Die Bewohnbarkeit der Erde (E-Book): Eine Bilanz der Umweltbildung
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Klimawandel, Artensterben, Umweltvergiftung - was kann Bildung dagegen ausrichten? Helmut Schreier, Lehrer und Professor, hat sich sein Berufsleben lang mit dieser Frage befasst. Seine Bilanz verbindet schulische Umweltbildung mit der Bewusstseinsentwicklung der Öffentlichkeit. Einsichten sind gewonnen, bessere Regeln durchgesetzt worden, aber nach wie vor dominiert das Zerstörende. Schulunterricht kann sachbezogene Aufklärung ins Feld führen und junge Menschen bei ihrer Suche nach einer nichtzerstörerischen Lebensweise unterstützen.
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Die Bewohnbarkeit der Erde (E-Book) - Helmut Schreier
Vorwort
Aufgewachsen in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, bin ich (Jahrgang 1941) sozusagen in die Umweltproblematik hineingewachsen, die in den sechziger Jahren immer deutlicher ins öffentliche Bewusstsein trat und am Ende jenes Jahrzehnts mit dem Foto des Erdaufgangs, aufgenommen vom Mond aus, ein erstes verbindendes Symbol für alle diejenigen fand, die der Zerstörung der Erde entgegenzutreten suchten. Es war eine grosse und wachsende Bewegung, die sich von Anfang an auch in Schule und Unterricht ihr eigenes Segment erarbeitete, mit dem ich zeitlebens befasst war. Die Absicht dieser «Umweltbildung», wie wir die Sache nannten und wie ich sie anstelle der komplizierteren Bezeichnung «Bildung für nachhaltige Entwicklung» weiter nenne, ist mit folgendem Vers aus Bert Brechts Gedicht «Die Entstehung des Buches Taoteking auf dem Wege des Laotse in die Emigration» auf schöne Weise beschrieben:
Dass das weiche Wasser in Bewegung
Mit der Zeit den mächtigen Stein besiegt.
Du verstehst, das Harte unterliegt.
(Das Harte ist die Ursache von Ausbeutung und Vernichtung der Welt, und in der Umweltbildung liegt jener bewegte Einfluss, der das Harte schliesslich besiegen soll.)
In der Tat trifft das Wort «Bewegung» den Charakter der Umweltbildung, die verschiedene Fächer heranzieht, um Probleme zu verstehen, die anscheinend unvermittelt auftreten und ein enorm breites Spektrum umfassen, das die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und den Braunkohletagebau einschliesst und von der Verschmutzung der Meere bis zu den Treibhausgasen der Atmosphäre reicht.
Ein zweites Wort, das den Wesenskern der Umweltbildung bezeichnet, ist «Öffentlichkeit». Öffentlichkeit in erster Linie verstanden als Bewusstseinsbildungsprozess der Gesellschaft. Die Bevölkerung lernt das, was als Problem entgegentritt, unter allen Aspekten wahrzunehmen, zu untersuchen, in den Griff zu bekommen. Dabei spielen Medien eine wichtige Rolle, auch Stellungnahmen von Experten, Gerichtsurteile, parlamentarische Beschlüsse und Gesetzesentscheidungen. Im Vergleich mit dieser Öffentlichkeit, in der sich gewissermassen keimhaft die Weltöffentlichkeit spiegelt, ist die Öffentlichkeit der schulischen Umweltbildung nachgeordnet. Aber auch hier geht es, im Unterschied zu den meisten anderen Schulfächern, um die Herstellung einer Öffentlichkeit im Klassenzimmer, die sich mit aktuellen Problemen befasst und sämtliche verfügbaren Quellen heranzieht. Zwischen A (der grossen gesellschaftlichen Öffentlichkeit) und B (der Öffentlichkeit der schulischen Studiengruppe) besteht eine Korrespondenz, und hier kommt die Beweglichkeit der Umweltbildung ins Spiel, die sich den jeweils aktuellen Themen gleichsam anzuschmiegen und unterschiedliche Formen eines reichhaltigen methodischen Repertoires anzuwenden versteht, vom Studium ökologischer Grundbegriffe («Nahrungskette») mit ihren toxikologischen Implikationen (Akkumulation von Giftstoffen im Fettgewebe der Organismen) zur Untersuchung des pH-Wertes von Niederschlägen (mit Hilfe von Messgeräten) und zu philosophischen Erörterungen über die Rechte von Tieren.
