Sorge
()
About this ebook
Was ist Sorge? Zum Beispiel die Versorgung, das Stillen der Grundbedürfnisse – bei genauem Hinsehen das ökonomische Fundament dessen, was wir als (Markt-)Wirtschaft verstehen. Und: Sorge ist der zweifelnde Blick in eine ungewisse Zukunft, den es positiv in Verbundenheit und Verantwortungsgefühl zu wenden gilt.
Davon ausgehend fächert Christian Berger das allgegenwärtige Thema entlang verschiedener Bruchlinien unserer Gesellschaft auf. Sei es die Krise in Pflege und Bildung, sei es die immer noch klaffende Ungleichheit der Geschlechter, sei es die Ökonomisierung privater Lebensbereiche: Berger liefert eine fundierte Analyse einer Sollbruchstelle unserer Gesellschaft, die in seiner Forderung mündet, den Begriff des Wohlstands radikal neu zu denken, ihn an der Sorge um das Lebendige, nämlich am Prinzip der Nachhaltigkeit, am Reichtum sozialer Beziehungen neu auszurichten.
Related to Sorge
Related ebooks
Warum solidarisch?: Zwischen Egoismus und Nächstenliebe Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsWenn der Wind sich dreht: Zeitfenster in eine neue politische Ära Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsLebendige Seelsorge 5/2023: Prekäres Leben Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsIn besserer Gesellschaft: Der selbstgerechte Blick auf die Anderen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Herausforderungen unserer Zeit meistern: Die Kraft des Unsichtbaren - Weisheitswissen praktisch angewandt Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsAlternde Gesellschaft - eine Bedrohung?: Ein Gegenentwurf von Andreas Kruse - Aus der Reihe Soziale Arbeit kontrovers - Band 2 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsUmdenken: Ist unsere Wohlstandsgesellschaft am Ende? Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMobbing: Psychoterror am Arbeitsplatz, in der Schule und im Internet - Tipps und Hilfsangebote Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsSolidarität Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsIst Sorgearbeit nichts für Männer?: Eine Erkundung von Elli Scambor und Daniel Holtermann Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsEntprofessionalisieren wir uns!: Ein kritisches Wörterbuch über die Sprache in Pflege und sozialer Arbeit Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsCorona, Demokratie und politische Bildung: Ansatzpunkte, Deutungen, Zugänge Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsZusammenleben statt Zusammenrotten: Warum wir Gruppe und Identität neu denken sollten – eine Intervention Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsPolitik der Gabe: Für ein anderes Zusammenleben. Nautilus Flugschrift Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsVom Verlust der Freiheit: Klimakrise, Migrationskrise, Coronakrise Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsINDIVIDUUM: Globalisiert, emanzipiert - orientierungslos? Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsZu Gedanken Papst Franziskus und anderen Zeitgenossen: Beiträge zur Zeitgeistdiskussion Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsFamilie, Lebensgefühl und Gesundheit: Kindeswohl und Elternwohl zwischen Familienzerrüttung und Patchwork Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMÄNNER. MACHT. THERAPIE Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMütter. Macht. Politik.: Ein Aufruf! Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsNachhaltig wirtschaften - gerecht teilen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie geheimen Spielregeln der Macht: und die Illusionen der Gutmenschen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Politisierung des Bürgers, 2.Teil: Mehrwert und Moral: Beiträge zur Wahrnehmung und Produktion sozialer Strukturen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsMoralische Ökonomie: Perspektiven lebensweltlich basierter Kooperation Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDen Menschen verstehen - Wege aus Leid und Gewalt: Trauma - Individuum - Gesellschaft - Werte Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsLeiden und Gesellschaft: Psychoanalyse in der Gesellschaftskritik der Frankfurter Schule Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsLebensNetze: Motive und Wirkungen menschlichen Handelns Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKultur und Politik im prekären Leben: Solidarität unter Schneeflocken Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Politisierung des Bürgers, 4.Teil: Theorie der Gefühle: Beiträge zur Wahrnehmung und Produktion sozialer Strukturen Rating: 0 out of 5 stars0 ratings
Politics For You
