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Kleine Gefühlskunde für Eltern - Wie Kinder emotionale & soziale Kompetenz entwickeln
Kleine Gefühlskunde für Eltern - Wie Kinder emotionale & soziale Kompetenz entwickeln
Kleine Gefühlskunde für Eltern - Wie Kinder emotionale & soziale Kompetenz entwickeln
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Kleine Gefühlskunde für Eltern - Wie Kinder emotionale & soziale Kompetenz entwickeln

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About this ebook

Viele Eltern fühlen sich mit der Intensität der Gefühle ihrer Kinder überfordert - und auch mit den eigenen Gefühlen. Meist fehlt es an einem Verständnis der eigentlichen Funktion von Gefühlen. Dadurch wird es schwierig, Kinder in der Entfaltung ihrer emotionalen und sozialen Kompetenz zu begleiten.

Die kleine Gefühlskunde bringt es auf den Punkt:
- wofür sind Gefühle überhaupt da?
- warum haben Kinder so viele intensive Gefühle?
- was brauchen Kinder damit sie ihre emotionale und soziale Kompetenz gut entwickeln können?
- wie kann ich mit meinen eigenen Gefühlen so umgehen, dass sie meine Beziehungen zu Kindern bereichern statt behindern?

Und vor allem wird klar: wir müssen vor Gefühlen keine Angst haben und sie müssen uns auch nicht wütend machen. Erst unsere Gefühle ermöglichen es uns, die Eltern zu sein, die unsere Kinder brauchen.

LanguageDeutsch
Publisheredition est
Release dateJul 31, 2014
ISBN9783940773302
Kleine Gefühlskunde für Eltern - Wie Kinder emotionale & soziale Kompetenz entwickeln
Author

Vivian Dittmar

Vivian Dittmar is an author, founder of the Be the Change Foundation and a driving force for cultural change. Her childhood and youth on three continents sensitized her early on to the global challenges of our time and are still her drive to find holistic solutions today. Through her books, lectures, seminars, online offerings and implementation-oriented projects, she has been committed to a holistic development of people, society, economy and consciousness for two decades. Her book successes include 'The Power of Feelings', 'The Emotional Backpack' and 'The Inner GPS'.

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    Book preview

    Kleine Gefühlskunde für Eltern - Wie Kinder emotionale & soziale Kompetenz entwickeln - Vivian Dittmar

    Kleine Gefühlskunde

    für Eltern

    smiley

    Wie Kinder emotionale und soziale

    Kompetenz entwickeln

    Vivian Dittmar

    Impressum

    Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

    Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

    http://dnb.ddb.de abrufbar.

    Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten.

    Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder irgendein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

    3. Auflage

    Originalausgabe

    © 2014 Vivian Dittmar

    Verlag V. C. S. Dittmar, München

    Lektorat: Chiara Jana Greber

    Cover Design: Vivian Dittmar

    ISBN: 978-3-940773-30-2

    Für meine Eltern,

    in Liebe und Dankbarkeit.

    Inhaltsverzeichnis

    Einleitung

    Teil 1: Eltern & Gefühle

    Nicht alles, was du fühlst, ist ein Gefühl

    Gefühle sind Beziehungskräfte

    Eltern und Absolutheitsansprüche

    Wie entstehen Gefühle?

    Wut sagt: Stopp!

    Trauer sagt: Ja, so ist es.

    Mutterängste, Vatersorgen — Aufbruch ins Ungewisse

    Ich bin eine schlechte Mutter — stimmt das?

    Du bist wunderbar!

    Giftiges Familienerbe: Emotionale Altlasten

    Kleine Dramen, große Dramen

    Teil II: Kinder & Gefühle

    Wie Gefühlskräfte sich entwickeln

    Das Leben ist schön!

    NEIN!

    Aua, ich habe mir wehgetan!

    Mama, lass die Tür auf!

    Du solltest dich schämen!

    Störungen in der emotionalen Entwicklung

    Teil III: Ein neues Miteinander

    In Beziehung mit Gefühl

    Wie entsteht soziale Kompetenz?