Nach einem halben Jahrhundert öffentlicher Auseinandersetzung mit der Gefährdung der Bewohnbarkeit der Erde – mehr als fünfzig Jahre nach dem emblematischen Foto vom Erdaufgang und fast sechzig Jahre nach dem Erscheinen von Rachel Carsons «Der stumme Frühling» – ist eine Bilanz der Umweltbildung sinnvoll. Mein Rückblick ist nicht systematisch im Sinne einer Geschäftsbilanz. Auf die Frage «Was hat Umweltbildung dazu beigetragen, die Zerstörung der Biosphäre aufzuhalten?» versuche ich allenfalls auf dem Umweg über die anders akzentuierte Frage zu antworten: «Was hat Umweltbildung zur Bewusstseinsbildung der Menschen beigetragen?»
Einflüsse auf Politik (nationale, europäische und internationale Bestimmungen für die Entsorgung von Müll, Sondermüll, radioaktiven Abfällen, für Ackerbau und Viehzucht, für das Gesundheitswesen, für die Bauwirtschaft, für die Energieversorgung, Ankündigungen zum Atomausstieg, zum Kohleausstieg, zur Verkehrspolitik, Zielsetzungen zur sog. Klimaneutralität, zum Artenschutz usw.) und auf das Verhalten von Menschen (durch Ge- und Verbote, mehr oder weniger verbindliche Empfehlungen usw.) sind unübersehbar. In einzelnen Bereichen, etwa beim DDT-Verbot oder bei der Abschaffung bleihaltiger Treibstoffe, ist ein ursächlicher oder flankierender pädagogischer Einfluss anzunehmen, auch wenn dies nicht in Heller und Pfennig vorgerechnet werden kann. Dass Umweltbildung ins Gewicht fällt, ist an der reflexartig auftauchenden Frage nach den Auswirkungen jedes geplanten Vorhabens, jeder ins Spiel gebrachten Verhaltensänderung auf die Umwelt (vom Grundwasser bis zum Vorkommen bestimmter Arten von Tieren und Pflanzen) ablesbar. Die Bereitschaft, Umweltbelange zu berücksichtigen, ist hoch. Sie informiert die politische Diskussion. Vor fünfzig Jahren war diese Perspektive für die breite Öffentlichkeit noch exotisch.
Leider ist die einigermassen hoch entwickelte Sensibilität bisher noch erfolglos geblieben, was den Abbruch der weiter fortlaufenden Zerstörungsprozesse angeht. Man muss die düsteren Aussichten der Biosphäre abgrenzen von der positiven Bilanz der zivilisatorischen Entwicklung mit schrumpfender Extrem-Armut und steigender Lebenserwartung, die Hans Rosling gezogen hat. Mit den wenigen seiner auf die Biosphäre bezogenen Daten – Klimawandel, Artenschutz – belegt auch er den Niedergang. Die von ihm vermutete systematische Schwarzmalerei der Verhältnisse trifft also allenfalls auf die gesellschaftliche – vor allem die medizinische – Entwicklung zu. Was den Niedergang der natürlichen Umwelt angeht, so bleibt die pessimistische Sicht unglücklicherweise die immer noch angemessenere.
Es gibt allerdings keinen Grund für die Annahme, dass dies so bleiben müsste. «Alles Leben ist Problemlösen», hat uns Karl Popper in Erinnerung gerufen, und Umweltbildung ist ein Werkzeug, das beim Lösen des Problems helfen sollte, die Erde bewohnbar zu erhalten.
Bei meiner Bestandsaufnahme, die wegen zahlreicher zufälliger Windungen meines Erfahrungsweges keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit des Urteils beansprucht, identifiziere ich ausser einigen wenig hilfreichen Entwicklungen eine Reihe von zukunftsfähigen Orientierungen.
