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Jesus
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Ebook375 pages4 hours

Jesus

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About this ebook

„Dieses Buch über Jesus möchte wieder zusammenbringen, was zusammen gehört, und zu einer Weltsicht anregen, die Menschlichkeit als Möglichkeit der Natur begreift und die Natur als Mutter der Menschlichkeit ehrt. Eine solche Weltsicht ist uralt und war einmal global verbreitet, als das Fraulich-Mütterliche kulturell im Zentrum des Zusammenlebens stand“. 
Diese uralte Verbindung von Natur und Menschlichkeit kommt schon in den prähistorischen Frauenfiguren zum Ausdruck, in die die Lebenszyklen von Geburt und Tod, Frühling und Herbst hineingenommen sind.
Die etymologische und philologische Erforschung der Kultur unserer Vorfahren bestätigt diese ganzheitliche Sichtweise. Die zyklische, matriarchale Naturmythologie gibt uns ein anderes Selbstverständnis und eine andere Weltverortung als die lineare, patriarchale Geschichtsmythologie.
Mit aufklärendem Blick will uns der von Maria Magdalena zum heiligen König gesalbte Jesus mitnehmen auf einen Weg, in dem das Menschliche eingebettet ist in das Leben der Natur.
Die tiefgreifende Analyse, die dem Buch zu Grunde liegt, führt uns mitten hinein in die heutige Zeit und die Probleme, mit denen die moderne Kleinfamilie tag täglich zu kämpfen hat.
„Die spätpatriarchale Kleinfamilie ist die am stärksten wirtschaftlich ausgebeutete und unter Stress gesetzte Lebenseinheit. In ihr steht v.a. die Mutter sehr unter Druck. Der Stress der Kleinfamilie setzt sich aus vielen alltäglichen Stressoren zusammen, die in ihrer Gesamtheit die Grenze bio-psycho-sozialer Belastbarkeit erreicht haben“.
In den letzten 10 Jahren befasste sich der Autor mit den prähistorischen Entdeckungen von Marija Gimbutas, mit Frauenliteratur zur Patriarchatskritik (Claudia v. Werlhof) und mit der Matriarchatsforschung, speziell mit der Rekonstruktion vorpatriarchaler Bibeltexte (Gerda Weiler) und der christlichen Besetzung alter Kultorte und Kulte (Heide Göttner-Abendroth, Erni Kutter). Durch dieses Studium gewann er einen neuen Blick auf die patriarchale Welt und ihre „Geschichten“. Zusammen mit seiner Frau entdeckte er auch einen vorchristlichen Kultort bei der beeindruckenden Quelle des Flusses Vivo in der Toskana, im Wald von Vivo d‘Orcia am Amiata, wo heute eine Eremitage aus dem 12. Jh. steht. Er war so angetan von all diesen verdeckten Befunden und empört über ihre mangelnde Rezeption in der Wissenschaft, empört auch über seine eigene Fraglosigkeit während des Theologiestudiums, dass ihn das zum Schreiben motiviert hat.

Lothar Beck, ist ev. Theologe, systemischer Paar- und Familientherapeut und Elternmediator (Veröffentlichung: Eltern bleiben trotz Scheidung), Supervisor und Fortbilder. Er war 10 Jahre im Pfarrdienst und danach 30 Jahre als Therapeut im psychotherapeutischen Zentrum in Stuttgart-Sonnenberg, an einer Beratungsstelle der Caritas und in eigener Praxis tätig. Als Supervisor und Fortbilder arbeitete er vorwiegend im Auftrag von Jugendämtern und des Kommunalverbands für Jugend und Soziales in Württemberg. Sein erstes Buch „Die Weisheit der Mütter“ erschien 2017.
LanguageDeutsch
Release dateMar 31, 2021
ISBN9791220110457
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    Jesus - Lothar Beck

    Einleitung: Imagination und Wirklichkeit

    Das Leben ist schön. Wir sind eingebettet in die Natur. Aus der Mutter wurden wir geboren, und von der Mutter wurden wir gleich nach der Geburt liebevoll umfangen. So spüren wir manchmal, wenn wir in schöner Landschaft sitzen, wie wir voll Anmut umfangen sind. Tiefe innere Lebensfreude breitet sich aus und die Gewissheit, dass wir Geschöpfe der Mutter sind, der leiblichen wie der Mutter Natur.

