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Comanchen Mond Band 1: In den Plains
Comanchen Mond Band 1: In den Plains
Comanchen Mond Band 1: In den Plains
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Comanchen Mond Band 1: In den Plains

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About this ebook

1838 ist das Grenzgebiet zur Comancheria ein einziges Schlachtfeld. Bei einem blutigen Zusammentreffen zwischen Siedlern und einer kleinen Gruppe Comanchen werden eine junge Frau und drei kleine Kinder gefangengenommen. Ihr weiteres Schicksal nimmt seinen Lauf, als sie das Lager der Antilopenbande im Llano Estacado erreichen. 33 Jahre später ist der Krieg mit den Weißen noch immer nicht beendet. Generalleutnant Mackenzie dringt mit Teilen seiner vierten Kavallerie bis in den Blanco Canyon vor. Auch die kleine Antilopenbande schickt Krieger zu Quanah Parker, einem Kriegshäuptling, um sich den Eindringlingen entgegen zu stellen.
Während die kleine Gruppe Quahari, wie sie sich jetzt nennen, den Sommer an einem der Quellflüsse des Red River verbringt, reitet Running-Fox in ihr Lager. Summer-Rain, das Mädchen, das vor sieben Wintern unter mysteriösen Umständen zur Antilopenbande gekommen war, hat ihm den Kopf verdreht. Es bleibt keine Zeit für die beiden, denn die Nachrichten über den Krieg mit den Weißen sind besorgniserregend. Um ihrem Volk zu helfen, unternimmt Summer-Rain eine gefahrvolle Reise in den Norden.
Als sie nicht zurückkehrt, macht Running-Fox sich auf, um sie zu suchen. Doch auch die Armee der Vereinigten Staaten ist längst unterwegs, um Jagd auf die Comanchen zu machen. Derweil wird Summer-Rain von dem Trapper John Black aufgenommen und erlebt eine Welt, die von Banditen, Erbschleichern, Gewalt und Kaltschnäuzigkeit geprägt ist … aber auch John Black hat eine tragische und grausame Geschichte zu erzählen.
LanguageDeutsch
Release dateJul 31, 2021
ISBN9783941485983
Comanchen Mond Band 1: In den Plains

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    Comanchen Mond Band 1 - G. D. Brademann

    Teil I

    In den Plains

    Der Sommerwind bewegte das hüfthohe Gras wie Wellen den Ozean. Die Sonne stand gleißend hell am weiß-blau flimmernden Himmel. Verstreut, wie kleine Oasen, ragten hohe Baumgruppen aus einem Meer voller Gras – einsame Wächter, die nach Eindringlingen Ausschau hielten, Beschützer der Weite.

    Weich geschwungene Kreideplateaus unterbrachen die gerade Linie des Horizonts. Tief in die Hochgrasebene eingeschnittene seichte Flüsschen schlängelten sich durch tiefe Canyons, umgeben von Pappeln, Weiden, Eichen, wilden Pflaumen- und Pekannussbäumen. Unterirdische Wasseradern brachen aus geheimen Höhlen hervor, versickerten vor hoch aufgeschütteten Flussterrassen in der sengenden Sonne.

    Um eine von diesen rot und ockerfarbenen Felsengebilden wand sich ein fast ausgetrocknetes Flussbett nach Osten. Es war ein trockenes Jahr gewesen. Unter dem wolkenlosen Himmel verdorrte das Gras bereits. Trotzdem gab es noch einige Wasserstellen, und spärlicher Regen reichte oft aus, um dieser Landschaft wieder seine Schönheit zurückzugeben.

    Eine dichte Staubwolke zeigte an, wo eben noch eine riesige Herde Büffel friedlich gegrast hatte. Einige Nachzügler, alleingelassen, setzten sich träge in Bewegung. Sie ließen sich Zeit. Von ihren Körpern schälte sich die Behaarung, hing in Fetzen bis auf den Boden hinunter, aber das tat ihrer majestätischen Erscheinung keinen Abbruch. Allein die furchteinflößenden Hörner, die sich drohend über ihren Köpfen erhoben, machte sie zu gefährlich aussehenden Kreaturen.

    Plötzlich erwachte das Leben in ihnen, und sie donnerten in einem unglaublich schnellen Galopp davon, bis sie wieder langsamer wurden, weil sie die Herde eingeholt hatten. Hörner von fluchtbereit sichernden Antilopen tauchten kurz aus dem hohen Gras auf, um wenige Augenblicke später wieder zu verschwinden. Schon einen Herzschlag später erinnerte nichts mehr an sie. In der Morgensonne glitzerten tausende Tautropfen an sich im leichten Wind wiegenden Gras. Zwischen halbvertrockneten Rispen hingen blaue, goldene, gelbe und rote unscheinbar aussehende Blüten. Ein einziger Zauber, so wunderbar und anrührend, dass es dem, der es zu sehen vermochte, jedes Mal wieder den Atem verschlug.

    Mitten in dieser Welt vollkommener Wunder tauchte der Kopf eines Mustangs aus einem Wellental auf. Ein Sonnenstrahl brach sich tausendfach an der Spitze einer etwa 13 Fuß langen Lanze, die ein Comanchenkrieger triumphierend zusammen mit dem daran flatternden Skalp in die flirrende Hitze hielt. Hinter ihm kam eine zweite, ebenso geschmückte Lanze zusammen mit weiteren Mustangs hoch. Nacheinander erklommen sechs Reiter die obere Kante des Wellenberges und ritten auf der anderen Seite wieder hinunter. Ihre kleinen robusten Mustangs reagierten auf den kleinsten Schenkeldruck. Sechs Comanchen zeigten sich – stolz, zu allem entschlossen, kriegserprobt und gezeichnet von einem hinter ihnen liegenden blutigen Kampf. Sie kamen geradewegs von Osten, direkt aus dem Sonnenaufgang. Es war ihr Land, ihre angestammte Heimat, die sie bereit waren, mit ihrem Blut zu verteidigen.

    Obwohl der Anblick der weiten, unendlichen Plains mit ihrem flimmernden Horizont und dem oftmals bis zur Brust reichenden Gras auf viele der fremden Eindringlinge einen bedrückenden Eindruck machte, hielt es sie nicht davon ab, dieses Land in Besitz zu nehmen. Land, das ihnen nicht gehörte – Indianerland. Noch waren es nur wenige, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in das Gebiet der Comanchen eindrangen. Es hätte durchaus ein friedliches Miteinander werden können. Im Laufe der Jahre jedoch kamen mehr und mehr Siedler. Sie nahmen sich einfach ohne zu fragen, was den Comanchen gehörte. Doch dieses Volk, das sich selbst „Jene, die kämpfen möchten" nannte, war nicht bereit, sich ohne Gegenwehr vertreiben zu lassen. Daher kam es zu immer größeren blutigen Konflikten.

    Die junge Republik Texas, die sich inzwischen gegründet hatte, war entschlossen, dieses Problem so schnell wie möglich mit Gewalt, brutal und vor allem endgültig zu lösen. Schließlich hatte man das Land der Comanchen 1838, ohne sie um Erlaubnis zu fragen, zur Besiedlung freigegeben. So begann ein erbarmungsloser Ausrottungskrieg, der entgegen den Erwartungen der Texaner fast vierzig Jahre andauern sollte. 1838 meldeten sich in Texas etwa zweitausend Freiwillige, die gegen die Comanchen in den Krieg ziehen wollten. Es wurden Gelder vom Kongress zur Verfügung gestellt, ja, man konnte sogar einige der Todfeinde der Comanchen – die Lipan-Apachen und die Tonkawa – als Späher gewinnen. Comanchenlager, die voll pulsierenden Lebens waren und dessen Bewohner sorglos in den Tag hinein träumten, wurden niedergemacht – zielgerichtet Frauen, Kinder und Männer jeden Alters ermordet; schließlich, so die Begründung, sahen sie ja alle gleich aus. Zurück blieben rauchende Tipis und geschändete Leichen. Nur die kreisenden Bussarde und Geier kündeten noch vom einstigen Leben dort.

    Doch die mordenden weißen Horden aus Freiwilligen und Rangertruppen hatten nicht mit dem Überlebenswillen der Comanchen gerechnet. Bald war das Grenzgebiet zur Comancheria nur noch ein rauchender Trümmerhaufen – diesmal aber brannten Farmen und Ranches. Das stolze Volk der Comanchen setzte sich zur Wehr. Sie kämpften, wo immer sich ihnen weiße Eindringlinge entgegenstellten, und verteidigten ihre angestammte Heimat, ihre Familien, ihre Lebensart.

    Siedler, die ihre Heimstätten aufgaben, wurden von anderen abgelöst, die es besser zu wissen glaubten, um ihrem Traum von einem Leben in Wohlstand nachzujagen. Anstatt sich von Krieg und Vernichtung fernzuhalten, ihre Frauen und Kinder der drohenden tödlichen Gefahr zu entziehen, überfluteten von Monat zu Monat mehr von ihnen das Comanchenland. Viele dieser Menschen stammten aus Irland, Schottland oder Deutschland. Raue, robuste Männer und Frauen, die sich hier eine bessere Zukunft erhofften und diese Hoffnung oftmals mit ihrem Leben bezahlten. Der 98. Längengrad – die Barriere, die die Weißen als Comancheria bezeichneten – setzte ihren Plänen und Träumen ein grausiges Ende.

    Seit etwa zweihundert Jahren – vielleicht waren es auch dreihundert oder mehr – lebten Comanchen schon hier, und sie hatten nicht vor, dieses Land aufzugeben. 1706 tauchten sie zum ersten Mal in der Geschichte als „Jene, die kämpfen möchten" auf. Von ihnen hinterlassene Felszeichnungen am Rio Grande Gorge dokumentieren noch heute Kämpfe gegen die spanische Armee, die an ihnen scheiterte und denen sie ihre ersten Pferde verdankten. Niemand konnte sie besiegen, selbst die Cheyenne oder die Arapaho nicht. Damals gehörte ihnen ein Land, das etwa acht Millionen Quadratkilometer groß war. Am Ende blieben ihnen nicht mehr als 200.000.

