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Im Umkreis von Anselm: Biographisch-bibliographische Porträts von Autoren aus Le Bec und Canterbury
Im Umkreis von Anselm: Biographisch-bibliographische Porträts von Autoren aus Le Bec und Canterbury
Im Umkreis von Anselm: Biographisch-bibliographische Porträts von Autoren aus Le Bec und Canterbury
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Im Umkreis von Anselm: Biographisch-bibliographische Porträts von Autoren aus Le Bec und Canterbury

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About this ebook

Nach der Eroberung Englands avancierte Canterbury unter den Erzbischöfen Lanfranc und Anselm für einige Jahrzehnte zu einem der kulturellen Brennpunkte Europas. Zentrale Gestalten dieser geistigen Blüte waren Mönche der beiden großen Klöster, der Kathedralpriorei Christ Church und der Abtei St. Augustin. Zum Teil stammten sie wie Lanfranc und Anselm aus dem normannischen Kloster Le Bec; einige wurden später in andere Ämter eingesetzt. Der Band gibt einen neuen Überblick über Leben, Werk und Erforschung von Theologen und Philosophen, Hagiographen und Historiographen, Dichtern und Musikern, Mitarbeitern und Herausgebern aus Anselms Umfeld. Mit Porträts von Eadmer von Canterbury, Osbern von Canterbury, Goscelin von Canterbury, Reginald von Canterbury, Alexander von Canterbury, Boso von Le Bec, Ralph von Battle, Gilbert Crispin und Elmer von Canterbury.
LanguageDeutsch
PublisherEchter Verlag
Release dateSep 1, 2017
ISBN9783429063504
Im Umkreis von Anselm: Biographisch-bibliographische Porträts von Autoren aus Le Bec und Canterbury
Author

Bernd Goebel

Bernd Goebel ist ordentlicher Professor an der Theologischen Fakultät Fulda. Er arbeitet zur Philosophie des Mittelalters und der Gegenwart und forscht zur Metaphysik, Ethik, Religionsphilosophie und der Philosophie des Geistes. In der »Philosophischen Bibliothek« erschien, von ihm übersetzt, eingeleitet und herausgegeben: A.C. Ewing: Ethik. Eine Einführung (PhB 661).

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    Im Umkreis von Anselm - Bernd Goebel

    1. Hagiographen und Historiker, Musiker und Dichter

    1.1 Eadmer von Canterbury

    Eadmer (Eadmerus, Edmerus, Edmer) von Canterbury, Präzentor, Theologe, Dichter, Historiker und Hagiograph, Sekretär Anselm von Canterburys, * 1055/60, † nach 1127.

