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Verkaufte Seelen
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eBook252 Seiten3 Stunden

Verkaufte Seelen

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Über dieses E-Book

Genauso schwer wie der Titel des Romans ist auch das Schicksal der Protagonistin Rose Rietberg. Als Kind wächst sie nach dem Tod des Vaters bei Verwandten auf, die sich jedoch vor allem an ihrem Erbe bereichern. Als Rose schließlich auch noch gewinnbringend verheiratet werden soll, läuft sie von ihrer Pflegefamilie weg. Doch wird die junge Frau ihren Weg im Leben finden?-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum24. Sept. 2021
ISBN9788726950397
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    Buchvorschau

    Verkaufte Seelen - Hedwig Courths-Mahler

    Hedwig Courths-Mahler

    Verkaufte Seelen

    Saga

    Verkaufte Seelen

    Coverbild/Illustration: Shutterstock

    Copyright © 1929, 2021 SAGA Egmont

    Alle Rechte vorbehalten

    ISBN: 9788726950397

    1. E-Book-Ausgabe

    Format: EPUB 3.0

    Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

    Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

    www.sagaegmont.com

    Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com

    Rose Rietberg war ein zwölfjähriges Mädchen, als ihr Vater starb, ihre Mutter hatte sie schon zwei Jahre früher verloren. Die Mutter war bei der Geburt eines Sohnes gestorben, den sie nach dreizehnjähriger Ehe ihrem Gatten schenkte. Er hatte sich diesen Sohn mit einer so zähen Inbrunst gewünscht, daß er sich auf dem Gipfel seines Glückes wähnte, als man ihm meldete, nach einer in Unruhe verbrachten Nacht, daß ihm ein Sohn geboren sei. Glückstrahlend war er an das Lager seiner Gattin, die er über alles liebte, geeilt und hatte ihre Hände mit Küssen bedeckt. Matt hatte sie zu ihm aufgesehen und leise gelächelt.

    „Nun bist du restlos glücklich, mein Albert, nicht wahr?" hatte sie gefragt.

    „Unsagbar glücklich," hatte er geantwortet.

    Und dann war er gegangen, als man ihn wieder aus dem Zimmer trieb, nachdem er seinen kleinen Sohn an sein Herz gedrückt hatte, dann war er zu seinem Töchterchen Rose gegangen und hatte ihm gesagt, daß es ein Brüderchen bekommen habe.

    Rose hatte sich nach Kinderart über das neue Brüderchen gefreut, ahnungslos, wie teuer sie diese kurze Freude würde bezahlen müssen. Auch ihr Vater hatte nicht geahnt, wie bald seine Freude in bitteres Leid umschlagen würde.

    Schon am Abend desselben Tages starb seine Frau, und am nächsten Morgen folgte ihr der kleine Sohn in die Ewigkeit nach. Vielleicht hatte er geahnt, daß der Vater ihn bitter hassen würde, weil er, der so heiß Ersehnte, der geliebten Frau das Leben gekostet hatte; vielleicht auch fühlte das kleine, zarte Seelchen, daß es ohne Mutterliebe traurig und trübe auf der Welt wäre. Kurzum, er folgte seiner Mutter in den Tod nach.

    Rose Rietberg stand diesen Ereignissen fassungslos gegenüber. Sie war noch zu jung, um die ganze Größe ihres Verlustes zu ermessen, aber doch schon alt genug, um ihn als einen tiefen Schmerz und ein großes Unglück zu erfassen. Denn dem Tode von Mutter und Bruder folgte der seelische Zusammenbruch ihres Vaters und erschütterte sie noch mehr.

    Das damals erst zehnjährige, aber sehr sensitive Kind reifte in jenen Tagen merkwürdig schnell.

    Sie fühlte instinktiv, daß sie dem seelisch zusammengebrochenen Vater viel sein müsse, damit er das Leben weiter zu tragen vermöge. Sie verstand zwar nicht, warum er sich in den leidenschaftlichsten Tönen anklagte, schuld an dem Tode der inniggeliebten Frau zu sein, weil er unbedingt vom Schicksal einen Sohn hatte ertrotzen wollen. Das Schicksal, so sagte er, habe seinen Wunsch erfüllt, um ihn zu strafen, weil er sich nicht mit dem Glück, ein geliebtes Weib und eine geliebte Tochter zu besitzen, hatte begnügen wollen.

