"numquam abrogata"?: Kirchenrechtliche Reflexionen über das Motu Proprio "Summorum Pontificum" Papst Benedikts XVI.
Von Christian Binder
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Seit dessen Enzyklika Evangelii gaudium ist etwas Ruhe eingekehrt. Die theologischen und rechtlichen Fragen bleiben freilich offen und verdienen eine vertiefte Untersuchung. Dem hat sich Christian Binder detailliert in seiner Quellenanalyse zugewandt und das Für und Wider in dieser Diskussion einander kritisch gegenübergestellt und in eine eigene Stellungnahme münden lassen. Die Arbeit bietet nicht nur eine auch für den fachlichen Laien gut verständliche Analyse der Quellen, sondern auch eine darauf basierende engagierte Positionsbestimmung, mit der die fachwissenschaftliche Diskussion bereichert wird.
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"numquam abrogata"? - Christian Binder
Kapitel 1: Das Motu Proprio Summorum Pontificum
Das Motu Proprio beginnt mit der grundlegenden Feststellung, dass
„die Sorge der Päpste […] es bis zur heutigen Zeit stets gewesen [sei], dass die Kirche Christi der Göttlichen Majestät einen würdigen Kult darbringt, „zum Lob und Ruhm Seines Namens und „zum Segen für Seine ganze heilige Kirche.
"⁵
Es sei also der Grundsatz zu wahren, dass von jeder Teilkirche die gemäß der Überlieferung empfangenen Gebräuche eingehalten werden, um eine unversehrte Weitergabe des Glaubens zu ermöglichen – das Gesetz des Betens (lex orandi) der Kirche entspreche ihrem Gesetz des Glaubens (lex credendi)⁶. Es folgt ein geschichtlicher Abriss mitsamt der Erwähnung der Päpste, die nach Ansicht Papst Benedikts XVI. eine derartige Sorge walten ließen. Dieser beginnt bei Gregor dem Großen, der die in Rom gefeierte Form der heiligen Liturgie festgelegt und bewahrt habe, führt weiter über Pius V., der „den ganzen Kult der Kirche erneuerte und die Päpste der folgenden Jahrhunderte, die sich um eine „Erneuerung oder […] Festlegung der liturgischen Riten und Bücher bemühten
. Das Zweite Vatikanische Konzil habe schließlich „den Wunsch zum Ausdruck [gebracht], dass die gebotene Achtsamkeit und Ehrfurcht gegenüber dem Gottesdienst wiederhergestellt und den Erfordernissen unserer Zeit angepasst werden sollte.⁷ Papst Paul VI. habe dann – von diesem Wunsch des Konzils geleitet – „die reformierten und zum Teil erneuerten liturgischen Bücher im Jahr 1970 für die lateinische Kirche approbiert.
⁸ In der Folge sei jedoch der Umstand in den Vordergrund gerückt, dass „in manchen Gegenden nicht wenige Gläubige den früheren liturgischen Formen [anhingen]. „Geleitet von der Hirtensorge für diese Gläubigen
habe Papst Johannes Paul II. im Jahr 1984 mit dem Indult Quattuor abhinc annos bereits eine Vollmacht zum Gebrauch des Römischen Messbuchs von 1962 erteilt und seine dementsprechenden Absichten mittels des Motu Proprio Ecclesia Dei im Jahr 1988 nochmals betont⁹. „Die inständigen Bitten dieser Gläubigen", die den früheren liturgischen Formen weiterhin anhängen, seien nun auch der Auslöser für die folgenden Bestimmungen dieses Apostolischen Schreibens. Papst Benedikt XVI. legt nun zuallererst fest, dass das „von Paul VI. promulgierte Römische Messbuch […] die ordentliche Ausdrucksform der Lex orandi der katholischen Kirche des lateinischen Ritus" sein soll, während „das vom heiligen Pius V. promulgierte und vom seligen Johannes XXIII. neu herausgegebene Römische Messbuch [… ] außerordentliche Ausdrucksform derselben Lex orandi der Kirche sein soll. Es soll nun also zwei Anwendungsformen des „einen Römischen Ritus
geben, ohne eine Spaltung der Lex credendi der Kirche herbeizuführen¹⁰.