    Dem Kloster Christ Church in Canterbury als puer oblatus anvertraut, erlebte der Angelsachse Eadmer – er selbst verwendete die Schreibweise Edmer – die Zerstörung der alten Kathedrale durch ein Feuer 1067, deren Wiederaufbau unter Erzbischof Lanfranc nach dem Modell der Abteikirche von St. Stephan in Caen und die Normannisierung der englischen Hierarchie in den Jahrzehnten nach der Eroberung. Vermutlich entstammte Eadmer einer mit dem Kloster verbundenen adeligen, in ihrem Rang durch die Invasion herabgesetzten Familie aus Kent. Auch ein Neffe Eadmers namens Haimo ist um 1115 als Mönch von Christ Church bezeugt; ein wohlhabender Verwandter mit dem Namen Heinrich lebte als Pächter des Klosters in der näheren Umgebung. Möglicherweise handelt ein Bericht Eadmers über Lanfrancs Unterstützung einer verarmten Frau von seiner eigenen Mutter (Southern). 1079 begegnete er wohl erstmals Anselm von Canterbury, als dieser als neuer Abt von Le Bec die englischen Besitztümer seines Klosters besuchte. Ein längerer Aufenthalt Eadmers in Le Bec schon vor Anselms Episkopat (Vaughn) ist denkbar, aber nicht sicher belegt – dass Eadmer von Anselm in einem vielleicht um 1099 entstandenen Schreiben als monachus Becci bezeichnet wird, lässt sich eventuell durch einen Kopierfehler erklären (Southern, Fröhlich, Sharpe) oder durch eine spätere Datierung des Briefes und die Aufnahme Eadmers in die Gemeinschaft ehrenhalber während des zweiten Exils von Anselm (zu dieser Möglichkeit: Niskanen). Noch in der Regierungszeit Lanfrancs lernte Eadmer den Angelsachsen Nikolaus, einen Mönch aus Worcester, kennen, der von seinem Bischof Wulfstan zum Studien nach Canterbury geschickt worden war und dem er auch nach dessen Rückkehr und Wahl zum Prior von Worcester freundschaftlich verbunden blieb. Während der Vakanz nach Lanfrancs Tod (1089–1093) öffnete Eadmer gemeinsam mit seinem älteren Landsmann Osbern, dem Präzentor von Christ Church, heimlich den Schrein des heiligen Erbzischofs Odo (Oda, 942–959), um die Reliquien in Augenschein zu nehmen. Osbern und Eadmer teilten das Interesse am Kult der angelsächsischen Heiligen Canterburys. Der Lombarde Lanfranc war ihrer Verehrung – als, wie Eadmer in diesem Zusammenhang schreibt, quasi rudis Anglus („Neuengländer gewissermaßen") – zunächst zurückhaltend gegenüber gestanden; umstritten ist, ob und inwieweit Lanfranc und seit 1076 Prior Heinrich diese Verehrung tatsächlich zurückgedrängt haben. Nach Osberns frühzeitigem Tod führte Eadmer dessen hagiographisches Werk – die Aufzeichnung von Leben und Wundern der mit Christ Church verbundenen Heiligen Canterburys – fort. Unter Lanfranc und während der folgenden Vakanz war er im Skriptorium aktiv, als dort die charakteristische Handschrift von Christ Church entwickelt wurde. Seine eigenen Werke zeichnete er – vielleicht mit Ausnahme seiner letzten Lebensjahre – selbst auf; bei dem Manuskript Cambridge Corpus Christi College 371 handelt es sich nach allgemeiner Auffassung um sein Autograph. Anselm erkor ihn bald nach seiner Ankunft (1093) zu seinem Sekretär und Kaplan (capellae custos atque dispositor) ; wie Wilhelm von Malmesbury berichtet, ernannte ihn Papst Urban II. auf Anselms Anfrage hin außerdem zu seinem geistlichen Mentor. Als der – neben Balduin und später Alexander – engste Vertraute Anselms unter den Mönchen von Canterbury und Mitglied seines Haushalts hielt Eadmer sich nun nicht mehr ununterbrochen in seinem Heimatkloster auf, sondern begleitete den Erzbischof auf seinen Reisen einschießlich der beiden mehrjährigen Exile. Dabei wurde er Zeuge von Anselms Auseinandersetzungen mit den Königen Wilhelm II. und Heinrich I., mit deren Baronen und dem englischen Episkopat. Als Mitglied