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Deutschlandlieder. Almanya Türküleri: Zur Kultur der türkeistämmigen Community seit  dem Anwerbeabkommen 1961
Deutschlandlieder. Almanya Türküleri: Zur Kultur der türkeistämmigen Community seit  dem Anwerbeabkommen 1961
Deutschlandlieder. Almanya Türküleri: Zur Kultur der türkeistämmigen Community seit  dem Anwerbeabkommen 1961
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Deutschlandlieder. Almanya Türküleri: Zur Kultur der türkeistämmigen Community seit dem Anwerbeabkommen 1961

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About this ebook

Als die ersten Gastarbeiter nach Deutschland kamen, gab es weder Satellitenantennen
noch Internet. Die Menschen begannen, ihrer eigenen Lieder zu singen: Deutschlandlieder, Almanya Türküleri. Songs, die in Deutschland entstanden sind. Anfangs handelten
sie von Fernweh, vom Leben und Arbeiten in der Fremde. Die nächste Generation sang Romeo-und-Julia-Lieder, auf die Brandanschläge in Mölln und Solingen Anfang der Neunziger folgten verbitterte Hip-Hop-Stücke. Das alles geschah unbemerkt von
der deutschen Öffentlichkeit, obwohl die Verkaufszahlen der Tonträger, die in den
türkischen Lebensmittelläden vertrieben wurden, die der "ZDF-Hitparaden"-Hits in dieser Zeit noch übertrafen.
Als Sänger der ersten deutsch-türkischen Rockband Yarinistan ist Nedim Hazar Teil dieser Geschichte. Als Hörfunkredakteur und Fernsehautor lernte er weitere Protagonist*innen der Deutschlandlieder kennen. Zum Beispiel Yüksel Özkasap, die
"Nachtigall von Köln", oder Metin Türköz, den ersten türkischen Volksbarden der BRD. In Hazars Buch verweben sich Musik und Gesellschaft wie von selbst. In Kapiteln über Liebe, Hass, Sprache, Glaube, Essen oder Gender verknüpfen sich Vergangenheit und Gegenwart, persönliche Erzählung und Sequenzen aus Interviews, darunter mit "Quotentürk*innen" wie Shermin Langhoff oder Cem Özdemir, zu einer teils heiteren, teils nachdenklichen, aber stets authentischen Chronik der Türkeistämmigen in Deutschland.
LanguageDeutsch
Release dateOct 28, 2021
ISBN9783867898461
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    Deutschlandlieder. Almanya Türküleri - Nedim Hazar

    Hazar_Deutschlandlieder.jpg

    Nedim Hazar

    Deutsch

    landlieder

    Almanya

    Türküleri

    Zur Kultur der türkeistämmigen Community

    seit dem Anwerbeabkommen 1961

    Rotbuch Verlag

    Die Fotos im Bildteil stammen alle von Gökhan Yılmaz. www.goekhanyilmazfilms.de

    Dank für die Karikatur auf Seite 120 an Muhsin Omurca. www.mussin.de

    eISBN 978-3-86789-846-1

    1. Auflage

    © 2021 by BEBUG mbH / Rotbuch Verlag, Berlin

    Umschlaggestaltung: fuxbux, Berlin

    Umschlagabbildung: picture alliance / CITYPRESS24 /

    Tilman Jentzsch

    Ein Verlagsverzeichnis schicken wir Ihnen gern:

    Rotbuch Verlag

    Axel-Springer-Str. 52

    10969 Berlin

    Für Ekrem, Tereza, İlyas, Elijah

    Und für Ulli

    Grußwort

    Dr. Lale Akgün

    Sechzig Jahre Einwanderung aus der Türkei. Eine Einwanderung, die als temporärer Aufenthalt aus wirtschaftlichen Gründen begann und eine unerwartete Dynamik entwickelte.

    In Deutschlandlieder. Almanya Türküleri zeigt uns Nedim Hazar diese Entwicklung auf, von ihren Anfängen bis heute. Es kamen Menschen, die sich in dem neuen Land zurechtfinden mussten. Ihre Gefühle und Bindungen drückten sie durch ihre Musik aus. Deutschlandlieder spiegeln somit die Lebenssituation, aber auch die immerwährende Akkulturation der Türkeistämmigen in Deutschland wider.

    Die Zeit schritt voran. Die Lieder der Gastarbeiter der 1960er-Jahre waren irgendwann nicht mehr aktuell, es kamen neue Generationen, die ihre eigenen Lieder hatten, und es tauchten immer neue Vorstellungen von Identität, Heimat und Zusammenleben auf.

