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Hexen, Wölfe, Gargoyles: Fantasy Paket
Hexen, Wölfe, Gargoyles: Fantasy Paket
Hexen, Wölfe, Gargoyles: Fantasy Paket
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Hexen, Wölfe, Gargoyles: Fantasy Paket

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About this ebook

Hexen, Wölfe, Gargoyles: Fantasy Paket

von Alfred Bekker

 

Über diesen Band:

 

Dieses Buch enthält folgende Geschichten von Alfred Bekker:

 

Jack the Gargoyle

Zeit der Werwölfe

Murphy in der Nebelwelt

Murphy und die magische Streitaxt

May Harris - Das Böse lebt

May Harris und der Magier

May Harris und das Grauen von Tanger

May Harris und die Diener des Satans

 

 

 

London, im Jahr 1888 - fünf Monate vor dem 300jährigen Thronjubiläum seiner Majestät Henry IX., dem allmächtigen Magierkönig von Großbritannien und Irland, Regenten des Empire, Befehlshaber der Luftschiff-Navy und Kaiser von Indien...

LanguageDeutsch
PublisherAlfred Bekker
Release dateJul 3, 2021
ISBN9798201694388
Hexen, Wölfe, Gargoyles: Fantasy Paket
Author

Alfred Bekker

Alfred Bekker wurde am 27.9.1964 in Borghorst (heute Steinfurt) geboren und wuchs in den münsterländischen Gemeinden Ladbergen und Lengerich auf. 1984 machte er Abitur, leistete danach Zivildienst auf der Pflegestation eines Altenheims und studierte an der Universität Osnabrück für das Lehramt an Grund- und Hauptschulen. Insgesamt 13 Jahre war er danach im Schuldienst tätig, bevor er sich ausschließlich der Schriftstellerei widmete. Schon als Student veröffentlichte Bekker zahlreiche Romane und Kurzgeschichten. Er war Mitautor zugkräftiger Romanserien wie Kommissar X, Jerry Cotton, Rhen Dhark, Bad Earth und Sternenfaust und schrieb eine Reihe von Kriminalromanen. Angeregt durch seine Tätigkeit als Lehrer wandte er sich schließlich auch dem Kinder- und Jugendbuch zu, wo er Buchserien wie 'Tatort Mittelalter', 'Da Vincis Fälle', 'Elbenkinder' und 'Die wilden Orks' entwickelte. Seine Fantasy-Romane um 'Das Reich der Elben', die 'DrachenErde-Saga' und die 'Gorian'-Trilogie machten ihn einem großen Publikum bekannt. Darüber hinaus schreibt er weiterhin Krimis und gemeinsam mit seiner Frau unter dem Pseudonym Conny Walden historische Romane. Einige Gruselromane für Teenager verfasste er unter dem Namen John Devlin. Für Krimis verwendete er auch das Pseudonym Neal Chadwick. Seine Romane erschienen u.a. bei Blanvalet, BVK, Goldmann, Lyx, Schneiderbuch, Arena, dtv, Ueberreuter und Bastei Lübbe und wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt.

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    Hexen, Wölfe, Gargoyles - Alfred Bekker

    Hexen, Wölfe, Gargoyles: Fantasy Paket

    von Alfred Bekker

    Über diesen Band:

    Dieses Buch enthält folgende Geschichten von Alfred Bekker:

    Jack the Gargoyle

    Zeit der Werwölfe

    Murphy in der Nebelwelt

    Murphy und die magische Streitaxt

    May Harris - Das Böse lebt

    May Harris und der Magier

    May Harris und das Grauen von Tanger

    May Harris und die Diener des Satans

    ––––––––

    London, im Jahr 1888 - fünf Monate vor dem 300jährigen Thronjubiläum seiner Majestät Henry IX., dem allmächtigen Magierkönig von Großbritannien und Irland, Regenten des Empire, Befehlshaber der Luftschiff-Navy und Kaiser von Indien...

    Copyright

    Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

    Alfred Bekker (https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/)

    © Roman by Author / COVER STEVE MAYER nach Motiven von G. Innis

    © dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

    Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Alle Rechte vorbehalten.

    www.AlfredBekker.de

    postmaster@alfredbekker.de

    Folge auf Twitter:

    https://twitter.com/BekkerAlfred

    Erfahre Neuigkeiten hier:

    https://alfred-bekker-autor.business.site/

    Zum Blog des Verlags

    Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!Verlags geht es hier:

    https://cassiopeia.press

    Alles rund um Belletristik!

    Jack the Gargoyle

    Alfred Bekker

    Jack the Gargoyle

    UUID: 0903e614-5f7c-11e9-9fc5-bb9721ed696d

    Dieses eBook wurde mit StreetLib Write (http://write.streetlib.com) erstellt.

    Table of Contents

    UPDATE ME

    Copyright

    ––––––––

    COVER MARA LAUE

    Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

    Alfred Bekker (https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/)

    © Roman by Author / Cover by Hugo Kastner, 2019

    © dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

    Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

    Alle Rechte vorbehalten.

    www.AlfredBekker.de

    postmaster@alfredbekker.de

    Folge auf Twitter:

    https://twitter.com/BekkerAlfred

    ––––––––

    Zum Blog des Verlags geht es hier:

    https://cassiopeia.press (https://cassiopeia.press/)

    Alles rund um Belletristik!

    Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!

    Jack the Gargoyle

    Alfred Bekker

    ****

    London, im Jahr 1888 - fünf Monate vor dem 300jährigen Thronjubiläum seiner Majestät Henry IX., dem allmächtigen Magierkönig von Großbritannien und Irland, Regenten des Empire, Befehlshaber der Luftschiff-Navy und Kaiser von Indien...

    *

    Dichter Nebel stieg von der Themse empor und drängte sich durch die engen Gassen. Wie graue, gestaltlose Ungeheuer wirkten diese Schwaden, wenn sie sich teilten und die Häuser umfassten wie die Tentakel eines krakenhaften Monstrums.

    Der Mond war nur ein verwaschener, fahler Fleck und der Himmel so bewölkt, dass man nicht einen einzigen Stern sehen konnte. Und doch war der Himmel voller Lichter. Es waren die Lichter abertausender Luftschiffe, die London Tag und Nacht umschwirrten. Menschen und Waren aus allen Ländern des Empire und darüber hinaus gelangten mit ihnen nach London.

    Irgendwo auf einer der zahllosen Türme der Stadt breitete ein katzengroßer, steingrauer Gargoyle seine Flügel aus und ließ sich in die Tiefe gleiten. Das mit mehreren Reihen spitzer Zähne bewehrte drachenähnliche Maul öffnete sich. Ein zischender Laut drang daraus hervor, dann etwas, das wie ein hungriges Knurren klang. Die Augen des kleinen Monstrums leuchteten rot und waren aufmerksam auf die engen Gassen unter ihm gerichtet. Der Nebel, der sich in den Straßen immer mehr breit machte, schränkte seine Sicht nicht ein, denn es war die Magie eines sehr dunklen Zaubers, die dieses Wesen beseelte und ihm seine Kraft ab. Ein Blick, der alles zu durchdringen vermochte und vor dem nichts verborgen bleiben konnte, gehörte auch dazu.

    Plötzlich stürzte das Wesen in die Tiefe. Zielgerichtet stieß es herab, auf einen Mann in Frack und Zylinder zu, der die Straße entlangging. Der Mann im Zylinder riss die Augen auf und stieß gerade noch einen gellenden Schrei aus, bevor der Gargoyle sich auf ihn stürzte.

    *

    Nein!

    Elizabeth Winterbottom erwachte aus einem unruhigen Traum. Schweißgebadet saß sie aufrecht in ihrem Bett. Sie rang nach Atem, strich sich das lange, dunkle Haar aus dem Gesicht und spürte, wie ihr das Herz bis zum Hals schlug. Beruhige dich, es war nur ein Traum, erkannte sie schließlich. Allerdings einer dieser besonderen Träume...

    Elizabeth schauderte bei dem Gedanken. Seit frühester Jugend hatte sie seherische Träume gehabt. Träume, die oft genug schlaglichtartig die Zukunft zeigten - oder Ereignisse, die sich an weit entfernten Orten abspielten und in irgendeiner Weise mit ihrem Schicksal verbunden waren. Erklären konnte sie das nicht. Oft genug hatte sie zukünftige Ereignisse und Gefahren vorhergesehen. Und vor allem schien sie vorhersehen zu können, wenn magische Kreaturen aus fremden Welten auftauchten.

    So wie dieser grausame Gargoyle.

    Mindestens sechs Menschen hatte er bisher schon umgebracht. Und jeden dieser Menschen hatte Elizabeth zuvor im Traum gesehen.

    Sie schlug die Bettdecke zur Seite und stand auf. In ihrem weißen, fließenden Nachthemd ging sie zum Fenster ihres Zimmers im dritten Stock des herrschaftlichen Hauses in der Londoner Ladbroke Grove Road, in dem sie wohnte und aufgewachsen war. Nebel erfüllte die Straßen. Die Gaslichter der Straßenlaternen leuchteten durch diese grauen Nebelschwaden hindurch.

    Irgendwo da draußen ist jemand von diesem Gargoyle umgebracht worden, durchfuhr es sie mit eisigem Schrecken. Oder es wird erst noch geschehen...

    Beides war möglich. Aber in diesem Fall hatte Elizabeth das deutliche Gefühl, dass es bereits geschehen war und sie nichts mehr tun konnte, um das Opfer vielleicht noch zu warnen.

    Elizabeth zog sich einen Morgenmantel über und verließ ihr Zimmer. Auf den breiten Fluren des Hauses brannte die ganze Nacht über Licht. Sir James Malcolm, Elizabeth' Onkel und Besitzer dieses Hauses mit der Hausnummer 23, hasste nichts so sehr wie Dunkelheit und Unübersichtlichkeit. Darüber hinaus war er üblicherweise die ganze Nacht auf, um sich wissenschaftlichen Experimenten oder der Lektüre seltener oder sogar verbotener Bücher zu widmen.