    Der Umgang mit Macht

    Was Kinder von uns brauchen

    Anhang

    Anmerkung

    Seit Erscheinen des Buches Gefühle, eine Gebrauchsanweisung wurde ich immer wieder gebeten, ein Buch über Kinder und Gefühle zu schreiben. Gerne möchte ich, aufbauend auf der Gebrauchsanweisung, diesem Wunsch nachkommen. Ich habe mich zwar bemüht, das Buch so zu schreiben, dass es auch ohne vorherige Lektüre der Gebrauchsanweisung verständlich ist, dennoch wollte ich nicht zu viele Inhalte des ersten Buches wiederholen. Daher empfehle ich — entweder zeitgleich oder vorher -, das erste Buch zu lesen und somit ein solides Verständnis der hier gebrauchten Begriffe zu haben. Genauso möchte ich jene Leser um Nachsicht bitten, die mit der Gebrauchsanweisung vertraut sind. Ein paar Wiederholungen lassen sich wohl kaum vermeiden.

    Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass ich bewusst darauf verzichtet habe, durchgehend gegendert zu schreiben, da ich Formulierungen wie meine(n) LebensgefährtIn als sehr störend für den Lesefluss empfinde. Ich habe mal männliche und mal weibliche Beispiele verwendet, mal aus der Sicht des Vaters, mal aus jener der Mutter geschrieben. In allen Fällen, wenn nicht ausdrücklich anders erwähnt, kann genauso das jeweils andere Geschlecht eingesetzt werden.

    Einleitung

    Der Indianerälteste Manitonquat erzählt gerne die Schöpfungsmythen seines Stammes, den Wampanoag. Eine Geschichte handelt davon, wie der Schöpfer sich nach getaner Arbeit von der Erde zurückziehen wollte, als er darauf aufmerksam gemacht wurde, dass in einer Höhle ein großer Magier gefunden wurde. Dieser Magier sei womöglich mächtiger als der Schöpfer selbst, hieß es, und es wurde ihm nahegelegt, sich diesen einmal anzusehen, bevor er sich von der Erde zurückzieht — nicht dass es in seiner Abwesenheit Probleme geben würde!

    Der Schöpfer sucht also besagte Höhle auf und findet dort, zu seiner großen Verwunderung, ein Neugeborenes vor. Er hält dies für einen Trick des großen Magiers und verwandelt sich selbst mithilfe seiner magischen Kräfte nacheinander in einen Adler, eine Schlange und einen Löwen. Das Baby zeigt sich zunächst wenig beeindruckt. Es lacht und gluckst und spielt mit den Erscheinungen. Als zuletzt der Löwe das Baby anbrüllt, bekommt es jedoch einen Schreck und beginnt zu weinen. Nun bekommt der Schöpfer einen furchtbaren Schreck. Er verwandelt sich augenblicklich in seine ursprüngliche Gestalt zurück und tut alles, um das Baby zu beruhigen. In diesem Moment erkennt der Schöpfer, dass das Baby gewonnen hat. Er erklärt seine Niederlage und zieht sich von der Erde zurück. [1]

    Babys haben von allen Wesen die stärkste Magie, das zumindest glauben die Wampanoag. Sie sind pures Leben und werden uns immer wieder von Neuem geschickt, um uns mit dem Leben zu verbinden. Durch sie tritt das Leben in immer neuen Erscheinungsformen in die Welt und durch sie geschieht Evolution. Oder, anders ausgedrückt: sie sind Evolution.

    Romantische Verklärung und harte Realität

    Doch leider ist es mit der einfachen Feststellung, Kinder seien etwas Wunderbares, nicht getan. Das ist erst der Anfang. Kinder sind etwas Wunderbares und Kinder können mit das Furchtbarste auf der Welt sein. Jeder, der mal erlebt hat, wie Kinder uns auf die Palme bringen können, weiß, wovon ich spreche. Kinder können unsere tiefsten Wunden berühren und lassen partout nicht locker, auch wenn wir kurz davor sind, sie auf den Mond zu schießen, zusammenzubrechen oder beides zugleich. Mit anderen Worten: Kinder können uns ganz und gar an unsere Grenzen bringen.

    Was bleibt, ist häufig ein seltsamer Spagat: zum einen die verklärte Romantisierung der Kindheit und des Kindes als fast schon mystisches Zauberwesen in einer eigenen Welt. Zum anderen Eltern, Lehrer und Erzieher, die viel Zeit, Energie und ausgeklügelte Strategien darauf verwenden, ihren Kontakt mit diesen Wesen nach Möglichkeit zu minimieren. Eben weil sie einfach so unglaublich intensiv, konfrontierend und vor allem lebendig sind.