    Von Baruch Spinoza stammt die Gleichung: deus sive natura. Sie meint die Identität und Austauschbarkeit von Gott und Natur, letztlich die Göttlichkeit der Natur und die Natürlichkeit Gottes. Eine solche Formulierung mythologisiert die Natur und entmythologisiert Gott. Sehen wir die Natur göttlich, dann sprechen wir ihr eine sinngebende Bedeutung zu. Sehen wir Gott natürlich, dann beschneiden wir seine Macht und Größe auf die der Natur. Die vertikale Achse (oben/Gott – unten/Mensch) wird zu einer Funktion der horizontalen (ich/Natur – du/Natur). Nichts kommt von oben, alles Leben kommt von unten, aus der Erde, aus der Materie, wächst, wird geboren, lebt, äußert sich, liebt, stirbt und wird wieder zu Erde. Auch die Humanität ist aus dem Humus, die Mutterliebe aus der Materie geboren und kehrt wieder zu ihr zurück.

    Über die natur-mythologische Sprache aber versuchen wir, dem Leben eine Bedeutung zu geben. Sie kleidet das Angemessen-Realistische ins Bildhaft-Poetische. Sie verbindet Wirklichkeit mit Imagination und versucht, die innere mit der äußeren Perspektive, die Bilder der Seele mit der Natur in Einklang zu bringen. Sie ist der Ausdruck der Seele, mit dem wir der Natur Ehre erweisen und der gleichzeitig rückwirkend unsere Seele stärkt.

    Innen- und Außenperspektive sind gleichzeitig und aufeinander bezogen

    1. Des Körpers doppelte Wahrnehmung

    Von außen siehst du der Körper Maß, innen erlebst du Weite.

    Von außen erforschst du der Körper Gesetz, innen erlebst du Freiheit.

    Von außen erkennst du der Körper Beschaffung, innen erlebst du dich selbst.

    Von außen siehst du Verunstaltung und Zerstörung, innen fühlst du dich traurig.

    Von außen siehst du der Körper Schönheit, innen erlebst du Freude und Lust.

    Von außen erkennst du Ausgleich, innen erlebst du Frieden.

    2. Des Körpers wechselwirksame Einheit

    Innen Halt bedeutet außen Maß.

    Außen maßlos bedeutet innen haltlos.

    Innen mit Innen verbunden bedeutet außen Zurückhaltung.

    Außen Raub bedeutet innen aufs Außen beschränkt.

    Innen beseelt bedeutet unbestechlich im Außen.

    Außen geschäftiger Schein bedeutet innen tot.

    Innen jung bedeutet außen offen und weich.

    Außen verschlossen und hart bedeutet innen alt.

    3. Des Körpers Einklang

    Wer den Körper außen missachtet, vergiftet sich innen.

    Wer zuhört und das Innen erkennt, achtet den Körper außen.

    Dieses Buch über Jesus möchte wieder zusammenbringen, was zusammen gehört, und zu einer Weltsicht anregen, die Menschlichkeit als Möglichkeit der Natur begreift und die Natur als Mutter der Menschlichkeit ehrt*. Eine solche Weltsicht ist uralt und war einmal global verbreitet, als das Fraulich-Mütterliche kulturell im Zentrum des Zusammenlebens stand. In sechs einleitenden Kapiteln möchte ich Grundlegendes dazu erläutern, um im Hauptteil zeigen zu können, wie sehr Jesus in der matriarchalen Tradition zu Hause war. So verortet, steht er in weltweiter Werteverbindung zu allen vor patriarchalen Traditionen, auch der unseres transalpinen Lebensraums.

    * Verkürzt rede ich von der Zusammengehörigkeit von Humus und Humanität. Dabei sind im Humus Leben und Tod integriert, und zur Humanität gehört auch der Humor als der ontologischen Bedingung unserer Lebensfreude und unseres Lachens

    1.