    Elizabeth lief barfuß und fast lautlos den Flur entlang bis zu dessen Ende, dann eilte sie die Freitreppe hinab und hatte nach wenigen Augenblicken das Erdgeschoss erreicht.

    Die Wände der Eingangshalle waren von Bücherregalen bedeckt. In Leder gebundene Folianten standen dicht gedrängt nebeneinander, darunter viele uralte Ausgaben und Bücher in fremden Sprachen. Beinahe überall in der Villa sah es so aus, denn Sir James Malcolm war ein leidenschaftlicher Sammler und Margret, die Haushälterin, hatte alle Hände voll zu tun, den Staub nicht Überhand nehmen zu lassen.

    Elizabeth wusste genau, wo ihr Onkel um diese Zeit anzutreffen war.

    Sie öffnete eine Tür, gelangte in einen langgestreckten, ebenfalls hell erleuchteten Salon. Eine zweiflügelige Tür grenzte diesen vom Studierzimmer ab - jenem Raum, in dem Sir James mit Vorliebe die Nächte verbrachte, um sich in alte Schriften, absonderliche Theorien oder wissenschaftliche Experimente vertiefte.

    Elizabeth klopfte nur einmal, wartete die Antwort ihres Onkels gar nicht erst ab, sondern stürmte sogleich in den Raum. Sie wusste zwar, dass Sir James es nicht leiden konnte, wenn man ihn abrupt aus der Konzentration aus ein wichtiges Experiment oder die Lektüre eines Buches herausriss.

    Aber in diesem Fall war es einfach nicht zu vermeiden.

    Es war schließlich Gefahr im Verzug. Der Gargoyle hatte wieder zugeschlagen und sich ein weiteres Opfer gesucht - und Elizabeth fand, dass man diesem Schrecken dringend ein Ende setzen sollte.

    Onkel James!, rief sie.

    James Malcolm war ein hochgewachsener, hagerer Mann mit dunkelgrauem Haar und einem sehr intensiven, durchdringenden Blick, der in diesem Fall einer kleinen Miniaturdampfmaschine galt, die er auf einer Tischplatte aus Marmor in Betrieb genommen hatte. Sir James experimentierte schon seit langem immer wieder mit verschiedenen Dampfmaschinen. Er wollte beweisen, dass eine Dampfmaschine derart technisch verbessert werden konnte, dass man auf den Einsatz von Magie bei ihrem Betrieb völlig verzichten konnte und sie trotzdem genug Energie erzeugte, um Dampfdroschken, Lokomotiven oder Luftschiffe anzutreiben oder Elektrizität zu erzeugen.

    Elizabeth hielt nicht viel von diesen Experimenten ihres Onkels. Im Grunde genommen waren sie ihr sogar etwas peinlich. Jeder wusste schließlich, dass Dampfmaschinen ohne den Einsatz von Magie niemals genug Kraft erzeugen konnten. Wäre es anders gewesen, hätten all die Dampfdroschkenfahrer, die einen durch die Straßen Londons fuhren, sicherlich liebend gerne darauf verzichtet, regelmäßig die teuren Dienste von Magiern in Anspruch zu nehmen, die mit ihren Beschwörungen und einem oft sehr speziell gewirkten Zauber dafür sorgten, dass ein solcher Mechanismus nicht gleich Tonnen von Kohle verbrauchte, nur um gerade einmal vom Tower zum Magic Square zu fahren.

    Onkel James!, wiederholte Elizabeth noch einmal, diesmal lauter und durchdringender, denn sie wusste genau, dass Sir James so einfach nicht aus seiner eigenen Gedankenwelt herauszureißen war.

    Was ist denn?, fuhr dieser dann ärgerlich auf, während die kleine Maschine auf dem Marmortisch mit surrenden Geräusch vor sich hinlief und dabei über einen zweiten Mechanismus und einen Dynamo eine Glühbirne zum Leuchten brachte.

    Allerdings schien das Experiment aus einem Grund, den Elizabeth nicht kannte, trotz allem nicht so ganz nach Sir James Vorstellungen zu verlaufen. Die Maschine geriet schließlich ins Stocken und blieb stehen. Das Licht verlosch. Wie viel einfacher wäre es gewesen, die Hilfe eines Magiers in Anspruch zu nehmen, anstatt darauf zu hoffen, dass es eine Möglichkeit gab, allein durch die Ausnutzung gewisser Naturgesetze die gleiche Wirkung zu erzielen!

    Elizabeth hatte für die Ablehnung ihres Onkels gegenüber der Magie ohnehin nicht sehr viel Verständnis. Natürlich gab es ein paar unangenehme Nebenwirkungen, die der hemmungslose Gebrauch von magischen Kräften aller Art mit sich brachte. Vor fast dreihundert Jahren hatte das angefangen, als der sogenannte Magierkönig Henry IX. den Thron bestiegen hatte. Seitdem regierte er das Land - und es schien als würde sich daran auch in den nächsten dreihundert Jahren nichts ändern, da Henry inzwischen die Magie so machtvoll einzusetzen wusste, dass selbst der Tod ihm offenbar nichts anhaben konnte.

    Onkel James, er hat wieder zugeschlagen!

    Von wem sprichst du, mein Kind?

    Von Jack! Von wem sonst! Ich habe ihn im Traum gesehen!

    Jack - so nannte man in London inzwischen die unheimliche Kreatur, die in der Nacht in den Straßen Londons auf Jagd ging.

    Auf Menschenjagd.

    Jack the Gargoyle war in aller Munde und manche Dampfdroschkenfahrer weigerten sich bereits, in der Nacht noch Gäste zu befördern, während sich die Wirte beklagten, dass ihre Gäste früher nach Hause gingen und weniger tranken und verzehrten.

    In diesem Moment trat eine hochgewachsene, schlaksige Gestalt durch die Tür zum Studierzimmer, die Elizabeth offen gelassen hatte. Das war Jeremiah (genannt ‘Jerry’) Croft, Sir James’ gerade einmal achtzehnjähriger Schüler, der ebenfalls im Haus lebte.

    Er stand im Morgenmantel da. Er sah kurz zu Elizabeth hinüber, deren Anblick ihn für einen Augenblick etwas zu irritieren schien, und wandte sich dann an Sir James. Ich habe einen Schrei gehört, sagte er dann. Im Westflügel. Allerdings...

    Das war ich, sagte Elizabeth. Ich hatte einen Traum. Während sie das sagte, sah sie Jerry Croft kurz an und umrundete anschließend den Marmortisch, um sich noch eindringlicher an ihren Onkel zu wenden. Jack the Gargoyle hat heute Nacht irgendwo in London einen Mann umgebracht - und ein vierarmiger Gnom stand in der Nähe und müsste es bezeugen können!

    Dann sollten wir Scotland Yard informieren, mischte sich Jerry ein.

    Ja, oder wir warten einfach ab, bis es in der Zeitung steht, wie es mein Onkel zu bevorzugen scheint!, stieß Elizabeth ziemlich ärgerlich hervor, denn irgendwie fühlte sie sich von Sir James nicht gebührend beachtet. Onkel James, dies ist der Moment, an dem Englands brillantester Detektiv endlich eingreifen sollte, anstatt tatenlos zuzusehen, wie dieses Ungeheuer weitere unschuldige Opfer fordert!

    Die Dampfmaschine auf dem Marmortisch machte noch ein paar Umdrehungen, der Kolben wurde langsamer und es quoll noch eine weiße Wolke aus dem Apparat hervor. Dann war Schluss. Die Maschine war nicht mehr in Betrieb. Offenbar war ihr der Brennstoff ausgegangen - wie schon so oft. Mit Hilfe eines guten Magiers hätte sie eine Woche laufen können, stieß Sir James hervor, ohne auf die Worte seiner Nichte auch nur im Mindesten einzugehen. Sir James seufzte. Er beugte sich über den Tisch, um sich die Maschine anzusehen und seufzte dann erneut schwer. Es scheint einfach nicht möglich zu sein, eine Dampfmaschine so zu betreiben, dass sie ohne magische Hilfe auch nur einigermaßen effizient wäre! Aber nach meinen Berechnungen... Ich verstehe das nicht!

    Elizabeth wandte einen hilfesuchenden Blick an Jerry Croft. Sie mochte den Schüler ihres Onkels, der von Sir James noch in die Geheimnisse detektivischer Ermittlungen eingeweiht wurde und ihm darüber hinaus als Assistent und bisweilen auch als Laufbursche diente.

    So mutig und risikobereit Jerry auch sonst sein mochte - in diesem Fall durfte Elizabeth von ihm kaum Unterstützung erwarten, wie sie wusste. Denn eines stand fest: Wenn Sir James einen Fall nicht für wert befand, dass er sich der Sache annahm, gab es nichts und niemanden, der ihn vom Gegenteil hätte überzeugen können - abgesehen von ihm selbst.

    James Malcolm hatte sich als Detektiv große Verdienste erworben. Als es einer Bande von Dieben gelang, die Kronjuwelen zu stehlen und weder Scotland Yard noch die Magier des Königs die Täter zu finden und zu überführen vermochte, wandte sich das Königshaus in seiner Verzweiflung an den Detektiv James Malcolm, der damals noch in einer engen kleinen Dachgeschosswohnung in der Webber Street gelebt und sich mit Aufträgen von Leuten über Wasser gehalten hatte, denen ein Magier zu teuer war.