    In diesem Buch ist es mir ein Anliegen, beiden Rechnung zu tragen — dem Zauberwesen Kind und den mitunter heftigen Gefühlen, die es in uns auslösen kann. Ich bin nicht nur der Meinung, dass Kinder etwas Wunderbares sind. Für mich sind Kinder sogar das Wunderbarste auf der Welt. Und damit beziehe ich mich nicht auf die Idee Kind, sondern auf meine erlebte Realität. Diese offenbarte sich mir jedoch erst, als ich bereit war, alle Konzepte über Bord zu werfen und mich der Intensität des Kindes anzuvertrauen.

    Miteinander wachsen

    Ich bin dem bekannten dänischen Familientherapeuten Jesper Juul sehr dankbar für seinen Hinweis, dass die Eltern-Kind-Beziehung vor allem eine Liebesbeziehung ist. [2] Damit öffnet er uns Eltern die Tür, verkopftes Philosophieren über Erziehungsansätze beherzt hinter uns zu lassen und uns auf unsere Kinder einzulassen. Ein Schritt, der uns beglücken, erfüllen und reich beschenken kann. Doch das ist nur die eine Seite. Die andere ist jene, dass jede Liebesbeziehung Gefühle von unglaublicher Intensität in uns wachruft — auch die Beziehung mit unseren Kindern. Zum einen natürlich den Rausch absoluter Verliebtheit, gefolgt von einer reichen Palette an Gefühlen, die uns mit einer überraschenden Heftigkeit überfluten. Wie gehen wir damit um? Und vor allem ist die Gefahr eines Machtmissbrauchs ungleich größer, sollte es uns nicht gelingen, mit dieser Gefühlsintensität einen konstruktiven Umgang zu finden.

    Dieses Buch ist ein Plädoyer für einen gemeinsamen Wachstumsprozess mit unseren Kindern. Nichts und niemand auf dieser Welt ist besser dazu geeignet, uns mit uns selbst zu konfrontieren, als unsere eigenen Kinder. Niemand erspürt unsere Schatten und Schwachstellen präziser als sie und keiner liebt uns bedingungsloser. Sie wollen nicht, dass wir perfekt sind, sie wollen vor allem, dass wir mit uns selbst und mit ihnen in Kontakt sind — sie wollen, dass wir da sind. Kinder fordern uns, über uns selbst hinauszuwachsen. Nehmen wir ihre Einladung an, wird der Prozess nicht nur zu einer neuen Beziehung mit unseren Kindern führen, sondern vor allem auch zu einer neuen Beziehung mit uns selbst und dem Leben an sich.

    Eltern sein gestern und heute

    Noch vor zwei oder drei Generationen hatten die meisten Eltern gar keine Zeit und auch gar keinen Anlass, sich über Kindererziehung Gedanken zu machen. Kinder wurden nach einem festen Schema erzogen, gut und schlecht, richtig und falsch waren sauber sortiert und die Eltern hatten dies "nur" umzusetzen, auch mit Gewalt. Strenge und Härte galten als Ausdruck der eigenen Liebe gegenüber den Kindern.

    In vielen Kulturen ist das noch heute so, und das hat nicht nur Nachteile. Ein vorgegebenes ethisch-moralisches Korsett mag zwar weniger Platz zum Atmen bieten, es gibt aber auch Halt und Orientierung. Die Verantwortung für die Wunden, die dadurch in Kinderseelen geschlagen werden, liegt beim Kollektiv — denn man macht es ja so, weil es schon immer so gemacht wurde — und entlastet damit die Eltern.

    Ein solch enger Rahmen funktioniert auch recht vernünftig, solange Kinder durch ihn auf ein Leben in einer Gesellschaft vorbereitet werden sollen, die sich in genau diesem engen Rahmen bewegt. Mit anderen Worten: Ein autoritärer Erziehungsansatz, der stur einen bestimmten Satz Regeln durchsetzt, bis der Wille des Kindes sich seiner Macht beugt, bereitet Kinder optimal auf das Leben in Strukturen vor, die nach eben diesen Regeln funktionieren und in denen sie am besten überleben, wenn sie keinen eigenen Willen haben. Er ist allerdings absolut nutzlos in der Vorbereitung auf ein Leben in Eigenverantwortung und Freiheit — Werte, die inzwischen tief in den Kulturen der Industrienationen verankert sind.