    Diese leidenschaftlichen Anklagen, die so gar nicht für das Ohr des zehnjährigen Mädchens geeignet waren, ließen Rose erzittern vor den Mysterien des Lebens, die sie doch nicht begreifen, nicht einmal ahnen konnte. Aber sie schloß tapfer die Augen vor dem Furchtbaren, das ihr kleines Herz erzittern ließ in unverstandenem Schmerz. Sie suchte den Vater in ihrer kindlich heldenhaften Weise zu trösten, obwohl ihr selbst das Herz zum Brechen weh tat.

    Froh wurde der Vater nie mehr nach jenem Schicksalsschlage. Rose reifte in den zwei Jahren, die der Vater noch lebte, um viel mehr, als sonst wohl die dreifache Zeit einen so jungen Menschen reift. Sie wurde ein opfermutiges und opferfreudiges Geschöpf. Ihr im Grunde sonniges und heiteres Temperament kämpfte sich immer wieder durch Herzensnot und Jammer hindurch. Und jedes arme Lächeln, das sie dem Vater abnötigte, war ihr ein herrlicher Lohn für alle ihre Mühe, ein wenig Freude in sein lichtloses Dasein zu bringen.

    Zwei Jahre nach dem Tode seiner Frau, genau an dem Tage, da sie ihm einen Sohn geschenkt hatte, erlitt Albert Rietberg auf dem Wege zur Universität, wo er als Professor wirkte, einen schweren Autounfall. Er war Professor der Philologie, ein bekannter Sprachforscher, der vor seiner Verheiratung aller Herren Länder bereist hatte und als ein Sprachgenie galt.

    Der schwere Unfall, der ihn traf, brachte ihm den Tod. Es blieb ihm nur noch Zeit, sein Testament zu machen, in dem er seine Tochter zur Universalerbin seines sehr beträchtlichen Vermögens einsetzte, und zu bestimmen, daß sein Vetter Herbert Rietberg, der einzige männliche Verwandte, den er noch besaß, Roses Vormund werden sollte. Dieser Vetter, schnell herbeigerufen, versprach ihm, seine Tochter treu zu behüten, Albert Rietberg traf noch einige Bestimmungen, Rose ferneres Leben betreffend. Er kannte seinen Vetter nicht sehr genau, hielt ihn aber für einen Ehrenmann, der zwar nicht mit Glücksgütern gesegnet war, sich aber in einer guten Stellung befand und in gesicherten Verhältnisssen lebte. Und da er sein einziger Verwandter war, hielt er ihn am geeignetsten, Roses Vormund und Beschützer zu werden.

    Rose saß mit großen starren Augen am Lager ihres Vaters und hatte für nichts weiter Sinn als für ihn. Sie fühlte jedoch mit atemloser Angst, daß der Tod abermals seine Hände ausstreckte nach einem Menschen, der ihr teuer war — nach dem einzigen, dem ihr junges Herz in heißer Liebe zugetan war, der noch zu ihr gehörte. Ihr war, als müsse sie laut aufschreien vor Angst, aber die Furcht, den geliebten Vater zu erschrecken, schloß ihr den Mund. Die Hand seiner Tochter in der seinen, hauchte Albert Rietberg sein Leben aus, und als es geschehen war und man ihr mitleidig sagte, daß der Vater gestorben sei, brach sie ohne einen Laut, und wie aller Kraft beraubt, an seiner Leiche zusammen und sah mit großen, angstvollen Augen in das bleiche, stille Gesicht.

    Sie weinte und schrie nicht nach Kinderart — nein — sie brach nur stumm zusammen durch den furchtbaren Schmerz, den sie mit der ganzen Schwere und Innerlichkeit ihres leidgewohnten Kinderherzens empfand. Eine furchtbare Angst vor dem unbarmherzigen Schicksal, das alles vernichtete, was ihr lieb war, ließ sie erstarren. Sie wollte die Hand des Vaters nicht aus der ihren lassen — bis die Kälte dieser Hand sie erschauern ließ.