    James Malcolm hatte aus der Not eine Tugend gemacht. Er war zutiefst davon überzeugt, dass logisches Denken und exakte Wissenschaft viel schneller ans Ziel führten als Magie. Aber erst der Fall der gestohlenen Kronjuwelen hatte es ihm ermöglicht, sein Können unter den Augen einer breiten Öffentlichkeit unter Beweis zu stellen. Wie sich herausstellte, waren die Täter selbst Magier gewesen, die sich natürlich gegen alle erdenklichen magischen Ermittlungsmethoden hervorragend abzuschirmen wussten.

    Aber gegen die Kraft des logischen Gedankens und die Klarheit wissenschaftlicher Erkenntnis gab es keine Abschirmung durch Magie. Und so hatte selbst der Magierkönig in seiner Verzweiflung anerkennen müssen, dass in diesem Fall nur ein Mann wie James Malcolm zum Erfolg kommen konnte. Ein Mann, der grundsätzlich von der Überlegenheit des logischen Denkens gegenüber der Magie überzeugt war. James Malcolm war für seine erfolgreichen Ermittlungen fürstlich entlohnt worden. Man hatte ihn in den niederen Adelsstand erhoben und die Summe, die er zur Belohnung für die Wiederbeschaffung der Kronjuwelen bekam, hatte es ihm erlaubte, sich die Villa in der Ladbroke Grove Road zu kaufen und von nun an nur noch Fälle anzunehmen, deren Aufklärung ihn persönlich interessierten. Ansonsten widmete er sich seinen privaten Studien und der Erfindung einer effizienten Ausnutzung der Dampfkraft ohne Zuhilfenahme von Magie.

    Und was war an einem mordenden Gargoyle schon Besonderes, dass einen Mann wie ihn gereizt hätte?

    Dass bösartige Geschöpfe aus anderen Dimensionen und Welten nach London gelangten, kam schließlich relativ häufig vor. Immer wieder traten Risse zwischen den Universen auf, durch die es diese Kreaturen hier her verschlug: Manchmal gutmütige Kobolde oder Gnome, in anderen Fällen bösartige Kreaturen, vor denen man sich hüten musste. Ein Gargoyle war da noch gar nicht einmal das Schlimmste, was man sich vorstellen konnte. Vor einigen Jahren hatte ein feuerspeiender Drache, fast so groß wie zwei Dampfdroschken, einen ganzen Stadtteil mit seinem Drachenfeuer abgebrannt! Das war jenes Gebiet, auf dem sich heute ein großer, freier Platz, der sogenannte Magic Square, befand.

    Soll Scotland Yard einen Magier anheuern, der diesen Gargoyle endlich aufspürt und unschädlich macht, sagte Sir James jetzt und zog dabei die Augenbrauen in die Höhe. Es ist eine Schande, dass das nicht längst geschehen ist und sich die Bürger der Stadt so sehr ängstigen müssen.

    Vielleicht ist das ja längst geschehen, wandte Elizabeth ein. Glaubst du nicht, dass man alles versucht hat, um diese Kreatur unschädlich zu machen?

    Nun, so wie ich diese Sache in der Zeitung verfolgen konnte, hat man ein paar geradezu haarsträubende Fehler bei den Ermittlungen begangen und meiner Ansicht nach ist es den Behörden wichtiger, die wahre Ursache dieses Unheils zu vertuschen, als alles daran zu setzen, dieses Geschöpf zu bekämpfen.

    Onkel James...

    Die wahre Ursache dieses Unheils, mein Kind, ist der übermäßige Einsatz von Magie, wie er seit dem Regierungsantritt unseres Königs üblich wurde. Keine Dampfmaschine würde ohne Magie laufen - jedenfalls nicht mit so wenig Brennstoff, wie das allgemein üblich ist. Kein Luftschiff wäre betriebsbereit und schnell genug, kein Arzt wagt noch allein auf die Wirkung einer guten Medizin zu vertrauen. Der übermäßige Einsatz von Magie und Zauberei sind die Ursachen für das Auftreten der Risse zwischen den Universen. Keines der Geschöpfe, die in den letzten dreihundert Jahren wie aus dem Nichts auftauchten und zum Teil Angst und Schrecken verbreiteten, hätte überhaupt hier her, in unsere Welt gelangen können, wenn nicht der übermäßige Gebrauch von Magie die Grundfesten der Wirklichkeit erschüttert hätte.

    Mit Verlaub, dazu gibt es durchaus unterschiedliche Ansichten, mischte sich nun Jerry Croft ein.

    Sowohl Elizabeth als auch Sir James waren ziemlich überrascht - wenn auch aus unterschiedlichen Gründen.

    Elizabeth wunderte sich, dass Jerry es gewagt hatte, seinem Lehrherrn und Meister so deutlich zu widersprechen, wie es vermutlich schon lange niemand mehr getan hatte. Das war mutig, dachte sie. Beinahe leichtsinnig. Schließlich musste Jerry jetzt befürchten, dass Sir James mit der geballten Kraft seiner Argumente und eines überlegenen Wissens zurückschlug und man sich am Ende der Unterhaltung wie der größte Dummkopf vorkam. Elizabeth hatte das auch schon erleben müssen. Für einen Moment überlegte sie, ob Jerry seinem Meister vielleicht nur deswegen widersprochen hatte, um ihr seinen Mut zu demonstrieren.

    Egal, dachte sie. Wenn es so sein sollte, macht ihn das nur noch sympathischer...

    Bevor Sir James etwas sagen konnte, ergriff Elizabeth das Wort.

    Es kam in diesem Augenblick nicht darauf an, was sie sagte, sondern nur, dass sie laut und eindringlich genug sprach. Dann, so wusste Elizabeth hatte sie eine Chance, ihren Onkel davon abzuhalten, sich jetzt in irgendwelchen theoretischen Ausführungen zu verlieren, die außer ihm selbst ohnehin niemand so richtig verstand.

    Onkel James, es geht hier auch um das Versprechen, das du meinen Eltern gegeben hast, als du mein Taufpate wurdest.

    Sir James runzelte die Stirn.

    Welches Versprechen meinst du?, fragte der Detektiv etwas irritiert.

    Es ist also tatsächlich möglich, ihn für einen kurzen Moment zu verblüffen, ging es Elizabeth derweil durch den Kopf. Ein plötzlicher, nicht auf den ersten Blick logisch erscheinender Themenwechsel reichte dafür offenbar schon aus. Alles, was er nicht restlos und möglichst auf den ersten oder zweiten Blick zu durchschauen vermochte, irritierte ihren Onkel. Und das hatte Elizabeth in der Vergangenheit schon so manches Mal ausgenutzt - zum Beispiel, um ihn dazu zu zwingen, ihr zuzuhören.

    Und genau darum ging es auch jetzt.

    Du hast meinen Eltern versprochen, dich um mein Wohlergehen und meine Erziehung zu kümmern, sollten sie dazu einmal nicht mehr in der Lage sein, stellte Elizabeth fest.

    Was dann unglücklicherweise schon wenige Jahre später auch tatsächlich eintraf, sagte Sir James. Und wenn ich mich noch recht erinnere, habe ich dieses Versprechen sehr ernst genommen. Schließlich nahm ich dich in meinen Haushalt auf, habe dafür gesorgt, dass du von den besten Hauslehrern unterrichtet wurdest und...

    Aber jetzt - hier und heute - brichst du dieses Versprechen, Onkel James, unterbrach Elizabeth ihn.

    Diesen Vorwurf musst du erläutern, entgegnete er. Es tut mir leid, aber ich kann mir einfach keinen Reim darauf machen, was du mir damit sagen willst, mein Kind.

    Onkel James, ich hatte jedes Mal eine meiner Visionen, wenn dieser Gargoyle zugeschlagen hat. Ich habe im Traum gesehen, wie er zum ersten Mal am Lagerhaus in der Eddington Street auftauchte - und genau dort haben Zeugen ihn dann später identifiziert, wie man in der Zeitung nachlesen konnte.

    Mir sind diese zugegebenermaßen erstaunlichen Übereinstimmungen zwischen deine Visionen und den Geschehnissen um diesen Jack durchaus bekannt, werte Nichte. Ich weiß allerdings nicht, was dies jetzt...

    Onkel James, das ist kein Zufall!

    Dazu müsste man eine umfangreiche Wahrscheinlichkeitsrechnung anstellen, um zu beurteilen, ob...

    Dieser Gargoyle ist meinetwegen hier.

    Für einen Moment herrschte nun vollkommene Stille im Studierzimmer von Sir James Malcolm. Sah man einmal von dem regelmäßigen Ticken einer Wanduhr ab, die Sir James selbst angefertigt hatte und von der er behauptete, es sei weltweit die einzige Uhr, die ohne die Anwendung von Magie weniger als eine hundertstel Sekunde in drei Jahren nachging.

    Deinetwegen?, fragte Sir James dann stirnrunzelnd.

    Elizabeth schluckte. Sie rieb ihre Handflächen gegeneinander und wich zunächst dem durchdringenden Blick ihres Onkels aus, ehe sie sich schließlich dazu entschied, ihm standzuhalten. Ich kann es nun einmal nicht besser erklären, Onkel James, aber ich weiß einfach, dass es genau so ist. Es ist kein Zufall, dass ich diesen furchtbaren Jack dabei innerlich zusehen kann, wie er seine grausamen Taten begeht. Ich habe fast das Gefühl, dass zwischen uns irgendeine Art von unerklärlicher Verbindung besteht...

    Was du sagst, wird immer verworrener, Elizabeth, stellte Sir James kopfschüttelnd fest. Du sprichst von einem Gefühl, das dir sagt, dass diese Geschehnisse um Jack the Gargoyle etwas mit dir zu tun hätten. Aber ich kann dir versichern, dass das nicht der Fall ist.

    Onkel James, ich weiß es einfach. Ich kann es nicht erklären, ich weiß nur, dass es so ist. Dieser Gargoyle will irgend etwas von mir, sonst würde er nicht in meinen Träumen erscheinen. Und darum bitte ich dich, diesen Fall endlich zu übernehmen. Denn den Gedanken, dass dieses Wesen nur meinetwegen hier ist und vielleicht sogar nur meinetwegen tötet, kann ich nicht nicht ertragen.