    Die matriarchale Kernkompetenz der Mutterliebe: die Magie der Empathie

    Die Weltsicht, die Menschlichkeit (Humanität, Humor) als integrierten Bestandteil der Natur (Humus) anerkennt, rückt die Mutterliebe als existentiellen Kern ins Zentrum des Lebens, genauer: die wechselseitige Anverwandlung, die sich zwischen Mutter und Kind aufbaut durch Schwangerschaft, Geburt und Stillzeit. Auf der Basis dieser grundlegenden menschlichen Erfahrung von Frauen und Männern bleibt auch in der Erotik der weibliche Sensus leitend (Frauenliebe). In einer vom Fraulich- Mütterlichen geprägten Kultur, im Matriarchat, beschränkt sich der Prozess gegenseitiger Anverwandlung aber nicht auf diese beiden primären Intimbeziehungen, sondern entfaltet eine mimetische Sphäre von gesamtgesellschaftlicher Relevanz. Renate Gent gebraucht den Begriff Mimesis, um unsere Kompetenz der Anverwandlung an ein natürliches, real erlebtes Gegenüber zu benennen. Die Priorität der Mimesis und die Nachrangigkeit einseitiger Interessensdurchsetzung auf Kosten des natürlichen Gegenübers, wie wir das von einer männlich geprägten Kultur, vom Patriarchat, her kennen, ist handlungsleitend für das Matriarchat. Mimesis hat weder zu tun mit imperativischer Ethik oder Moral noch mit weltabgewandter Religion oder Spiritualität. Vielmehr ist sie ein natürlicher Vorgang, der sich real zwischen lebenden Subjekten vollzieht, die einander umfassend wahrnehmen.

    Im Matriarchat wird die Mimesis einerseits getragen von ihrem existenziellen Kern, der Mutterliebe, andrerseits wird sie kulturell gerahmt von einer matriarchalen Familienstruktur, die zwei Lebensräume der Liebe (spaces of love) offenhält: Zum einen den Binnenraum der Muttersippe, in der die Mütter mit ihren Nachkommen eine generationenübergreifende, kontinuierliche Wirtschafts- und Bindungsgemeinschaft bilden, zum andern den Freiraum der Liebesbeziehungen, die außerhalb der Muttersippen zwischen den Erwachsenen gelebt werden. Die Kinder sind Teil der Muttersippe. Um sie kümmern sich alle Mütter und Mutterbrüder, so dass sie in der Regel mehrere Mütter und Väter haben. Die Gefahr für das Kind, die von einzelnen, bindungslabilen Eltern ausgehen kann oder in einer labilen Liebesbeziehung steckt, wir so minimalisiert. Die familiäre Obhut, auch für Alte und Kranke, dagegen wird optimiert. Dies ist für die Mosuo in China und andere heute noch existierende matriarchal organisierte Völker gut dokumentiert. Die Muttersippe ist das Beste, was die sozio-kulturelle Evolution hervorgebracht hat.

    Es ist immer wieder erstaunlich, zu sehen, wie schnell ein bindungsfähiger Mensch die Befindlichkeit eines natürlichen Gegenübers emotional erfassen und in einen energetischen Austausch gegenseitiger Verständigung kommen kann. Die Möglichkeit, dass wir uns mit der emotionalen Perspektive unseres Gegenübers identifizieren, besteht uneingeschränkt. Auch mit einem Tier, einem Baum oder einer Landschaft kann ich mimetisch interagieren und einfühlend umgehen. Intuitiv wissen wir imgrunde genau, wie es unserem Partner oder unserem Kind, unserem Hund oder den Bienen, dem Wald und dem kanalisierten Fluß, den plasikaufnehmenden Kleinstlebewesen im Meer, dem überdüngten und ausgelaugten Ackerboden und letztlich - und da schließt sich der mimetische Kreis – uns selbst geht. Dieser Vorgang hat geradezu magische Qualität und seine Beachtung garantiert unser Überleben.

