Discover millions of ebooks, audiobooks, and so much more with a free trial

Only $11.99/month after trial. Cancel anytime.

Segretissimo, streng geheim!: Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte
Segretissimo, streng geheim!: Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte
Segretissimo, streng geheim!: Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte
Ebook654 pages6 hours

Segretissimo, streng geheim!: Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte

Rating: 0 out of 5 stars

()

Read preview

About this ebook

Werden die Anschläge in Südtirol vom Osten gesteuert? Eine zentrale Frage, der Reinhard Gehlen und der Bundesnachrichtendienst BND jahrelang nachgehen. Die Attentate der 1960er-Jahre locken zahlreiche Geheimdienste ins Land. Dabei werden Agents Provocateurs eingesetzt, fingierte Bombenanschläge verübt, illegale "schmutzige Aktionen" durchgeführt, Spitzel enttarnt und umgedreht. Es kommt zu eigentümlichen Kooperationen wie etwa des BND mit italienischen Diensten, zu versuchten Entführungen in Innsbruck und zu Mordplänen gegen Landeshauptmann Silvius Magnago.
LanguageDeutsch
Release dateOct 12, 2021
ISBN9788872838174
Segretissimo, streng geheim!: Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte

Read more from Christoph Franceschini

Related to Segretissimo, streng geheim!

Related ebooks

Modern History For You

View More

Related articles

Reviews for Segretissimo, streng geheim!

Rating: 0 out of 5 stars
0 ratings

0 ratings0 reviews

What did you think?

Tap to rate

Review must be at least 10 words

    Book preview

    Segretissimo, streng geheim! - Christoph Franceschini

    Christoph Franceschini

    Segretissimo – Streng geheim!

    Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte

    Zum Buch

    Werden die Anschläge in Südtirol vom Osten gesteuert? Eine zentrale Frage, der Reinhard Gehlen und der Bundesnachrichtendienst BND jahrelang nachgehen. Die Attentate der 1960er-Jahre locken zahlreiche Geheimdienste ins Land. Dabei werden Agents Provocateurs eingesetzt, fingierte Bombenanschläge verübt, illegale „schmutzige Aktionen" durchgeführt, Spitzel enttarnt und umgedreht. Es kommt zu eigentümlichen Kooperationen wie etwa des BND mit italienischen Diensten, zu versuchten Entführungen in Innsbruck und zu Mordplänen gegen Landeshauptmann Silvius Magnago.

    Stimmen zum ersten Band

    „Eine Pionierarbeit mit einer Vielzahl unterschiedlichster Quellen, mit klugem Aufbau und flüssiger Schreibe."

    Erich Schmidt-Eenboom, Geheimdienstexperte

    „Die Bozen- und Südtirol-Krimis verblassen bei dieser Geschichte über Agenten und Spione. Die Realität ist spannender und knisternder."

    Wolfgang Mayr, RAI Südtirol

    „Franceschinis Buch liest sich wie ein mit Endnoten unterfütterter Spionage-Reißer."

    Joachim Leitner, Tiroler Tageszeitung

    Die Drucklegung erfolgte mit freundlicher Unterstützung der Abteilung Deutsche Kultur der Autonomen Provinz Bozen-Südtirol

    © Edition Raetia, Bozen 2021

    Umschlaggestaltung: Philipp Putzer, www.farbfabrik.it

    Umschlagbilder: Titelseite Tatortbild des tödlichen Feuerüberfalls auf die beiden Beamten der Finanzwache Salvatore Cabitta und Giuseppe D’Ignoti am 24. Juli 1966 in St. Martin in Gsies (Foto: Carabinieri di Bolzano, Abate Salvatore, Fascicolo Fotografico, Landesgericht Bozen). Rückseite Reinhard Gehlen München, 7. April 1972 – wahrscheinlich das erste öffentliche Bild Gehlens, geschossen am Rande der Beerdigung von Franz Halder. (ap / Dieter Endlicher).

    Druckvorstufe: Typoplus, Frangart

    Printed in Europe

    ISBN 978-88-7283-735-1

    ISBN Ebook 978-88-7283-817-4

    Unseren Gesamtkatalog finden Sie unter www.raetia.com.