    Wieder herrschte einen Augenblick Schweigen - ein unangenehmeres Schweigen als zuvor. Eine tief Furche hatte sich auf der Stirn von Sir James gebildet und seine dichten Augenbrauen zogen sich dabei auf eine eigenartige Weise zusammen. Elizabeth kannte ihren Onkel gut genug, um zu wissen, dass das immer dann der Fall war, wenn er intensiv über etwas nachdachte. Insbesondere dann, wenn er eine wichtige Entscheidung zu treffen hatte. Elizabeth wusste auch, dass man ihm dann am besten etwas Zeit gab und gar nichts sagte.

    Jerry Croft wusste das offenbar noch nicht.

    Da er noch nicht lange bei Sir James in der Ausbildung war, war das verständlich. Trotzdem verwünschte ihn Elizabeth in diesem Moment dafür, dass er das Wort ergriff. Sie hatte ihm zuvor einen intensiven Blick zugewandt, mit dem sie ihm eigentlich hatte bedeuten wollen, dass er schwieg.

    Aber Jerry hatte dies offenbar genau gegenteilig verstanden: als stumme Bitte um Unterstützung!

    Elizabeth hat recht, Sir James. Wir müssen uns des Falls annehmen. Und auch wenn sich die Träume Ihrer Nichte weder durch die Wissenschaft, noch durch gängige magische Theorien...

    Verschone mich mit deinem unsäglichen Halbwissen über magische Theorien!, fuhr Sir James dazwischen. Aber Jerry ließ sich nicht davon abbringen weiter zu sprechen.

    ...erklärbar sind, so müssen Sie doch anerkennen, dass sie eine Bedeutung haben. Und es wäre ja auch nicht das erste Mal, dass ein Hinweis, den Elizabeth Ihnen mit Hilfe ihrer Visionen gegeben hat, Ihnen bei der Lösung eines Falles geholfen hat.

    Dieser Hinweis war Sir James sichtlich unangenehm.

    Natürlich war ihm sofort bewusst, auf welchen Fall Jerry anspielte. Jerrys Vater war Inhaber einer großen Luftschiff-Reederei und vor einem Jahr wurde diese Reederei durch Erpresser in Bedrängnis gebracht, die damit drohten, die Luftschiffe der Reederei mit magischen Attacken heimzusuchen. Allein die glaubhafte Drohung mit einer Serie von Luftschiffabstürzen hätte die Passagiere schon davon abschrecken können, mit den Schiffen der Croft Reederei zu fliegen oder ihnen ihre Warenladungen anzuvertrauen. Das Unternehmen wäre innerhalb kürzester Zeit ruiniert gewesen und so hatte man Sir James Malcolm, den Detektiv, der durch die Wiederbeschaffung der Kronjuwelen berühmt geworden war, damit beauftragt, den Erpressern das Handwerk zu legen. Aber trotz all der brillanten Detektivmethoden, die Sir James einzusetzen pflegte, war es letztlich ein Hinweis von Elizabeth gewesen, der zur Ergreifung der Täter geführt hatte. Sie hatte nämlich den Aufenthaltsort in einer ihrer Visionen gesehen.

    Und Sir James hatte zähneknirschend anerkennen müssen, dass er allein mit seinen Methoden sicherlich nicht so schnell auf die Spur der Erpresser gekommen wäre.

    Elizabeth war schon in frühester Kindheit auf ihre besondere Begabung aufmerksam geworden. Und es hatte eine Weile gedauert, bis sie begriffen hatte, dass andere Menschen diese Dinge nicht sahen. So hatte sie den Tod ihrer Eltern bei einem Hausbrand vorausgesehen. Damals war sie vier Jahre gewesen und hatte nicht verstanden, dass niemand außer ihr dieses drohende Unheil aus der Zukunft wahrnahm, das für sie doch so klar zu erkennen war. Wenn Elizabeth damals schon vertrauter mit ihrer Gabe gewesen wäre, hätte sie vielleicht etwas tun können, um dieses Unglück zu verhindern. Aber dazu war sie damals noch nicht im Stande gewesen. Sie hatte ja selbst nicht einmal richtig verstanden, was da eigentlich in ihr vorging.

    Heute war das anders.

    Sie hatte gelernt, dieser Gabe zu vertrauen - so sehr ihr genialer Onkel auch daran zweifeln mochte.

    Sir James hatte eine Weile versucht, für diese Gabe eine logisch-wissenschaftliche Erklärung zu finden. Ob es sich tatsächlich um eine magische Kraft handelte oder es dafür vielleicht doch eine andere Erklärung gab, konnte selbst Sir James bisher nicht zweifelsfrei ergründen.

    Immerhin erkannte er aber inzwischen an, dass Elizabeth’ Visionen, Ahnungen und seherische Träume nicht vorn herein nur Hirngespinste einer Siebzehnjährigen waren, die eine schwere Kindheit hinter sich hatte und deren Geisteszustand deshalb vielleicht nicht über jeden Zweifel erhaben war.

    Die Uhr in Sir James’ Studierzimmer schlug in diesem Augenblick vier mal.

    Sir James sah auf seine Taschenuhr - auch sie mit magiefreier Mechanik betrieben! - und nickte zufrieden, was nur bedeuten konnte, dass sie richtig ging. "Es ist jetzt genau vier Uhr morgens. Um diese Zeit hat man sogar Schwierigkeiten eine Dampfdroschke zu bekommen, die Sperrstunde ist lange vorbei und die meisten Straßen sind wie ausgestorben, bevor die ersten Bäckergesellen ihre Backstuben aufsuchen, in den Krankenhäusern die Nachtschicht vorbei ist und im Hafen und in den Fabriken die Arbeit beginnt. Es könnte also tatsächlich sein, dass noch niemand von dem Vorfall weiß. Nehmen wir nämlich weiter an, dass Elizabeth den Angriff des Gargoyles vorausgesehen hat und nehmen wir darüber hinaus an, dass sich dieses Ereignis unmittelbar danach auch so abgespielt hat, dann wäre es durchaus möglich, dass die Leiche des Opfers noch nicht gefunden wurde."

    Um so besser für uns, denn wir könnten noch Untersuchungen vornehmen und vielleicht wichtige Spuren sichern, mischte sich Jerry ein. Aber dessen Gedanken waren im Moment bei Sir James nicht gefragt. Er hob die Hand, um ihm damit zu bedeuten, dass er schweigen und ihn nicht in der Konzentration auf seinen Gedankengang stören sollte.

    Sir James wandte sich an Elizabeth.

    Wo könnte sich der Tatort befinden?, fragte er.

    Elizabeth hob die Schultern. Darüber habe ich auch schon die ganze Zeit nachgedacht. Es war eine dunkle Straße...

    Versuche, dich an irgendwelche Einzelheiten zu erinnern, anhand derer sich der mögliche Tatort vielleicht identifizieren lässt.

    Da war nichts Besonderes. Ein paar Geschäfte, ein Gasthaus...

    Was für Geschäfte?

    Ich weiß nicht mehr. Ich war so von dem Gargoyle gebannt, dass ich alles andere nicht so beachtet habe.

    Es sind immer die Kleinigkeiten, auf die es ankommt, Elizabeth. Er fasste sie bei den Schultern. Versuch dich zu konzentrieren! Auf jede Kleinigkeit. Denn die Tat könnte sich überall in London abgespielt haben. Wenn wir nicht mehr Informationen haben, als die, die du uns bisher geliefert hast, wird es das Beste sein, die Abendausgabe der Times abzuwarten und nachzulesen, wo der Tote gefunden wurde...

    An einem der Fenster war ein Schatten, sagte Elizabeth plötzlich.

    Wie sah der Schatten aus?

    Wie - ein dunkles Sechseck!

    Ein Hexagon!, stieß Sir James hervor, so als hätte er endlich etwas gefunden, was ihm weiterhelfen konnte. Läden mit einer Lizenz zum Verkauf staatlich geprüfter magischer Amulette haben ein sechseckiges Emblem in ihren Fenstern. Also wird es ein Geschäft für magische Amulette gewesen sein.

    Davon dürfte so um die 500 Läden allein in London geben, warf Jerry Croft ein.

    Genau genommen sind es 461, stellte Sir James fest. Ich kenne sie alle. Aber du hast natürlich recht, Jerry: Um die Straße zu bestimmen, reicht das noch nicht aus.

    Im Hintergrund war ein Turm zu sehen, sagte Elizabeth plötzlich.

    Das reduziert die Anzahl in Frage kommender Geschäfte gerade mal um die Hälfte. Aber du hast vorhin einen vierarmigen Gnom erwähnt.

    Ja. Er hat gesehen, was der Gargoyle getan hat, da bin ich sicher!

    War zufällig ein Uhrengeschäft in der Straße?

    Wie kommst du auf ein Uhrengeschäft, Onkel James?

    Beantworte einfach meine Frage!

    Da war ein Geschäft. Aber dessen Fensterläden waren geschlossen.

    Und über den Fenstern?

    War eine Uhr an der Wand! Sie zeigte Viertel nach vier und hatte ein Pendel, das immer hin und her schwang. Elizabeth schluckte. Ich schwöre, an diesen Teil meines Traums habe ich mich jetzt gerade erst erinnert. Es ist mir vorher einfach nicht eingefallen!

    Ist schon gut, das macht ja nichts, sagte Sir James.

    Dann ist das, was ich gesehen habe, um Viertel nach vier geschehen!

    Sir James sah auf die Uhr in seinem Studierzimmer, dann auf die Taschenuhr. Bei beiden bewegte sich der Zeiger gerade in diesem Augenblick ein Stück weiter.

    Auf viertel nach vier.