    Die Störung dieses Verbundenseins entspringt einem Mangel an Information aufgrund einer gefährlichen Beschneidung der obengenannten ‘spaces of love’ (Lebensräume der Liebe). Mimesis beschreibt einen Interaktionsprozess, in dem auf der Basis vollständiger verbaler und nonverbaler Information Anteilgabe und Anteilnahme und somit ein realer, positiver Energieaustausch möglich wird. Dabei zeigt sich die Vollständigkeit der Information in der Anwesenheit von Verständigung und Würdigung bei gleichzeitiger Abwesenheit von Abwertung und Unverständnis. Je mehr wir hinhören, desto mehr verstehen wir. Je mehr wir verstehen, desto mehr würdigen wir das andere Leben. Diese Basis vollständiger Verständigung ist unter matriarchalen Bedingungen optimiert.

    2.

    Die Mutterlinie und der Lebenszusammenhalt: das Baumsymbol und das Rautennetz

    Nach der Mailänder Philosophin Luisa Muraro ist die Mutterlinie das soziale Rückgrat der Mutterordnung. Die Mutterlinie weist hin auf den mütterlichen Ursprung (matri-arche), von dem sich jede von Frauen geprägte Kultur herleitet. Die Mutterlinie kommt in der russischen Babuschka (dt. Großmütterchen) bildhaft zum Ausdruck. Sie findet ihre kultische Verehrung in den Matronensteinen, auf denen die Ahninnenreihe als Großmutter, Mutter und Tochter in ihrem Kern dargestellt wird. Die Kette der Gebärenden wurde in alter Zeit in grafischer Vereinfachung häufig als Ahninnenbaum visualisiert, wie z.B. auch auf der 4000 Jahre alten Kultwand der sieben Mütter, die man im Bodensee gefunden hat (BILD 001).

    Der Baum war also für unsere Vorfahren ein Abbild der mütterlichen Genealogie und darum von zentraler symbolischer Bedeutung. Der Baum ist das größte Lebewesen der Erde und auch das langlebigste (bis 9500 Jahre). Mit seinen Wurzeln steckt er tief in der Erde. Kräftig steht er auf seinem Stamm, und mit seiner Krone ragt er weit in den Himmel (bis 120m). Die Vögel nisten in seinen Zweigen (Mk. 13, 32). Er trägt Früchte und spendet Schatten. Seine Größe aber liegt bereits in der Winzigkeit eines Samenkorns verborgen. Symbolisch war der Baum immer schon von hoher Bedeutung. Als Weltenbaum hält er Himmel und Erde zusammen und schafft gleichzeitig den Lebensraum (space of life), in dem sich die Schöpfung entfalten kann. Er symbolisiert das Leben (Lebensbaum) und mit seinen süßen Früchten Weisheit und Liebe (Granatapfel, Apfel). In seiner Ganzheit steht er für die Göttin. Eiche und Linde, Eibe und Esche waren solche göttlichen Sinnbilder. Im alten Israel waren es die Terebinte, die Zeder und die Palme. Der Baum repräsentierte die Göttin weltweit und markierte für die Dorfgemeinschaft den wichtigsten Ort des Zusammen-Seins. Unter dem Baum wurde z.B. Gericht gehalten (Gerichtslinde), jedoch nicht so, dass ein Richter urteilte und Strafen verhängte. Vielmehr war es ein Ort des Verhandelns, der Konsensbildung, der Vermittlung und Wiedergutmachung von Vergehen (Versöhnen). Der Zusammenhalt der Gemeinschaft (Frieden, hebr. Schalom) wurde wieder her-gerichtet.