Nun folgt die für diese Arbeit grundlegende Formulierung: Benedikt XVI. erlaubt es, „das Messopfer nach der vom seligen Johannes XXIII. promulgierten und niemals abgeschafften Editio typica des Römischen Messbuchs als außerordentliche Form der Liturgie der Kirche zu feiern. Die Messe von 1962 wird an dieser Stelle also als „niemals abgeschafft
¹¹ – im Lateinischen: numquam abrogata¹² – bezeichnet. Im darauf folgenden Teil des Motu Proprio verweist Benedikt XVI. darauf, dass die durch die vorangegangenen Dokumente Quattuor abhinc annos und Ecclesia Dei aufgestellten Bedingungen für den Gebrauch des Missale von 1962 folgendermaßen ersetzt werden¹³: Jeder katholische Priester des lateinischen Ritus hat nun das Recht selbst zu entscheiden, ob er in Messen ohne Volk das alte oder das neue Missale gebraucht – eine diesbezügliche Erlaubnis vom Apostolischen Stuhl oder vom jeweiligen Ordinarius ist nicht mehr erforderlich¹⁴. Ebenso erhalten nun die Gemeinschaften der Institute des geweihten Lebens und der Gesellschaften des apostolischen Lebens das Recht, zwischen den beiden Formen der Messe frei zu wählen¹⁵. Die relevanteste Neuregelung bezieht sich jedoch auf die Feier der Messe mit Gemeinde:
„In Pfarreien, wo eine Gruppe von Gläubigen, die der früheren liturgischen Tradition anhängen, dauerhaft existiert, hat der Pfarrer deren Bitten, die heilige Messe nach dem im Jahr 1962 herausgegebenen Römischen Messbuch zu feiern, bereitwillig aufzunehmen."¹⁶
Die Feier der alten Messe kann hierbei sowohl an den Werktagen, als auch an Sonntagen und Festen stattfinden – ebenso zu besonderen Gelegenheiten, wie etwa Trauungen und Begräbnisfeiern. Priester, die die alte Form der Messe feiern, müssen dazu jedoch geeignet sein. Sollte ein Pfarrer der Bitte von Laien nach der Feier der Messe von 1962 nicht entsprechen, soll der Diözesanbischof in Kenntnis gesetzt werden und – falls auch dieser dem Wunsch der Laien nicht entsprechen sollte – soll dies der Päpstlichen Kommission Ecclesia Dei mitgeteilt werden¹⁷. Pfarrer können nun – aber müssen nicht – „die Erlaubnis geben, dass bei der Spendung der Sakramente der Taufe, der Ehe, der Buße und der Krankensalbung das ältere Rituale verwendet wird, wenn das Heil der Seelen dies nahelegt". Die gleiche Regelung gilt für Bischöfe bei dem Sakrament der Firmung. Nicht zuletzt erhalten Priester und Diakone das Recht, das Römische Brevier des Jahres 1962 zu gebrauchen¹⁸.
Die Päpstliche Kommission Ecclesia Dei erhält die Aufgabe, über die Beachtung und Anwendungen dieses Motu Proprio zu wachen. In Kraft treten sollen diese Bestimmungen zum 14. September 2007¹⁹. Kurz zusammengefasst stellt Papst Benedikt XVI. mittels der Bestimmungen des Motu Proprio Summorum Pontificum die im Jahr 1962 bestehenden liturgischen Formen der Riten – insbesondere auch die Form der Messe von 1962 – mit den nachfolgenden weitestgehend gleich.
5 Benedikt XVI., Apostolisches Schreiben Motu Proprio Summorum Pontificum, 519.
6 Vgl. ebd., 519f.
7 Ebd., 520.
8 Ebd., 520f.
9 Vgl. ebd.
10 Vgl. ebd., 521.
11 Ebd.
12 Benedikt XVI., Litterae apostolicae. «Motu proprio» datae. De usu extraordinario antiquae formae Ritus Romani, in: AAS 99 (2007), 779.