    Dann erst ließ sie sich willenlos fortführen.

    Auch jetzt war sie noch tränenlos, und man nannte sie ein merkwürdiges Kind.

    Der Vetter ihres Vaters, der nun ihr Vormund war, brachte sie zu seiner Frau. Diese nahm sie erst mit wenig Freude auf und schalt ihren Mann, daß er sich eine solche Last hatte aufbürden lassen. Rose hörte das, und es traf wie ein Dolchstoß ihr armes, zuckendes Herz. Der Onkel übergab sie einer Dienerin und führte seine Frau in ein anderes Zimmer. Hier hatten die Gatten eine lange Unterredung, und als sie wieder zum Vorschein kamen, war die Tante völlig verändert. Sie kam Rose jetzt plötzlich mit einer überschwenglichen Freundlichkeit und Zärtlichkeit entgegen, aber das sensitive Kind empfand dieses so plötzlich veränderte Wesen als unecht und unwahr. Rose konnte kein Herz fassen zu dieser Frau, auch nicht zu dem Onkel, und nicht nur, weil sie bisher mit diesen beiden Menschen nur selten zusammengetroffen war und sie ihr ziemlich fremd waren. Nein, sie empfand instinktiv, daß diese Liebenswürdigkeit ohne Wärme, diese scheinbare Güte ohne Wahrheit war, und verschloß ihr Herz scheu vor diesen Menschen. Und das wurde nie anders, wenn sie sich auch still und gefügig zeigte. In ihr Inneres konnten diese Menschen nicht dringen, das hielt sie vor ihnen verschlossen, obwohl sie nicht gehört hatte, was Onkel Herbert an jenem Tage mit seiner Frau gesprochen und was deren völlige Umänderung bewirkt hatte.

    Dies Gespräch war folgendermaßen verlaufen: Frau Helene Rietberg hatte ihren Gatten zunächst mit Vorwürfen überhäuft, daß er ihr die Last der Pflege und Erziehung für das Kind Albert Rietbergs aufbürden wollte. Darauf hatte er erwidert:

    „Höre mich doch erst ruhig an, Helene, dann wirst du ganz anders denken. Rose ist die Universalerbin ihres Vaters, und er hinterläßt ihr viel mehr, als ich je für möglich gehalten habe bei seinem bescheidenen Auftreten. Er hat testamentarisch bestimmt, daß bei Roses Erziehung nicht gespart werden soll, sie soll ihr Leben fortsetzen wie bisher, soll jeden Sommer eine Erholungsreise machen und alle Annehmlichkeiten haben, die ihr die Zinsen ihres Vermögens erlauben. Die Zinsen ihres Vermögens können jedes Jahr aufgebraucht werden für die Erziehungs- und Verpflegungskosten. Daß wir arm sind und nur auf meinen Gehalt angewiesen, hat Albert gewußt und deshalb hat er alles getan, um uns keine Unkosten aufzubürden. Wir werden es gut so einrichten können, daß auch wir in Zukunft von diesen Zinsen leben können und bedeutend besser als bisher. Verstehst du nun, was für einen Vorteil wir davon haben, daß Rose unter unserer Obhut leben soll? Alles Gute, was sie genießt, können wir auf ihre Kosten mitgenießen, wir können mit ihr auf Reisen gehen und uns das Leben leicht machen. Sie hat jährlich gegen vierzehntausend Mark an Zinsen zu verzehren, und da sie jetzt zwölf Jahre alt ist, werden wir neun Jahre, bis ihrer Mündigkeit, mit diesen Zinsen rechnen können. Mein Gehalt werden wir in all dieser Zeit sparen können und haben dann etwas vor uns gebracht. Das Vermögen ist in mündelsicheren Papieren angelegt und soll auch so angelegt bleiben. Und Albert hat mir vor seinem Tode selbst den Vorschlag gemacht, daß wir mit Rose seine Wohnung beibehalten, sie soll sich nicht in anderer Umgebung zurechtfinden müssen. Das wird dir doch gefallen? Eine schöne Siebenzimmerwohnung in der Prinzregentstraße mit allem Komfort der Neuzeit und dieser schönen Ausstattung — du kennst ja die Wohnung, wenn wir auch nur selten dort waren. Die Miete wird selbstverständlich von den Zinsen bezahlt. Unsere Möbel können wir in die große Speicherkammer stellen, bis wir sie mal wieder brauchen. Begreifst du nun, daß es keine Last ist, wenn wir uns Roses annehmen? Eine solche Gelegenheit, unsere sehr bescheidene Lage zu verbessern, kommt nicht wieder, da muß man zufassen. Wir haben keine Kinder, Rose ist ein gefügiges, gutartiges Kind, das leicht zu leiten ist, und im übrigen wird sie dir schon deshalb keine Mühe machen, weil wir ja einen Angestellten für sie halten können. Also — was sagst du nun zu dieser Angelegenheit?"