    BILD 001: Baum der Mütter auf der Kultwand im Bodensee, 4000 v.Chr. (nachgezeichnet)

    BILD 002: Rautennetz auf dem Kopftuch der erwachenden Frühlingsgöttin im Wald von Vivo d’Orcia, Toskana

    BILD 003: Das Rautennetz an einer Kapellenwand im Wald von Vivo d’Orcia, Toskana

    Die Mutterlinie (...Großmutter, Mutter, Tochter...) garantiert die Kontinuität des Lebens. Das unverbrüchliche Lebenskontinuum wird auch im Rautennetz symbolisch dargestellt (BILD 002, 003 und 011). Es bringt wie kein anderes Symbol den planetarischen Lebenszusammenhang unmittelbar zum Ausdruck. Seine Weltsicht – und darin liegt die hohe Bedeutung des Netz-Symbols - führt folgerichtig zu einer Existenz des Lebenszusammenhalts. Der Lebenszusammenhalt wird im Matriarchat in doppelter Weise kultiviert und gepflegt: Einmal als Achtung vor der ökologischen Vernetzung aller in der Gegenwart verbundenen Lebewesen. Zum andern als Achtung vor dem großen Lebensstrom, der sich von der weit zurückliegenden Vergangenheit bis in die entfernteste Zukunft zieht. Man fühlte sich nicht nur verbunden mit den Lebewesen, die einem begegneten, sondern auch mit den Vorfahren und den Nachkommen. Aus der Perspektive des einzelnen kann man die Frage, wer oder was wir sind mit einem modernen Zitat von Salman Rushdie beantworten: Wir sind die Summe all dessen, was vor uns geschah. All dessen, was unter unseren Augen getan wurde. All dessen, was uns angetan wurde. Wir sind jeder Mensch und jedes Ding, dessen Dasein das unsere beeinflusste, oder von unserem beeinflusst wurde. Wir sind alles, was geschieht, nachdem wir nicht mehr sind. Und was nicht geschähe, wenn wir nicht gekommen wären.

    Im Symbol des zeitlich fließenden Rautennetzes läßt sich der Einzelne als Schnittpunkt ausmachen.

    Das Bewusstsein des Lebenszusammenhangs und des Lebenszusammenhalts hat tragende Bedeutung. Es induziert ein Handeln, das darauf bedacht ist, das Lebensnetz nicht zu zerreißen und dort heilend einzuwirken, wo es verletzt worden ist. In diesem Sinn ist matriarchales Denken und Handeln kultur-evolutionär äußerst bedeutsam, weil es einer bedachten Ent-wicklung Raum gibt. Es wendet sich ab von jeder Form von Gewaltsamkeit. Nicht die Zerschlagung des gordischen Knotens ist die Methode der Wahl, sondern die permanente Arbeit an seiner Aufdröselung. Es wird keine Mühe gescheut, um einen Konsens herzustellen, weil nur so das Ganze ganz und heil bleibt. Es wird auch jede Behauptung einer von oben hereinbrechenden Offenbarung als befremdlich und unglaubwürdig abgelehnt. Vielmehr entwickelt sich alles, was ist, aus dem Vorangegangenen, und nichts fällt vom Himmel. Ein matriarchal denkender Mensch wird sich nicht einreden lassen, dass sich der Friede (hebr. Schalom) durch Waffen oder Herrschaft, durch Exkommunikation, Gefängnisstrafe oder Scheiterhaufen erhalten ließe. Vielmehr wird er durch Verhandeln und weises Vermitteln um Ausgleich, Versöhnung und Heilung bemüht sein. Er wird sich auch nicht einreden lassen, Krieg und Armut seien etwas Schicksalhaftes. Er wird als Schicksal ausschließlich das gelten lassen, was uns von der Mutter Natur als Schicksal zugemutet wird: Geburt, Alter, Krankheit, Naturkatastrophen und Tod. Er wird keine Form von individueller oder kollektiver Hybris, sei’s die ungehinderte Fortpflanzung, Rassenwahn, Anhäufung von Kapital oder Besitz, ungezügelte Produktion, Verschwendung von Ressourcen und Zerstörung der Lebensgrundlagen auf Kosten anderer Menschen und Arten oder ihrer Nachkommen als Ausdruck eines High-Potentials ansehen. Vielmehr wird er den schonenden Umgang mit der landschaftlichen Natur und das Stillen des eigenen Bedarfs in kollektiver Verantwortung und Kooperation für intelligent halten. Die Menschheit lebt in einem Boot mit anderen Lebewesen, hat das schon immer getan und wird immer auf einem schönen, aber begrenzten Planeten mit anderen Lebewesen ko-evolutionär existieren - oder untergehen.