    Bei Fragen und Anregungen wenden Sie sich bitte an info@raetia.com.

    Inhalt

    Vorwort

    General Gehlen, Magnago & die „Stasi"

    Der Mann im Vatikan

    Viktoria Stadlmayer alias „Stasi"

    „Kontakt mit der Firma"

    50 V-Männer für Südtirol

    Giovanni Gehlen & Südtirol

    Aufregung um Terroristenausbildung

    Der Vertrauensjournalist

    Diener zweier Herren

    SS-Seilschaften im Einsatz

    Die Spur in den Osten

    Nach Kenntnisnahme vernichten!

    Das Wiener Handelskontor

    Innsbrucker Jesuit und Professor

    „Kleiner Jude"

    Römischer Molotowcocktail

    Notring für Südtirol

    „Umdrehen" eines Agenten

    Der Doppelagent in Montecitorio

    Geheimdienststudie zum Südtirol-Terrorismus

    Jüdischer Agent der Gestapo?

    Ausspähungsziel österreichische Botschaft

    „Die Monopolstellung der SVP brechen"

    Gefährliche Nachforschungen

    Neuer Arbeitgeber BND

    Heini, Ada & die „Pusterer Buben"

    Gescheiterte Verhaftung

    Im Dienste der Finanzwache: „Berta und das „Centro I

    Die Abrechnung

    Die Schwägerin des Weihbischofs

    Liebesgrüße aus Mailand

    Bezahlte Bombenleger

    Fall 1: Der Koffer des Georg Klotz

    Der selbst ernannte Architekt

    Informant John

    Mord an Magnago

    Fall 2: Der Söldner aus Belgien

    Zechpreller und Nationalist

    Anwerbung eines Kleinkriminellen

    Anruf bei Oberst Marzollo

    Nachspiel in Zürich

    Nachrichtenbörse Wien, München, Rom

    Der gestiefelte Kater

    300 Spitzelberichte zum BAS

    Professor als Führungsoffizier

    Der jüdische Nachrichtenhändler

    Der Schmetterlingsforscher

    Das Doppelleben des Verlegers Sessler

    Sesslers „ARP und „K4T

    „Speziell auch Tirol"

    Treffen in Paris

    Ein Wiener Gewohnheitsverbrecher

    Gefährlicher Liebhaber

    Die Anwerbung

    Die zweite Bombe

    Lockung und Abhörung von Klotz

    Mata Hari in den Alpen

    Vespa, notorische Schulden & Vatikan

    Die Burger-Entführung

    Agententreff am Brenner

    Gefährliches Versteckspiel

    De Lorenzos Spezialeinheit

    Sprengfalle Landshuter Hütte

    Abgehörte Telefongespräche

    Versuchskaninchen Massak

    Die Inszenierung

    Tod auf der Porzescharte

    Der Hinterhalt

    Gemeinsamer Lokalaugenschein

    Die Fälschung

    Das Holzkästchen

    Das Brieffragment

    Anhang

    Anmerkungen

    Abkürzungen

    Glossar

    Personenregister

    Bildnachweis

    Danksagung

    Der Autor

    Vorwort

    Es ist ein Lächeln, das sich irgendwo zwischen Unverständnis und Mitleid bewegt. So kann man die Reaktion vieler etablierter Historiker beschreiben, wenn man erklärt, dass man zum Thema Geheimdienste arbeitet. Die Beschäftigung mit den Nachrichtendiensten wird von der traditionellen Zeitgeschichtsforschung immer noch als obskure Leidenschaft abgetan oder dem Bereich der Verschwörungstheorien zugeordnet. Nur allzu gern überlassen die promovierten Geschichtswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler diese Materie den Journalistinnen und Journalisten. Wobei diese Berufsbezeichnung von der akademischen Kanzel herab meistens abwertend gemeint ist.