13 Vgl. Benedikt XVI., Apostolisches Schreiben Motu Proprio Summorum Pontificum, 521f.
14 Vgl. ebd., 522.
15 Vgl. ebd., 522.
16 Ebd.
17 Vgl. ebd., 523.
18 Vgl. ebd., 524.
19 Vgl. ebd.
Kapitel 2: Überblick über den Forschungsstand
Trotz der enormen innerkirchlichen Wichtigkeit der Thematik und der Aktualität von Summorum Pontificum ist die Anzahl der Publikationen, die sich um eine genauere Beleuchtung der numquam abrogata-Formulierung Benedikts XVI. bemühen, äußerst übersichtlich. Selbst eine Publikation wie Anselm J. Gribbins Buch „Pope Benedict XVI and the liturgy" aus dem Jahr 2010, die sich explizit den liturgischen Entwicklungen unter Papst Benedikt XVI. – darunter auch Summorum Pontificum – widmet, erwähnt jene strittige Formulierung eher am Rande und versucht erst gar nicht, diese zu erklären²⁰. Auch das im Jahr 2008 von Albert Gerhards herausgegebene Buch „Ein Ritus – zwei Formen", das die Bestimmungen des Motu Proprio Summorum Pontificum beleuchtet, bietet keine Lösungsansätze für die Behauptung einer niemals abgeschafften alten Messe an²¹. Auf mögliche Erklärungsversuche für die numquam abrogata-These richten nur wenige Veröffentlichungen tatsächlich ein Augenmerk. Zunächst ist hier Martin Rehak zu nennen, der im Jahr 2009 in seinem Buch „Der außerordentliche Gebrauch der alten Form des Römischen Ritus" das Motu Proprio Summorum Pontificum eingehend untersucht hat und hierbei auch auf verschiedene Erklärungsmöglichkeiten der numquam abrogata-These eingegangen ist²². Rehaks Darstellung der in Frage kommenden Erklärungsmöglichkeiten stellt die detaillierteste bis zum heutigen Tag erschienene dar. Die Mehrzahl der theoretischen Erklärungsansätze für jene strittige Formulierung Benedikts XVI. werden von Rehak – jedoch wohlgemerkt in kurzer und oft wenig detaillierter Form – behandelt. Insgesamt hält Rehak keinen dieser Ansätze für zufriedenstellend²³. Bereits ein Jahr zuvor hatte Norbert Lüdecke in einem Beitrag im Liturgischen Jahrbuch eine kirchenrechtliche und ekklesiologische Analyse von Summorum Pontificum vorgenommen, die auch auf diverse Theorien eingeht, welche das alte Missale als „niemals abgeschafft" ansehen²⁴. Lüdecke verweist in diesem Zusammenhang auf die – seiner Meinung nach nicht haltbaren – Theorien der Gleichsetzung einer späteren Erlaubnis mit einer früheren Erlaubnis, einer Immunisierung des Missale von 1962 gegen eine ersetzende Reform auf Grundlage des vierten Artikels der Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium und einer verbindlichen Neudeutung des Gesetzgebungsaktes Papst Pauls VI. durch Papst Benedikt XVI. unter Berufung auf die primatiale Vollgewalt²⁵. Auch Matthias Pulte widmete sich jenem Motu Proprio Papst Benedikts XVI. im Jahr 2010 in einer Abhandlung im Archiv für katholisches Kirchenrecht, in welcher er auch auf die numquam abrogata-These eingeht²⁶. Pulte verweist zur Erklärung dieser These einerseits auf die Indultpraxis der Jahrzehnte vor dem Motu Proprio, andererseits auf die Verwendung des Begriffs derogatio – das wörtlich lediglich eine teilweise Abschaffung oder Aufhebung bezeichnet – im Zuge der Abschaffung des Missale von 1962, wobei er dem letztgenannten Ansatz wohl noch die größere Plausibilität zubilligt²⁷. Nicht zuletzt geht Wolfgang F. Rothe in seinem Buch „Liturgische Versöhnung" kurz auf die numquam abrogata-Formulierung ein: er verweist als Begründung auf die nach dem Inkrafttreten des neuen Missale weiterhin bestehende Möglichkeit der Feier der Messe von 1962 für Priester im fortgeschrittenen Alter aufgrund der dementsprechenden Ausnahmeregelung – trotz dieser theoretischen Möglichkeit geht Rothe von einem faktischen Verbot des alten Missale aus²⁸. Aus der Knappheit der Forschungen, die sich in der Folgezeit des Motu Proprio Summorum Pontificum der numquam abrogata-Thematik widmen, folgt zwangsläufig, dass der größte Literaturschwerpunkt dieser Arbeit breit gestreut, sowie bereits vor der Veröffentlichung von Summorum Pontificum erschienen ist und auch jeweils lediglich kleinere Teilaspekte behandelt, die in dieser Arbeit zu einem großen Ganzen zusammengebracht werden sollen.
20 Vgl. Gribbin, Anselm J., Pope Benedict XVI and the liturgy. Understanding recent liturgical developments, Leominster 2011, 144.
21 Vgl. Gerhards, Albert (Hrsg.), Ein Ritus – zwei Formen. Die Richtlinie Papst Benedikts XVI. zur Liturgie, Freiburg im Breisgau 2008.