    Atemlos hatte Frau Helene zugehört, und in ihre kalten Augen kam ein begehrliches Flimmern.

    „Das viele Silberzeug und das Porzellan und Kristall können wir doch auch in Gebrauch nehmen — es ist reichlich von allem da," sagte sie.

    Er nickte.

    „Natürlich, gewiß, neun Jahre lang sind wir unumschränkte Herren in der Wohnung.

    Sie atmete befriedigt auf.

    „Dann freilich, dann ist das etwas ganz anderes, das dürfen wir freilich nicht von der Hand weisen. Nun komm schnell, wir wollen zu dem Kinde gehen und es trösten."

    Das war geschehen, und die feinfühlige Rose hatte sehr wohl bemerkt, daß das veränderte Wesen dieser Frau einen besonderen Grund haben müsse und daß ihre Freundlichkeit und Liebenswürdigkeit unecht waren.

    Sie setzte dieser unechten Güte eine stille Passivität entgegen und zog sich in sich selbst zurück. Aber das empfanden die beiden eigennützigen Menschen nur als angenehm. Gleich nach der Beerdigung Albert Rietbergs zog sein Vetter mit seiner Frau und Rose in die bisherige Wohnung des Verstorbenen. Rose behielt ihr Zimmer, in den übrigen machte sich Frau Helene breit, als sei sie hier von jeher zu Hause gewesen.

    Rose war froh, wenn sie in ihrem Zimmer allein sein konnte. Es tat ihr weh, als sie bemerkte, wie Onkel und Tante sich in den Zimmern breit machten, die bisher ihre Eltern benutzt hatten. Onkel Herbert saß jetzt an des Vaters Schreibtisch, lag auf dem Diwan, auf dem der Vater sein Schläfchen gehalten hatte und benutzte das Glas, aus dem der Vater getrunken. Und Tante Helene benutzte den Toilettentisch der Mutter, der nach ihrem Tode heilig gehalten war. Sie saß an Mutters Nähtisch, pflegte ihre Blumen und kramte in ihrem Wäscheschrank. Bei Tisch saßen ihr die beiden auf den Plätzen gegenüber, wo früher die Eltern gesessen hatten.

    Das alles erschien Rose wie eine Entweihung all ihrer Kindheitserinnerungen. Sie litt seelisch sehr darunter und wurde immer blasser und stiller. Oft saß sie in ihrem Zimmer und weinte sich aus. Dabei erschien sie sich undankbar und kleinlich, denn Onkel und Tante überschütteten sie mit Liebkosungen und Freundlichkeiten. Aber sie konnte kein Herz zu ihnen fassen. Seit des Vaters Tode war sie einsam geblieben im Herzen, und wenn sie von Tante und Onkel umschmeichelt wurde, war ihr oft, als müsse sie sie von sich stoßen und davonlaufen, so weit sie ihre Füße trugen.

