Die Kunst zu trösten
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Philipp Müller fragt, was bei der Kunst zu trösten hilfreich ist und was nicht. Auf dem Hintergrund der jüdisch-christlichen Tradition geht es ebenso um die Frage, was es mit dem Trost auf sich hat, den der "Tröster-Gott" schenkt, und wie dies mit menschlichen Trostbemühungen zusammenhängt. In ignatianischer Perspektive sind die Empfindungen von Trost und Trostlosigkeit ein Kompass bei Entscheidungen und in der Lebensgestaltung.
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Book preview
Die Kunst zu trösten - Philipp Müller
1. Trösten – eine vermessene Aufgabe?
Bevor positiv darauf eingegangen wird, unter welchen Bedingungen Trost vielleicht gelingen kann, wird in diesem Kapitel gefragt, ob das Trösten-Wollen im Grunde nicht vermessen ist. Dabei kommen auch mögliche Fehlformen zur Sprache. Besondere Achtsamkeit ist angezeigt, wenn der Trost mittels religiöser Floskeln erfolgt; denn dann ist die Gefahr groß, dass Religion zur Vertröstung verkommt und der Name Gottes missbraucht wird.
Welches gute Wort hilft der Frau weiter, deren Partner nach vielen gemeinsamen Ehejahren gestorben ist? Was tröstet einen Menschen, dessen Beziehung in die Brüche gegangen ist und der mit seinem Leben nun wie vor einem Scherbenhaufen steht? Außenstehende fühlen sich in solchen Situationen schnell verunsichert und wissen nicht recht, wie sie reagieren sollen. Deshalb wird eine langjährige Bekannte, die mit einer unheilbaren Krankheit im Krankenhaus liegt, nicht besucht oder dem trauernden Nachbarn, dem man zufällig auf der Straße begegnet, aus dem Weg gegangen. Die gute Bekannte oder der trauernde Nachbar, zu denen bis dahin ein unkomplizierter Kontakt bestand, finden ein solches Verhalten irritierend.
Menschen tun sich mit dem Trösten schwer, weil sie spüren, wie schwierig und heikel diese Aufgabe oft ist. Denn ein Trost muss sich im anderen einstellen, und ein Begleiter oder eine Begleiterin haben es nicht in der Hand, ob und wann dies geschieht. Wie vermessen es im Grunde ist, einen Menschen trösten zu wollen, wird besonders in der Sterbebegleitung deutlich. Welche Hoffnung will man einem Sterbenden vermitteln, wenn man selbst nicht weiß, was einen nach dem Tod erwartet und wie man sich an Stelle des Sterbenden verhielte? Eigentlich sind dabei die Sterbenden die Experten, weil sie den anderen ein Stück des Weges voraus sind und vom Sterben mehr Ahnung als diejenigen haben, die zurückbleiben. Darum wären sie auch die idealen Sterbebegleiter. Es schmerzt, einen anderen Menschen leiden zu sehen; und je weniger man aktiv tun kann, desto größer ist das Gefühl der eigenen Hilflosigkeit. Manche gehen solchen Situationen bewusst aus dem Weg. Andere verfolgen eine offensive Strategie: Sie geben Ratschläge und Tipps, wie damit umzugehen sei. Damit wollen sie erreichen, dass es dem anderen bald wieder besser geht. Hierfür erwarten sie von ihrem Gegenüber unbewusst vielleicht eine Form von Dankbarkeit – und dies, obwohl ihre Bemühungen wenig gebracht haben. Möglicherweise hat der andere die Begegnung gar als anstrengend erlebt und wäre lieber in Ruhe gelassen worden.