    Dabei ist die Forschung im Bereich der Nachrichtendienste, etwa in den angelsächsischen Ländern, längst zu einer anerkannten wissenschaftlichen Disziplin geworden. In den USA, aber auch in Großbritannien sind die sogenannten „Intelligence Studies" ein Teilbereich der akademischen Welt. Zudem haben Nachrichtendienste wie die US-amerikanische CIA (Central Intelligence Agency), der englische MI6 (Military Intelligence, Section 6) und inzwischen auch der deutsche BND (Bundesnachrichtendienst) eine Reihe von Historikerinnen und Historikern in ihren Reihen, die die Geschichte der eigenen Organisation akribisch aufarbeiten.

    Während in Italien oder Österreich immer noch eine Kultur der völligen Abschottung, des Misstrauens und der Unzugänglichkeit nachrichtendienstlicher Archive vorherrscht (obwohl in Italien unter Ministerpräsident Silvio Berlusconi per Gesetz eigentlich eine Öffnung nach 30 Jahren festgelegt wurde, hat man dieses Gesetz mangels Durchführungsbestimmungen bis heute nicht umgesetzt), sind in den USA, in England, in Deutschland oder auch in Tschechien die Archive der Dienste für Forscherinnen und Forscher sowie Interessierte im Sinne der Transparenz längst geöffnet worden.

    Gerade hier aber prallen zwei Welten aufeinander: auf der einen Seite das Interesse der Forschung, Aktionen, Operationen und Hintergründe möglichst detailliert nachzuzeichnen, auf der anderen Seite die natürliche Aufgabe der Nachrichtendienste, ihre Arbeitsweise, ihre Methodik und vor allem ihre Spitzel, Agentinnen, Mitarbeiter, Informanten und Quellen vor einer Offenlegung zu schützen. Dass daraus ein kaum überbrückbarer Konflikt entsteht, wurde in den vergangenen Jahren im Rahmen der Arbeit der „Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes 1945−1968" (UHK) deutlich.

    Doch trotz vieler Steine, die einem in den Weg gelegt werden, ist heute anhand der zugänglichen Akten und in Italien anhand vieler Akten aus verschlossenen Archiven der verschiedenen Sicherheitsbehörden, die in Gerichtsakten Hunderter Verfahren eingeflossen und damit zum größten Teil „deklassifiziert", also freigegeben worden sind, eine seriöse Aufarbeitung dieser Vergangenheit und teilweise auch Gegenwart möglich.

    Südtirol ist ein kleines und unter einigen Gesichtspunkten auch provinzielles Land an der Schnittstelle zwischen zwei Kulturen. Als wichtigste Alpentransversale war dieses Gebiet historisch dazu prädestiniert, zu einer Operationszone für Nachrichtendienste und zum Schauplatz verdeckter Aktionen verschiedenster in- und ausländischer Sicherheitsbehörden zu werden. In dieser Buchreihe werden einige dunkle und bisher unbekannte Kapitel dieser klandestinen Geschichte aufgearbeitet.

    Es handelt sich um Regionalgeschichte mit einem klaren Bezug zur nationalen und internationalen Welt der Nachrichtendienste, aber auch um den Versuch, Akten aus Archiven in Deutschland, Italien, Österreich, der Schweiz, Tschechien und den USA zu einem Gesamtbild zu fügen, das dem Anspruch wissenschaftlicher historischer Forschung gerecht wird. Ob dieses Unterfangen erfolgreich war, wird die Zukunft weisen. Vor allem aber mögen das Berufenere beurteilen.

    Auch im vorliegenden Band liegt der Fokus auf den sogenannten Südtiroler Bombenjahren. Dabei zeigt sich, dass aufseiten der Dienste immer wieder dieselben Personen am Werk waren und sich die Handlungsweisen in vielen Fällen mehr als nur ähneln. Südtirol war jahrelang die Trainingshalle für unorthodoxe, „schmutzige Aktionen vor allem der italienischen Nachrichtendienste. Hier wurde das vorbereitet, was man später die „Strategie der Spannung nannte, nämlich jene zahlreichen Terroranschläge der 1970er- und 80er-Jahre, die unter „falscher Flagge" von italienischen Geheimdiensten, Rechtsextremisten und der Geheimloge P2 (Propaganda Due) ausgeführt wurden – mit dem Ziel, die Linke nach der Einbindung der Kommunistischen Partei (PCI) in die Regierung zu diskreditieren und den Staat zu destabilisieren. Bevor diese Aktionen auf nationaler Ebene umgesetzt wurden, erfolgte quasi der Probelauf in Südtirol.