    Vernetztheit, die Hausordnung der Großen Mutter Natur

    Das schrieb Paulus leider so nicht an die Gemeinde in Korinth (1.Kor. 12,12.20-23.26):

    Die Geschöpfe sind eingefügt in ihre Landschaft und werden von ihr ernährt. Wie der Leib einer ist und viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich es viele sind, einen natürlichen Leib bilden, so auch alle Geschöpfe im Landschaftsleib der Mutter.

    Es gibt viele Glieder, doch es gibt nur einen Leib. Das Auge kann nicht sagen zur Hand: Ich brauche dich nicht. Oder der Kopf zu den Füßen: Ich brauche euch nicht. Vielmehr sind gerade die Glieder, die schwächer zu sein scheinen, notwendig, und die uns die weniger ehrbaren am Leibe zu sein scheinen, denen begegnen wir mit um so größerer Würde.

    Wenn ein Glied leidet, dann leiden alle. Geht es einem Glied gut, freuen sich alle.

    3.

    Der lunare Weltinnenraum der schöpferischen Bet

    Der weiblich-mütterliche Urgrund wurde von unseren mutterorientierten Vorfahren in der Mutter Erde und in der Mutter Natur als Ganzes gesehen und pars pro toto imaginiert in einzelnen Tieren: in der Bärin (davon gebären) oder in der Kröte (wegen ihrer Gebärhaltung) oder in der nährenden Kuh bzw. Hirschkuh. Oder er wurde in menschlichen Mutterfiguren dargestellt. Eva war die ‘Mutter allen Lebens’ (hebr. Chawwah, Heva). Die ältesten Ur-Mutter-Darstellungen reichen 42 000(!) Jahre zurück. Wir finden schwangere, gebärende, stillende Urmütter, aber auch Todesmütter mit auffallend großem Vulvadreieck, das auf ihre Wiedergeburtskraft hinweist. In all den Mutterbildern brachten unsere Vorfahren das Weiblich-Mütterliche als lebensschöpferischen Urgrund zum Ausdruck.

    Die weibliche Urkraft wurde in ihrem Kern uteral begriffen: die Gebärmutter als Kern der Frauenkraft. Das Erstaunliche an diesem Organ ist zum einen seine Dehnbarkeit, zum andern seine zyklische Wandelbarkeit. Die Gebärmutter ist das erste ‘Haus’, in dem wir unterschiedslos gewohnt und tiefste Geborgenheit erfahren haben. Sie war unsere früheste mikrokosmische Heimat. Zum andern zeigt sie einen ternären Zyklus, dem wir überall in der Natur begegnen: Anwachsen, voll ausgereifte Gestalt und Absterben. Der springende Punkt dabei ist die wiederkehrende Erneuerung. Mythologisch findet der mütterliche Schoß Ausdruck in der Gestalt der Bet. Bet oder Beth hängt sprachlich zusammen mit Bett, Beet, auch mit bio (Leben). Die Gebärmutter wurde als Weltinnenraum in den Kulthöhlen nachgebildet, in denen die schöpferische Anderswelt der Frau und Mutter erfahrbar gemacht wurde. Im Beten verbinden wir uns seelisch mit diesem mütterlichen Weltinnenraum, in dem wir einst herangereift sind.

    Magisch erlebten unsere Vorfahren die Sychronizität des Menstruationszyklus mit den makrokosmischen Mondphasen, vor allem des Voll- und des Schwarzmondes. In ihnen spiegelten sich einerseits die Tage voller weiblicher Fruchtbarkeit, andrerseits die Tage des Frauenblutens mit der Abstoßung des toten uteralen Gewebes (Jutta Voß, Das Schwarzmondtabu). Man sagt, dass die Frauen früher ihre Menstruation mental nach dem Schwarzmond ausrichten konnten. Die weibliche Transformationsfähigkeit wurde versinnbildlicht in der Schlange (wegen ihrer Häutungen), im Frosch, in der Biene und im Schmetterling (wegen ihrer Entwicklungsstadien) und in den langhalsigen Zugvögeln (Storch, Schwan, Kranich, Gans), die im Herbst verschwanden und im Frühjahr wiederkehrten.