Manchmal soll durch vermeintlich gute Ratschläge die eigene Hilflosigkeit kompensiert werden. Um zwei Beispiele zu nennen: Ein erfolgreicher Mann von Mitte 40 wird durch den schwerkranken Schulfreund mit der eigenen Verletzbarkeit und Endlichkeit konfrontiert, die er bis dahin erfolgreich verdrängt hatte und sich immer noch nicht recht eingestehen will. Oder: Eine Frau erfährt von sexualisierter Gewalt in der Familie ihrer Freundin, und ihr schwant dabei, im eigenen Leben etwas Ähnliches erlebt zu haben, das niemals richtig aufgearbeitet wurde. In beiden Fällen können Ratschläge ein Abwehrmechanismus sein, sich bedrohliche Gefühle vom Leib zu halten. Damit die »blinden Flecken« der eigenen Biographie das Handeln so wenig wie möglich torpedieren, empfiehlt es sich gerade für Menschen in helfenden Berufen, zu denen auch Seelsorgerinnen und Seelsorger gehören, sich mit ihrer Lebensgeschichte intensiv auseinandergesetzt und sie so gut wie möglich aufgearbeitet zu haben. Denn die helfende Person ist und bleibt das eigentliche »Instrument« ihres Handelns.¹ Deshalb gilt für alle, die anderen helfen und ihnen tröstend beistehen wollen: Je besser sich eine Person selbst kennt und je mehr sie gelernt hat, mit ihren Grenzen und Unvollkommenheiten umzugehen, desto adäquater und feinfühliger wird sie auch anderen begegnen.
Die Warum-Frage und religiös verbrämter Trost
Leute, denen ein schlimmer Schicksalsschlag widerfahren ist, fragen nicht selten: »Warum ist ausgerechnet mir das passiert?« Was soll man als Begleiter oder Begleiterin auf eine solche Frage antworten, die sich im Grunde nicht beantworten lässt?
Zunächst ist Verständnis dafür aufzubringen, dass ein Mensch diese Frage stellt. Weil auf dem Gebiet der Naturwissenschaften oder der Medizin die Frage »Warum ist das so?« enorme Erkenntnisfortschritte ermöglicht hat, legt es sich nahe, auch das eigene Leben und die persönliche Biographie kausal begreifen zu wollen. Auf diese Weise wird das Leben berechenbar. Im Alltag funktioniert das in der Regel recht gut: In Kindheit und Jugend entwickelt ein Mensch einen Deuterahmen, in den sich weitere Erfahrungen und Erlebnisse integrieren und einordnen lassen, der durch neue Erfahrungen aber auch immer wieder modifiziert und verändert wird.
Die jeweilige Kultur und Religion bestimmen als kollektive Größen den persönlichen Deuterahmen in dem Maße inhaltlich mit, wie ein Mensch die jeweiligen Inhalte in seine Weltsicht integriert. Schwierig und bedrohlich wird es dann, wenn einen ein Ereignis so aus der Bahn wirft, dass es den bestehenden Deuterahmen sprengt. Dies kann Anlass sein, das Leben als Ganzes zu hinterfragen und auf einer existentiellen Ebene die Warum-Frage zu stellen.
Vielleicht findet ein Mensch in einer schweren Situation selbst zu einer Antwort auf die Warum-Frage. Es ist jedoch mehr als fragwürdig, wenn Außenstehende einem die Deutung von Krankheiten und anderen Schicksalsschlägen abnehmen wollen und zu wissen vorgeben, welcher Sinn darin liegt und was Gott einem damit sagen möchte. Solche Antworten werden in der Regel dem Einzelnen nicht gerecht, drohen sein Leiden zu verharmlosen und es religiös zu verbrämen. Schenkt man beispielsweise einem Menschen, dem das Wasser (im übertragenen Sinn) bis zum Halse steht, eine Spruchkarte mit dem Text »Was macht schon der Schiffbruch, wenn Gott das Meer ist«, dann ist es mehr als verständlich, wenn der Empfänger die Karte als zynisch empfindet. Misslungene Trostversuche dieser Art offenbaren, wie sehr die Redeweise stimmt, dass das Gegenteil von »gut« häufig »gut gemeint« ist.
Der Trostversuch der Ijob-Freunde
Religiösen Trost von außen, den Betroffene als wenig hilfreich erleben, hat es immer gegeben. Das biblische Ijob-Buch ist hierfür ein Lehrstück. Ijob ist ein Mann, der in jeder Hinsicht vorbildlich gelebt hat. Irgendwann trifft ihn ein Schicksalsschlag nach dem anderen. Alles wird ihm genommen: Reichtum, Gesundheit und sogar die eigenen Kinder. Eindrücklich beschreibt die Bibel, wie er mit einer