    Die Erkenntnis, dass sich der Angriff des Gargoyles, den Elizabeth vorausgesehen hatte, vermutlich gerade jetzt irgendwo in London abspielte, wirkte auf Elizabeth im ersten Moment wie ein Schlag vor den Kopf. Ganz gleich, was sie oder Sir James auch unternommen hätten - es wäre nicht zu verhindern gewesen.

    Und doch bedrückte es Elizabeth, dass sie nichts hatte tun können und diesem Schrecken tatenlos hatte zusehen müssen.

    Jedenfalls weiß ich jetzt, wo sich das Ganze abgespielt haben muss, sagte unterdessen Sir James, sollte es sich um die Vision eines tatsächlichen Ereignisses handeln und nicht einfach um einen normalen Albtraum...

    Onkel James!

    ...was wir bis jetzt ja noch immer nicht völlig ausschließen können, Elizabeth. Sir James ging ein paar Schritte auf und ab. Er tat das oft, wenn er intensiv über etwas nachdachte. Es gibt 461 Geschäfte für staatlich geprüfte magische Amulette in London, davon liegen nur fünf in einer Straße, in der es gleichzeitig auch ein Uhrengeschäft gibt. Aber in ganz London gibt es nur ein Uhrengeschäft, das von einem vierarmigen Gnom betrieben wird: Elmar Laudwick’s Clockwork Manufacture! Das liegt in der Applegate Road - am anderen Ende der Stadt. Ich kenne die Gegend gut. Elmar Laudwick ist der einzige Uhrmacher Londons, der rein mechanische Uhren herstellt, die nicht auf magische Weise unterstützt werden müssen. Ich habe mir des öfteren von ihm mechanische Einzelteile anfertigen lassen, die ich für meine eigenen Versuche im Uhrmacherhandwerk verwendet habe. Sein Blick glitt kurz zu der nicht-magischen Wanduhr in seinem Studierzimmer. Dann tickte er sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn. Ja, ein fotografisches Gedächtnis hat seine Vorteile. Was ich einmal gesehen habe, behalte ich und einen Ort, an dem ich schon gewesen bin, finde ich wieder.

    Um diese Zeit werden wir allerdings keine Dampfdroschke bekommen, die uns quer durch die Stadt bringt, sagte Jerry.

    Sir James lächelte. " Man bekommt vielleicht keine Dampfdroschke - ich allerdings vielleicht schon. Der Leiter der zentralen Londoner Dampfdroschkenvermittlung ist mir einen Gefallen schuldig. Ich denke, es ist der Augenblick gekommen, ihn daran zu erinnern. Sir James vollführte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf und fuhr dann fort. Während ich ihn anrufe, schlage ich vor, dass ihr euch schonmal anzieht. Beeilt euch, damit die Abfahrt sich nicht unnötig verzögert."

    Wir eilen, sagte Elizabeth, erleichtert darüber, dass ihr Onkel sich entgegen seinem anfänglichen Widerstand entschlossen hatte, sich der Sache doch noch anzunehmen.

    *

    Es gab in London mit seinen vier Millionen Einwohnern zurzeit gerade einmal 120 Telefonanschlüsse. Verschiedene Magiervereinigungen hatten die Einführung und Verbreitung dieser Erfindung massiv bekämpft. Schließlich machte das Telefon die magischen Übertragungswege für Nachrichten vielleicht schon bald überflüssig! Wer brauchte noch eine Kristallkugel oder einen Zauberspiegel, um mit Personen an entfernten Orten zu sprechen, wenn man ein Telefon hatte? Auch die teuren Gedankenübertragungen, für die sich Magier hoch bezahlen ließen, waren dann überflüssig. Dasselbe galt für magische Steine und Amulette, die für denselben Zweck verkauft wurden. Noch war die Verbreitung des Telefons allein schon durch die Reichweite der Leitungen begrenzt, aber die Magiervereinigungen argumentierte, dass schon in wenigen Jahren unzählige von ihnen ihren Lebensunterhalt vielleicht nicht mehr verdienen konnten, wenn nur noch telefoniert wurde, anstatt Nachrichten auf magischem Weg zu übertragen.

    Und da König Henry selbst ein Magier war, hatten diese Argumente natürlich bei Hof zunächst offene Ohren gefunden. Allerdings bestand bei einer Übertragung magischer Botschaften immer auch die Gefahr, dass der Empfänger nicht nur seine Nachricht bekam, sondern auch durch diese auch magisch beeinflusst wurde. Bei einem Telefongespräch bestand diese Gefahr nicht - und so besaß König Henry inzwischen selbst ein Telefon und hatte sich darüber hinaus entschlossen, diese neue Art der Kommunikation nicht ganz zu verbieten, sondern nur die Anzahl der Anschlüsse zu beschränken.

    Schließlich wollte es sich der König ja nicht ganz mit den Magiervereinigungen verderben, auf deren Unterstützung er ansonsten ja durchaus angewiesen war.

    Während Elizabeth und Jerry bereits den Raum verlassen hatten, griff Sir James zu dem muschelförmigen Hörer des Telefons und ließ sich mit der Dampfdroschkenzentrale verbinden.

    *

    Elizabeth zog sich in Rekordzeit an und stand wenig später fertig in der Eingangshalle der Malcolm-Villa. Sie trug einen weinroten, eng geschnittenen Mantel und hatte sich das Haar hochgesteckt - etwas schnell vielleicht, aber so, dass sie sich sehen lassen konnte. Ein paar Strähnen hatten sich bereits aus der Frisur wieder herausgestohlen, aber das war ihr im Moment nicht so wichtig. Schließlich ging sie nicht auf einen Ball oder ins Theater.

    Jerry traf wenig später dort ein - in maßgeschneidertem Anzug und dunklem Wollmantel. Er trug diese Sachen mit der lässigen Selbstverständlichkeit von jemandem, der diese Dinge gewöhnt war. Ein junger Mann aus gutem Haus, für den alles zur Verfügung gestanden hatte, was teuer und schön war.

    Wenn man ihn so ansieht, kommt man nicht gleich auf den Gedanken, dass er als das schwarze Schaf seiner Familie gilt, ging es Elizabeth durch den Kopf. Aber genau so war es. Mehrere Eliteinternate hatte Jerry Croft schon hinter sich - und war auf keinem geblieben. Immer wieder war ihm wohl seine Disziplinlosigkeit zum Verhängnis geworden. Jerry hatte nie viel drüber erzählt, aber aus dem wenigen, was er darüber verraten hatte, konnte sich Elizabeth den Rest gut zusammenreimen.

    Jerrys Familie lebte in York, wo sich auch der Hauptsitz der gleichnamigen Luftschiff-Reederei befand und Elizabeth hatte den Eindruck, dass es Jerry guttat, nicht zu Hause zu leben. Ein Zuhause, das ihm ohnehin fremd war. Wie er Elizabeth gegenüber einmal gesagt hatte. Aber das war für sie nicht weiter verwunderlich. Schließlich hatte Jerry ohnehin den Großteil seiner Schulzeit in Internaten verbracht.

    Nachdem Sir James mit der Familie wegen der erpresserischen Magier-Attacke in Kontakt gekommen war und der Fall zur Zufriedenheit der Crofts hatte gelöst werden können, war Jerry die Idee gekommen, Detektiv zu werden.

    Die Crofts bezahlten Sir James eine ziemlich große Summe dafür, dass Jerry bei ihm ausgebildet wurde. Die Hoffnung, dass der junge Mann eine normale Schule abschließen würde, hatten die Crofts wohl inzwischen aufgegeben. Sie waren froh, dass sich Jerry überhaupt für irgendeine Ausbildung interessierte - und Jerry hatte um keinen Preis zu Hause in York leben wollen. Wie viel aufregender war doch das pulsierende London gegenüber seiner vergleichsweise verschlafenen Heimatstadt...

    Jerry wirkte im Moment etwa verlegen, was sonst eigentlich nicht seine Art war.

    Hast du irgendeine Idee, was die Verbindung zwischen dir und diesem Gargoyle ist?, fragte er schließlich.

    Nein, flüsterte Elizabeth, die mindestens ebenso befangen war wie Jerry - wenn auch aus einem anderen Grund. Ihre Gedanken kreisten schon die ganze Zeit über um eine einzigen Punkt: Hätte es doch eine Möglichkeit gegeben, den Angriff des Gargoyles auf den Mann im Zylinder zu verhindern und damit womöglich ein Menschenleben zu retten?

    Sie schwiegen einige Augenblicke. Jerry sah sie dabei an und sagte schließlich: Es gab keine Möglichkeit für dich, den Mann zu retten.

    Elizabeth sah überrascht auf.

    Er hat meine Gedanken erraten, durchfuhr es sie. Offenbar ist er um einiges einfühlsamer, als ich es ihm bisher zugetraut habe.

    Ich weiß, sagte sie und ihre Stimme klang dabei etwas belegt. Und trotzdem kann ich den Gedanken daran einfach nicht abschütteln.

    Ich verspreche dir, dass wir herausfinden werden, was es mit Jack auf sich hat - auch wenn dein Onkel vielleicht zwischenzeitlich das Interesse daran verlieren sollte!

    Elizabeth lächelte kurz. Das ist nett, sagte sie. Tu mir nur bitte einen Gefallen.

    Gerne.

    Nenn ihn in Zukunft nicht mehr Jack.

    Aber das tun alle! Du auch!

    Ab heute nicht mehr. Auch wenn es nur im Traum war: Ich habe gesehen, was er mit dem Mann im Zylinder getan hat, dessen Namen wir nicht nicht einmal kennen. Jack - das klingt wie ein netter Kerl von nebenan. Aber so einen Namen hat dieses Monstrum nicht verdient.

    Jerry zuckte mit den Achseln. Wie du willst, sagte er.