von Anselms Gefolge begegnete er Hauptvertretern der cluniazensischen und gregorianischen Reform, so unter anderem den Päpsten Urban II., Paschalis II., dem späteren Papst Calixt II., Abt Hugo von Cluny und Hugo von Die, dem Bischof von Lyon. 1097 verließ er mit Anselm zum ersten Mal England, traf nach einem längeren Aufenthalt in Lyon 1098 in Rom ein und begab sich anschließend nach Sclavia (Liberi), unweit des von Roger von Apulien belagerten Capua. Dort dürfte er Anselm als Schreiber bei den Abschlussarbeiten an seinem Dialog „Cur Deus homo unterstützt haben; in einem vermutlich auf der Rückreise in Lyon verfassten Brief setzte Anselm seinen von Canterbury nach Le Bec zurückgekehrten Freund Boso, den späteren Prior und Abt des Klosters, darüber in Kenntnis, dass Eadmer – „die Stütze meines Alters – für Le Bec eine Abschrift von „Cur Deus homo" anfertigte. Wie die Mitunterzeichnung eines ebenfalls in Lyon aufgesetzten Schreibens Anselms an Archidiakon Hugo von Canterbury durch Eadmer (mit Edmerus coexsul domini et patris nostri archiepiscopi) nahelegt, assistierte er diesem während seiner Reisen darüber hinaus beim Briefverkehr. Von Capua aus reisten Anselm und sein Gefolge zum Konzil von Bari (1098) und im Anschluss als Gäste der Kurie zurück nach Rom, wo Anselm das Osterkonzil Urbans II. besuchte (1099). In Bari erkannte Eadmer in dem prächtigen Mantel des Bischofs von Benevent eine Gegenleistung von Bischof Aethelnoth (Ethelnot) von Canterbury (1020–1038) für eine Bartholomäus-Reliquie aus Benevent, in deren Besitz die Priorei Christ Church durch Vermittlung von Königin Emma von der Normandie gelangt war – eine Begebenheit, von der er aus mündlichen Quellen wusste. Nach einem zweiten Aufenthalt in Lyon und dem Besuch einiger umliegender Klöster erreichte Anselm die Nachricht vom Tode Wilhelms II., woraufhin er mit Eadmer in seinem Gefolge über Cluny zurück nach England reiste (1100). Zwischen 1100 und 1103 begleitete Eadmer Anselm mehrfach an den Hof Heinrichs I. und 1102 zum Konzil von London. Da die Reise Alexanders und Balduins zu Papst Paschalis II. aufgrund des widersprüchlichen Zeugnisses der drei königlichen Gesandten keine Einigung brachte, machte sich Anselm mit Eadmer über Le Bec erneut auf den Weg nach Rom (1103). Nachdem Paschalis II. die Exkommunikation der vom König eingesetzten Bischöfe durch seinen Vorgänger Urban II. zu bestätigen schien, reiste Eadmer mit Anselm über Florenz und Piacenza abermals nach Lyon und erst 1105 über Blois und Laigle (L’Aigle) – wo Anselm zunächst die Schwester des Königs und dann den König selbst traf – nach Rouen, Jumièges und Le Bec. 1106 vom Papst über dessen Kompromiss mit Heinrich I. und die Aufhebung der Exkommunikationen unterrichtet, begab sich Anselm nach überstandener schwerer Krankheit – während der er von Eadmer gepflegt wurde – schließlich zurück nach England. Eadmer war auch bei Anselm, als dieser wenige Jahre später in Canterbury starb (1109). Waren die anschließende fünfjährige Vakanz für Eadmer wieder von größerer stabilitas und intensivem literarischem Schaffen geprägt, so standen die Regierungsjahre von Anselms Schüler und Nachfolger, Ralph d’Escures (1114–1122), dem früheren Abt von Séez, ganz im Zeichen des Ringens um den Primat Canterburys und gestalteten sich für Eadmer abermals turbulent. Der Papst hatte das Pallium des mit Canterbury rivalisierenden Erzbischofs von York nach Canterbury gesandt, doch der 1114 neu gewählte Thurstan von York weigerte sich, die von Lanfranc und Anselm erhobenen Primatsansprüche anzuerkennen. Da Ralph Thurstan unter diesen Umständen nicht die Weihe erteilen wollte, suchte er zunächst 1116 den König in Rouen auf und reiste anschließend über Lyon und Piacenza nach Rom und weiter nach Sutri (1117). Als er nichts ausrichten konnte, blieb er mit Eadmer, der ihn begleitete, im normannischen Exil, um Thurstan nicht ohne Gehorsamsversprechen weihen zu müssen. Aufgrund einer schweren Erkrankung reiste Eadmer wohl 1119 zurück nach Canterbury, ausgestattet mit einem Brief von Ralph, der sein Verlassen der erzbischöflichen Entourage rechtfertigte. 