22 Vgl. Rehak, Martin, Der außerordentliche Gebrauch der alten Form des Römischen Ritus. Kirchenrechtliche Skizzen zum Motu Proprio Summorum Pontificum vom 07.07.2007, Sankt Ottilien 2009.
23 Vgl. ebd., 46-55.
24 Vgl. Lüdecke, Norbert, Kanonistische Anmerkungen zum Motu Proprio Summorum Pontificum, in: LJ 58 (2008), 3-34.
25 Vgl. ebd., 11ff.
26 Vgl. Pulte, Matthias, Von Summorum Pontificum bis Anglicanorum Coetibus. Gesetzgebungstendenzen im Pontifikat Benedikts XVI., in: AfkKR 179 (2010), 3-19.
27 Vgl. ebd., 6ff.
28 Vgl. Rothe, Wolfgang F., Liturgische Versöhnung. Ein kirchenrechtlicher Kommentar zum Motu proprio „Summorum Pontificum" für Studium und Praxis, Augsburg 2009, 59ff.
Kapitel 3: Interpretationslinien der numquam abrogata-Formulierung
3.1 Traditionsbasierte Theorien
Unter traditionsbasierte Theorien lassen sich Theorien einer Weitergeltung der alten Messe zusammenfassen, die ihren Geltungsanspruch aus dem geschichtlichen Werdegang der Messe – hauptsächlich dem Trienter Konzil und dessen Folgewirkungen – ableiten. Um diese traditionsbasierten Theorien auf ihre Stichhaltigkeit untersuchen zu können, wird im Folgenden zunächst ein kurzer historischer Abriss der Entwicklung der Messe seit der Antike bis zur ersten gesetzlichen Regelung im Jahre 1570 vorgenommen werden. Anschließend wird eine inhaltliche Darstellung der Promulgationsbulle Quo primum des Missale Romanum aus dem Jahre 1570 erfolgen und die möglichen Intentionen des Gesetzgebers, Papst Pius V., beleuchtet werden. Danach werden die unterschiedlichen traditionsbasierten Theorien vorgestellt und auf ihre Stichhaltigkeit untersucht werden. Diese reichen von der Unwiderruflichkeits- und der Privilegientheorie, die beide auf Quo primum basieren, bis hin zur Gewohnheitsrechttheorie, welche die angeblich weiterhin bestehende Legitimität der tridentinischen Messe durch das Gewohnheitsrecht gewährleistet sieht. Abschließend soll dann noch ein kurzes Zwischenfazit gezogen werden.
3.1.1 Zeitlicher Abriss der Vorgeschichte bis zur ersten gesetzlichen Regelung im Jahr 1570
In seinen Anfängen war das Christentum noch stark an das jüdische Leben rückgebunden. So beteiligte sich etwa die judenchristliche Urgemeinde in Jerusalem einerseits nach wie vor am Tempelkult und Synagogengottesdienst, andererseits feierte sie die urchristliche Eucharistie in Form eines gemeinsamen Mahls²⁹. Da im Laufe der Zeit die Größe der Gemeinden immer mehr anwuchs, gewann die Eucharistie festere Strukturen: die Vielzahl der Tische reduzierte sich auf einen Tisch – der den Ursprung des christlichen Altars darstellt. An diesem sprach der Vorsteher das Preisgebet über Brot und Wein. Des Weiteren wurde der Wortgottesdienst aus dem Synagogengottesdienst herausgelöst und mit dem Herrenmahl verbunden. Diese Verbindung aus Wortgottesdienst und Herrenmahl zu einer einzigen Feier des Gottesdienstes hatte sich bis zur Mitte des ersten Jahrhunderts etabliert und wurde nun auch mit dem Begriff der „Eucharistie" bezeichnet³⁰.