    Auch diese kleine Gruppe von sechs Comanchen, hunderte sollten es ihnen in den nächsten Jahrzehnten erfolgreich gleichtun, stellte sich den Eindringlingen todesmutig und unerschrocken entgegen. Sechs Krieger, die wieder in ihr Zuhause ritten, nur noch rauchende Trümmer und skalpierte Leichen als Warnung für die Rangertruppen und künftigen Siedler zurücklassend. Auf den Rücken ihrer Ersatzpferde stapelten sich geraubte Gegenstände wie Säcke voller Mehl, Zucker, Tabak, Kaffee. Ein Kochtopf klapperte gegen ein Bündel, aus dem der Griff eines Spiegels hervorlugte. Sie waren auf dem Weg zurück zu ihren auf sie wartenden Familien, zurück auf die Hochgrasprärie des windumtosten Llano Estacado. Den Vollmond hatten sie genutzt, um auch die klaren Nächte hindurch reiten zu können. Hunderte Meilen hatten sie so ununterbrochen auf ihren zähen Mustangs verbracht, um im hereinbrechenden Morgengrauen die erste sich auf ihrem Gebiet befindliche Ranch, auf die sie stießen, zu überfallen.

    Hier im Grenzgebiet zur Comancheria kannte man einen Namen dafür: Es waren die gefürchteten Nächte des Vollmondes, in denen die Siedler in ihren Häusern aus Grassoden mit den Waffen in Reichweite schliefen und ihre Kinder und Frauen in unterirdischen, primitiven Kellerlöchern versteckten.

    Diese schlimmen Nächte nannten sie:

    Comanchenmond

    Kapitel 1

    Sommer 1839

    Die sechs Comanchen waren den ganzen Morgen über einem fast ausgetrockneten Flusslauf gefolgt. Endlich hielten sie die Pferde an, saßen ab und ließen sie im schlammigen Wasser saufen. Noch hafteten an ihnen die Spuren ihres letzten Überfalls. Ihre Gesichtszüge konnte man trotz der verschmierten Kriegsbemalung noch gut erkennen. Büffelhörner, mit Hauben auf ihren Köpfen befestigt, gab ihnen ein drohendes, ja, furchteinflößendes Aussehen, fast wie die Büffel selbst.

    Ihre Pferde begannen das spärliche Gras neben dem Flussbett abzugrasen. Die Krieger trugen Leggins, die ihnen bis in den Schritt reichten und dort mit Bändern aus Leder an den Hüften festgebunden waren. Darüber hing ein einfaches schmuckloses Lendentuch.

    Einer von ihnen – groß, hager, sehnig, mit Schultern, die noch nicht völlig ausgewachsen waren – stand neben einem Schimmel. Obwohl die meisten Comanchen eigentlich keine Schimmel bevorzugten, ja, sie sogar oftmals als Unglücksboten ansahen, hatte er seine Liebe für sie entdeckt. Seine blauschwarz schimmernden Haare trug er offen. Gleichmäßige Züge, eine gerade Nase, ein voller, sinnlicher Mund, nur leicht hervorstehende Wangenknochen und ein kräftiges breites Kinn kennzeichneten ihn als einen gutaussehenden Mann. Ja, er war schön und jung – höchstens sechzehn oder siebzehn Winter alt, genau wie die anderen vier auch. Einer, den sie Antelope-Son nannten, war älter – sehr viel älter. Er zählte vierzig Winter und war ihr Anführer. Die jungen Krieger hatten sich diesem erfolgreichen und angesehenen Mann angeschlossen, um ebenfalls ihren Mut im Kampf zu beweisen. Obwohl sie in diesem Sommer weitab von ihren Grenzgebieten im Llano Estacado lebten, wussten sie durch einen Besuch im Lager befreundeter Kotsoteka-Comanchen, was sich hier an ihren Grenzen abspielte.

    Nun waren sie hier. Voller Wut auf die ungebetenen Eindringlinge, die ihre Jagdgebiete nicht achteten, wollten sie sie das Fürchten lehren, ihre Skalps nehmen, Beute machen – vor allem Beute machen und ihnen zeigen, mit wem sie sich hier einließen. Das Kriegshandwerk beherrschten sie perfekt – so wie die Jagd, die ihnen zugleich eine große Freude war. Das wurde ihnen von Kindheit an beigebracht. Manch einer von ihnen hatte bereits mit vierzehn seinen ersten Feind getötet.

    Von den sechs Kriegern machte besonders einer einen arroganten, überheblichen Eindruck. Eng zusammenstehende, dunkelbraune Augen blickten streng unter den Wülsten ausgezupfter Augenbrauen hervor. Sein Mund war nur ein einziger schmaler Strich. Den Namen Icy-Wind hatten ihm seine jungen Begleiter erst vor zwei Monden gegeben. Damals war er mit einigen anderen jungen Kriegern auf ein kleines Pawneedorf gestoßen. Wie ein Wirbelsturm hatten sie es überfallen, die Menschen auseinandergetrieben, aber weder Gefangene noch einen einzigen Skalp erbeutet. Als sie weiterzogen, brüstete sich der junge, arrogante Krieger, wie ein Icy-Wind über seine Feinde gekommen zu sein, so dass sie sich frierend und zitternd verkrochen hätten. Seitdem nannten sie ihn nur noch so. Ein Spitzname, den er lieber hörte als seinen anderen Namen, den er mit vierzehn Wintern empfangen hatte: The-One-Who-Should-Not-Look-Back. Nein, dann schon lieber Icy-Wind.

    Einen Blick auf seine Pferde werfend, die in Rufweite standen, nahm er den Köcher von seinem Rücken, neben dem an über Kreuz verknoteten Rohlederriemen sein Tomahawk und ein ausgehakter Bogen hingen. Seine rechte Hand hielt dabei noch immer die Lanze. Jetzt warf er sie mit aller Kraft in den harten, ausgetrockneten Boden. Zitternd und schwankend blieb sie dort stecken.

    Ein anderer der sechs Krieger – kleiner als seine Kameraden, vielleicht fünfeinhalb Fuß groß und von gedrungener, etwas fülliger Gestalt – beschäftigte sich bereits damit, seine Sachen nach Proviant zu durchsuchen. Weil er fündig wurde, hellte sich sein rundes, gutmütiges Gesicht auf, und er packte ein fest verschnürtes Bündel mit Trockenfleisch aus. Die anderen sahen sich verstehend an, nickten ihm verschmitzt zu und suchten dann selbst nach einem geeigneten Lagerplatz für sich, um ihre spärlich gewordenen Vorräte hervorzukramen.

    Inzwischen steckten drei mit Skalps behängte Lanzen zusammen mit den drei anderen ohne Kriegsbeute nebeneinander hinter den Kriegern. Während sie aßen, wurden kaum Worte gewechselt; jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Das Prahlen mit ihren Taten konnte warten, bis sie zu Hause waren. Die Kriterien, mit denen sie dort beurteilt werden würden, waren Tapferkeit, Mut und natürlich Freigebigkeit.

    Der mit dem freundlichen Gesicht schmunzelte in sich hinein, während er die Reste seiner Mahlzeit wieder zusammenpackte. Sein Blick unter belustigt hochgezogenen Augenbrauen – er war der Einzige hier, der sie sich nicht auszupfte – fiel auf die erbeuteten Sachen des kleineren Freundes. In seinem Gesicht arbeitete es. Spöttisch zog er die Lippen zusammen, verbiss sich jedoch eine Bemerkung.

    „Meine Beute verwundert dich wohl, Red-Eagle?, meinte der Freund, sein Mienenspiel richtig deutend. „Wie ich sehe, willst du über mich lachen, aber meine Little-Pigeon freut sich über einen neuen Kochtopf wie eine Hirschkuh über frisches Gras am Morgen.

    „Oh, Wolf-Hunter, da hast du ja bestimmt nicht an dich gedacht, oder?", neckte der Schöne ihn und lächelte freundlich.

    Die anderen – bis auf den streng blickenden jungen Mann, Icy-Wind – sahen sich vielsagend an und verbissen sich ein Schmunzeln. Wolf-Hunter machte sich immer Sorgen ums Essen, das war bekannt.

    Bevor ihre Unterhaltung weiter in diese Richtung abdriften konnte, erhob sich der Ältere abrupt mit ernstem Gesicht. Gebannt beobachtete er die sich in Sichtweite befindlichen Mustangs, die jetzt mit erhobenen Köpfen leise schnaubend in die Richtung blickten, aus der sie eben gekommen waren.

    Erst dann schenkten sie dem dürftigen Gras vor ihren Mäulern wieder mehr Aufmerksamkeit. Insgesamt standen achtzehn Mustangs zusammen, denn die Krieger ritten immer mit Ersatzpferden.

    „He, Antelope-Son – was sehen deine Augen, was unseren entgeht? „Dort kommen Eindringlinge in unsere Gebiete, Red-Eagle hat diesmal die Augen eines Grashüpfers und nicht die eines Adlers, rief er, an den Schönen gewandt.

    Alle starrten in die angegebene Richtung. Ein winziger Punkt erschien in der Ferne, um gleich darauf wieder hinter dem nächsten Wellenberg zu verschwinden. Nur wenig später sahen sie diesen ersten Punkt wieder, größer als vorher, und weitere Punkte folgten.

    Icy-Wind ließ ein schnaubendes Lachen hören; dann meinte er, mit einem Arm in die Richtung deutend: „Die Tejano irren sich, wenn sie glauben, wir lassen sie durch unser Land ziehen, als gehörte es ihnen bereits – denn dann sind sie dumm. Er machte eine weit ausholende einladende Geste zu den Pferden hin. „Lasst uns sie gebührend empfangen!