    Kein Wunder. Lebten 1961 gerade mal sechstausend­achthundert zumeist männliche Türken in Deutschland, waren es 1981 bereits anderthalb Millionen, 2001 knapp zwei Millionen. Heutzutage leben in Deutschland um die drei Millionen Menschen, die ihre Wurzeln in der Türkei haben.

    In diesen sechzig Jahren entstanden immer neue Konstruktionen, was das Zusammenleben von Türken und Deutschen und die dabei entstehenden Konflikte betraf. Zum Schlagwort des gelungenen Zusammenlebens geriet der Begriff »Integration«, obwohl seine Definition bis heute nicht richtig glücken mag. Zu seinem Antonym wurde die »Assimilation«, weil damit die Aufgabe der eigenen Kultur assoziiert wurde. Obwohl die Migration nach Deutschland mehrheitlich wirtschaftliche Gründe hatte und hat, drehte sich der gesellschaftliche Diskurs weniger um wirtschaftliche Erfolge oder Misserfolge der Einwanderung aus der Türkei, sondern vorzugsweise um Kultur. Wobei auch dieses Wort – ähnlich wie Integration – im Zusammenhang mit Einwanderung kaum eine Definition erfahren hat. Was bedeutet Kultur für die Migrant*innen? Und: was bedeutet die Kultur der Einwanderer*innen für die Mehrheitsgesellschaft?

    Der Prozess der Akkulturation und noch mehr der Enkulturation waren in den Augen der Mehrheitsgesellschaft nicht vorstellbar und somit auch nicht vorhanden. Man hielt an dem Konzept des Nebeneinanderlebens im Sinne von Multikulturalität oder Interkulturalität fest. Noch heute, sechzig Jahre nach der ersten Arbeitsmigration aus der Türkei nach Deutschland, werden für die meisten Menschen die Nachkommen der türkeistämmigen Gastarbeiter*innen in die Schublade »Türken und türkische Kultur« einsortiert.

    Mitte der 1970er-Jahre entstand in fast jeder Stadt die Initiative »Die Woche des ausländischen Mitbürgers«, die sich durch Kulturveranstaltungen auszeichnete, immer mehr Kommunen veranstalteten immer mehr interkulturelle Straßenfeste. Sie sollten den Ausländer*innen die Chance geben, »ihre Kultur« darzustellen, vor allem ihre Küche und ihre Musik. Folklore halt. Diese Definition des »gelungenen Zusammenlebens« wurde von den Migrant*innen widerspruchslos übernommen, unterschiedlichste Kulturvereine schossen wie Pilze aus dem Boden.

    Für die meisten stand fest: Die Türken, Ausländer, Musliminnen und Muslime, Migrant*innen oder Menschen mit Migrationshintergrund (die Bezeichnung lässt sich beliebig variieren) haben eben ihre eigene Kultur. Integration bedeutet dann Rückzug in die eigenen kulturellen Räume, um diese Kultur ausleben zu dürfen. Bis heute hat sich an dieser Sichtweise wenig verändert. Schaut man sich die Webseite des DOMiD, Dokumentationszentrum und Museum über die Migration in Deutschland e.V., an, so finden sich dort aktuell Ankündigungen unterschiedlichster Art zur Kultur im weitesten Sinne. Und da, wo es nicht um Kultur geht, geht es meistens um Religion, präziser formuliert, um den Islam. Als die Kultur der Eingewanderten wird ein ganzes Bündel zusammengefasst: Wir sprechen hier nicht nur von Sprache, Musik, Malerei oder Literatur, sondern auch von Habitus und Kleidung, Werten und Normen. Alle Kommunikations- und Interaktionsprobleme wurden und werden vor allem auf Kulturdifferenzen zurückgeführt. Voraussetzung für eine gelungene Integration scheint es bis heute zu sein, kulturelle Differenzen zu verstehen und die Wertedivergenzen bestehen zu lassen. Denn – so die überwiegende Überzeugung – es geht um verschiedene Kulturen, die nicht oder kaum zusammenzubringen sind.