Das Zeitalter der Einsamkeit: Über die Kraft der Verbindung in einer zerfaserten Welt Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsFremdbestimmt: 120 Jahre Lügen und Täuschung Rating: 4 out of 5 stars4/5KALTES Denken, WARMES Denken: Über den Gegensatz von Macht und Empathie Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas Bedürfnis nach Kooperation: Graphic Novel Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsWas ist deutsch?: Elemente unserer Identität Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer Krieg im Dunkeln: Die wahre Macht der Geheimdienste. Wie CIA, Mossad, MI6, BND und andere Nachrichtendienste die Welt regieren. Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGenderismus: Der Masterplan für die geschlechtslose Gesellschaft Rating: 2 out of 5 stars2/5Erfolgsfaktor Zufall: Wie wir Ungewissheit und unerwartete Ereignisse für uns nutzen können Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsJFK - Staatsstreich in Amerika Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsIch bleibe eine Tochter des Lichts: Meine Flucht aus den Fängen der IS-Terroristen Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKeine Macht der Moral!: Politik jenseits von Gut und Böse Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsStreiten? Unbedingt!: Ein persönliches Plädoyer Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsAngst und Macht: Herrschaftstechniken der Angsterzeugung in kapitalistischen Demokratien Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsTrump: The Art of the Deal Rating: 3 out of 5 stars3/5Alles, was Sie über Energiesparen wissen müssen: Erklärungen und Tipps vom Energiesparkommissar Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGnadenlos Deutsch: Fünf Dossiers Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsAntisemitismus in der Sprache: Warum es auf die Wortwahl ankommt Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsKognitive Kriegsführung: Neueste Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsGeorge Friedman: Der Sturm vor der Ruhe: Amerikas Spaltung, die heraufziehende Krise und der folgende Triumph Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsNaher Osten 01: Themenzusammenfassung Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDie Diktatur der Demokraten: Warum ohne Recht kein Staat zu machen ist Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsAlles, was Sie wissen sollten, Ihnen aber nie jemand erzählt hat Rating: 3 out of 5 stars3/5Die Antwort Rating: 1 out of 5 stars1/5Psychologie der Massen Rating: 4 out of 5 stars4/5Rassismus und kulturelle Identität: Ausgewählte Schriften 2 Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer Überfall - Hitlers Krieg gegen die Sowjetunion: Ein SPIEGEL E-Book Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDer nächste große Krieg: Hintergründe und Analysen zur medial-politischen Hetze gegen Russland Rating: 0 out of 5 stars0 ratingsDas Guttenberg-Dossier: Das Wirken transatlantischer Netzwerke und ihre Einflussnahme auf deutsche Eliten Rating: 1 out of 5 stars1/5Der Gesellschaftsvertrag: Die Grundsätze des Staatsrechtes: Prinzipien des politischen Rechtes Rating: 0 out of 5 stars0 ratings
Reviews for Sorge
0 ratings0 reviews
Book preview
Sorge - Christian Berger
Sorge
Christian Berger
Inhalt
Einleitung
Differenz
Ökonomie
Aufteilung
Väter und Mütter
Krise
Was tun?
Anmerkungen
Literatur
„[…] die Antwort, welche den Menschen
in den Mittelpunkt der gegenwärtigen Sorge
rückt und meint, ihn ändern zu müssen, um
Abhilfe zu schaffen, ist im tiefsten unpolitisch;
denn im Mittelpunkt der Politik steht
immer die Sorge um die Welt […]"¹
- Hannah Arendt
Einleitung
Was ist Sorge? Eine Emotion. Etwas Öffentliches und etwas Privates, Intimes zugleich. Arbeit. Ein Wirtschaftssektor, der sogenannte Care-Sektor. Grundlage nicht nur individuellen, rationalen und weniger rationalen, sondern auch politischen Handelns. Fundament für Ökonomie und Gesellschaft. Und: Sorge ist der zweifelnde Blick in eine ungewisse Zukunft; Sorge um den Zustand der Welt, die angesichts einer gegenwärtig vielfach und dauerhaft gewordenen Krise auf dem Spiel steht. Eine vernachlässigte Dimension dieser Vielfachkrise, zu deren Überwindung zwar seit einiger Zeit „Resilienz" von Märkten, Unternehmen, kritischen Infrastrukturen und Systemen aller Art ins Treffen geführt wird, nicht jedoch das eigentümliche Moment und Motiv der Sorge, die als Institution den Grund für unsere ökonomischen und sozialen Beziehungsgeflechte legt.
Sei es der Notstand in der Pflege, sei es Geschlechterungleichheit oder sei es die Ökonomisierung so vieler Lebensbereiche, die materielle Grundversorgung prekärer machen, die gemeinschaftliche Vorsorge zurückdrängen und Existenzverhältnisse unsicher machen: In all diesen Tendenzen steht die private Bedürfnisbefriedigung und Risikobewältigung im Zentrum politischer Diskurse und Maßnahmen. Die öffentliche Organisation von Versorgung und Vorsorge wird seit einigen Jahren reduziert; Institutionen wie Kranken- und Pensionsversicherungen, Bibliotheken oder Theater, deren Ordnungslogiken auf Solidarität basieren und die Bedürfnisse und deren Befriedigung als kollektive Verantwortung und Aufgaben anerkennen, verlieren ihre verbindende und das Dasein in spezifischer Weise kultivierende Bedeutung. Daseinsvorsorge wird zur Privatsache, organisiert über anonyme Märkte und digitale Plattformen, lokalisiert in Einfamilienhäusern und Wohnungen. Diesen und anderen bekannten oder weniger bekannten Bruchlinien und Sollbruchstellen der Gesellschaft ist gemein, dass sie einen Mangel an Sorge offenbaren.