    Wolf-Hunter erhob sich zögernd. „Wir sollten warten und sie näher herankommen lassen", befand er mit einem Blick auf seinen halb zusammengepackten Proviant. Dann zuckte er nur bedauernd die Schultern.

    Antelope-Son ging entschlossen zu seinem Kriegspony und befestigte die Büffelhörner, die er bereits abgelegt hatte, wieder auf seinem Kopf. „Icy-Wind hat recht, rief er den anderen zu. „Lasst sie uns niedermachen, bevor sie noch weiter auf unserem Land herumtrampeln können.

    Wütend durch die Nase ausatmend griff er nach seiner blutigen Lanze und saß von links auf; so brauchte er die etwa 13 Fuß lange Waffe nicht mehr in die rechte Hand hinüberzuwechseln. Diese Art Aufsitzen war ihnen allen ins Blut übergegangen.

    Wolf-Hunter packte sein Essen zusammen, während er einen vieldeutigen Blick mit Red-Eagle wechselte. Auch der hätte noch gewartet, wenn auch aus anderen Gründen. Es war immer das Gleiche. Icy-Wind – als der erfolgreichere Krieger von ihnen – musste bei jeder Gelegenheit das Kommando an sich reißen. Die anderen schienen jedoch seiner Meinung zu sein, denn sie standen bereits neben ihren Pferden, die Bogen wieder eingehakt und die Köcher über den Schultern.

    „Die Tejano werden sterben! Icy-Wind spuckte aus. Sein Gesicht nahm einen ernsten Ausdruck an, während er mehr zu sich selbst als zu den anderen sagte: „Warum müssen sie diesen Weg nehmen, wenn sie auf die andere Seite unserer Jagdgebiete wollen? Warum reiten sie nicht über Santa Fe? Die Apachen sind lahme Hunde; vor ihnen brauchen sie sich nicht zu fürchten, aber vor uns!

    Antelope-Son ritt hart an ihn heran und hörte die letzten Worte. „Jetzt haben sie keine Wahl mehr", schrie er in den lauen Wind, der ihnen entgegenwehte. Sein Pferd stampfte unruhig den Boden. Er hatte ihm in der vergangenen Nacht Ringe um die Augen gemalt – als Zeichen der Magie, damit es den Weg besser finden und sich nicht verletzten konnte. Später, wenn Zeit dafür war, würde er ihm auf seine eine Flanke eine weiße Hand aufmalen, als Zeichen für einen getöteten Feind.

    Die sechs Comanchen saßen jetzt nebeneinander auf ihren Kriegsponys und blickten wie gebannt nach Osten. Vier von ihnen trugen wieder ihre gewaltigen Büffelhörner. Red-Eagle hing die zottelige Behaarung in die Stirn und an den Seiten bis auf die Schultern herunter. Unter dem Fell lagen seine schwarzen Augen tief im Schatten vergraben. Augenringe zeugten von den überstandenen Strapazen durchrittener Tage und Nächte. Kriegsfarbe auf Wangen und Stirn, noch vom letzten Kampf verschmiert, taten seinem guten Aussehen keinen Abbruch. Als er sich auf den Hals seines Lieblingsponys hinunter beugte, fiel ihm die lange Fellbehaarung ins Gesicht.

    Fünf Planwagen rumpelten über das nächste Wellental der Prärie von Osten kommend nach Westen, als ob ihnen die ganze Welt gehören würde. Von der ihnen drohenden Gefahr schienen sie keine Ahnung zu haben. Vielleicht waren sie auch einfach nur von ihrer Überlegenheit überzeugt.

    Icy-Wind gab das Zeichen. Er schwang die Lanze, an der der Skalp eines erst im Morgengrauen getöteten Ranchers hing, in Richtung Eindringlinge.

    Den markerschütternden, furchtbar klingenden Kriegsruf der Comanchen auf den Lippen, stürmten sie los, tauchten hinein in das wogende Grasmeer, kamen auf der nächsten Bodenwelle schreiend, drohend, in vollem Galopp reitend wieder herauf. Mit ihrer verschmierten Kriegsbemalung, die Lanzen in der rechten Hand, mit Pfeil und Bogen und den Kriegsäxten bewaffnet, machten sie einen furchteinflößenden Eindruck. Ihre schrillen Kriegsschreie hallten weithin über die Prärie. Der donnernde Hufschlag der kleinen, zähen Mustangs ließ trockene Erdklumpen hoch aufwirbeln, während sie den Siedlern näher und näher kamen.

    Erst jetzt schienen sie die Comanchen zu bemerken, denn der Wagentreck formierte sich zu einem Kreis, um den Angriff besser abwehren zu können. Männer schirrten in aller Eile die Zugpferde ab und ließen sie im inneren Kreis frei laufen. Frauen – sechs an der Zahl, darunter eine junge – und drei Kinder brachten sich hinter den Wagen oder darunter in Sicherheit. Die Männer verteilten Waffen und Munition untereinander, um die angreifenden Indianer gebührend zu empfangen. Deren dunkle Umrisse waren in der aufgehenden Sonne als gut auszumachendes Ziel deutlich zu erkennen.

    Noch gaben sich die Siedler siegesgewiss. Sie riefen sich gegenseitig zu, ja noch zu warten, bis diese Wilden – diese roten Nigger, denen sie sich weit überlegen glaubten – in Schussweite heran wären.

    Und sie kamen. Ein Kugelhagel aus den Büchsen von sieben bis an die Zähne bewaffneten Männern empfing sie. Einer der Mustangs stürzte tödlich getroffen, der Reiter sprang zur Seite, bevor das Pferd ihn unter sich begraben konnte. Antelope-Son griff nach ihm und zog ihn hinter sich auf sein Pferd. Der Gestürzte gab einen markerschütternden Pfiff von sich, eines seiner abseits wartenden Ersatzpferde kam das Wellental hinter ihnen heraufgestürmt und sein Herr wechselte zu ihm hinüber.

    Eine weitere Gewehrsalve ging knapp über die Köpfe der johlenden Krieger hinweg, traf aber niemanden. Den Tod verachtend, umrundeten sie die Wagenburg. Lachend, vor lauter Übermut über die Fehlschüsse der Weißen Kunststücke auf den Rücken ihrer Pferde vollführend, riefen sie Obszönitäten hinüber zu den Weißen. Wie zum Hohn entblößte Wolf-Hunter sein Hinterteil unter dem Lendenschurz, um damit zu zeigen, was er von ihnen hielt. Erst nach dieser ersten Runde voller Angeberei, Provokation und Verachtung gegenüber ihren Feinden antworteten die Comanchen mit Pfeilschüssen auf den Kugelhagel. Die Sehnen ihrer Bögen surrten, ihre Mustangs rasten wieder auf die Wagenburg zu. Wolf-Hunter erhielt dabei einen Streifschuss am Oberarm, schenkte ihm jedoch keinerlei Beachtung. Er sah nicht einmal hin, während das Blut an seiner nackten Haut herunterlief.

    Die Krieger führten atemberaubende Reiterkunststücke aus – diesmal nicht aus Übermut, sondern aus Notwendigkeit – sprangen mit ihren gut ausgebildeten Mustangs über Wagendeichseln zwischen die Siedler und wieder hinaus. Sie hakten sich in aus Pferdehaar geflochtene Schlingen an den Hals ihrer Kriegsponys, hingen unter dem Bauch ihrer Pferde oder an ihrer Seite, schossen von dort aus ihre todbringenden Pfeile ab – zwanzig Stück binnen sechzig Herzschlägen, wenn es sein musste. Sie waren schnell wie der Wind, und sie waren überall. Ihrem tollkühnen, aus unzähligen Kämpfen erprobten Einsatz hatten die Siedler nur wenig entgegenzusetzen. Ihre Schüsse kamen jetzt immer unkontrollierter, sie setzten sogar immer wieder ganz aus. Verzweifelt luden die Frauen die Gewehre nach, ja, schossen sogar selber unter den Wagen hervor auf die an ihnen vorbeistürmenden Reiter. Die schwerfälligen Lastenpferde der Siedler liefen unkontrolliert in der Mitte der Wagenburg panisch hin und her, bis sie endlich einen Ausgang fanden, durch den sie hinaus in die Weite stoben.

    Red-Eagle hatte einen der Wagen erklommen, seine Lanze steckte daneben im Boden. Er verschwand im Innern, um Augenblicke später, einen der Siedler fest umklammernd, wieder herauszukommen. Sein Schimmel sprang auf einen Pfiff von ihm über die Deichsel, der Krieger saß auf, schleuderte den mit seinem eigenen Messer getöteten Mann von sich weg, während sein Pony mit einem gewaltigen Sprung über einen umgestürzten, halb auseinandergefallenen Planwagen setzte. Icy-Wind tauchte Augenblicke später mit grinsendem Gesicht und blutverschmierter Brust neben ihm auf, an seiner Lanze ein zweiter Skalp. Während er sich Red-Eagle zuwandte, sprühten Blutstropfen nach allen Seiten. Ohne dass das Grinsen aus seinem Gesicht wich, deutete er mit dem Kinn nach unten, unter einen der Wagen. Dort kauerten drei Kinder, zusammengerollt, eng umschlungen. Ihre Augen weit aufgerissen, harrten sie so der kommenden Ereignisse.

    Red-Eagle gab Icy-Wind mit der Hand ein Zeichen: Das hat noch Zeit. Wolf-Hunter, der sich inzwischen ein Stück Stoff von dem zerrissenen Kleid einer getöteten Frau um den verletzten Arm gewickelt hatte, rief etwas, aber sie konnten es wegen der lauten Schießerei nicht verstehen; da zeigte er mit den Händen hinter sie. Beide Krieger drehten sich gleichzeitig um, verschwanden im selben Moment unter den Bäuchen ihrer Mustangs, als zwei gut gezielte Schüsse kurz hintereinander über sie hinwegfegten. Wolf-Hunter hatte schon einen Pfeil auf der Sehne, und der Mann, der dafür verantwortlich war, sackte getroffen neben einer Frau zusammen, die sich schreiend über ihn warf. Antelope-Son tauchte wie aus dem Nichts auf, einen weiteren Mann mit seiner Lanze durchbohrend, während dieser mit auf ihn gerichteter Waffe um sich schoss.