    Daraus aber den allzu einfachen Schluss zu ziehen − wie es heute von politisch motivierten Kräften immer wieder geschieht −, dass die Männer des „Befreiungsausschusses Südtirol" (BAS) allesamt Engel und gewissermaßen gewaltlos agierende Idealisten waren und alle Attentate und Vorfälle, bei denen es Tote gab, von den Geheimdiensten verübt wurden, ist nicht nur historisch falsch, sondern fahrlässig.

    Was aber sicher stimmt: Einiges hat sich nicht so abgespielt, wie es bis heute dargestellt oder auch in den Gerichtsakten festgehalten wird. So etwa findet sich in diesem Buch unter anderem eine neue Lesart des blutigen Anschlages auf der Porzescharte, die sich weniger mit den Tätern als mit der Möglichkeit befasst, dass man im Nachhinein Beweise fabriziert hat, um ihrer habhaft zu werden.

    Mit besonderer Genugtuung erfüllt es mich, dass das Interesse der Leserinnen und Leser an diesem Thema überwältigend ist. Zusammen mit dem vorliegenden Buch geht nämlich die dritte Auflage des 2020 erschienenen ersten Bandes „Geheimdienste, Agenten, Spione. Südtirol im Fadenkreuz fremder Mächte" in Druck. Der erste Band hat weit über Südtirol hinaus Interesse und Aufmerksamkeit erregt.

    Was mich dabei am meisten überrascht hat, sind die vielen Rückmeldungen, die ich erhalten habe und immer noch erhalte. Es haben sich Dutzende Menschen gemeldet, um mir Fakten, Erlebnisse und Details mitzuteilen, die mit jenen Personen und Ereignissen zusammenhängen, die im ersten Band beschrieben werden. Es sind zum Teil Ergänzungen, aber auch neue, äußerst interessante Aspekte, die einer Vertiefung bedürfen und ganz sicher in meine weiteren Arbeiten einfließen werden.

    Jenen Kollegen, Mitstreiterinnen und Freunden, die mir bei meiner Forschungsarbeit in den vergangenen zwei Jahrzehnten selbstlos und kompetent mithilfe und Rat zur Seite gestanden haben und immer noch stehen, danke ich von Herzen. Ohne sie wären diese Bücher nie erschienen.

    Den Leserinnen und Lesern wünsche ich eine aufschlussreiche und spannende Lektüre.

    Christoph Franceschini

    General Gehlen, Magnago & die „Stasi"

    Südtirol-Expertin Viktoria Stadlmayer: „Direkter Draht zur Firma nach München".

    Reinhard Gehlen, Gründer und erster Präsident des BND hat ein persönliches Interesse und Naheverhältnis zu Südtirol. Aus seinem Vorzimmer wird jahrelang eine Informantin geführt, die über besonders exklusive Informationen zu Südtirol und dem „Befreiungsausschuss Südtirol" (BAS) verfügt: Viktoria Stadlmayer. Es ist ein Kapitel der Tiroler Zeitgeschichte, das bis heute im Dunkeln liegt.

    Es ist nicht einfach, das Schriftstück zu entziffern, das der Autor im März 2015 im Lesesaal in Pullach in den Händen hält. Zwei Jahre hatte er nach der Antragstellung gewartet, bis er Zugang zum Archiv des „Bundesnachrichtendienstes" (BND) erhalten hat. Nun liegen die Akten endlich vor ihm. Über 2.500 Seiten zum Thema Südtirol, die vom Bereich Archivwesen des BND nach eingehender Prüfung deklassifiziert und mit etlichen Schwärzungen freigegeben wurden. In dem schmalen Akt geht es um eine Anfrage des Bayerischen Landeskriminalamtes (BLKA) an den BND in Sachen Südtirol und um die „Frage der Federführung in der Südtirol-Angelegenheit".¹ Darin enthalten ist eine handschriftliche Notiz, datiert auf den 28. November 1961:

    Bei Rücksprache mit Dr. Lückrath habe ich den Eindruck gewonnen, dass unser Dienst viel mehr Verbindungen nach Südtirol hat, als in der uns vorliegenden Meldungsübersicht erscheinen. […] Dr. L. glaubt z. B. sicher zu sein, dass Dr. Magnago selbst in irgendeiner Verbindung zum BND steht. Bevor man die Vielzahl dieser möglichen Indiskretionspunkte nicht in den Griff bekommt, ist die Frage von L 180 aus hiesiger Sicht mir nicht möglich zu beantworten.²

    Südtirols Landeshauptmann Silvius Magnago soll persönlich mit dem BND in Verbindung gestanden sein? Das wäre ein Clou. Aber zuerst ist es vor allem akribische Recherchearbeit, um die vielen Verbindungslinien zusammenzuführen und das komplexe System von Deck- und Tarnnamen zu enthüllen. Denn bereits diese wenigen handschriftlichen Zeilen machen eine grundsätzliche formale Schwierigkeit in der Beschäftigung mit den Nachrichtendiensten im Allgemeinen und mit dem BND im Besonderem deutlich: Die Abschottung nach außen aber auch nach innen gehört zur Natur von Nachrichtendiensten. Grundsätzlich versucht man die eigene Struktur so zu verschleiern, dass Außenstehende sich äußerst schwertun, die Organisation zu durchschauen und einzelne Dienststellen und Mitarbeiter zu identifizieren. Wie obiges Zitat zeigt, sollen sich Verbindungslinien auch intern nur einem kleinen Kreis erschließen. Alle Geheimdienste greifen deshalb nicht nur für ihre Spione und Agenten auf Deckbezeichnungen zurück, sondern auch das eigene Personal bekommt Decknamen, die es im Dienst verwenden muss. Diese Namen werden mit DN abgekürzt, was offiziell für „Dienstnamen" steht.³ Ebenso werden alle Dienststellen und Abteilungen mit Tarnnamen oder Tarnchiffren versehen.

    Heraus kommt dabei ein Gewirr an Zahlen, Bezeichnungen und Namen, das nur sehr schwer zu durchschauen und nachzuvollziehen ist. Erschwert wird das Ganze zudem dadurch, dass die gesamte Struktur periodisch immer wieder umbenannt wird – auch das eine Vorsichtsmaßnahme gegen eine Enttarnung durch feindliche Dienste – und dass eine Person oder eine Dienststelle gleichzeitig unter mehreren verschiedenen Decknamen und Tarnziffern operiert.

    BND-Gründer und -Präsident Reinhard Gehlen: Persönliches Interesse an Südtirol.

    Reinhard Gehlen, der Gründervater und Leiter der „Organisation Gehlen" (Org.) und erster Präsident des BND, kultivierte diese Verwirrungstaktik besonders intensiv. Gehlen, der den DN „Dr. Schneider (umgangssprachlich innerhalb des BND auch „Professor) trägt, operiert in der Org. zwischen 1947 und 1956 anfänglich unter der Tarnchiffre „34, wechselte dann auf „50 und später auf „88". Als aus der Org. 1956 der „Bundesnachrichtendienst" (BND) wird, firmiert der Chef zuerst als „70, dann jahrelang als „160 oder „363".

    Bei jedem Chiffrenwechsel änderte auch die gesamte BND-Struktur ihre Bezeichnungen. So wurden etwa enge Mitarbeiter der Dienststellenleiter entweder durch den alphabetischen Zusatz a bis z oder durch römische Ziffern gekennzeichnet. „160/I zum Beispiel war der persönliche Referent von Reinhard Gehlen, „160/II seine persönliche Sekretärin und Büroleiterin.

