Staates durch die Vereinigten Staaten. Achtundvierzig Stunden später erkannte die Sowjetunion Israel rechtmäßig an. Guatemala, Uruguay, Polen, die Tschechoslowakei und andere kleinere Staaten folgten binnen weniger Tage.
Am 17. Mai schlug die amerikanische Delegation im Sicherheitsrat vor, der Rat möge gemäß Artikel 39 der Charta der Vereinten Nationen die Situation in Palästina zu einer «Bedrohung des Friedens» erklären und unter Androhung von Sanktionen die Anweisung erteilen, die Feindseligkeiten innerhalb von sechsunddreißig Stunden zu beenden.
Am 19. Mai legte Großbritannien im Sicherheitsrat Einspruch gegen den Vorschlag der Vereinigten Staaten ein, der dann am 22. Mai vom Rat abgelehnt wurde. Statt unter Androhung von Sanktionen eine «Anweisung» zu erteilen, rief der Sicherheitsrat beide Seiten lediglich auf, innerhalb von sechsunddreißig Stunden die Feindseligkeiten einzustellen.
Nach Ablauf dieser Frist akzeptierten die Juden die Forderung des Sicherheitsrates nach einer Feuerpause, die Araber lehnten sie ab. Erneut schlugen die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion Sanktionen gegen die Araber vor, und erneut setzte sich die britische Haltung durch. Den Arabern gewährte man eine weitere Frist von achtundvierzig Stunden. Als diese am 26. Mai auslief, akzeptierten die Juden wiederum die Forderung nach einer Feuerpause, während die Araber sie abermals zurückwiesen. Noch ein drittes Mal forderten die USA und die UdSSR Sanktionen, und zum dritten Mal trug Sir Alexander Cadogan² den Sieg davon.
Der Sicherheitsrat lehnte es demnach ab, den Krieg in Palästina als eine Bedrohung des Friedens einzustufen, er verweigerte Sanktionen und akzeptierte den britischen Vorschlag, der einen vierwöchigen Waffenstillstand vorsah, welcher vom Vermittler der Vereinten Nationen, Graf Bernadotte³, ausgehandelt und überwacht werden sollte. Er verhängte außerdem ein Waffenembargo gegen beide, Angreifer wie Angegriffene: gegen die regulären arabischen Armeen, die reguläre Bestände an Kriegsmaterial besaßen, und gegen die behelfsmäßige Armee Israels, die nichts dergleichen vorweisen konnte.
Die Zeit, die durch Großbritanniens Verzögerungstaktik im Sicherheitsrat gewonnen war, wurde von der Arabischen Legion unter Glubb⁴ genutzt, das isolierte jüdische Ghetto in der Altstadt Jerusalems mit Granaten in Trümmer zu legen, sein letztes Bollwerk, die antike Hurva-Synagoge, zu sprengen und die Ruinen in Besitz zu nehmen.
Dieses Vorgehen freilich lag nicht in der Verantwortung Großbritanniens, denn in der Nacht vom 14. auf den 15. Mai hatte die Arabische Legion aufgehört, eine britische Sicherheitstruppe zu sein, und war nunmehr die reguläre Armee des unabhängigen Herrschers von Transjordanien. Ihr Kommandeur, so hieß es später im Unterhaus, hatte vermutlich in derselben Nacht seine britische Staatsbürgerschaft abgelegt und war ein Bürger Transjordaniens geworden. Die britischen Offiziere, Unteroffiziere und der technische Stab der Legion bekamen ihre Anweisungen nicht mehr vom Kriegsministerium, sondern jeder Einzelne hatte sich in einen Freiwilligen verwandelt.
Neben der Altstadt von Jerusalem hatte die Arabische Legion das strategisch wichtige Kloster und die Polizeiwache von Latrun besetzt. Von dort aus kontrollierten die Araber die Straße Jerusalem–Tel Aviv und schnitten so die 100 000 Juden im neuen Teil Jerusalems vom Rest Israels ab.
Am 30. Mai erlitten die Juden eine schwere Niederlage, als sie unerfahrene Soldaten, zumeist Jungen, die gerade erst aus den Flüchtlingslagern eingetroffen waren, in einen schlecht vorbereiteten Angriff auf Latrun schickten. Artillerie und Maschinengewehre der Arabischen Legion schlugen den Angriff mühelos zurück, mehr als zweihundert Tote blieben auf dem Feld.
Am 31. Mai traf Graf Bernadotte in Tel Aviv ein und begann mit seinen mühsamen Verhandlungen zur Sicherung eines Waffenstillstands.
Vier Tage später landeten wir in Haifa.
Die Altstadt von Jerusalem war gefallen, und die Lage in Latrun war immer noch kritisch. Abgesehen von diesen beiden Rückschlägen aber hielt die Israelische Armee das gesamte Territorium, das die Vereinten Nationen den Juden zugebilligt hatten, unter Kontrolle. Darüber hinaus hatte die Armee die größte arabische Stadt, Jaffa, erobert, außerdem die gesamte Küstenebene von Haifa bis zur libanesischen Grenze, die der Teilungsplan den Arabern zugewiesen hatte.
I.
DIE UMKEHRUNG VON POMPEJI
Haifa, Freitag, 4. Juni 1948
Nach einem holprigen Flug von Zypern aus, der M.⁵ Übelkeit verursachte und die beiden Irgun⁶-Terroristen an Bord kleinlaut wirken ließ, erscheint eine gelbe Linie, wie mit einem Stift gezeichnet, zwischen Wasser und Horizont: die Küste Israels. Sie dehnt sich rasch aus und verwandelt sich in die goldenen Dünen der Bucht von Akko, die Pinienhänge des Karmel und, darüber gesprenkelt wie ein Hautausschlag, die Vororte von Haifa; die Ölraffinerien und dahinter zwei riesige Treibstofftanks, wie monströse Amphoren aus Zement.
Die großen Tanks sind trocken, weil der Zufluss des Öls aus Mesopotamien nach Beirut und Amman umgeleitet wurde. Die goldenen Dünen sind vermint. Zwischen den Pinien des Karmel spielen arabische und jüdische Scharfschützen Verstecken. In die verwitterten Mauern der Kreuzfahrerfestung Akko hat man ein Loch gesprengt, durch das die Freunde unserer Terroristen geflohen sind.
Doch nichts von alledem ist auf dem lächelnden Antlitz der Bucht zu erkennen. Die von der Sonne beschienene Landschaft, diese levantinische Zwillingsschwester des Golfs von Neapel, schlägt sofort den Dominantakkord aller Reisen in den Krieg an: Es ist so vollkommen