    Im heißen Odem der inzwischen höher gestiegenen Sonne tobte der Kampf unerbittlich. Immer und immer wieder ritten die Comanchen ihre Attacken gegen die Wagenburg. Es wurde keine Gnade gegeben und ebenso keine erwartet. Nur noch zwei der Siedler wehrten sich verzweifelt.

    Icy-Wind auf seinem Mustang umtänzelte wie in einem grausamen Spiel den Wagen, unter dem sich die letzten Überlebenden verkrochen hatten. Anscheinend war den beiden Männern jetzt auch die Munition ausgegangen. Der eine von ihnen warf seine Kentucky-Büchse wütend zur Seite, und – als würde ihm das noch etwas nützen – hielt er, sich ergebend, in einer letzten verzweifelten Geste die Hände hoch.

    Die Comanchen lachten. Wenn es um Tod oder Leben ging wie hier, kannten sie kein Erbarmen.

    Icy-Wind zielte lässig mit seiner Lanze und warf sie nach ihm. Der Mann sackte schreiend in sich zusammen, die Hände auf die klaffende Wunde in seinem Oberbauch gepresst. Eingeweide quollen hervor, wanden sich schmutzigen, grauen Schlangen gleich über seine blutigen Hände. In seinen Augen erschien ein Ausdruck ungläubigen Staunens, als könnte er es nicht fassen, hier so sterben zu müssen. Augenblicke später starrten seine Augen ins Leere. Der Mann, der noch neben ihm lebte, warf einen letzten verzweifelten Blick auf ihn, dann sprang er aus der Deckung heraus und machte, nur noch mit seinem Messer in der Hand, einen letzten Ausfall auf Icy-Wind zu.

    Wolf-Hunter ritt heran, um diese Szene zu beobachten, und sprang lässig von seinem Pferd. „Der, der wie ein eisiger Wind über seine Feinde kommt, sollte ihn mir überlassen", rief er und ging auf den weißen Mann zu, der bedeutend größer war als er. Der Kampf war fair. Erst nach zähem Ringen gelang es dem jungen, erst sechzehn Winter zählenden Comanchen, dem bedeutend älteren, kräftigeren Weißen sein Messer aus der Hand zu winden. Der Ausgang dieses Kräftemessens war einige Male durchaus ungewiss. Doch keinem der Krieger wäre es eingefallen, sich einzumischen. Am Ende behielt Wolf-Hunter die Oberhand und tötete den Mann mit einem Stich ins Herz. Damit starb der letzte der weißen Männer.

    Icy-Wind und Antelope-Son zerrten die verängstigten Frauen gewaltsam unter einem der Wagen hervor. Ein anderer Comanche holte die drei Kinder. Wolf-Hunter und Red-Eagle sprangen in die Wagen, durchsuchten sie oberflächlich nach Sachen, von denen sie glaubten, dass sie ihnen nützlich sein könnten. Ein weiterer Comanche warf die Toten auf einen Haufen. Acht unschädlich gemachte Eindringlinge – sieben Männer und eine Frau. Sie zu misshandeln kam ihnen nicht in den Sinn; sie hatten kein Interesse daran, denn es war ein guter Kampf gewesen. Manchmal verstümmelten sie die Leichen der toten Weißen und ließen sie so als Warnung für andere Eindringlinge zurück.

    Ruhig, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, knieten sich die Krieger jetzt ins Gras, um ihre Schlachtbeile und Lanzen gründlich zu säubern. Erst als sie damit fertig waren, besahen sie sich den Haufen der Toten. Mit der gleichen kaum fassbar stoischen Gelassenheit begutachteten sie anschließend die fünf überlebenden Frauen und die Kinder. Ihre Mienen waren dabei so gleichgültig, als dachten sie über Alltäglichkeiten nach. Vier Frauen waren schon älter, vielleicht zwischen vierzig und fünfzig Winter, eine dagegen höchstens zwanzig. Die älteren drängten sich ängstlich zusammen, mit zitternden Händen klammerten sie sich eng aneinander. Die Jüngere, hoch gewachsen, mit dunklen, zu einem Kranz um ihren Kopf gelegten rötlichen, wie reife Kastanien aussehenden Haaren, stand etwas abseits von den anderen. Große hellbraune Augen schauten aus einem ovalen, schön geformten, aber bleichen Gesicht, das allerdings voller Schmutz war. Sommersprossen bedeckten die kleine Stupsnase, und ihre sonnenverbrannten Wangen begannen sich bereits zu schälen. Sogar auf der Stirn fanden sich viele dieser kleinen hell-orangenen Punkte, versteckt hinter roten Locken. Als Icy-Wind auf sie zutrat, ihr Kinn mit einer Hand umschloss und sie heftig zu sich heranzog, presste sie die blutig gebissenen vollen Lippen trotzig zu einem harten Strich zusammen. Ein großes Stück von ihrem Stolz war trotz aller Angst noch da. Einen kurzen Augenblick lang kam ihr das blutige Messer in den Sinn, das der Krieger vor ihr in seinen Gürtel schob. Wenn er sie töten wollte, dann sollte er das gefälligst jetzt tun. Doch der Krieger nickte nur in Richtung seiner Männer, arrogant, berstend vor Siegesruhm. „Diese hier gehört mir", war seine klare Ansage. Noch ahnte er nicht, worauf er sich da eingelassen hatte.

    Wolf-Hunter wollte zwar protestieren, er schien mit der Aufteilung der Kriegsbeute nicht einverstanden zu sein, doch Red-Eagle hielt ihn am Arm zurück. „Lass ihn – ich glaube, mit der wird er so seine Schwierigkeiten haben."

    Er hatte als Einziger den Blick der Frau gesehen, diesen Blick voller Verachtung und Stolz. Trotz seiner Jugend und Unerfahrenheit begriff er: Sie war nicht wie die anderen vier Frauen, die sich voller Angst und Schrecken aneinanderklammerten – kein ängstlicher herumflatternder Vogel, der aus dem Nest gefallen war. Diese hier würde sich behaupten. Sein Blick huschte hinüber zu den drei Kindern, die verängstigt nebeneinander hockten; zwei Knaben mit hellbraunen Locken und graublauen Augen. Der eine mochte sieben Winter zählen, der andere – dem Aussehen nach sein Bruder – vielleicht neun. Zwischen ihnen saß völlig verängstigt ein etwa vier Winter zählendes Mädchen, dessen braunes dunkles Haar in dicken Zöpfen geflochten schwer auf ihren Schultern lag. Sie weinte ununterbrochen laut, während die beiden anderen Kinder nur zitterten und mit weit aufgerissenen Augen vor sich hin starrten. Unaufhörlich bissen sie sich auf die blutig und rissig gewordenen Lippen. Ihre Finger umschlossen jeweils die Hand des anderen, als suchten sie gegenseitig nach Halt. Brüder hielten zusammen. Schon immer war das so bei ihnen gewesen, aber da lebten sie auch noch in einer beschützten Welt. Jetzt, hier, in dieser aussichtslosen Situation hatten sie nur noch sich. Verzweifelt stellte sich der ältere immer wieder die Frage, was wohl aus ihnen werden würde. Konnten sie das hier überleben? Und was würde aus dem Mädchen werden, das ihnen während ihrer Reise wie eine Schwester geworden war?

    Icy-Wind ließ von der jungen Frau ab und griff nach den beiden Jungen. Als er sie hochzerrte, machten sie sich vor Schreck in die Hosen. Mit schlotternden Beinen ließen sie sich von ihm zur Seite drängen, um dann dabei zuzusehen, wie er sich des Mädchens bemächtigte. Zu ihrem Entsetzen begann die Kleine noch lauter zu schreien. Was sollte man auch von einem vierjährigen Mädchen erwarten? Sie strampelte wie wild und versuchte, sich aus seinem harten Griff zu winden. Er war voller Blut und stank für ihre Begriffe entsetzlich. Obwohl sie von dem Gemetzel um sich herum nicht viel mitbekommen hatte, konnte sie das Grauen sehr wohl spüren. Nach all der Schießerei entsetzte sie besonders die plötzliche Stille. Mama? Erst jetzt wurde ihr anscheinend klar, dass sie allein war. Wo war ihre Mutter? Wo waren all die anderen Frauen? Das kleine Herz hämmerte wild gegen ihre Rippen. Mama hatte sie zum Schutz unter den Wagen geschickt, zusammen mit den beiden Jungen. Sie hatte doch gesagt, dass sie gleich wieder da sein würde! Doch niemand war gekommen – niemand beschützte sie jetzt vor diesen fremden Männern, die so furchterregend aussahen wie Teufel, mit ihren verschmierten, bemalten Gesichtern. Niemand klatschte in die Hände: Scherz, alles nur ein Scherz, um die Zeit zu vertreiben – wie bei den harmlosen Spielen während ihrer Reise, auf der sie so viel gelacht hatten. Trotz all der Strapazen hatte sich ihre Mama immer etwas für sie ausgedacht. Ein Spiel, Geschichten, am Ende hatten immer alle gelacht. Aber die grausig aussehenden Männer hier verschwanden nicht, lösten sich nicht einfach in Luft auf. So, wie der grässliche Mann, der sie festhielt, roch, musste er Wirklichkeit sein. Bussarde umkreisten bereits in Scharen den Berg aus aufgeschichteten Menschen; darauf fiel jetzt ihr Blick, und sie erkannte darunter das Kleid ihrer Mutter, das ihren Vater halb verdeckte. Panik erfasste sie. Mit einer Kraft, die überhaupt nicht ihrem zarten Wesen entsprach, biss und kratzte das vierjährige weiße Mädchen wie tollwütig auf den Krieger ein, der völlig überrumpelt auf sie herunterblickte und sie losließ. Der Kleinen gelang es tatsächlich, sich von ihm zu befreien. Sie trat mit ihren pummeligen Beinen nach ihm, wich nach hinten aus, versuchte verzweifelt, den unbarmherzig wieder nach ihr greifenden blutig-schmutzigen Fingern zu entgehen. Aus ihren weit aufgerissenen braunen Augen, die mit Sprenkeln wie Splitter aus Gold besetzt waren, flossen unaufhaltsam Tränen und vermischten sich in ihrem Gesichtchen mit Speichel und Rotz.