    BILD 004: Die schwangere Bet zeigt ihr 13-fach geritztes Mond-Widder-Horn sog. Venus von Laussel, 25000-20000

    Der intime weibliche Zyklus in seiner erstaunlichen Synchronizität zum Mond fand nach Erni Kutter im Reigen der ‘drei Jungfrauen’ seinen mythologischen Ausdruck: Die schwarze Jungfrau symbolisierte die blutleere Gebärmutter und stand für die Ausstoßung des Frauenbluts zur Schwarzmondzeit. Die rote symbolisierte die voll durchblutete Gebärmutter zur Zeit des Eisprungs an Vollmond. Die weiße symbolisierte die Aufbauphase und stand im Zeichen der zunehmenden Mondsichel. Im Reigen dieser drei Jungfrauen liegt das Schöpfungsprimat der Frau begründet.

    BILD 005: Die drei Beten von Meransen in der Kirche von Klerant (um 1470) St. Ambet, St. Gewer (Wilbet) und St. Bruen (Borbet)

    Jungfrau ist nach matriarchalem Verständnis immer die selbstschöpferische (auto-poietische) Göttin. Die drei Jungfrauen werden auch die drei Beten genannt. Klassisch schön sind sie im Kreuzgewölbe der Kirche von Klerant in Südtirol abgebildet. Alle drei werden königlich dargestellt, repräsentieren also die ternäre Göttin und Bet. Sie tragen die für sie typischen Farben weiß, rot und schwarz. Alle drei Jungfrauen sind als Verkörperung der drei Menstruationsphasen ohne Altersunterschied. Die rote Jungfrau steht deutlich im Vordergrund, ist aber ohne die anderen nicht denkbar (BILD 005).

    Dargestellt wurden die drei Beten aufgrund einer christlichen Legende, nach der sie auf ihrer Flucht vor dem Hunnenkönig Attila in Meransen unter Linden Rast gemacht haben sollen. Sowohl die Linde als heiliger Mutterbaum als auch die Namen der drei Jungfrauen zeigen, dass ihre Wurzeln sehr viel älter sind. Legenden hatten die Funktion, bedeutsame Symbolgestalten oder Orte christlich umzudeuten, mit der christlichen Ideologie verträglich zu machen und ihnen so ihre eigene Aussagekraft zu rauben.

    BILD 006: Ritzzeichnung von Kuntillet um 900 v.Chr..: Asera-Kuh und säugendes Jahwe-Kalb. Beischrift: Ich segne euch durch Jahwe von Samaria und durch seine Asera.

    In dieses Geschehen wurde später das Männliche mythologisch eingebunden. Die Mondsichel, das Mondhorn, war auch das kosmische Zeichen für den erstarkenden und erschlaffenden Penis des Heros, des männlichen Matri-Archetypen. Solche Mondsöhne der Muttergöttin waren im alten Europa Dionysos, Wodan und Cernunnus. Die transalpinen Mondsöhne wurden mit dem Hirsch identifiziert, der sein Geweih abwirft und wieder bildet. Sie waren die Geweihten der Bet. Im alten Orient hießen sie – landschaftsbezogen - El, Baal oder Jahwe. Sie wurden im Stierkalb dargestellt. Ihre Priester waren die Gehörnten der Mondgöttin (Ex. 34, 35; ‘strahlen’ kann auch mit ‘gehörnt’ übersetzt werden). Eine alte Ritzzeichnung zeigt Jahwe als Kalb der göttlichen Kuh Aschera (BILD 006, vgl. Ex. 32). Die Schwarzmondzeit war für den Mondheros die Zeit des Todes. Die letzte abnehmende Mondsichel zeigte das Erlöschen der erotischen Energie des Heros an. Die erste Mondsichel war das Zeichen seiner neuerlichen Potenz. Er auferstand also ‘am dritten Tag’ in seiner phallischen Potenz. Diese Wandlung lässt sich in einer Art Vogelfuß-Idiogramm darstellen:

    Kultisch wurden Tod und Erweckung des Sohngeliebten um den Schwarzmond von der Priesterkönigin und ihrem Sakralkönig in der Kulthöhle rituell vollzogen: Mit der letzten abnehmenden Mondsichel zog sich der Priesterkönig in den intuierten Weltinnenraum der Kulthöhle zurück. In magischer Anverwandlung an das von der Frau blutend abgestoßene Gewebe mit der unbefruchteten Eizelle stirbt er einen rituellen Tod. Mit der ersten Mondsichel, also ‘am dritten Tag’, wurde er von der Sakralkönigin wieder erweckt und trat als ‘Auferstandener’ aus dem ‘Schoß’ der Bet heraus. Die rituell inszenierte Todeserfahrung des Mannes war kulturell ein höchst bedeutsamer Akt der Einübung seiner Hinfälligkeit und Sterblichkeit.

    Die minoische Kultur hatte als wichtigsten Kultgegenstand die sog. Doppelaxt. In Darstellungen sieht man sie im Stierschädel (Bukranion) zwischen den Hörnern stecken. Die Prähistorikerin und Havard-Professorin Marija Gimbutas weiß, dass es eigentlich ein Schmetterling ist, der sich aus dem Stierschädel erhebt, ein Symbol für das aus dem Tod neu erstehende Leben.* In den oben abgebildeten Bukranien weisen die Seitenstriche des ‘Vogelfußes’ auf die Hörner, Abbilder der zu- und abnehmenden Mondsichel, und der mittlere Strich auf den Schädel, Abbild des Schwarzmonds.

    BILD 008: Schmetterlingsgöttin

    Im alten China wurde ein Muttersymbol intuiert, in dem das Kreisen, die Dynamik und der zyklische Tanz der sich erneuernden Bet betont wird. Es ging hervor aus dem Symbol der Schlange. Die Schlange galt infolge ihrer Häutungen immer als ein Symboltier der Erneuerung. Sie galt unseren Vorfahren immer als Tier der Weisheit und des Wissens um das Geheimnis des Lebens.** Das altchinesische Symbol besteht aus zwei ineinander verschlungenen Schlangen, einer weißen und einer schwarzen. Sie bewegen sich im Kreis. Dabei trägt jede einen Anteil der anderen in sich selbst: Die weiße Schlange besitzt ein schwarzes Auge, und die schwarze Schlange ein weißes. Ihre Gegensätzlichkeit wird in der lunaren Innenperspektive aufgehoben und über den Begriff der Erneuerung und Transformation (Wandlung) ganzheitlich erfasst. Die schwarze Yin-Schlange und die weiße Yang-Schlange gehören komplementär zusammen wie die blutleere und die voll durchblutete Gebärmutter, wie Tod und Leben.

    BILD 009: Yin-Yang-Symbol

    Dieses ausgereifte Symbol bringt die Ganzheitlichkeit und Integrationskraft der zirkulären matriarchalen Sichtweise zum Ausdruck, die Zusammengehörigkeit von Hervorbringen und Zurücknehmen, Einatmen und Ausatmen, Schaffenskraft und Ruhe, Leben und Tod.

    * Nach M. Gimbutas besteht ein Unterschied zum Symbol des Stieres im Orient. Dort drückt er die Kraft des Heros aus (s.o.), während der Stierschädel im alten Europa ein Erneuerungssymbol ist.

    ** Dies widerspricht in Gänze der patriarchalisierten Schöpfungsgeschichte der Bibel und der darin angelegten Verfluchung der Schlange und des ungehorsamen Menschenpaares. In dieser fatalen Umdeutung der matriarchalen Symbolik wird der Ungehorsam als Kern des Bösen und die Erotik als leibverhaftete Ursünde definiert und der Tod, die Geburtsschmerzen, die Mühen

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