    Daß sie pekuniär ungeheuer ausgenutzt wurde, erschien ihr wenig wichtig, denn sie hatte noch keinen Begriff von Geld und Geldeswert. Sie hätte es kaum bemerkt, wenn nicht die Angestellte, die noch von ihren Eltern her im Hause war, in ihrer Gegenwart darüber gesprochen hätte. Untergebene sind scharfe Richter ihrer Herrschaften, und dieses kluge Berliner Mädel sah den Dingen auf den Grund und mokierte sich zuweilen in Roses Gegenwart. Rose lief dann davon, sie wollte das nicht hören, aber die Angestellte sprach immer wieder davon, daß Onkel und Tante es sich auf ihre Kosten wohl sein ließen, mit ihr reisten, Gesellschaften gaben und Theater und Konzerte besuchten — alles von ihrem Gelde.

    Rose bewertete das alles viel geringer, als daß sie so pietätlos die Gegenstände der Eltern benutzten. Sie hätte ihnen gern alle anderen Vorteile gegönnt. Sie fragte nie, was dies und jenes koste, ob dies oder das nötig sei — nur einmal wurde sie energisch — als Tante Helene ihr Sprach- und Musikstunden absagen wollte, weil „sie unnötiges Geld kosteten".

    „Du hast es doch gar nicht nötig, dich damit herumzuplagen, Rose, wir wollen diese Stunden aufgeben", hatte sie gesagt.

    Da hatte sich Rose kampfbereit aufgerichtet.

    „Das wäre ganz bestimmt nicht in Vaters Sinne, er wollte, daß ich mein Sprachtalent, das ich von ihm geerbt habe, ausnütze. Die Sprachstunden behalte ich bei, bis ich die vier Sprachen beherrsche, deren Studium ich begonnen habe. Und auch die Musikstunden setze ich fort, wie Vater es gewollt hat."

    Frau Helene hatte eingesehen, daß Rose in dieser Frage nicht zu beeinflussen war. Eigentlich war sie es überhaupt nicht, aber weil sie meistens zu allen Anordnungen von Onkel und Tante schwieg, glaubten sie, daß sie sich ihren Einfluß füge. Jedenfalls nahm Rose ihre Stunden weiter, und es wäre auch schade gewesen, wenn sie es nicht getan hätte, da sie wirklich von ihrem Vater ein großes Sprachtalent geerbt hatte und sich mit diesem schon immer abwechselnd in der französischen, englischen, spanischen und italienischen Sprache unterhalten hatte. Und sie war in all diesen Sprachen schon so weit, daß sie die von dem Vater hinterlassenen fremdsprachigen Bücher geläufig lesen konnte. Und da Sprachkundige zumeist auch musikalisch sind, war Rose trotz ihrer Jugend schon eine sehr gute Klavierspielerin und hatte außerdem einen angenehmen Mezzosopran.

    Immer zum Jahresschluß teilte ihr Onkel Herbert mit, daß die Zinsen ihres Vermögens gerade ausgereicht hätten für alle Unkosten.

    Rose nahm diese Mitteilungen ziemlich interesselos auf, denn sie hatte eben von Geld und Geldeswert nur unklare Vorstellungen.

    Zum Glück hatte Roses Vater testamentarisch bestimmt, daß Roses Vermögen nie angegriffen oder anders angelegt werden dürfe, sonst hätte Herbert Rietberg in seiner Habgier vielleicht auch noch das Kapital angegriffen.

    Es sollte übrigens mit diesem Kapital später nicht anders gehen, als mit so vielen Vermögen im deutschen Vaterlande. Und früher, als sie glaubten, sollte das habgierige Ehepaar, das so gewissenlos alle eignen Ausgaben auf die Mündelgelder buchte, auf die Annehmlichkeiten verzichten müssen, die sie sich erschlichen hatten.

    Der Krieg war ausgebrochen, und mit der zunehmenden Teuerung mußte Herbert Rietberg sparsamer wirtschaften. Er konnte jetzt nicht mehr sein Gehalt sparen, was ihm auch nichts genützt hatte, da seine Ersparnisse von der Inflation verschlungen wurden, wie Roses Vermögen auch, das mehr und mehr zusammenschmolz. Er mußte noch froh sein, daß sein Gehalt mit der Inflation stieg.