    Ihre schrillen Schreie gingen dem Krieger Icy-Wind langsam auf die Nerven. Entschlossen zog er sie mit hartem Griff an den halb aufgelösten Zöpfen zu sich heran, umfasste ihren kleinen Körper und betrachtete sie abschätzend. Diese hier würde den langen Ritt in die Llanos nicht überleben, mochte er dabei denken. An einem der umgekippten Planwagen drehten sich langsam zwei Räder in der Luft. Icy-Winds Blick ging von dort zurück zu der Kleinen.

    In das schöne Gesicht Red-Eagles trat in diesem Moment ein nachdenklicher Zug. Er zögerte nur kurz, die Augen zusammengekniffen; dann fiel er Icy-Wind in den Arm. „Warte – was du vorhast, ist deiner nicht würdig."

    Seine Stimme klang entschlossen, jedoch nicht laut. Dann meinte er, immer noch ohne die Stimme zu heben: „Diese kleine Wildkatze hat gut gekämpft; lass sie beweisen, dass sie überleben kann. Wenn du sie als Beute verschmähst, gib sie mir." Der Einwand hatte etwas Anmaßendes, ja Herausforderndes, denn er mischte sich damit in die Belange eines Anderen ein.

    Ein Blick in die Runde machte Icy-Wind klar, dass er beobachtet wurde. Er durfte jetzt keinen Fehler machen, sein Ansehen stand auf dem Spiel. Seine Stirn wölbte sich über seinen dunklen, schmalen Augen – drohend, wütend; aber schon wurde ihm klar, dass dieses unscheinbare Kind es nicht wert war, dass er durch eine unüberlegte Handlung sein Ansehen schmälerte. Rasch machte er einen Schritt zurück. Seine fest aufeinandergebissenen Zähne mahlten hinter seinen hohen Wangen, während er mit einem herablassenden Gesichtsausdruck die Kleine musterte, die plötzlich zu schreien aufhörte. Instinktiv hatte sie die gefährliche Situation erfasst. Noch eben am ganzen Körper schlotternd, hing sie jetzt ruhig im Arm von Icy-Wind. Ihre pummeligen Beine berührten bewegungslos den Boden; das Gesicht, ein einziger pausbäckiger Klumpen Empörung, entspannte sich leicht. Sie hatte begriffen. Ängstlich huschten ihre Augen von einem Mann zum anderen.

    „Willst du dich etwa mit diesem wertlosen schreienden Bündel belasten?" Icy-Winds ausgezupfte Augenbrauen zogen sich abschätzig zusammen, während er Red-Eagle diese Frage stellte. Ein kaum wahrnehmbares Nicken kam als Antwort. Mitleidig zu dem anderen hin seufzend, ließ er das kleine Mädchen unsanft auf seine Beinchen fallen; er wusste genau, dass sie niemals durchhalten würde. Die Kleine kippte etwas zur Seite, fing sich aber sofort wieder. Mit hochgezogenen Augenbrauen, so hell und zart wie die Flügel eines Schmetterlings, beobachtete sie wachsam die beiden vor ihr stehenden Männer.

    „Eine wertlose Tejano – nimm sie, aber sorg dafür, dass das Geheule für alle Zeiten aufhört. Damit wandte sich Icy-Wind von seiner Beute ab, als wäre sie nur ein lästiges Insekt. Die beiden anderen Kinder würden ebenfalls eine Last bedeuten – jedenfalls für die Zeit, bis sie ihr Zuhause erreicht hätten; so viel wusste er aus früheren Erfahrungen. Er, Icy-Wind, wollte damit nichts zu tun haben. Eine wegwerfende Geste zu den beiden Knaben hin machend, die immer noch eng aneinandergedrängt nur einige Schritte entfernt auf der Erde hockten, rief er: „Wenn du schon einmal dabei bist, dich um Ungeziefer zu kümmern, dann kannst du das auch ebenso gut mit diesen hier tun. Ich jedenfalls bin nicht bereit, den Aufpasser oder Ernährer zu spielen!

    Blutbespritzt, wie er war, verschwitzt vom Kampf und voller Schmutz, lächelte Icy-Wind ein grausames Lächeln zu den beiden Kindern hinunter. Sein Zeigefinger deutete erst auf den einen, dann auf den anderen. Erschrocken drängten sie sich noch enger zusammen. „Ein Schrei – und ihr seid tot", das Zeichen des Halsdurchschneidens war deutlich genug. Im Vorbeigehen griff Icy-Wind lässig nach seiner Kriegsbeute – der jungen Frau, die ihm niemand streitig machte – und verschwand, sie brutal hinter sich her schleifend, zwischen den zum Teil umgekippten Planwagen. Vor dem einzigen noch halbwegs intakten hielt er an. Seine eng zusammenstehenden Augen verharrten auf der weißen Frau. Er musste sich regelrecht zwingen, den Blick von ihr abzuwenden. Gleich darauf starrte er sie wieder an. Fest presste er die Lippen aufeinander, Unruhe machte sich in ihm breit. Es war, als nähme ihm jemand die Luft zum Atmen. ‚Diese weiße Frau wird mir noch gewaltige Schwierigkeiten bereiten‘, wurde ihm da klar. Schon bereute er das Gefühl, dass ihn verleitet hatte, sie für sich zu beanspruchen, denn es war nicht nur Besitzanspruch gewesen, sondern viel mehr. Ein solches Gefühl entsprach nicht seinem Naturell. Niemand sollte Macht über ihn haben – und schon gar nicht eine weiße Frau. Ein einziger Blick in ihre Augen hatte ausgereicht, um ihm einen Stachel tief ins Herz zu treiben. Jetzt verhärtete sich Icy-Wind gegen den Gedanken, etwas anderes in ihr zu sehen als eine Kriegsbeute – eine Kriegsbeute, die sich seinem Willen unterzuordnen hatte, nichts weiter. Seine Medizin war stark. Er, Icy-Wind, hatte sich auf diesen Kriegszug gut vorbereitet. Sein Tiergeist war mit ihm, daran gab es keinen Zweifel. Außerdem hatte er Enthaltsamkeit geübt, sehr zum Missfallen von Crow-Wing. Diese weiße Frau hier würde keine Macht über ihn erlangen. Und doch, ihr rot schimmerndes Haar verwirrte ihn – ebenso die hellbraunen Augen, die nicht so schmal waren wie die der Comanchenfrauen, sondern groß, und die ihn anstarrten, als könnte sie damit töten. Ein wenig ähnelten sie dem Raubtierblick einer Bergkatze. Konnte sie seiner Medizin vielleicht doch schaden?

    Icy-Winds Atem beschleunigte sich. Ein Zustand, den er nur schwer kontrollieren konnte. Über sich selbst wütend überlegte er, sie zu töten, bevor sie noch mehr von ihrer Magie versprühte. Verwirrt hielt er sich eine Faust gegen die Schläfe. Überlegte, grübelte und kam doch nicht zu einem Entschluss. Einerseits begehrte er diese hier, wie er noch nie eine Frau begehrt hatte, wollte sie besitzen, sie beherrschen; doch andererseits war ihre Macht, das spürte er, stark. Doch er – der harte, trotz seiner Jugend im Kampf mehrfach erprobte und mit dem Tod durchaus vertraute Krieger – sträubte sich, ihr das Messer in die Brust zu stoßen.

    Seine Gefühle verdrängend – Gefühle, die ihn weich ihr gegenüber werden ließen – wappnete er sich mit einem unsichtbaren Panzer gegen das, was er ihre Medizin nannte. Denn das war es, womit er seinen Zustand erklärte; es lag nicht an ihm. Seine Medizin würde stärker sein als die ihre. Nein, diese Frau war nichts weiter als eine Kriegsbeute, eine vielleicht im Moment für ihn noch wertvolle Kriegsbeute, aber das konnte sich wieder ändern. Sie war sein Eigentum, und genau so würde er sie auch behandeln. Die Zähne fest zusammengebissen starrte er durch sie hindurch, kehrte sein Innerstes gegen sie, löschte aus, was gerade erst begonnen hatte, kehrte um, was Wurzeln schlagen wollte.

    Icy-Wind – der junge, kaum siebzehn Winter zählende Krieger – hatte seine Macht zurück, war wieder Herr seiner selbst. Denn Macht, das war das Einzige, womit er etwas anfangen konnte. Macht über andere, Macht über Schwächere, Macht über besiegte Feinde. Diese Art Macht konnte er spüren, damit konnte er etwas anfangen, sie war die Grundlage für alles andere, was zählte. Macht brachte einem Mann Ehre und Ruhm, gab ihm die Mittel, freigebig zu sein. Das machte einen erfolgreichen Krieger aus. Nach diesen Kriterien zu urteilen, war Icy-Wind ohne jeden Zweifel so jemand. Es hatte nur kurze Zeit gedauert, bis die Macht, die die weiße Gefangene über ihn zu erlangen drohte, wieder zu ihm zurückkehrte. Erneut musterte er sie. Besser, dachte er, jetzt ist es besser – er ärgerte sich über sich selbst, kurz schwach geworden zu sein. Ein Schauer lief ihm über den Rücken, aber er war wieder er selbst, hatte seine Schwäche überwunden. Denn das war etwas, das er verachtete. Bei anderen wie bei sich selbst. Da kam ihm Crow-Wing in den Sinn – das Mädchen, das er irgendwann beabsichtigte, in sein Tipi zu holen. Sie hätte es niemals gewagt, ihm einen so trotzigen Blick zuzuwerfen. Sie besaß auch keine Macht über ihn und würde sie niemals besitzen. Ein harter Zug umspielte seinen Mund.