    Diese Annahme rührt daher, dass unsere Vorstellung von der Kultur und ihrem Einfluss von einem Kulturbegriff ausgeht, der mit einem Einwanderungsland nicht kompatibel ist, nämlich dem Herder’schen Kulturbegriff. Er prägt bis heute das europäische Denken und lautet: »Jede Nation hat ihren Mittelpunkt der Glückseligkeit in sich wie jede Kugel ihren Schwerpunkt.«

    Kultur ist somit die unverwechselbare Substanz eines Volkes, die dieses von anderen deutlich unterscheidet und dessen »Charakter« zum Vorschein bringt. Sie wird als ein Ensemble von Merkmalen verstanden, bestehend aus Sprache, Denken, Wahrnehmen, Habitus, Institutionen und materiellen Hervorbringungen wie Kunst, Musik und Architektur, das zusammen eine Einheit und organische Ganzheit ausmacht. Damit wird auch das Denken und Handeln eines Menschen untrennbar mit seiner Kultur verbunden und bestimmte intrakulturelle Verhaltensformen werden immer im Licht eines dazugehörigen Sozial- und Wertesystems sowie Kulturverständnisses gesehen.

    Dies nährt die Vorstellung, dass Migrant*innen auch nach sechzig Jahren immer noch in ihrer Blase leben und mit der Mehrheitskultur kaum oder wenig in Berührung kommen. Eine Vorstellung, die zugleich eine Beleidigung für die Migrant*innen und für die Mehrheitskultur ist: Die einen leben in ihrer abgeschotteten Welt und die anderen haben eine so schwache Kultur, dass diese nicht in der Lage ist, Einfluss auf Eingewanderte zu nehmen.

    Während universalistische Positionen davon ausgehen, dass es nur eine allgemein gültige Ethik bzw. eine soziologische Theorie gibt, die für alle Menschen und Situationen gilt, schränken der Herder’sche Kulturbegriff und daraus folgend der Kulturrelativismus die Anwendbarkeit bestimmter ethischer Begriffe und soziologischer Kategorien auf die Kultur ein, die sie hervorgebracht hat. Dementsprechend können kulturelle Phänomene nur in ihrem eigenen Kontext betrachtet, verstanden und beurteilt werden.

    Kulturrelativismus zeugt für mich von der Hilflosigkeit einer Gesellschaft, mit dem Phänomen der Einwanderung umzugehen, einer Gesellschaft, die noch im »kulturellen Wir« verharrt und versucht, mit dem »kulturellen Anderen« in Kommunikation zu treten. Kann Interkulturalität da überhaupt die Lösung sein, solange traditionelle Kulturvorstellungen gelten? Dazu ein Zitat des Philosophen Wolfgang Welsch:

    »Die Misere des Konzepts der Interkulturalität rührt daher, dass es die Prämisse des traditionellen Kulturbegriffs unverändert mit sich fortschleppt. Es geht noch immer von einer insel- bzw. kugelartigen Verfassung der Kulturen (damit ist das Bild von Hegel gemeint; Anm. d. Verf.) aus. Eben deswegen vermag es zu keiner Problemlösung zu gelangen, denn die interkulturellen Probleme entspringen der Insel- bzw. Kugelthese der Kulturen. Das klassische Kulturkonzept schafft durch seinen Primärzug den separatistischen Charakter der Kulturen. Das Sekundärproblem sind strukturelle Kommunikationsunfähigkeit und schwierige Koexistenz dieser Kulturen. Daher sind die Empfehlungen zur Interkulturalität zwar gut gemeint, aber ergebnislos. Das Konzept versäumt es, die Wurzel des Problems anzugehen. Es ist nicht radikal genug, sondern bloß kosmetisch.

    Ähnliches gilt für das Konzept der Multikulturalität. Es greift die Probleme des Zusammenlebens verschiedener Kulturen innerhalb einer Gesellschaft auf, widmet sich also strukturell der gleichen Frage wie das Konzept der Interkulturalität. Dabei bleibt aber auch dieses Konzept im Status des traditionellen Kulturverständnisses. Es geht von der Existenz klar unterschiedener, in sich homogener Kulturen aus, nur jetzt innerhalb ein und derselben staatlichen Gemeinschaft.

    Das Multikulturalitätskonzept sucht dann nach Chancen der Toleranz, Verständigung, Akzeptanz und Konfliktvermeidung oder Konflikttherapie. Das ist ebenso löblich wie die Bemühungen um Interkulturalität, aber ebenso ineffizient, denn vom alten Kulturverständnis aus lässt sich allenfalls ein Stillhalten auf Zeit erreichen, nicht aber eine wirkliche Verständigung zwischen den kulturell heterogenen Gruppen oder eine Überschreitung der separierenden Schranken konzipieren.«

    Erst Georg Auernheimers Definition von Kultur als »Aushandlungs-, Diskurs- und Darstellungsprozess« liefert einen möglichen Ausweg.