    *

    Draußen war unterdessen ein zischendes Geräusch zu hören. Eine Dampfdroschke! Tagsüber waren die Straßen Londons voll davon, aber zu dieser frühen Stunde hatte dieses Geräusch Seltenheitswert.

    Fast exakt im gleichen Augenblick trat jetzt Sir James in Hut und Mantel in die Eingangshalle. In der Linken hielt er einen vornehmen Gehstock, dessen Knauf aus einem geschnitzten Drachenkopf gebildet wurde.

    Sir James blickte auf seine Taschenuhr.

    Exakt!, freute er sich. Meine Berechnung, wie lange die Dampfdroschke für ihren Weg brauchen würde, sind exakt eingetroffen. Ich schließe aus der verstrichenen Zeit, dass die verwendete Dampfdroschke aus dem Depot am Magic Square stammt, denn wenn sie aus dem Droschkendepot am Tower kommen würde, hätte sie mit Sicherheit ein paar Minuten länger gebraucht - auch wenn man mit einbezieht, dass die Straßen um diese Zeit noch vollkommen frei sind. Allerdings...

    Onkel James!, unterbrach ihn Elizabeth deutlich energischer, als sie das eigentlich beabsichtigt hatte. Du solltest dein Genie jetzt nicht an Nebensächlichkeiten verschwenden, setzte sie sogleich noch hinzu.

    Sir James nahm diese Bemerkung ohne eine erkennbare Regung im Gesicht hin. Gehen wir, sagte er nur.

    *

    Sie verließen das Haus und traten ins Freie. Draußen, unmittelbar vor dem der Straße zugewandten Haupteingang der Malcolm-Villa hatte die Dampfdroschke angehalten. Weiße Wolken quollen aus den Kolben hervor und tauchten das ganze, entfernt an eine Kutsche erinnernde Gefährt in eine Nebelwolke. Im vorderen Teil der gondelartigen Kabine saß der Droschkenfahrer, im hinterem Bereich war Platz für die Passagiere. Sir James, Elizabeth und Jerry stiegen ein. Sir James klopfte mit dem Drachenkopfknauf seines Gehstocks gegen die Trennwand zur Fahrerkabine und schon im nächsten Moment setzte sich das Gefährt ächzend und zischend in Bewegung.

    Ein Schiebefenster öffnete sich.

    Wohin darf ich Sie bringen?, fragte die Stimme des Droschkenfahrers.

    Zu Elmar Laudwick’s Clockwork Manufacture in der Applegate Road, antwortete Sir James. Und sorgen Sie dafür, dass Ihre Maschine ordentlich schnell fährt!

    Ja, Sir!

    Legen Sie am besten ein Brikett zusätzlich in den Ofen!

    Das ist nicht nötig, Sir.

    Nicht nötig?

    Unsere Fahrzeuge wurden erst letzte Woche vom Magier unseres Vertrauens auf Vordermann gebracht. Die laufen wie geschmiert - und mit so wenig Brennstoff, dass wir unseren Lieferanten schon gesagt haben, dass sie ihre Liefermenge verkleinern können.

    Sir James lehnte sich zurück. Was Sie nicht sagen, murmelte er.

    Als sie vor Elmar Laudwick’s Clockwork Manufacture in der Applegate Road ankamen, wies Sir James den Droschkenfahrer an, zu warten.

    Um diese Zeit wird Ihnen kein Auftrag entgehen, sagte er dazu zum Fahrer.

    Dann stiegen sie aus und sahen sich um. Im Schein einer Straßenlaterne lag etwas Dunkles auf dem Pflaster - mitten auf der Straße. Etwas, das seinen Ausmaßen nach durchaus ein menschlicher Körper sein konnte.

    Elizabeth spürte, wie ihr das Herz bis zum Hals schlug.

    Ihr Traum hatte sehr abrupt aufgehört und so wusste selbst sie nicht, welch furchtbarer Anblick sie alle möglicherweise erwartete.

    Als sie dann wenig später das dunkle Etwas erreichten, erkannte sie die Gestalt des Mannes im Zylinder. Allerdings hatte er sich vollkommen verändert. Er war zu einer Skulptur aus feinem, grauen Steinstaub geworden. Nur der Tatsache, dass überhaupt kein Wind blies, war zu verdanken, dass dieser Staub nicht längst in alle Richtungen zerstreut worden und das Gesicht des Gargoyle-Opfers immer noch gut zu erkennen war.

    Elizabeth fühlte sich entfernt an die Sandskulpturen erinnert, die Onkel James schuf, wenn sie zum Urlaub ins Seebad Brighton fuhren und dort an den Strand gingen.

    Lediglich der Zylinder, den der Mann getragen hatte, schien diese Verwandlung nicht mitgemacht zu haben. Er war ihm offenbar während seines kurzen, tödlich endenden Kampfes mit dem Gargoyle vom Kopf gefallen und lag nun anderthalb Schritte entfernt vollkommen unversehrt auf dem Pflaster.

    Sir James kniete neben dem zu Staub zerfallenen Toten nieder und sah ihn auf seine gewohnt eindringliche Weise an, so als wollte er sich jedes Detail mit Hilfe seines fotografischen Gedächtnissees merken.

    Dann nahm er ein Tablettendöschen aus seiner Westentasche, nahm eine Prise des grauen Staubes zwischen Daumen und Zeigefinger und füllte sie in die geöffnete Dose. Ich brauche etwas, was ich untersuchen kann, sagte er und schien dabei mehr zu sich selbst als zu den anderen Anwesenden zu reden.

    Was genau glauben Sie, ist mit ihm geschehen?, fragte unterdessen Jerry Croft.

    Sir James schüttelte den Kopf. Von einer vergleichbaren Verwandlung habe ich noch nie zuvor gehört. Es scheint mir schon deshalb ein zumindest leidlich interessanter Fall zu werden, der mich nicht gleich vor lauer geistiger Unterforderung verzweifeln lässt und zumindest ein wenig Abwechslung verspricht...

    Sir James, sollten wir nicht Scotland Yard verständigen?

    Ja, das müssen wir wohl. Allerdings glaube ich nicht, dass die etwas herauskriegen werden, was über das Offensichtliche hinausgeht...

    Jerry Croft hatte inzwischen den Zylinder vom Boden aufgehoben. Sir James erhob sich und steckte fordernd die Hand aus, woraufhin Jerry ihm den Hut gab.

    Eine gute Qualität, stellte Sir James fest. Die Adresse des Hutmachers ist eingewebt. Und über ihn werden wir auch herausbekommen, wer der Tote war, denn der Tote hatte einen sehr großen Kopf und dieser Hut dürfte eine Sonderanfertigung gewesen sein. Man wird sich an ihn erinnern, wie ich denke.

    Elizabeth hörte der Unterhaltung zwischen Jerry Croft und ihrem Onkel nur beiläufig zu. Zunächst hatte sie der Anblick des zu Steinstaub zerfallenen Toten vollkommen in den Bann geschlagen. Dann war da plötzlich das unbestimmte Gefühl gewesen, beobachtet zu werden. Ein Gefühl, das sich zu einer Ahnung verdichtete, um schließlich Gewissheit zu werden.

    Wie so oft konnte Elizabeth diese Dinge nicht erklären. Aber sie hatte gelernt, auf ihre Gabe zu hören, ganz gleich, ob es für die Dinge, die sie wahrnahm nun magische oder logische Erklärungen gab oder nicht.

    Suchend ließ sie den Blick schweifen.

    Ich bin hier!, schien eine Gedankenstimme zu ihr zu sagen. Jack ist hier und hat auf dich gewartet!

    Und dann erstarrte sie plötzlich.

    Sie sah ihn.

    Den Gargoyle.

    Jack.

    Am liebsten hätte sie laut geschrien. Aber das konnte sie aus irgendeinem Grund nicht. Ihre Lippen waren wie gelähmt, ihre Zunge unfähig sich zu bewegen. Kein Laut drang aus ihrer Kehle.

    Das katzengroße Geschöpf, das wie eine groteske Mischung aus Drachen und Fledertier wirkte, breitete jetzt die Flügel aus. Lautlos glitt es von dem Dach von Elmar Laudwick’s Clockwork Manufacture herab und stürzte sich blitzschnell auf sie.

    ––––––––

    ENDE

    Die Magie der Wölfe (Sammlung)

    Table of Contents

    UPDATE ME

    Die Magie der Wölfe: Vier Romane

    von Alfred Bekker

    Über diesen Band:

    ––––––––

    Dieser Band enthält folgende Romane:

    Alfred Bekker: Zeit der Werwölfe

    Alfred Bekker: Wolfsmagie

    Alfred Bekker: Murphy in der Nebelwelt

    Alfred Bekker: Murphy und die magische Streitaxt

    Eigentlich könnte die Welt so schön sein. Tom hält um die Hand von Patricia Vanhelsing an, doch das Glück wird überschattet von bösen Vorahnungen. Meldungen über Wölfe und grauenvolle Morde im schottischen Hochland machen die Runde, und immer wieder wird Patricia von Vorahnungen gequält. Sie reist mit Tom nach Schottland, und die mysteriösen Wölfe setzen bereits einen ganzen Ort in Schrecken. Was hat die junge Lady Arwenna Strachan mit den Mörderbestien zu tun? Die Lösung dieses Rätsels ist gefährlich und fordert den Tod!

    Copyright

    Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

    Alfred Bekker (https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/)

    © Roman by Author / COVER WERNER ÖCKL

    © dieser Ausgabe 2020 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

    Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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    Zeit der Werwölfe

    von Alfred Bekker

    Ein CassiopeiaPress E-Book

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    © der Digitalausgabe 2014 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

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    www.postmaster@alfredbekker.de

    1.

    Eine Lichtung mitten im dichtesten Wald.

    Fahles Mondlicht schien vom Himmel.

    Ein Wolf heulte auf.