    Wenn sie diese weiße Frau in die Hände bekommt und erfährt – denn das wird sie zweifellos – dass sie meine Beute gewesen ist, wird sie sie töten, ging ihm plötzlich auf. Zumindest ihre Wut an ihr auslassen. Er hatte nicht vor, diese weiße Frau zu beschützen, weder vor Crow-Wing noch vor jemand anderem. Sein Entschluss stand fest: Nein, er würde sie nach ihrem Heimritt nicht für sich beanspruchen. Icy-Wind war ein Mann, der Schwierigkeiten lieber aus dem Wege ging, immer schon. Jetzt lächelte er still in sich hinein. Schwäche würde er sich nicht leisten – weder bei dieser weißen Frau, noch bei irgendeiner anderen. In seinem jugendlichen Überschwang glaubte er das tatsächlich. Doch ohne sich das jemals einzugestehen, war es dafür längst zu spät.

    Unterdessen hatte die junge weiße Frau, eingeschüchtert und am ganzen Körper zitternd, sein Mienenspiel beobachtet. Man brauchte kein besonders guter Menschenkenner zu sein, um nicht die widerstreitenden Gefühle zu sehen, die in ihm tobten. Obwohl er diesen Kampf nicht offen austrug, sondern zu verbergen versuchte, hatte sie es bemerkt. Zuerst waren es seine Blicke gewesen, mit denen er sie ansah. Dann dieses Zögern, die Unentschlossenheit, die ihn verriet, als er mit sich rang, sie am Leben zu lassen oder zu töten. Sie dachte, es läge daran, dass er noch nie eine weiße Frau gesehen hatte. Diesen Irrtum sollte sie bitter bereuen, denn die wahre Ursache dafür hätte sie niemals für möglich gehalten.Seit er sie gesehen, in ihre Augen geblickt hatte, war es ihm gewesen, als steckte ein Pfeil tief in seinem Herzen. Das war so unerwartet passiert, dass es ihn verwirrte, ihm zugleich Angst einjagte und er sich doch zu ihr hingezogen fühlte. Weil er sich dieses Gefühl nicht erlaubte, es nicht zuließ, machte es ihn hart und vergiftete ihn, denn er hielt es für Schwäche. Zugeben, was er tief in seinem Innersten für sie empfand, würde er niemals, nicht einmal vor sich selbst. Nicht er, nicht Icy-Wind. Eine Schwäche einzuräumen, dafür war er nicht geboren.

    Bei ihrer Gefangennahme hatte sich die weiße Frau fest vorgenommen, keinerlei Gegenwehr zu unternehmen. Das schien im Angesicht der Brutalität, mit der diese Indianer gegen sie vorgegangen waren, ratsam zu sein. Keine der Frauen wusste, was sie erwartete; aber dass sie sich ihrem Schicksal ergeben mussten, war ihnen allen klar gewesen. Sie hatten keinerlei Chance, etwas dagegen zu tun.

    Doch jetzt, hier, neben diesem Krieger, regte sich in der weißen Frau Widerstand. Trotzig hob sie ihr Kinn und sagte etwas, das er nicht verstand, zischte es durch zusammengebissene Zähne hindurch. „Verfluchter Mistkerl – wage es ja nicht, mich anzurühren." Dann, völlig überraschend, spuckte sie ihm ins Gesicht.

    Dachte sie etwa, er würde ihr das ungestraft durchgehen lassen? Ihr Respekt verschaffen? Sie wusste selbst nicht, was sie dazu getrieben hatte, das zu tun. Es war ganz einfach so passiert.

    Ein kräftiger Ruck, und schon verdrehte er ihr den Arm auf den Rücken. Sie schrie auf. Schwer atmend wischte er sich langsam mit dem Handrücken den Speichel aus dem Gesicht. Ihr Widerstand kam für ihn völlig überraschend, doch damit konnte er besser umgehen, als wenn sie geweint hätte. Sein Blick fiel auf ihren Arm, den er immer noch fest umklammert hielt, und auf einen schmalen silbernen Armreif – das Einzige an Wert, das sie anscheinend besaß. Ein breites Grinsen ließ seine ebenmäßigen weißen Zähne sehen. Brutal verrenkte er ihr den Arm noch weiter, dann löste er mit einem harten Griff den Armreif von ihrem Handgelenk. Natürlich passte er ihm nicht. Immer noch grinsend hob er den Rohlederriemen über seinen Kopf, an dem Bärenkrallen und Luchszähne hingen, um den Silberreif dort zu befestigen.

    Die Augen der weißen Frau verengten sich verzweifelt – kaum, dass sie die Tränen zurückhalten konnte. Der Armreif war das letzte Andenken an ihre acht Freundinnen aus der fernen deutschen Heimat gewesen. Ihre Namen Selma, Else, Marie, Gertrud, Frieda, Elise, Marta und Berta standen im Inneren eingraviert. Ihr Atem, als sie nach Luft schnappte, war ein einziges Keuchen. In Gedanken sagte sie all ihren Freundinnen ein letztes Lebewohl. Als sie sich wieder gefasst hatte, ballte sie die Hände zu Fäusten und starrte den jungen Krieger wütend an. Er sollte nicht auch noch die Genugtuung haben, sich an ihrem Leid zu weiden.

    Icy-Wind musterte sie leicht amüsiert. „Du wirst mir mehr Freude bereiten als dieser armselige Schmuck hier. Er wird mich nur daran erinnern, woher ich ihn habe."

    Die Worte in dieser unmöglichen Sprache ließen sie erschauern. Ihre hellbraunen, großen, weit aufgerissenen Augen blickten an ihm vorbei in die Ferne. Sie wollte Stärke zeigen, ihm trotzen, doch dann siegte das Gefühl der Angst, und sie senkte den Blick.

    Einer plötzlichen Eingebung folgend, stieß er sie dicht an den Planwagen heran, vor dem sie die ganze Zeit über standen. Er kletterte hoch und zog sie gewaltsam mit sich. Sie stolperte, konnte sich aber im letzten Moment gerade noch an einer Planke festhalten, um nicht auf ihm zu landen. Dabei war sie so nahe an ihn herangekommen, dass sie seinen Körper roch. Ihre Abscheu ignorierend, deutete er mit einer weit ausholenden Geste auf das ganze Zeug, das im Inneren des Planwagens durcheinander lag. Kisten waren bereits aufgebrochen worden, der Inhalt überall verstreut. „Such dir was aus, nimm es mit. Es wird das Einzige in deinem zukünftigen Leben sein, das dich an deine Vergangenheit erinnert", sagte er leise, aber bestimmt. Zwar verstand sie seine Worte nicht, doch die Geste war unmissverständlich. Vorsichtig schob sie einen Stapel Kleidungsstücke zur Seite, während er sie stumm, nur mit gerunzelter Stirn beobachtete.

    ‚Glaubst du, jetzt bin ich dir auch noch dankbar für deine Großherzigkeit?‘, dachte sie verzweifelt und unterdrückte ein Schluchzen. Dann begann sie in einer der Kisten zu graben, warf überflüssiges Zeug zur Seite und fand endlich, wonach sie suchte. Ungeduldig geworden, machte er ein Zeichen mit der Hand. Beeil dich gefälligst, sollte das heißen. Ohne zu zögern griff sie nach einem in Seidenpapier eingewickelten Stück Lavendelseife. Das war das Einzige, was sie aus der Welt – ihrer Welt, die sie an diesem Tag verlassen musste – mitnahm. Noch lange danach besaß sie ein winzig kleines Stück davon. Sie steckte dieses einzige Zugeständnis, das er ihr jemals machen sollte, in eine der Taschen ihres verschlissenen Leinenkleides.

    Icy-Wind, mit sich selbst zufrieden, zerrte sie wieder nach draußen, schwang sich auf sein Pferd und fasste nach ihr. Mit einem einzigen Ruck zog er sie hinter sich. Sein Kriegspony setzte sich in Bewegung, und beinahe wäre sie heruntergefallen. Instinktiv griff sie nach seinem schweißglänzenden nackten Rücken, um sich daran festzuhalten. Der für ihre empfindliche Nase von ihm ausgehende undefinierbare Geruch ließ sie kurz würgen. Schräg vor ihrem Gesicht hing außerdem noch sein blutiges Kriegsbeil in über Kreuz geschlungenen Rohlederriemen. Als das Pony in eine schnellere Gangart überwechselte, musste sie sich wohl oder übel fester an seinen Rücken klammern.

    Icy-Wind hatte sich nicht an der Plünderung beteiligt. Er war nur auf Skalps und Coups ausgewesen, auf Ruhm und Ehre. Die Beute, die er jetzt hinter sich wusste, genügte ihm vollkommen. Was brauchte er Töpfe und Pfannen, Stoff oder den anderen Kram? Er war jung und besaß noch keinen Hausstand. Crow-Wing gegenüber hatte er keine Verpflichtungen. Sie würde sich mit seiner Anwesenheit begnügen müssen. In schnellem Galopp ließ er die Planwagen und seine Kameraden hinter sich, um mit seiner Beute hinter dem nächsten Wellenberg der Prärie zu verschwinden. Er würde sich selbst beweisen, dass sie nichts weiter als eine Kriegsbeute war. Eine weiße Frau, über die er jetzt Macht besaß.

