Natur und die Versuche, ihr mit Sprache beizukommen
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Über dieses E-Book
Natur und Kultur lassen sich nicht voneinander abgrenzen. Ständig greifen sie ineinander über, ob sichtbar oder unsichtbar, gelegentlich auch ohne zu harmonieren. Seit jeher versucht der Mensch, die Natur zu zähmen, sie sich untertan zu machen. Je spektakulärer ihm das gelingt, desto seltener denkt er daran, wie abhängig er noch immer von ihr ist. Am deutlichsten wird das in der Sprache, mit der wir versuchen, die Natur zu benennen und zu beschreiben, ob erzählend, poetisch, sachlich oder wissenschaftlich. In ihrem Essay versucht Barbara Frischmuth zu zeigen, wie Natur in Alltag, Literatur, Kultur und Wissenschaft zur Sprache kommt. Die Natur zu unterschätzen, wäre lebensgefährlich. Sie zu schätzen, ja zu lieben, eine menschenwürdige Erkenntnis.
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Buchvorschau
Natur und die Versuche, ihr mit Sprache beizukommen - Barbara Frischmuth
I.
Das Beste, was wir tun können,
ist nach einer Welt zu streben,
die gut genug ist, wobei »gut genug«
immer unvollkommen und
verbesserungswürdig heißt.
Anna Lowenhaupt Tsing:
»Der Pilz am Ende der Welt«
Seit der Klimawandel immer deutlicher die Zähne zeigt, rückt auch die Natur stärker ins Zentrum öffentlicher Aufmerksamkeit. Hinzu kommt die Pandemie, denn auch sie gilt als Naturereignis, selbst wenn der Mensch samt seiner Kultur in Verdacht steht, das Seine dazu beigetragen zu haben. Womit wir bei der uns beschäftigenden Frage angekommen sind, was Natur bezeichnet und was sie bedeutet. Das Wortfeld, auf dem sie noch immer beackert wird, ist groß und nicht immer überschaubar, seit die Natur vor ungefähr zwölftausend Jahren, das heißt, zum Ende der Würm-Eiszeit begonnen hat, ihrer Kontrahentin, der Kultur (lat. cultura von colere: hegen und pflegen), das Wasser zu reichen, indem sie die von ihr geschaffene Erde der Kultur zur Bestellung freigegeben hat.
Aber noch einmal: Was heißt Natur und was bedeutet der Begriff? »Natur« kommt vom lateinischen nasci, geboren werden, entstehen, im Griechischen: physis, das immer wieder Gebärende, Hervorbringende. Natur meint aber auch die natürliche Beschaffenheit, die Schöpfung, das Wesen eines Gegenstandes. Zu ihr gehört alles, was sich ohne fremdes, sprich: menschliches Zutun nach den ihr innewohnenden Kräften und Gesetzen entwickelt. So hieß es, und dass die Naturdinge sich von künstlichen Dingen nur dadurch unterschieden, dass erstere ihren Bauplan in sich selbst trügen. Aber damit nicht genug, aus christlicher Sicht wurde das Natürliche zum Gegenbegriff des Übernatürlichen, zur Bezeichnung von allem, was nicht göttliche Offenbarung ist.
Voltaire wiederum meinte, es sei alles Natur, und bezog damit Stellung gegen die Anwesenheit göttlicher Offenbarungen in den Naturdingen. Andere trafen die Unterscheidung zwischen organischer – belebter – und anorganischer – lebloser – Natur, dem gegenüber stellte sich wiederum die These der Allbelebung.
Im Wandel der Weltanschauungen lösten einander Verehrung der Natur und Verurteilung ihrer angeblichen Geist- und Wertefeindlichkeit ab. Was gleich blieb, war der Versuch, den Begriff der Natur einzugrenzen und ihn innerhalb seiner Grenzen mit einer Reihe voneinander abhängiger Bedeutungen auszustatten.
Wer immer den Begriff »Natur« verwendet, muss sich entscheiden, welche Bedeutung des Begriffs er meint. Ist die Natur, von der ich spreche, die Wirkkraft, sozusagen der Akteur, wie es neuerdings heißt, der erosionsbezogen einen Steinschlag verursacht, oder eine Herbstlandschaft, die mit ihrem Farbenrausch im Betrachtenden ein Glückshormon freisetzt? Oder meine ich mit Natur vielleicht meine eigene psychische Veranlagung, wenn ich sage: Extremsport liegt nicht in meiner Natur, die Beschäftigung mit Pflanzen jedoch schon?
Natur meint so vieles und profiliert sich meist durch ihren Gegensatz, der aber brüchiger wird, seit der Mensch mit immer größerer Kraft in sie eindringt, so dass es auch nicht mehr hilft, wenn man der Natur den Geist entgegensetzt und sie zur bewusstlosen und kausal determinierten Erscheinung macht, während der Geist als Prinzip von Bewusstsein und Freiheit dasteht. Versuche der Versöhnung, wie sie noch im 18. und 19. Jahrhundert gang und gäbe waren, greifen nach den heutigen Erkenntnissen nicht mehr, seit die Kultur sich als dualer Kontrahent andauernd an der Natur zu schaffen macht, um sie in die Rolle einer kultivierten Natur zu zwingen. Gleichzeitig eignen die Errungenschaften der Kultur wie Technik, Industrialisierung und Atomkraft sich die Natur via Raubbau und Missbrauch an, ohne zu berücksichtigen, dass die Natur nicht nur Ressource, sondern auch ein Akteur ist, der agiert und reagiert, wie die Realität immer öfter zeigt.
Der Mensch, der in vieler Hinsicht für die Kultur steht und selbst ein Produkt der Natur ist, hat von Anfang an versucht, die Natur auszunutzen, schon lange vor Jahwes Gebot, sich die Erde untertan zu machen. Wenn man es genau wissen will, stößt man auf viele Indizien dafür, dass und wie die Natur, wenn es zu viel wird, einen Ausgleich fordert und, falls dieser ausbleibt, mit drastischen und zerstörerischen Aktionen aufwartet.
Und wie steht es um die Sprache, die angeblich uns Menschen überhaupt erst zu Menschen macht? Die Weitergabe von Information funktioniert schließlich auch ohne Sprache, beziehungsweise ohne ein System, das auf einem gesprochenen oder geschriebenen Vokabular basiert und von einer Grammatik geformt wird. Hunde und Katzen zum Beispiel informieren sich weitgehend olfaktorisch, schnüffeln und markieren. Pflanzen setzen obendrein Duftstoffe ab, die anzeigen, dass ihnen von Schädlingen Gefahr droht, und rufen auf diese Weise den Feind ihres Feindes zu Hilfe. Vögel warnen mit bestimmten Schreien andere Vögel oder auch Säugetiere, mit denen sie eine Art lockere Symbiose (hilfst du mir, dann helf ich dir!) verbindet. Bienen tanzen aufschlussreich und weibliche Elche urinieren vor der Nase des männlichen Geweihträgers, wenn sie sich lieber noch um ihren Nachwuchs kümmern wollen, anstatt sich gleich wieder schwängern zu lassen.
Es sind größtenteils Körpersprachen, die zur Weitergabe von Information taugen, ob mit Gerüchen, Gesten oder Lauten – wie das Bellen,