1120 berief der schottische König Alexander I., der die Unabhängigkeit seiner Kirche von York anstrebte, Eadmer zum Bischof von St Andrews. Dieser reiste als electus nach Schottland, bestand aber – dem Anspruch Anselms gemäß, Primas der Kirche von ganz Britannien zu sein – darauf, dem Erzbischof von Canterbury ein Gehorsamsversprechen abzulegen. Darauf ließ sich der König nicht ein, woraufhin Eadmer letztlich auf sein Amt verzichtete und 1121 nach Canterbury zurückkehrte, weil er, wie er später schrieb, seine Identität als Mönch von Canterbury „nicht einmal im Austausch gegen ganz Schottland verleugnen" wollte. Erhalten ist ein Brief Nikolaus von Worcesters an Eadmer über die Stellung der Kirche Schottlands im Verhältnis zu Canterbury und York, die Antwort auf eine Anfrage seines Freundes. Dass die in diesen Jahren, zur Untermauerung der Primatsansprüche Canterburys angefertigten oder (Berkhofer) vollendeten Fälschungen – unechte Zusätze zu echten päpstlichen Briefen und Privilegien – ganz oder zum Teil das Werk Eadmers sind (MacDonald), lässt sich (Southern) nicht belegen und ist aufgrund des paläographischen Befundes, dass derselbe Fälscher offenbar auch für St. Augustin in Canterbury tätig war (Kelly), unwahrscheinlich; jedenfalls dürfte Eadmer sich über die Natur dieser, wie er schreibt, in archivis aufgefundenen Urkunden im Klaren gewesen sein und integrierte sie, wenn auch vielleicht guten Gewissens, in sein Geschichtswerk. Vermutlich nach seiner Rückkehr aus Schottland, eventuell auch schon seit seiner Rückkehr von der dritten Romreise oder noch früher, hatte er, wie Gervasius von Canterbury berichtet, das Amt des Präzentors von Christ Church inne. Als solcher leitete er unter anderem die Bibliothek und das Skriptorium, das in den späten 1120er Jahren mit der Arbeit an dem siebenbändigen Prachtlektionar beschäftigt war. Möglicherweise begleitete er auch die Erstellung der Werksammlung Anselms in der aufwändigen, in Canterbury entstandenen Handschrift Oxford Ms Bodley 271 ganz oder teilweise als Redakteur (Southern), wenn diese nicht noch zu Anselms Lebzeiten (Schmitt, Logan) oder vor oder während Eadmers dritter Romreise (zu dieser Möglichkeit: Sharpe) angefertigt wurde. Auch für die doppelte Abschrift der großen Sammlung von Briefen Anselms in den Manuskripten London Lambeth Palace Library 59 und Paris Bibliothèque nationale de France lat. 2478 dürfte Eadmer damals verantwortlich gewesen sein (Southern, Niskanen; gegen Schmitt, Fröhlich), obgleich als Schreiber nicht selber beteiligt; dabei war sein Ziel, Anselms Erbe zu bewahren. Die Jahre nach dem Tod Ralphs, seines letzten Mentors, und dem verlorenen Machtkampf mit York waren eine zweite vornehmlich dem literarischen Schaffen gewidmete Phase im Leben Eadmers. Er machte die Bekanntschaft des jungen Wilhelm von Malmesbury, der Christ Church zu Forschungszwecken besuchte. 1123 wurde der Augustinerchorherr Wilhelm von Corbeil (1123) Nachfolger Ralphs in Canterbury. Wohl auch aus Gründen des Alters oder der Gesundheit schied Eadmer, dessen späte Werke nicht mehr mit der gewohnten Sorgfalt in die bis dahin eigenhändige Werksammlung eingetragen wurden, nun aus dem erzbischöflichen Haushalt aus. Eadmer starb in oder eher nach 1128, wohl an einem 13.

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