Die bereits über Jahrzehnte dauernde Fixierung auf das Konzept der Nachhaltigkeit erscheint mir überholt, und eine Verquickung mit den Zielen der Entwicklungshilfe trägt m.E. wenig zur Rettung der Biosphäre bei. Wo ein Zusammenwirken zwischen gesellschaftlichen Gruppen und Bewegungen zustande kommt, die sich für den Erhalt der natürlichen Umwelt oder gegen deren Zerstörung einsetzen, entsteht jedoch politischer Einfluss. Die schulische Umweltbildung verliert ihre Glaubwürdigkeit, wenn sie derartige Bewegungen ignoriert. Sachbezogen aufzuklären wäre das Minimum ihres Beitrags in Unterrichtsgestalt, darüber hinaus ein Forum für Diskussion und Meinungsbildung zu bieten wäre eine Unterstützung des laufenden Prozesses der Umweltbildung. Das Forum gäbe ein Scharnier zwischen schulischer und gesellschaftlicher Öffentlichkeit.
Die fünf Kapitel habe ich Lernprozessen gewidmet, die mir als notwendige Aspekte eines umweltbewussten Menschen erscheinen: Einer Person, die in der natürlichen Welt zu Hause ist und mit den Pflanzen, Tieren und Mitmenschen so umzugehen versteht, dass das Leben fortdauert. Jede der fünf Überschriften bezeichnet ein Fass ohne Boden: Die Lern- und Übungsprozesse finden kein Ende.
Besonders viel liegt mir an der Aufgabe, eine Vision zu entwickeln, die das Zusammenleben mit der Natur so sieht, dass der Sinn der Gemeinschaft erscheint. Eine Ethik, deren Ge- und Verbote eingebunden wären in die Aussicht auf ein gutes Leben. Die Vorstellung, dass die Welt künftig besser werden könnte, wäre wohl das stärkste Motiv der Umweltbildung.
Wie Lebewesen fruchtbaren Boden erzeugen: Erinnerung an einen Versuch, im Unterricht eine Ahnung davon hervorzurufen, dass alles Leben miteinander verbunden ist
Ende April 2019, die Sonne brennt vom Himmel, aber unter dem Halbschatten der Blattschirme ist das Flanieren im Buchenwald eine Freude, auch wenn es überraschend steile Hänge hinaufzusteigen gilt im Drawehn, einer Moränenlandschaft, die der Gletscher des Saale-Glazials vor 120000 Jahren beim Abschmelzen in der norddeutschen Tiefebene zurückgelassen hat. Das Licht glänzt von den hellgrünen Blättern, die entlang der Zweige aus den Knospen herausdrängen. Gegen die Sonne gehalten, erscheinen sie lichtdurchtränkt und verlockend zart. Ich pflücke eines ab und ertaste seine seidige Beschaffenheit zwischen den Zähnen mit der Zunge, der Geschmack, anfangs grasartig, changiert beim Kauen angenehm zu einer leichten Säure.
Wie oft bin ich während der Jahrzehnte meines Lebens durch Buchenhallen gegangen, vor fünfzig Jahren als Lehrer habe ich über den Waldboden hin Ausschau nach Stellen für Bodenproben gehalten. Leichte Senken und Wannen, in denen sich die Blattstreu des Herbstes sammelt und Jahr für Jahr übereinander in Schichten ablagert, versprechen Schichtenmuster wie aus dem Bilderbuch. Gräbt man sie mit einem senkrechten Spatenstich auf, so sind die einzelnen Schichten sauber und separat zu erkennen: Obenauf liegt die lockere Blattschicht vom Vorjahr, mit beigefarben und bräunlich verwelkten, aber deutlich noch individuell erkennbaren Blättern, darunter eine matratzenartige Schicht aus weniger bröckeligen, zusammengepressten Blattresten, die sich kaum noch als einzelne aus dem Kuchen herauslösen lassen. Unter diesen helleren Oberschichten breitet sich eine dunklere Masse