Hamlet in Wittenberg
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Book preview
Hamlet in Wittenberg - Gerhart Hauptmann
Gerhart Hauptmann
Hamlet in Wittenberg
Dramatische Dichtung
Saga
Hamlet in Wittenberg
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1935, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726957044
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com
König Claudius
. . . Was Eure Rückkehr
zur Hohen Schul' in Wittenberg betrifft,
so widerspricht sie höchlich unserm Wunsch . . .
Königin
Laß deine Mutter fehl nicht bitten, Hamlet.
Ich bitte, bleib bei uns, geh nicht nach Wittenberg!
Hamlet
Ich will Euch gern gehorchen, gnäd'ge Frau.
König
Wohl, das ist eine liebe, schöne Antwort . . .
Shakespeare, »Hamlet«, I. Aufzug, 2. Szene
Vorwort
Ob es erlaubt ist oder nicht, einer inneren Neigung zu entsprechen durch den Versuch, das Werk eines Dichters rückläufig zu ergänzen, kann nicht fraglich sein, besonders nicht, wo es sich um ein Drama und um Theater handelt. Die Ehrfurcht, die eine dichtende Phantasie davon abhielte, müßte eine falsche Ehrfurcht genannt werden: ihr wahrer Charakter wäre vielmehr Pedanterie.
Selbst ein verfehlter »Hamlet in Wittenberg« träte dem Ansehen Shakespeares nicht zu nahe. Sein »Hamlet« ist in alter und neuer Zeit unzählige Male für das Theater überarbeitet und bearbeitet worden: beim Wesen des Theaterbetriebes und -gewerbes eine Selbstverständlichkeit. Hier handelt es sich nicht einmal um eine pietätvolle oder pietätlose – die letzteren sind in der Mehrzahl – Bearbeitung, sondern um eine Schöpfung im leeren Raum. Der Hamlet Shakespeares spricht zwar von Wittenberg, er will auf die Hohe Schule von Wittenberg zurückkehren, aber es existiert – außer den drei kurzen Szenen von Gutzkow – kein Drama »Hamlet in Wittenberg«.
Es hat mich gelockt, mir den weltberühmten Dänenprinzen und seine Sturm-und-Drang-Zeit in der Stadt Luthers vorzustellen: sie konnte sich dort auf die allerverschiedensten Arten und Weisen abgespielt haben. Ich entschied mich für die im Nachfolgenden gestaltete Möglichkeit. Ich folgte der Lockung, zu tun, was ich tat, aus natürlicher Liebe zur Hamlet-Gestalt und keineswegs in der lächerlichen Absicht, Vergleiche mit dem überragenden Genie des unsterblichen Briten herauszufordern.
Eher nehme man dieses Werk als demutsvolle Huldigung und erwäge dabei, ob ihm, so genommen, nicht zumindest ebenso großer Wert beizumessen sei wie einem beliebigen Panegyrikus.
Agnetendorf, den 1. Oktober 1935
Gerhart Hauptmann
Des großen Shakespeare heiliges Gebein,
kein prunkend Denkmal wünscht es sich von Stein:
das teure Erbe höchsten Dichtertums.
Was wär' ihm solche Bürgschaft seines Ruhms?
In unsrer Ehrfurcht, die es rein erkennt,
ist es sein eignes, ewiges Monument.
Frei nach Milton
Dramatis Personae
Hamlet, Prinz von Dänemark, Gentleman-Student in Wittenberg
Ebenfalls Gentleman-Studenten in Wittenbg. und Hamlets Freunde:
Barthaar von Fachus, Deutscher,
Horatio, Däne,
Wilhelm, Däne
Hamlets Kammerherrn:
Rosenkranz,
Güldenstern,
Felix, Hamlets Famulus. Junge Spanierin in Männerkleidung. Studentin
Melanchton
Juan Pedro de León, ein spanischer Edelmann
Der Penneboß der Herberge Zum Pilgerstab
Fahrende Scholaren, ältere Semester, sogenannte Bacchanten:
Paulus,
Achazius,
Thomas, ein Knabe, Scholar
Hamida, eine junge Zigeunerin
Sasteresko, ein Zigeunerhauptmann
Lischka, ein junger Zigeuner
Brakka, eine alte Zigeunerin
Bärbe Hohndorf, Tochter des Bürgermeisters von Wittenberg
Adelheid, Besitzerin eines Freudenhauses
Bohnenmilch, Wirt des Strohsackl
Der Stadtweibel
Der Schlosshauptmann
Erste, zweite, dritte schöne Frau
Erstes, zweites schönes Mädchen
Erster, zweiter, dritter Gast auf der Fachusburg
Erster, zweiter, dritter Gast bei Bohnenmilch
Erste, zweite, dritte Schellenkappe
Bakkalaureus
Erster Soldat
Pierre, Stalljunge des Don Pedro
Eine schlumpige Magd
Ein Nachtwächter
Festgäste
Studenten und Schauspieler
Stadtknechte
Zigeuner, Fahrendes Gesindel
Orte der Handlung: Wittenberg – Wirtshaus Zum Pilgerstab in der Nähe von Wittenberg – Fachusburg.
Erster Akt
Erste Szene
Im Wirtshaus Zum Pilgerstab, einsam an der Landstraße gelegen.
Die Schenkstube: verräucherte Spelunke mit Talgfunsen und brennenden Kienspänen. Einige Fenster gehen auf den Hof, von dort Schattenhaft beleuchtet.
Sommernacht.
Don Pedro, ein Spanier, elegante Reitererscheinung mit Degen und Sporen, an einem der Tische. Im Hintergrunde der fette Penneboß. An den Tischen würfelt lichtscheues Gesindel. Pierre stellt eine silberne Kanne mit Wein vor Don Pedro hin.