    Deutlich wird dieses Versagen an Orten, wo diese beiden Ansätze aufeinanderprallen. Ein Beispiel hierfür sind derzeit in Deutschland Schulen mit einem hohen Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund. Idealistische Lehrer beobachten hier immer wieder, dass jene Schüler, die zu Hause die stärkste autoritäre Geißelung erfahren, in der Schule am wenigsten mit einem respektvollen, auf Eigenverantwortung basierenden Miteinander umgehen können. Die Abwesenheit von drastischen Sanktionen und drakonischen Strafen führt offenbar zu einer Haltlosigkeit, die sich in purer Rebellion äußert. Diese Beobachtung dürfte auch ein für alle Mal die Überlegung entkräften, dass die Verhaltensauffälligkeiten unserer Kinder und Jugendlichen darin begründet sind, dass sie zu Hause zu wenig Strenge erfahren. Doch was ist es dann? Wenn Strenge nicht mehr greift, heißt es dann, dass wir die Kinder einfach machen lassen, was sie wollen?

    Diese Idee ist im Jahr 2014 nun wirklich nichts Neues mehr und wurde auch schon zur Genüge ausprobiert. Aus autoritär wurde in den siebziger Jahren antiautoritär. Die Ergebnisse waren nicht gerade überzeugend, denn weder Erwachsene noch Kinder kamen bei diesem Konzept auf ihre Kosten. Es versagte auch darin, Kindern einen Rahmen zu geben, in dem sie lernen können, mit dem hoch anspruchsvollen Zustand der Freiheit verantwortungsvoll umzugehen. Danach schwang das Pendel wieder eher zurück in Richtung autoritär. Eltern müssten klar und konsequent sein, hieß es nun, Kinder bräuchten Grenzen. Statt Strafen sagte man nun Konsequenzen und wunderte sich, dass Kinder den Unterschied nicht verstanden, sich immer noch verurteilt und beschämt fühlten.

    Heute bewegen sich die meisten Eltern irgendwo zwischen diesen beiden Polen, was sicher kein schlechter Startpunkt ist. Das größte Problem sehe ich heute darin, dass Eltern, solange alles gut läuft, gerne partnerschaftlich und auf Augenhöhe mit ihren Kindern sind. Sobald es jedoch zu Konflikten kommt, sind sie mit diesem Ansatz überfordert bzw. haben keine funktionierenden Strategien, um Konflikte auch auf Augenhöhe zufriedenstellend zu lösen. Woher auch, schließlich haben wir es nie gelernt. Dann geschieht das, was eigentlich in Stresssituationen immer geschieht: Wir greifen auf das zurück, was wir kennen. Und was wir kennen, ist eben doch noch die autoritäre Schiene, wo wir als Eltern die Machtkarte ziehen und uns über unsere Kinder hinwegsetzen. In diesem Moment fühlen unsere Kinder sich verwirrt, verraten und zutiefst verletzt, denn es passt so gar nicht zu dem, was wir sonst mit ihnen leben.

    Außerdem sehe ich bei allen Fortschritten, die wir im Umgang mit unseren Kindern gemacht haben — und die haben wir zweifellos gemacht -, immer noch eine entscheidende Lücke bei dem Thema Gefühle. Die weitverbreitete Unkenntnis über Wesen und Funktion dieser Kräfte führt dazu, dass wir als Eltern unseren Kindern genau das weitergeben, was wir selbst gelernt haben: irgendwie, mehr schlecht als recht, mit Gefühlen klarzukommen, jedoch eher im Überlebens- als im Gestaltungsmodus. Darüber hinaus scheitern die meisten guten Absichten, mit denen Eltern ihre erzieherischen Ideale umsetzen wollen, an unserer eigenen Unfähigkeit, im Härtefall gut mit unseren Gefühlen umzugehen.