    »Wenn wir Kultur als Orientierungssystem verstehen, so ergibt sich daraus die Konsequenz, dass Kultur sich mit der Änderung von Lebensverhältnissen verändern muss, um weiter zur Orientierung tauglich zu sein. Um Veränderungsprozesse aber verstehen zu können, müssen wir totalisierende Kulturbegriffe aufgeben.«

    Das heißt: der postmoderne Kulturbegriff versteht sich nicht mehr als Festlegung, denn dies ist einer Einwanderungsgesellschaft unangemessen.

    Kultur und kulturelle Differenzen können für die aufnehmende Gesellschaft ohne Zweifel bereichernd sein, sie haben jedoch auch immer etwas Ausschließendes. Eine Einwanderungsgesellschaft braucht eine Inklusionspolitik. Ohne Wenn und Aber. Im Großen wie im Kleinen.

    Damit zurück zu Nedim Hazar. Einem Künstler, der gleichermaßen in der türkischen und deutschen Kultur zu Hause ist und sich in beiden wie ein Fisch im Wasser fühlt. Menschen wie er werden schnell als Brückenbauer bezeichnet.

    Das Wort »Brückenbauer« bezieht sich wieder auf den Herder’schen Kulturbegriff und legt damit fest, dass es unterschiedliche, voneinander unabhängige Kulturen gibt, die mit irgendeiner Brücke verbunden werden müssen. Und Menschen wie Nedim sollen dann Brücken bauen, die andere passieren können. Wohin sollen die aber führen? Von einer Kultur zur anderen? Und dann? Was macht man auf der anderen Seite? Schaut man sich als Gast die andere Kultur an? Wie in einem Museum oder beim Sightseeing in einer fremden Stadt? Und nach der Besichtigung? Kehrt man wieder zurück nach Hause? In die eigene Kultur?

    Ich lernte Nedim bereits 1984 bei einer Veranstaltung kennen. Das Duo Yarinistan, bestehend aus Nedim Hazar und Geo Schaller, trat als Kulturpart auf. Den Begriff »Morgenland« als türkische Wortneuschöpfung »Yarinistan« zu übersetzen war eine ebenso schräge wie gute Idee, um die Zuhörerschaft neugierig zu machen. Ich erwartete eine von den üblichen Kulturvorführungen, denn damals oblag es den Ausländer*innen, vor allem den Türk­*innen – einst war das Wort Türke ein Synonym für Ausländer –, sich und ihre Kultur zu präsentieren. Oder sich über ihre Kultur zu präsentieren. Ich erwartete ein Nebeneinander von »deutscher« und »türkischer« Kultur, ganz im Herder’schen Sinne. Vielleicht noch ein gemeinsames Liedchen als Krönung des Auftritts.

    Bei Nedim Hazar und Geo Schaller war es aber ganz anders. Sie traten gleichberechtigt auf der Bühne auf und rissen Witze über Kulturunterschiede und Kulturverständnis. Nedim wirbelte mit seinem Akkordeon über Geo Schaller hinweg, genauso wie Geo Schaller souverän seinen Part spielte. Und dann die Musik! Das war keine typisch türkische Musik, aber auch keine typisch deutsche. Sie hatten gemeinsam etwas Neues erschaffen, so wie es Georg Auernheimer von einer Kultur einer Einwanderungsgesellschaft erwartet. Die Musik war zum Aushandlungsfeld für eine gemeinsame Zukunft geworden.

    Ich höre immer wieder, wie Menschen darüber klagen, aber gleichzeitig auch damit kokettieren, sie würden sich in Deutschland als Türken und in der Türkei als Deutsche fühlen und auch so wahrgenommen werden. Wie oft habe ich den Satz gehört: »In der Türkei hält man mich für einen Deutschen.«

    Wenn schon solche Beschreibungen, dann ist Nedim jemand, der sich in der Türkei als Türke und in Deutschland als Deutscher fühlt. Weil er nicht fremdelt. Weil er sich weder überlegen noch unterlegen fühlt.

    Er ist jemand, der in allen Kulturen zu Hause ist und der diese Kulturen zusammenführt, der Neues erschafft und somit die Fortentwicklung der Einwanderungsgesellschaft anregt.

    Umso mehr freue ich mich, dass er es ist, der auf die Anfänge der Einwanderung zurückblickt und den weiten Weg darstellt, den wir alle zusammen gegangen sind. Auch wenn viele meinen, dass sich seit 1961 nicht viel geändert hat und wir immer noch in unseren kulturellen Räumen leben. Dieses Buch zeigt, dass es anders ist!

    Intro mit den türkischen Barden Kölns

    Die Idee zu diesem Buch entstand im Frühjahr

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