Don Pedro. Bub, du hast meine Mundkanne mitgebracht, dank' dir. Er wendet sich nachlässig nach rückwärts. Penneboß!
Penneboß. Was wünscht Euer Gnaden?
Don Pedrotrommelt ungeduldig auf den Tisch. Nichts.
Penneboß. Es hilft nichts, wir müssen noch eine Weile Geduld haben, Euer Gnaden. Ich. habe dem Lumpenpack nur um Euretwillen den Hof eingeräumt. Es ist geglückt, Sasteresko hält hier den Gerichtstag ab. Ich habe Euch durch die Adelheid Nachricht zukommen lassen, wie ich Euch schuldig bin und wie sich's gehört. Sie werden Lischka nicht töten, der, ich kann's nicht ändern, mit Hamida den Sohn des Hauptmanns betrogen hat. Er war Sastereskos Lieblingskind und ist mit Hamida versprochen gewesen. Statt Lischka zu hängen, hat sich der Junge selbst stranguliert: Aber, wie gesagt, Lischka wird mit dem Leben davonkommen. Man schneidet ihm höchstens ein Ohr ab und zerschlägt ihm ein Ellenbogengelenk. Ihr werdet ihn nicht mehr zu fürchten haben.
Don Pedro. Sic volo, sic jubeo, sit pro ratione voluntas! Ich habe mir nun einmal diese Mandragore in den Kopf gesetzt! Es muß heute alles richtig werden zwischen Euch und mir und ihr und mir, sonst, geschworen bei der Reinheit der Gottesmutter, hetze ich offen oder geheim alle meine Hunde auf dich!
Penneboß. Was geschehen hat können, Euer Gnaden, ist geschehn. Jetzt müssen wir warten, bis das Allotria im Hofe zu Ende ist. Zigeuner verstehen keinen Spaß. Stört man sie, gibt's eine Stecherei.
Don Pedrowegwerfend. Man jagt ihrer fünfzig davon mit einem Fußlappen.
Penneboß. Ihr seid ja sehr happig auf diesen Giftbissen!
Don Pedro. Biete mir Isabella von Portugal, sie ist die schönste Frau unserer Zeit, ich will's auf die Hostie beschwören, aber ich würde für drei ihresgleichen diesen Stechapfel nicht hergeben.
Vom Hof ertönt ein jäher Schrei.
Penneboß. Halt! Laßt mich einmal zum Rechten sehn. Er blickt durchs Fenster. Richtig! das war die Exekution. Wollt Ihr sehn, wie Euer Rival auf dem Rücken liegt?
Don Pedrowegwerfend. Rival? Ein verlauster Betteljunge? Er zieht Handschuhe an. Ich verzichte auf deine Hilfe, Boß. Unsre Klepper sind frisch. Meine Haudegen haben ihr Lehrgeld nicht umsonst bezahlt. Es macht ihnen nichts, einen kaiserlichen Rat oder einen Erzbischof mitsamt seinen Kurtisanen aufzuheben, geschweige eine Bettlerin.
Gewitter, Wolkenbruch.
Penneboß. Augenblicklich strömt es vom Himmelsthrone. Geduldet Euch! Ein solcher Wolkenbruch muß ja das hitzigste Liebesfieber auslöschen. Es wird heftig an der Haustür gepocht. Was ist? Wer ist da?
Don Pedro. Es sind Berittene: spielst du ein doppeltes Spiel, weh deiner Glatze, alter Gaunervater! Bub, geh hinaus, heiß die Knechte aufsitzen!
Pierre. Wenn der Regen vorüber ist?
Don Pedro. Aufsitzen, Bursch! Im Augenblick!
Der Penneboß ab mit Pierre. Don Pedro geht unruhig auf und ab. Das würfelspielende Gesindel drückt sich eilig. Don Pedro bleibt stehen und gießt Wein herunter.
Ha, Tropfen in einen lodernden Höllenschlund.
Der Penneboß erscheint wieder, gefolgt von durchnäßten und vermummten Reitergestalten: Hamlet, Horatio, Wilhelm, Rosenkranz, Güldenstern und Balthasar von Fachus.
Don Pedro will gehen, stutzt, starrt die Eindringlinge an, überlegt und läßt sich provokant auf einen Stuhl fallen, wobei er den Degen über die Knie legt.
Hamlet. Wie weit ist es von hier bis Wittenberg?
Penneboß. Nicht weiter als von dort in die Hölle.
Wilhelm. Also meinst du von dort bis hierher? Wie weit ist es also hierher von Wittenberg?
Fachus. Kann man in deiner Hölle zu Nacht bleiben?
Güldenstern. Ja, in deiner Wanzen- und Flohhölle?
Wilhelm. Ach was, wir sind Schnapphähne, höllische Feuerhähne; Ungeziefer fürchten wir nicht. Melde uns bei des Teufels Großmutter, sie soll uns Glühwein und Warmbier zurechtmachen. Wir haben keinen trockenen Faden am Leib.
Fachus. Und schütte uns womöglich einige Dutzend höllischer Bratwürste auf den Tisch, Penneboß!
Penneboß. Ihr Herren, hier ist kein Gasthaus für Teufelsgelichter.
Fachus. Dann sind wir wohl nicht im Wirtshaus Zum Pilgerstab, der ärgsten Diebsspelunke von ganz Kursachsen?
Penneboß. Im Hof sind Zigeuner, sie haben einen krepierten Hammel gebraten, wenn ihr essen wollt.
Fachusschlägt mit dem Degen knallend auf den Tisch. Eins, zwei,