    Beziehung statt Erziehung

    Die Frage ist: wenn nicht autoritär und nicht antiautoritär, was dann? Wenn wir die Idee, Kinder nach bestimmten Schemata zu formen, als unbefriedigend und unangemessen loslassen, da sie nicht den Ansprüchen einer auf Eigenverantwortung und Freiheit basierenden Gesellschaft entspricht, was tritt an den Platz der verstaubten Litaneien endloser "Man-Sätze? Und wenn wir zugleich die Idee loslassen, dass wir Kinder einfach freilassen sollten, was kann ihrem nicht endenden Strom des Wollens Ufer geben, sodass er sich auf etwas ausrichten kann, das sowohl ihnen selbst als auch ihrer Umgebung zuträglich ist? Mit anderen Worten: Wenn wir uns nicht mehr darauf berufen können, dass man dieses oder jenes tut (oder eben nicht), da man heute so vielfältig ist, dass man" eben so ziemlich alles tut (oder eben nicht), was kann Kindern dann Halt und Orientierung geben?

    Die Antwort ist zugleich einfach und doch komplex: Es sind die Beziehungen, die wir mit unseren Kindern eingehen, die ihnen Halt und Orientierung geben, nicht mehr und nicht weniger. In Beziehung treten bedeutet Bezug nehmen oder "sich beziehen auf". Mit unseren Kindern in Beziehung zu treten bedeutet also, weder sie einfach sich selbst zu überlassen noch sie nach unseren Vorstellungen zu formen. Es bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als sich auf sie zu beziehen, immer wieder aufs Neue. Sich zu beziehen bedeutet, meiner persönlichen Stellung Ausdruck zu verleihen, was unter anderem durch unsere Gefühlskräfte geschieht. Auf diesem Wege lernen Kinder auch unsere Werte kennen — sie werden ihnen jedoch nicht übergestülpt, sondern lediglich angeboten.

    Getragen von Vertrauen und Respekt, geben unsere Gefühle und Bedürfnisse dem Kind einen Rahmen, in dem es sich selbst erfahren kann. Hier kann es die eigenen Bedürfnisse und Gefühle in einen sinnvollen Zusammenhang stellen und lernen, was es bedeutet, mit anderen Menschen gemeinsam Lösungen für unterschiedliche Herausforderungen des Zusammenlebens und letztlich auch des Zusammenarbeitens zu finden.

    Zum Aufbau dieses Buches

    Um Kindern heute authentisch Halt und Orientierung bieten zu können und ihnen damit einen Raum zu geben, in dem sie sich zu emotional und sozial kompetenten Erwachsenen entwickeln können, müssen wir selbst emotional und sozial kompetent werden. Der Aufbau dieses Buches reflektiert diese Überlegungen und Erfahrungen.

    Zunächst schien es naheliegend, den ersten Teil des Buches direkt den Gefühlen des Kindes zu widmen. Es würde auch unserer gängigen Herangehensweise an Kinder und Kindererziehung entsprechen. Wachsamen, liebevollen oder sorgenvollen Auges betrachten und beobachten wir das Kind in seinem Tun und Sein, allzeit bereit, ihm etwas Gutes zu tun, es in seiner Entwicklung zu unterstützen oder korrigierend einzugreifen. So wäre es eben auch verlockend, sich zunächst mit der Gefühlswelt des Kindes vertraut zu machen. Wir könnten untersuchen, wie es Wut, Trauer, Angst, Freude oder Scham empfindet und ausdrückt, um daraus dann vielleicht abzuleiten, wie wir am besten damit umgehen.

    Doch die Realität ist eine andere. Tatsächlich ist es ja so, dass wir vor allem unseren eigenen Gefühlen ausgesetzt sind. Wir haben mit unserer eigenen Wut, unserer Scham, unserer Trauer, unserer Angst und unserer Freude umzugehen — auch in der Beziehung zu unseren Kindern. Viele Eltern haben regelmäßig mit Emotions-Tsunamis zu kämpfen, die jeden guten Vorsatz hinwegspülen. Andere spüren geradezu beunruhigend wenig. Und es ist unsere Fähigkeit oder Unfähigkeit, mit diesen Gefühlen liebevoll, achtsam und kraftvoll umzugehen, die das Kind vor allem mit- und abbekommt.

    Im ersten Teil steht daher nicht das Kind, sondern der Erwachsene im Mittelpunkt. Ich beziehe mich hier vor allem auf Eltern, doch eigentlich meine ich alle Menschen, die sich — freiwillig oder unfreiwillig — der Intensität von Kindern aussetzen und daran interessiert sind, sich von dieser Erfahrung transformieren zu lassen. Denn ohne eine tiefe

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