    Rose hatte inzwischen die Schule bis Selekta besucht und füllte ihre Zeit mit ihren Sprachstudien aus, die sie immer mehr erweiterte. Sie vergrub sich mehr und mehr in die von dem Vater hinterlassenen Bücher.

    Aber dann wurden ihr die Sprachstunden energisch gestrichen, als ihre Zinsen weniger und weniger galten. Die Freundlichkeit und Zärtlichkeit, die Onkel und Tante ihr entgegengebracht hatten, kühlten sich mehr und mehr mit dem Hinschwinden ihrer Einkünfte ab. Sie wurde oft rauh und hart angelassen, und als man endlich die Angestellte entlassen mußte, wurden Rose all die Arbeiten aufgebürdet, die sonst diese geleistet hatte. Es wurde aus dem Besitz von Roses Eltern ein Stück nach dem andern verkauft, das Silber verschwand, die kostbaren Teppiche und teilweise auch die Möbel, die durch die Möbel von Onkel und Tante ersetzt wurden. Herbert Rietberg und seine Frau hatten sich so sehr an das gute Leben gewöhnt, daß sie nicht davon lassen wollten — bis alle Quellen erschöpft waren.

    Und die arme Rose bekam nun täglich harte Vorwürfe, wie sehr man sich verrechnet habe und welch eine Last sie für Onkel und Tante sei.

    Nur zu gut begriff Rose jetzt, wie recht die Angestellte gehabt hatte. Sie wußte nun gewiß, daß alle Freundlichkeit und Liebe nur ihrem Gelde gegolten hatten.

    Mit großen bangen Augen sah sie in die harten, unfreundlichen Gesichter der Verwandten. Tante Helene klagte über die teure Wohnung, die ihnen aufgehalst worden sei, und über die viele Arbeit, die sie habe. Dabei schob sie alle grobe und schwere Arbeit Rose zu, die jetzt von früh bis spät sich plagen mußte und dafür nur Scheltworte erntete.

    Ohne Murren fügte Rose sich in die veränderten Verhältnisse. Sah sie doch, daß es anderen Leuten auch nicht anders ging. Aber in ihrem jungen Herzen wurde es immer kälter und leerer.

    Herbert Rietberg hatte viele unliebsame Szenen mit seiner Frau. Und er ließ seinen Ärger darüber selbstverständlich an Rose aus. Sie war ja bettelarm geworden und hatte keine Zinsen mehr zu verzehren.

    Rose hörte alle die Streitereien zwischen Onkel und Tante, die ihrer Person galten, mit tiefer Beschämung an und hätte viel darum gegeben, hätte sie ihnen nicht länger zur Last fallen müssen. Daß sie sich ihr Brot reichlich verdiente durch ihre schwere Arbeit, kam ihr nicht einmal zum Bewußtsein. Aber sie arbeitete immer fleißiger, um nur etwas zu tun, was ihr eine Daseinsberechtigung gab.

    Es kamen schlimme, sehr schlimme Zeiten für die arme Rose. Sie galt jetzt bei ihren Verwandten nicht mehr als eine Last.

    Die Inflation hatte ihren Höhepunkt erreicht. Roses mündelsichere Papiere hatten nur noch Makulaturwert, und sie war jetzt ganz auf die Gnade oder vielmehr Ungnade ihrer Verwandten angewiesen. Trotz aller Not war Rose zu einem schönen Mädchen herangewachsen. Sie hatte eine schlanke Gestalt, wundervolles, blondes Haar mit einem satten Goldton, und einen blütenzarten Teint. Ihre grauen Augen leuchteten mit einer intensiven Klarheit aus dem lieblichen Gesicht heraus, das feine Züge hatte, und ihre Bewegungen waren voll Anmut und Vornehmheit. Aber all diese Lieblichkeit war von einer stillen Trauer überschattet. Nur selten sah man ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Sie, die ein so heiteres und schelmisches Kind gewesen war, schien in Leid und Unglück gleichsam erstarrt zu sein. Wieder und wieder zuckte sie schmerzhaft zusammen, wenn Onkel und Tante mit unverdienten Vorwürfen über sie herfielen. Sie hatte nie ein Wort der Erwiderung darauf. Aber eines Tages,

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