Die erste genauere Beschreibung der frühen Liturgie stellt die „Apostolische Überlieferung" des Hippolyt von Rom³¹, die um das Jahr 215 entstanden sein dürfte, dar. Jedoch war zu dieser Zeit noch eine Freiheit zur spontanen Erstellung liturgischer Texte grundsätzlich gegeben. Es handelte sich allerdings trotz der damaligen Differenzierungen aufgrund der verschiedenen kulturellen Ausprägungen bei der Eucharistiefeier immer um eine Danksagung an den Vater für die in Christus geschehene Erlösung³². Im vierten Jahrhundert bedingte schließlich der Wandel der Kirche von einer bedrängten Minderheit zur Reichskirche, der eine starke quantitative Zunahme der Gläubigen mit sich brachte, zwangsläufig einen höheren Grad an festen Strukturen in der Eucharistiefeier. Zu beachten ist, dass allerdings zu dieser Zeit noch eine große Anzahl an verschiedenen gleichberechtigten Formen der Liturgie nebeneinander existierte: der Mittelmeerraum war im Wesentlichen geprägt von seinen verschiedenen Zentren der antiken Hochkultur, die jeweils eine selbst ausdifferenzierte Form der Liturgie hatten³³. Für den Zeitraum des vierten bis sechsten Jahrhunderts lassen sich in Bezug auf die abendländische Liturgie zwei Grundtypen unterscheiden, nämlich die nordafrikanisch-römische und die gallische Liturgie. Während davon ausgegangen werden kann, dass in der nordafrikanischen Liturgie von Anfang an Latein die Sprache der Liturgie war³⁴, fand in Rom erst im Laufe der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts ein Wechsel von der griechischen zur lateinischen Sprache statt³⁵. Einheitliche Texte für die Liturgie gab es zu dieser Zeit weder in Nordafrika, noch in Rom, wo schließlich erst im Laufe der Zeit eine Ordnung der Liturgie stattfinden sollte³⁶ – selbst im Frühmittelalter wurden dort im päpstlichen Gottesdienst noch andere Messbücher verwendet, als in den Titelkirchen³⁷. Die Anfänge des Missale Romanum lassen sich vermutlich in das Ende des sechsten nachchristlichen Jahrhunderts einordnen, als Papst Gregor der Große zu Beginn seines Pontifikats – wahrscheinlich im Jahre 592 – ein Sakramentar zusammengestellt hat. Dabei ging es ihm jedoch sicherlich nicht um eine lange Gültigkeit dieses Dokuments über sein Pontifikat hinaus, sondern lediglich um eine Neuordnung des damaligen päpstlichen Stationsgottesdienstes³⁸. Im sechsten Jahrhundert hatte auch mit der Kirche von Ravenna die erste Diözese Norditaliens den Messritus aus Rom übernommen³⁹. Im Laufe des siebten Jahrhunderts stagnierten diese ersten leichten Vereinheitlichungsversuche jedoch, da dann lediglich noch ältere Messbücher mit dem Gregorianum vermischt wurden⁴⁰. Erst im achten Jahrhundert bildete sich ein „Reichsmessbuch der Langobarden heraus⁴¹, das aufgrund der lebhaften gegenseitigen Beziehungen zwischen der gallofränkischen und der römischen Liturgie⁴² schließlich gegen Ende des Jahrhunderts an den Königshof in Aachen gelangte und in der Folge im westlichen Frankenreich und zum Teil auch in den von Karl dem Großen eroberten Gebieten eingeführt wurde⁴³. Das Sakramentar Gregors des Großen hatte sich also zwei Jahrhunderte später bis in das Frankenreich vorgearbeitet⁴⁴. Gegen Ende des achten Jahrhunderts begann außerdem die Sitte, dass das Eucharistische Hochgebet nur noch leise gesprochen wurde⁴⁵. Nicht zuletzt bemühte sich Karl der Große stark um eine Vereinheitlichung auf liturgischer Ebene: Gott wolle keine „Fehler
hören⁴⁶. Im zehnten Jahrhundert sind im Metropolitan-Gebiet Roms eine Vielzahl von Messbüchern verwendet worden⁴⁷. Zu dieser Zeit entstanden die Ordines, die Regieanweisungen enthielten – heute würde man sie als Rubriken bezeichnen. Davor beinhalteten die alten römischen Liturgiebücher fast ausschließlich Texte⁴⁸. Unter Papst Gregor VII. begann schließlich Ende des elften Jahrhunderts in Rom eine liturgische Konsolidierungsphase. Von nun an verlangten die Päpste von den Bischöfen die Umsetzung des Gottesdienstes der römischen Kurie. Bis in das 13. Jahrhundert sollte es dauern, bis diese Bemühungen weitreichende Früchte trugen. In diese Zeit fällt auch die immer stärkere Tendenz der Individualisierung und Subjektivierung der Liturgie, da nun nicht mehr für die einzelnen Mitwirkenden je eigene liturgische Rollenbücher vorgesehen waren, sondern Vollmissalien an ihre Stelle rückten, die auch dem Priester allein