    Äste knackten, ein Mann stolperte vorwärts und hielt inne, als er die Lichtung erreichte. Der Mann wirkte gehetzt. Er sah sich um, atmete schnell und schnüffelte dabei wie ein Tier, das gerade Witterung aufgenommen hatte. Seine Nasenflügel bebten.

    Der Mann war blass und breitschultrig. Sein Alter war schwer zu schätzen. Der lange Ledermantel reichte ihm bis zu den Knöcheln. Das Haar war lang und grau. Der Backenbart und die eher buschigen, leicht nach oben gerichteten Augenbrauen gaben ihm etwas Wildes, Ungebärdiges. In seinen wolfsgrauen Augen spiegelte sich das Mondlicht.

    Immer wieder wandte er den Kopf, ließ den Blick schweifen und blähte die Nasenflügel.

    Erneut ertönte der ferne Ruf eines Wolfs...

    Und nun antwortete der Mann.

    Er formte aus seinen Lippen einen Trichter und stieß dann ein Heulen heulen aus, das von dem Laut eines Wolfs nicht zu unterscheiden war.

    Es knackte nun auf der anderen Seite der Lichtung im Unterholz. Vögel stoben auseinander. Die schwarzen Schwingen einer Eule hoben sich dunkel gegen das fahle Mondlicht ab.

    Ein hechelnder Atem drang an die Ohren des Mannes im Ledermantel. Aus dem Schatten der knorrigen Bäume kam dann ein Wolf hervor. Er war ungewöhnlich groß, die Schultern sehr viel breiter als dies normalerweise der Fall war und sein Fell war vollkommen schwarz.

    Der riesenhafte Wolf näherte sich. Er senkte den Kopf und blieb etwa fünf Schritte von dem Mann im schwarzen Ledermantel stehen.

    Die Blicke beider begegneten sich, aber schon einen kurzen Moment später sah der Wolf zur Seite.

    Er beugte sich nieder, legte sich auf die Vorderpfoten.

    Der Mann stieß derweil ein tiefes Knurren aus, er sank auf die Knie, kippte nach vorn und stützte sich mit den Händen auf. Sein Mund wurde größer, verwandelte sich innerhalb eines Herzschlags zu einer langgezogenen Wolfsschnauze. Die Haare wucherten plötzlich bis unter die Augen und bildeten ein Fell. Die Ohren stachen spitz hervor. Auch der Rest seines Körpers und seiner Kleidung veränderte sich. Sein Mantel wurde zu dichtem, grauschwarzem Fell und die Lederstiefel, die er trug, verschmolzen mit seinen Füßen zu den Hinterläufen eines Wolfs.

    Dieser zweite Wolf war noch größer als der erste, der sich auf der Lichtung niedergelegt hatte. Sein Fell war von grauen Strähnen durchzogen, die an die Haarfarbe des Mannes mit dem Ledermantel erinnerte.

    Das Monstrum riss das Mal weit auf, wandte den Kopf zum Mond hinauf und stieß ein lautes Heulen aus.

    Alle sollten ihn hören – den Ruf der Werwölfe!

    2.

    „Hey? Alles in Ordnung?"

    Brian Hunter hörte die Stimme wie aus weiter Ferne. Gerade noch hatte er einen Mann mit langem Mantel vor seinem inneren Auge gesehen, der sich bei Vollmond in einen Werwolf verwandelt hatte. Eine Vision... Sie war so beeindruckend gewesen, dass er für einen Moment sogar geglaubt hatte, selbst mitten in der Nacht auf dieser Lichtung zu sein, irgendwo in einem wild wuchernden Wald mit eigenartig verwachsenen Bäumen zu sein. Aber jetzt kehrte sein Bewusstsein in die Wirklichkeit zurück.

    „Hallo? Jemand zu Hause bei dir hinter der Stirn? Oder ist dir nicht gut." Es war die Stimme von Smith, dem Hausmeister des High School Internats Saint Morn, auf das Brian Hunter von nun an gehen würde. Smith hatte Brian vom Bahnhof in Boston abgeholt. Jetzt fuhren sie schon eine ganze Weile auf etwas einsameren Straßen herum, um nach Saint Morn zu gelangen.

    „Es ist alles in Ordnung", versicherte Brian.

    „Du hast ganz blass ausgesehen!, hakte Mister Smith nach. „Also um ein Haar wäre ich angehalten, um...

    „Es ist wirklich alles in Ordnung", versicherte Brian noch einmal und diesmal ziemlich gereizt.

    Meine Güte, was macht der für einen Aufstand!, ging es ihm dabei etwas ärgerlich durch den Kopf. Sollte er nicht extra auf die Mystic High School von Saint Morn gehen, weil man dort etwas mehr Verständnis dafür hatte, dass er eben anders war? Brian hatte diese Visionen des öfteren. Meistens zeigten sie ihm etwas, was in näherer oder fernerer Zukunft geschah. Nicht immer traf das, was er dann schlaglichtartig vor den Augen hatte, auch tatsächlich genau so ein. Manchmal hatte er nur einen kurzen Ausschnitt des Geschehens erkennen können und es stellte sich hinterher heraus, dass er den Zusammenhang völlig falsch beurteilt hatte.

    Dinge, die ihm bedeutend erschienen, stellten sich später als völlig unwichtig heraus und umgekehrt. Aber was den Werwolf anging, da war er sich vollkommen sicher. Es war von Bedeutung, was er gesehen hatte, und es hatte irgend etwas mit dem Ort zu tun, zu dem er jetzt unterwegs war.

    Brian konnte eine ganze Weile an gar nichts anderes mehr denken, während der Kombi von Mister Smith die Straße an der Küste entlang fuhr. Aber dann bog er ab und von da an wurde die Straße immer kleiner und gewundener. Sie führte durch einen Wald.

    „Hör mal, ich wollte dir nicht auf die Nerven gehen, Brian, sagte Mister Smith. „Aber wenn du nach Saint Morn kommst, dann solltest du lernen, etwas offener damit umzugehen, dass du ein paar besondere Talente hast.

    „Ja sicher", gab Brian wenig interessiert zurück. Seine übersinnliche Begabung... Das war der Grund dafür, dass er an der Saint Morn High School angenommen worden war. Und dazu gehörten nicht nur seine Visionen von der Zukunft, sondern noch ein paar andere Dinge, die ihm schon manchmal ziemlich großen Ärger eingebracht hatten... In so fern war die neue Schule für Brian auch ein neuer Anfang.

    Brian sah aus dem Fenster. Mister Smith bog mit dem Wagen ab. Das Meer und die Steilküste waren jetzt nicht mehr zu sehen, dafür war rechts und links der Straße dichter Wald.

    „Sieht das hier überall so aus", fragte Brian.

    „Du findest in Saint Morn alles, was du brauchst: Eine Schule, eine kleine Stadt, in der es alles gibt und landschaftlich sehr schön gelegen ist. Du kannst Wassersport machen oder..."

    „Ich sehr ziemlich viel Wald und sehr wenig Stadt, stellte Brian fest. „Meine Güte, sieht wohl so aus als würden sich hier Fuchs und Hase gute Nacht sagen...

    „Woher kommst du denn?", fragte Mister Smith.

    „New York City."

    „Naja, mit einer Acht-Millionenstadt und den Wolkenkratzern von Manhattan ist das hier natürlich nicht zu vergleichen. Aber ich kann dir sagen, dass die meisten sich wohlfühlen."

    „Wir werden sehen..."

    „Aber eins solltest dir merken."

    „Und das wäre?"

    „Du bist hier nichts Besonderes. Hier haben alle irgendwelche besonderen Fähigkeiten – und nur deswegen bist du hier. Also brauchst du dir nichts darauf einzubilden und du solltest auch nicht auf die Idee kommen, darin den Grund zu sehen, wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie sollten!"

    Brian atmete tief durch. „Das hört sich ja ganz so an, wie die Predigten, die ich mir zu Hause immer anhören musste."

    „Manche Dinge sind überall gleich, Brian."

    „Ja, nur gehörte das auf meiner alten Schulte nicht zu den Aufgaben des Hausmeisters."

    Mister Smith lachte rau. „Kann sein. Aber in Saint Morn sind alle eine Gemeinschaft. Wir haben alle eine gemeinsame Aufgabe, von der sich niemand ausschließen kann – auch der Hausmeister nicht!"

    „Gemeinsame Aufgabe? Das klingt ja fast so bedeutungsvoll wie geheime Mission oder so was... Meine Güte, ich dachte, es ginge nur darum, was zu lernen."

    „Du wirst es schon begreifen, wie hier der Hase läuft."

    „Nochmal eine andere Frage..."

    Mister Smith hob die Augenbrauen. „Bitte, nur raus damit!"

    „Gibt es hier eigentlich Wölfe in der Gegend?"

    Mister Smith war überrascht. „Wie kommst du jetzt auf Wölfe?"

    „Nur so...", sagte Brian.

    Mister Smith zuckte mit den breiten Schultern. „Keine Ahnung. Ich bin schon dreizehn Jahre hier – aber von Wölfen in der Gegend habe ich noch nie etwas gehört."

    3.

    Ein Van stand schräg auf der Straße. Dahinter war eine Bremsspur zu sehen. Die Frontscheibe war zerschlagen und überall war Blut.

    Die Fahrertür war förmlich aus ihren Halterungen herausgerissen worden und lag ein Stück entfernt auf dem Boden.

    Etwa zehn Meter vor dem Van parkte am Straßenrand ein Polizeiwagen. Diese Fahrertür stand offen, von dem Polizisten war nirgends etwas zu sehen.