    Red-Eagle, der die Kinder vor einen Planwagen gebracht hatte, untersuchte sein liebstes Kriegspony nach Verletzungen. Das kleine Mädchen hatte nicht wieder angefangen zu weinen. Es verbarg den Kopf zwischen den Knien. Nur ein leises Schluchzen stahl sich noch ab und zu aus ihrem herzförmigen Mund. Mit einem Ärmel ihres zerfetzten, ärmlich aussehenden Kleides wischte sie sich über das verschmierte, vor Schmutz starrende Gesicht. Dann betrachtete sie den jungen Krieger, der sich so zärtlich um sein Pferd kümmerte. Mit kindlicher Neugier versuchte sie, die verschmierte Maske, die sein Gesicht war, zu durchdringen. Obwohl sie erst vier war, begriff sie doch schon, dass sie vor ihm keine Angst zu haben brauchte. Red-Eagle wandte sich von seinem Schimmel ab und band sich das Lederband vom Handgelenk, das ihn vor der Bogensehne schützte.

    Die beiden Knaben flüsterten lebhaft miteinander. Er nickte den Kindern zu und bedeutete ihnen, ihm zu folgen. Der junge Krieger blutete aus verschiedenen Wunden; das schien ihm jedoch nichts auszumachen. Im Moment genügte ihm ein Stück Stoff, das er im Vorbeigehen von einer losen Plane riss und als Verband für die schlimmsten Verletzungen gebrauchte. Sein sehniger, durchtrainierter Körper straffte sich, als eines seiner Kriegsponys freudig wiehernd vor ihm auftauchte. Mit einer liebevollen Geste, die sein bisheriges blutiges Handwerk Lügen strafte, strich er ihm über den zerzausten Kopf. Die beiden Knaben verharrten mit gesenkten Köpfen abwartend und wagten kaum, sich zu rühren. Nur das kleine Mädchen, das treu neben ihnen her stapfte, ließ den Blick nicht von Red-Eagle. Wohl hatte sie den blutigen Skalp gesehen, der ihm am Gürtel hing. In ihrer kindlichen Einfalt wusste sie jedoch nicht, was das bedeutete.

    Red-Eagle hob die beiden Knaben auf den Rücken des Ponys und drückte dem älteren von ihnen den Zügel in die Hand. Obwohl das Gesicht des jungen Kriegers noch immer von der Kriegsbemalung verschmiert war, sah man sein Lächeln. Wie beiläufig bückte er sich nach dem kleinen Körper des Mädchens, zog es mit einem festen Griff hoch auf seinen Arm. Das Kind hielt ganz still, wagte kaum zu atmen; ihr kleines Herz schlug so laut, dass sie glaubte, alle müssten es hören. Mama? Ängstlich blickte sie sich um. Aber es war niemand mehr da – nur diese sonderbaren fremden Wesen. Das Haar des Comanchen streifte flüchtig ihre Wange. Sein Körper war warm. Vertrauensvoll schmiegte sie ihren kleinen Kopf in die feuchte, verschwitzte Halsbeuge und schloss die Augen. Zwar klopfte ihr das Herz immer noch laut, doch sie fand Trost bei diesem Krieger, der wahrscheinlich ihre Eltern getötet hatte.

    In großen, weit ausgreifenden Schritten ging Red-Eagle mit ihr neben seinem Schimmel her; das Pferd, auf dem die beiden Knaben saßen, folgte ihnen. Ein ganzes Stück weit vom Kampfgeschehen entfernt grasten die anderen Pferde. Red-Eagle schaute sich kurz um, und als er alles in Ordnung fand, saß er auf. Das kleine Mädchen setzte er vor sich und hielt es mit einem Arm fest.

    Als wäre überhaupt nichts vorgefallen, lag die weite, unendliche Grasebene im flimmernden Sonnenschein vor ihnen. Einige der schweren Pferde der Siedler waren inzwischen zurückgekommen und grasten vor der halb zerstörten Wagenburg. Eine Rauchsäule, weithin sichtbar, zeugte von dem grauenhaften Geschehen. Zwei der Krieger plünderten noch immer, warfen wahllos Gegenstände aus dem Innern der Wagen heraus. Wolf-Hunter und Antelope-Son dagegen trieben die vier Frauen mit ihren Pferden vor sich her. Eine der Frauen stolperte, Antelope-Son zerrte sie im wilden Galopp wieder hoch und schleifte sie neben seinem Pony her. Ihre Kleidung hing völlig zerfetzt an ihrem Körper; blutige, hässliche Wunden zeugten von bereits erlittenen Verletzungen, die nicht alle von den Comanchen herrühren konnten. Die Reise bis hierher hatte ihr viele Opfer abverlangt.

    Inzwischen waren die anderen Krieger außer Icy-Wind und Red-Eagle zu Antelope-Son und Wolf-Hunter gestoßen. Ein kurzer, heftiger Wortschwall – dann war man sich einig. Um vier Frauen brauchten sich vier Krieger nicht zu streiten. Bei der nächstbesten Gelegenheit konnte man sie ja eintauschen. Entweder bei den Comancheros oder einer anderen Gruppe ihres Volkes, wenn sie denn genügend für sie zu bieten hatten. Jetzt erst einmal machten sich die Männer einen Spaß daraus, ihnen Obszönitäten zuzurufen oder ihnen einfach nur mit Drohgebärden zu zeigen, welche Macht sie über sie besaßen.

    Kapitel 2

    Dicht zusammengedrängt warteten die Frauen auf das, was die Männer mit ihnen machen würden. Ihre schlimmsten Befürchtungen standen ihnen in die Gesichter geschrieben; schließlich hatten sie im Osten genug Gräuelgeschichten über die Indianer gehört. Manche von ihnen wünschte sich, auf ihren Mann gehört zu haben, der die letzte Patrone für sie aufheben wollte. Jetzt war es dafür zu spät. Die Krieger trieben ihre Mustangs zu immer schnellerer Gangart an, umrundeten die Frauen und jauchzten vor Freude darüber, einen guten Kampf geführt zu haben – ohne eigene Verluste. Während die Frauen vor Verzweiflung, Angst und Entsetzen schrien, während vor ihnen Lanzen in den Boden gerammt wurden oder Pfeile dicht über sie hinwegflogen, lachten die Krieger und tollten herum wie ausgelassene Kinder. Vielleicht waren sie das ja auch noch ein klein wenig, denn bis auf Antelope-Son hatten sie alle nicht mehr als 16, 17 Winter gesehen. Die ihnen ausgelieferten Frauen glaubten doch tatsächlich, dass die nach ihnen geworfenen Lanzen sie treffen sollten.

    Zwei etwas resolutere – eigentlich waren sie unterwegs diejenigen gewesen, die immer das Wort geführt hatten – versuchten, nach einer der Lanzen zu greifen. Es war eine Verzweiflungstat, die zu nichts führen konnte, denn schon hatten die jungen Krieger sie ihnen vom Pferd aus entwunden – lachend, nach ihnen stoßend, vorgetäuschte Attacken reitend, als wäre das nur ein Kinderspiel. Eine dritte Frau nutzte die Gelegenheit, um zu einem umgestoßenen Planwagen zu laufen, aus dem Rauch emporstieg. Hatte sie tatsächlich gedacht, die Krieger könnten nicht bis vier zählen und würden nicht merken, dass eine von ihnen fehlte? Es gab keine Möglichkeit für sie, zu entkommen.

    Einer der Krieger, der eben einen Scheinangriff geritten war, holte sich seine Lanze aus dem Boden zurück, wog sie kurz in der Hand, dann schleuderte er sie hinter ihr her. Zusammen mit der Lanze brach sie schreiend zusammen. Diesmal hatte er mit voller Absicht getroffen. Eine klaffende Wunde in ihrer Schulter zeugte davon. Die Krieger johlten – gut getroffen, sollte das heißen; die Ware war nur leicht beschädigt.

    Ganz in ihrer Nähe hörten sie auf einmal die junge Frau kreischen. Icy-Wind war abseits von den anderen sehr mit ihr beschäftigt. Dann herrschte plötzlich Stille. Die am Boden liegenden Frauen sahen sich an. Eine rappelte sich hoch, als Wolf-Hunter von seinem Mustang sprang. Sie hatte immer noch die Schreie ihrer jungen Begleiterin im Kopf. Mit einem kräftigen Fußtritt trat sie ihm in den Unterleib. Was auch immer sie sich dabei gedacht haben mochte, das war kein guter Einfall gewesen. Noch während sie sich keuchend mit den Armen auf ihre Oberschenkel stützte, stand er bereits wieder vor ihr. Brutal griff der kleine, 16 Winter zählende Comanche nach ihren Haaren, schleifte sie hinter sich her, als wäre sie kein menschliches Wesen, sondern nur ein Gegenstand. Nach einigen Schritten ließ er sie los, stand im nächsten Moment mit dem Messer in der Hand über ihr und warf es lässig aus dem Handgelenk heraus so nahe an ihrem Hals vorbei in den Boden, dass dabei nur ihre Haut leicht angeritzt wurde. Der Schmerz war für sie nicht schlimm; schlimmer war die Erkenntnis, dass sie ihm hilflos ausgeliefert war. Sicher, dass er sie jetzt töten würde, hielt sie sich schreiend einen Arm vor das Gesicht. Mit einem Ruck riss er ihr den Arm herunter, zwang sie, ihn anzusehen. Sein Gesicht zeigte keine Regung. Obwohl es in ihm vor Wut brodelte, riss er sich zusammen. Das hier war sein erster Kriegszug an die Grenze ihres Landes. Er wollte, dass die anderen anerkannten, wie umsichtig und beherrscht er sein konnte. Vorhin, bei den weißen Männern, hatte er keine Gnade gekannt. Doch dieses armselige, winselnde Weib hier brachte ihm keine Ehre, wenn er es tötete.

    Wolf-Hunter sagte etwas in seiner gutturalen Sprache. Sie schüttelte verständnislos den Kopf. Er zeigte nach Osten, dorthin, woher sie gekommen waren, und spuckte vor ihr aus. Da wusste sie, was er meinte. Ja, wenn sie jetzt die Wahl gehabt hätte, würde sie sofort nach dort wieder zurückgehen – sogar barfuß.