All das übt Druck auf Beziehungen und „global gewordene Haushalte und Sozialstrukturen aus. Die Sozialphilosophin Nancy Fraser sieht „gesellschaftliche Reproduktion insgesamt in Bedrängnis
.² Aktuell zeigt sich dies an der Destabilisierung und Informalisierung von Arbeits- und Lebensverhältnissen, der Privatisierung von Arbeitslosigkeit, Diskriminierung und sozialen Verwerfungen durch den Neoliberalismus, der nicht die Sorge um andere, sondern die Selbstverantwortung als Prinzip staatlicher Systeme definiert. Eine Folge dieses gesellschaftlichen Drucks ist das Erleben und Erleiden von Entgrenzung und grassierender Zeitarmut, Depressionen und Burn-outs. Die Konsumraten von Schlaf- und Schmerzmitteln steigen kontinuierlich. Der gesellschaftliche Druck zeigt sich zudem an der überindividuell ungleichen Verteilung von und individuellen Belastung durch unbezahlt geleistete, bisher wenig beachtete oder geschätzte Sorge- und Versorgungsarbeit. Sie wird stillschweigend vorausgesetzt und überwiegend durch Frauen erbracht; ihre systemerhaltende Funktion wurde in der Corona-Krise nun etwas sichtbarer und spürbarer. Die Corona-Krise hat gezeigt, welche Art von Arbeit essenziell, überlebensnotwendig und trotzdem unter- oder gar unbezahlt ist.
Im Zuge der neoliberalen Transformation wurde der niemals für alle gültige wohlfahrtsstaatliche Klassenkompromiss aufgekündigt, sozial Deklassierte kämpfen an den Rändern der Gesellschaft schon längst ums Überleben. Vor der Corona-Krise konnte man die Tendenz feststellen, dass öffentliche Angebote und Einrichtungen im Sozial- und Gesundheitssystem, der Kinderbetreuung, der Pflege und Altersversorgung reduziert oder „vermarktlicht wurden und sich die von Nancy Fraser diagnostizierte „Krise der sozialen Reproduktion
zuspitzte. Corona zeigt das Ausmaß der Care-Krise. Corona zeigt, dass Ungleichheit tötet. Die Arbeiter*innenklasse ist am stärksten betroffen, vor allem Personen, die im Einzelhandel, in der Reinigungs- und Pflegebranche arbeiten, allen voran Frauen und Migrant*innen. Ihre Arbeit ist unter- oder unbezahlt und dennoch notwendig, sie sind die, auf die man für das Funktionieren der Gesellschaft nicht verzichten kann, die man nicht ins Homeoffice schicken kann.
Diese Entwicklung zeigt nicht zuletzt, dass die Krise der Care-Institutionen in einem weiteren politökonomischen Systemzusammenhang steht. Sie verweist auf gesellschaftliche Widersprüche, die Krisen hervorbringen. Der plötzliche Ausfall von institutionellen Einrichtungen – vor allem von Schulen und öffentlichen Kinderbetreuungsmöglichkeiten – bedeutet eine Verdichtung von Sorgearbeit in privaten Räumen und Beziehungen, erhöht Mehrfachbelastungen und gesellschaftlichen Druck. Corona hat vielfach ungleichheitsverstärkend gewirkt.³
Kaputtgesparte Gesundheits- und Sozialeinrichtungen sind nicht in der Lage, Menschen massenhaft ausreichend oder gar gut zu versorgen. Das wissen wir zwar nicht erst seit Corona, auch wenn Corona die Dringlichkeit und Gegenwart der Care-Krise in das öffentliche Bewusstsein gerückt hat. So sind etwa zwei Drittel derjenigen Menschen, die im Zusammenhang mit dem Covid-19-Virus verstorben sind, auf Pflege- und Betreuungseinrichtungen entfallen. Der Care-Notstand, die Unterausstattung mit Personal und die Einführung von immer strikteren Effizienzvorgaben verursachen nicht nur Stress und Erschöpfung bei den Care-Arbeiter*innen, sondern auch vermeidbare Tode.
Die „sozialreproduktive Krisentendenz"⁴ ist – unabhängig