    Mister Smith hielt an. „Hier ist was passiert, stellte er nur fest. Er griff zum Handy. „Bin ich da mit dem Büro des County Sheriffs verbinden? Hallo? Ja, es gab hier einen Unfall auf der Coast Road, etwa fünf Meilen von Saint Morn entfernt... Ein Einsatzfahrzeug ist hier, aber... Ah, ja... Mister Smith beendete das Gespräch. „Einsatzkräfte des Sheriffs sind unterwegs", erklärte er Brian. Aber den schien das nur am Rand zu interessieren. Er stieg aus. Wieder sah er für einen Augenblick die Fratze eines Wolfsgesichts vor sich. Er spürte, dass seine Vision, irgend etwas mit dem zu tun hatte, was hier geschehen war. Dann sah er die Spuren auf dem Asphalt.

    Wolfsspuren...

    Das Tier hatte sich entweder verletzt oder war durch eine Blutlache gelaufen. Die Spuren selbst waren ungewöhnlich groß – und das war selbst für Brian sofort ersichtlich, der in seinem bisherigen Leben nicht allzu viel Kontakt mit der Natur gehabt hatte.

    „Brian, warte!", hörte er Mister Smith rufen. Aber Brian ließ sich davon nicht beirren. Wenn er ich etwas genau ansah, dann bekam er manchmal eine Vision, die ihm mehr darüber verriet. Entweder was damit in Zukunft geschehen würde oder was in der Vergangenheit damit geschehen war... Er warf einen kurzen Blick in den Polizeiwagen. Der Zündschlüssel steckte.

    Auf dem Beifahrersitz lag eine Jacke.

    'Deputy Sheriff R. Meyers' stand dort aufgenäht. Das musste der Name des Beamten sein.

    Mister Smith sah inzwischen in das Innere des Vans, wohl um sich zu überzeugen, dass dort wirklich niemand mehr drin war. Auch auf den Rücksitzen nicht.

    „Der Deputy Sheriff muss sofort ausgestiegen sein, stellte Brian fest. „Selbst sein Hut liegt nicht auf dem Rücksitz. Ich nehme an, dass er zum Van gegangen ist und...

    „Da ist niemand. Nur Blut!"

    Brian ging nun ebenfalls zum Van und sah sich alles genau an. Die Sitze waren zum Teil aufgerissen worden.

    „Tritt nirgendwo hinein, das sieht nach einem Verbrechen aus und wir wollen es der Polizei ja nicht schwerer machen, als es ohnehin schon ist!", sagte Mister Smith, der ganz blass aussah.

    Brian blickte auf den Boden, sah sich die Blutlache an. Vor seinem inneren Auge sah er für einen kurzen Moment erneut einen riesenhaften Wolf, der irgend etwas davonschleifte.

    Oder jemanden!, ging es Brian schaudernd durch den Kopf.

    Dann waren plötzlich mehrere Schüsse zu hören.

    Und dann drang ein durchdringendes Heulen aus dem Wald heraus.

    Brian drehte sich zu Mister Smith um und eine tiefe Furche war auf seiner Stirn zu sehen. „Haben Sie nicht gesagt, es gäbe hier keine Wölfe?"

    Mister Smiths Gesicht hatte jegliche Farbe verloren. „Bis jetzt hatte ich das auch angenommen!", murmelte er.

    4.

    Brian lief kurz entschlossen los. Er setzte zu einem Spurt an, noch ehe Mister Smith ihn davon hätte abhalten können. Es ging geradewegs in den Wald hinein. Er sah genau vor sich, wohin er sich wenden musste.

    Und ebenso wusste er, dass er sich beeilen musste, wenn er noch etwas ausrichten wollte.

    „Warte doch!, rief Mister Smith. „Was soll das denn? Die Polizei ist doch gleich hier!

    Etwas unbeholfen hetzte der Hausmeister der High School von Saint Morn dann hinter dem neuen Schüler her, den er eigentlich nur vom Bahnhof hatte abholen und nicht auf einen Waldlauf hatte begleiten wollen.

    Brian rannte so schnell er konnte, sprang über einen umgestürzten Baum, kämpfte sich durch dichtes Gestrüpp und erreichte dann ein paar Augenblicke später eine Lichtung.

    Das ist es!, durchfuhr es ihn.

    Auch wenn seine Vision eine nächtliche Szenerie gezeigt hatte, war er sich doch vollkommen sicher – dies war die Lichtung, die Waldlichtung, auf der sich der Mann mit dem Ledermantel in einen Wolf verwandelt hatte...

    An einen Baumstumpf gelehnt, bemerkte Brian den Deputy Sheriff. Er saß am Boden und lud seinen Revolver nach. Sein Hemd war an der Schulter blutig. Offenbar war er schwer verletzt.

    „Verschwinde!, ächzte er Brian entgegen. „Hau ab! Sofort!

    Brian blieb unschlüssig stehen.

    Aus der Ferne hörte er Mister Smith rufen, der einfach nicht mit seinem Lauftempo hatte mithalten können.

    Dann war ein Knurren zu hören.

    Am Waldrand war das Gras sehr hoch. Brian sah, wie es sich bewegte. Dann sprang einer jener riesenhaften Wölfe daraus hervor, wie Brian sie in seiner Vision gesehen hatte.

    Es war jener Wolf, dessen Fell graue Strähne hatte... Die Zeichnung stimmte exakt überein!

    Deputy Sheriff Meyers schoss seinen Revolver ab. Alle sechs Patronen feuerte er kurz hintereinander auf den Wolf. Die Kugeln trafen das Monstrum. Die Wucht der Geschosse riss den Wolf zurück. Er wand sich am Boden und jaulte laut auf.

    Dann schleppte er sich ein Stück davon, knurrte dabei wütend. Die Schusswunden waren deutlich zu sehen. Blut quoll aus ihnen heraus, aber es dauerte nur ein paar Augenblicke, bis die Wunden sich wieder schlossen. Der Wolf streckte sich, leckte mit der langen Zunge das Blut aus dem Fell und schien dann erneut angreifen zu wollen.

    Die Kugeln aus dem Revolver schienen ihm nichts anhaben zu können.

    Der Deputy lud erneut voller Hektik die Waffe nach. Aber es gab keine Grund anzunehmen, warum die Kugeln diesmal irgendeine Wirkung haben sollten. Der Wolf hatte sich wieder aufgerappelt. Am Waldrand erschien derweil ein zweiter. Etwas kleiner und mit einem vollkommen schwarzen Fell.

    Der kleinere Wolf schien abzuwarten.

    Der größere fletschte die Zähne.

    Brian lief ihm entgegen.

    „Bist du wahnsinnig?", rief Mister Smith, der inzwischen auch die Lichtung erreicht hatte. Damit lenkte er allerdings die Aufmerksamkeit beider Wölfe auf sich.

    Wie auf ein geheimes Zeichen hin griffen beide im selben Moment an. Sie schnellten auf Brian zu. Die Mäuler waren weit aufgerissen. Knurrend stürzten sich beide Bestien auf Brian.

    Dieser hob die Hände und stieß einen lauten Schrei aus.

    Mitten im Sprung wurden die beiden zähnefletschenden Bestien gestoppt. Der erste von ihnen kam noch an Brians Arm, und er spürte für den Bruchteil einer Sekunde eine kalte Schnauze. Der zweite wurde schon früher fortgerissen. Es war, als würden die Bestien plötzlich gegen eine unsichtbare Wand aus Glas prallen. Eine schier übermächtige Kraft erfasste sie und warf sie fast zwei Meter zurück. Sie rollten sich am Boden ab, kamen wieder auf die Beine und probierten es gleich noch einmal. Wieder stieß Brian einen durchdringenden Schrei aus.

    Die unheimliche Kraft packte sie erneut und schleuderte sie noch einmal ein ganzes Stück zurück. Jaulend rappelten sie sich wieder auf.

    Mister Smith öffnete den Mund, als er das sah und vergaß, ihn wieder zu schließen. Der verletzte Deputy starrte Brian auf eine Weise an, die verriet, wie fassungslos er war.

    Brian ging mit langsamen Schritten auf die beiden Werwölfe zu. Sie schienen noch nicht entschieden zu haben, ob sie noch einen weiteren Angriff wagen sollten. Ihre Köpfe waren gesenkt. Sie fletschten die Zähne und knurrten Brian drohend an

    Dieser hob den linken Arm.

    Du musst dich jetzt sehr konzentrieren... Sammle alle Kraft!, ging es ihm durch den Kopf. Er schloss die Augen, aber trotzdem sah er mit seinem inneren Auge alles, was um ihn herum geschah. Sein Gesicht wirkte angestrengt, so als würde er etwas sehr Schweres heben.

    Dann krümmte er seine Finger, so als würde er etwas umfassen und riss anschließend den linke Arm ruckartig zurück.

    An einem der Bäume, die am Waldrand standen, brach daraufhin ein Ast ab. Wie ein Peitschenschlag fuhr dieser auf die beide Wölfe herab, die daraufhin jaulend davonstoben.

    Augenblicke später war der Spuk vorbei.

    Es war nichts mehr von den Bestien zu sehen.

    5.

    „Jetzt weiß ich, was deine besondere Begabung ist!", murmelte Mister Smith. Und der Hausmeister von Saint Morn war erfahren genug, um sich gut vorstellen zu können, dass Brian Hunter sich mit diesen Kräften in der Vergangenheit nicht unbedingt nur Freunde gemacht hatte...

    Mister Smith kümmerte sich zuerst um den verletzten Deputy. Dessen Schulter sah übel aus. Trotzdem war er erleichtert. „Ihre Kollegen sind gleich hier!", versicherte Smith.

    Deputy Meyers atmete tief durch.

    „Ich hole den Erste Hilfe Kasten aus dem Wagen!", kündigte Smith an.

    „Nein, nein, das sieht schlimmer aus, als es ist!", widersprach Deputy Meyers. Er versuchte aufzustehen und schaffte es schließlich. Schwankend stand er da und steckte den Revolver ein. Dann betastete er seine Schulter.

    „Wo ist der Fahrer des Van?", fragte Brian.

    Deputy Meyers lachte heiser

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