    In der Pose des überlegenen Siegers, der sich alles erlauben konnte, sogar Milde gegenüber einem Besiegten, steckte er das Messer zurück. Sie wagte nicht, ihren Arm wieder über ihr Gesicht zu legen, sie wagte gar nichts mehr. Jetzt wünschte sie sich, an der Stelle der Frau zu sein, die auf dem Leichenberg bei ihrem Mann und den anderen Toten lag. Was würden diese wilden Bestien weiter mit ihnen machen? Was würden sie noch alles auszuhalten haben? Sie war ohne jede Hoffnung und fügte sich in ihr Schicksal. Was auch immer noch kommen würde, sie hatte keine Kraft mehr, sich dagegen aufzulehnen. Erst als sich der junge Krieger von ihr entfernte, kroch sie auf allen vieren zu den anderen Frauen zurück. War der Traum vom eigenen Land das hier wert gewesen? Ihre Männer waren alle tot – und sie wahrscheinlich auch schon bald. Die Frauen drängten sich wieder eng aneinander und versuchten, ihre erlittenen Verletzungen so gut es ging irgendwie zu verbinden. Sie hatten dafür nur ihre Bekleidung und rissen sich Streifen von den weiten Unterröcken, dabei jeden Blick zu den Indianern hin vermeidend. Deshalb sahen sie auch nicht, dass einer von ihnen, Red-Eagle, herangeritten kam.

    Sein breites Lächeln galt seinen Kameraden, die in der Nähe der Frauen weiter Kunststücke auf ihren Mustangs vollführten. Einer wollte den anderen übertreffen, angeben, besser sein. Seine wohlklingende Stimme übertönte ihr Gejohle. Es musste schon etwas Wichtiges sein, sonst hätte er sie nicht unterbrochen. Red-Eagle deutete auf die Prärie hinaus, und nun sahen es auch die anderen. Noch tauchten sie nur als bewegliche Punkte im Wellental der Prärie auf und unter. Flimmernde Gestalten, die im Licht zerflossen. Aber sie kamen stetig näher, wurden deutlicher, zeichneten sich alsbald dunkel gegen die Sonne ab. „Wir bekommen Besuch. So ein Glück an einem einzigen Tag", rief er noch einmal.

    Wolf-Hunter schlenderte dicht an der Frau, die er mit seinem Messer bedroht hatte, vorbei. Sofort begann sie zu zittern. „Vielleicht kann ich die hier ja gegen ein neues Pferd eintauschen", damit zeigte er mit dem Kinn auf sie.

    Er grinste, den Kopf schiefgelegt. Da sah er auf einmal wie ein Lausbub aus, der sich auf sein neues Spielzeug freute. Die anderen um ihn herum lachten. Der Vorschlag gefiel ihnen ebenso, das wäre ganz nach ihrem Sinn. Eilig sammelten sie ihr Plündergut zusammen, den Rest konnten die Neuankömmlinge gerne haben. Icy-Wind war nicht zu sehen; er gab auch keine Antwort, als sie nach ihm riefen. Antelope-Son, der sich als ihr Anführer ein wenig für ihn verantwortlich fühlte, zuckte nur die Schultern. Der Junge hatte sicher etwas Besseres zu tun, als sich um Kochtöpfe zu kümmern. Und doch fand er es ratsam, dass sie alle gemeinsam die Ankömmlinge empfingen – man wusste ja nie.

    Unterdessen ritt Red-Eagle auf die Prärie hinaus, um sie in Augenschein zu nehmen.

    Antelope-Son rief noch einmal nach Icy-Wind. Als wieder keine Antwort kam, ging er zu der Stelle, an der er ihn mit seiner Kriegsbeute vermutete. Im nächsten Wellental fand er ihn. Er stand neben der auf dem Boden liegenden, halb entkleideten jungen Frau und warf ihr gerade die Fetzen ihres Kleides zu, während der Ältere näher trat. Ihr Blick auf ihn aus weit aufgerissenen, blutunterlaufenen hellbraunen Augen drückte Panik aus, ja, unendliche Qual, Verzweiflung, Schmerz – alles auf einmal. Das wie reife Kastanien aussehende Haar hing ihr wild um die Schultern. Sie war furchtbar zugerichtet. Während sie mühsam aufstand, lief Blut an ihren Beinen hinunter, ihr zerfetztes Unterkleid war rot. Auf ihren Armen konnte man deutlich Fingerabdrücke sehen und einen tiefen Schnitt. An ihrem Kinn prangte eine Platzwunde – und diverse andere Verletzungen bezeugten, wie sehr sie sich gewehrt haben musste. Antelope-Son schüttelte angewidert den Kopf.

    Icy-Wind ignorierte seinen tadelnden Gesichtsausdruck und sagte stattdessen gleichgültig: „Hab schon gesehen, Kotsoteka. Er winkte ab, als der ältere Mann etwas erwidern wollte. „Ich gedenke nicht, mit ihnen zu teilen – schon gar nicht diese hier, machte er seinen Standpunkt klar.

    Die junge Frau stolperte, weil er sie ungeduldig vorwärts trieb, knickte mit den Beinen weg und brach zusammen. Ungerührt bearbeitete er sie mit einem Fuß, bis sie sich wieder aufraffte. Sie stolperte erneut, riss sich zusammen und schlurfte nur mit einem Schuh, schwer atmend vor den beiden Kriegern her. So kamen sie bis zu den sich eng zusammendrängenden Frauen. Die sahen sie weder an, noch wechselten sie ein einziges Wort mit ihr. Hockten nur einfach da, vor Angst schlotternd, eingeschüchtert, eine mit einer tiefen Schulterwunde, andere nur leicht verletzt – wie Vieh, dass man zusammengetrieben hatte.

    Die Jüngere, die dieser Anblick trotz ihres eigenen Leids erbarmte, fuhr sich mit fahrigen Bewegungen durch die langen, nach allen Seiten hin abstehenden lockigen Haare. Voller Entsetzen blickte sie dann auf ihre Finger, in denen ein Büschel Haare war. Das musste passiert sein, während Icy-Wind sie rücksichtslos hinter sich her gezerrt hatte. Eine Kriegsbeute, nichts weiter – und als solche würde er sie auch weiterhin behandeln. Niemanden kümmerte es, was aus ihr wurde. Er konnte sie töten, am Leben lassen, sie weiterreichen oder an die Comancheros verkaufen – ganz wie es ihm gerade beliebte. Jetzt, entgegen seiner ersten Entscheidung, gefiel es ihm nun, sie mit zurück in ihr Lager in den Llano Estacado zu nehmen. Er bedeutete ihr, sich neben die anderen Frauen zu setzen – und sie gehorchte, wissend, dass es keine Möglichkeit zur Flucht für sie gab. Inzwischen hatten die Comanchen ihre Ersatzpferde mit der Beute beladen. Manch einer war noch im Zweifel, ob er lieber dies oder jenes mitnehmen sollte.

    Die Näherkommenden sollten ihnen die Wahl bereits wenig später abnehmen. Sie kümmerten sich um den Rest der Beute, und auch das Schicksal der vier Frauen schien mit dem Eintreffen der befreundeten Kotsoteka-Comanchen besiegelt zu sein. Sie waren aus dem Balcones Escarpment gekommen und mussten die Comancheria noch ca. 240 Meilen entlangreiten, um am Red-River wieder mit ihren Leuten zusammenzustoßen.

    Bei ihnen befanden sich vierzig Ersatzpferde. Einige mussten gestohlen sein, denn das Zaumzeug und die Sättel sahen fremdartig aus. Sie ritten lautstark johlend zu den wartenden Comanchen, um triumphierend und stolz von ihren Taten entlang der texanischen Grenze zu berichten. Pferdestehlen galt unter ihnen als beliebter Sport. Schnell brannten drei Lagerfeuer, an denen sich die Krieger grüppchenweise niederließen. Die Neuankömmlinge hatten frisches Fleisch dabei, das sie großzügig verteilten. Das war eine willkommene Abwechslung zu dem Trockenfleisch, das die sechs Krieger in den letzten Tagen essen mussten. Bald breitete sich der Geruch gebratenen Fleisches aus. Den Frauen war trotzdem nicht nach Essen zumute. Stumm harrten sie der kommenden Dinge. Doch als ihnen achtlos Essensreste hingeworfen wurden, fielen sie wie Tiere darüber her.

    Red-Eagle hielt sich meist aus den Gesprächen der Krieger heraus. Besonders was Icy-Wind betraf, hatte er seine eigenen Vorstellungen. Während dieser ganzen Zeit lag er ein gutes Stück abseits, nahe der Pferdeherde. Hinter ihm schliefen die Kinder. Es war nicht etwa so, dass er das, was Icy-Wind und diese Frau betraf, verabscheute oder verurteilte. Für ihn bedeutete das nichts anderes als sein Recht – etwas, das zum Krieg gehörte, genau wie das Skalpieren oder Beutemachen. Manche taten es eben und manche nicht. Diese Art, mit Frauen als Beute umzugehen, kam für ihn wie für viele weitere Krieger nicht in Frage. Dass er dem nichts abgewinnen konnte, war einzig und allein seine Sache.

    Niemandem kam es in den Sinn, ihn deshalb zu verurteilen. Jeder Comanche hatte das Recht, zu tun oder zu lassen, was ihm beliebte. Das war ihre Art von Freiheit. Solange er der Gemeinschaft damit nicht schadete, ging es nur ihn etwas an. Was auch immer jemand mit seiner Beute machte, es hatte keinerlei Bedeutung.

    So verbrachten sie die Nacht mit Essen und Schwatzen. Niemand achtete groß darauf, womit Icy-Wind sich inzwischen die Zeit vertrieb.

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