    Weil es bis heute keinerlei wirklich schematische Übersicht über die Tarnziffern und Decknamen gibt, ist bereits eine Rekonstruktion der handelnden Dienststellen und Personen eine detektivische Kleinarbeit. Dem Berliner Historiker Ronny Heidenreich, Mitglied der Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Geschichte des Bundesnachrichtendienstes (UHK), gebührt das Verdienst, 2019 erstmals einen solchen Überblick zusammengestellt und publiziert zu haben.⁵ Wer also ist dieser „Dr. Lückrath", der im November 1961 mutmaßt, dass der Südtiroler Landeshauptmann und langjährige Obmann der Südtiroler Volkspartei Silvius Magnago direkte Kontakte zum BND habe?

    Hinter dem DN „Lückrath verbirgt sich Hans Georg Langemann (1925–2004). Der Jurist aus Westfalen kommt 1957 zum BND und macht eine steile Karriere. „Lückrath, der die Tarnziffer 348a führt, wird zu einer der engsten Vertrauenspersonen von Reinhard Gehlen. Als der BND-Gründer 1968 in Pension geht, wird „Lückrath als BND-Resident nach Rom versetzt, also als offizieller Vertreter des BND in Italien. Dort betreut er weiterhin sein weltweit verzweigtes Spitzelnetz, bis er 1970 aus dem BND ausscheidet. Langemann landet in der Bayerischen Staatskanzlei, zuerst als Sicherheitsberater für die Olympischen Spiele in München 1972 und dann als Leiter der neuen Abteilung „Staatsschutz im bayerischen Innenministerium. Im Mai 1982 wird der oberste bayerische Staatsschützer verhaftet. Langemann wird beschuldigt, zwei Journalisten interne Informationen und Dokumente über BND-Operationen weitergegeben zu haben. Er wird eineinhalb Jahre später deshalb auch zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

    Hans Langemann alias „Lückrath" wird Anfang der 1960er-Jahre innerhalb des BND zu einem der wichtigsten Akteure im „Strategischen Dienst". Dabei handelt es sich um eine Art Geheimdienst im Geheimdienst. Diese Struktur ist rund zwei Jahrzehnte lang abgeschirmt vom restlichen BND in allen Bereichen tätig, sammelt Meldungen, führt im In- und Ausland Agenten und Zuträger und finanziert und organisiert nachrichtendienstliche Operationen. Die Hauptaufgabe des „Strategischen Dienstes" ist es dabei vor allem, Reinhard Gehlen zuzuarbeiten. Der mächtige BND-Präsident hält sich somit eine Art Sonderdienst, den er von Beginn an mit absoluten Vertrauensleuten besetzt.

    An der Spitze des „Strategischen Dienstes (Tarnchiffre „180) steht der in der Notiz genannte „L 180, wobei das L für „Leiter steht. Dabei handelt es sich um Wolfgang Langkau (1903–1991), einen ehemaligen Artillerieinspekteur der Wehrmacht, der nach Erfahrungen in der Abwehr bereits Anfang der 1950er-Jahre zur Org. kommt. Langkau (DN „Holten oder „Langendorf, Tarnziffer „180 oder „273) steht wie Reinhard Gehlen im Generalsrang und wird im BND zu dessen rechter Hand. Die beiden Generäle Gehlen und Langkau prägen mit ihren militärischen Umgangsformen zuerst die „Organisation Gehlen und dann den BND nachhaltig. General Langkau alias „Holten hat seinen Dienstsitz in Pullach in der ehemaligen Villa von Hitlers Geliebter Eva Braun. Deshalb trägt das weltweit verbreitete Agentennetz des „Strategischen Dienstes, das Hans Langemann alias „Lückrath in den 1960er-Jahren aufbaut, auch den Titel „Operation EVA".

    Hans Langemann alias „Lückrath" (beim Prozess in den 1980er-Jahren): Vermutet kommunistischen Einfluss in der Südtirol-Frage.

    Bei „Lückrath und „Holten laufen im BND jahrelang alle Fäden in Sachen Südtirol zusammen. Zuständig für die außenpolitische Aufklärung, bereiten sie die Informationen für Reinhard Gehlen vor und beeinflussen nachhaltig die Gangart des deutschen Nachrichtendienstes in der heißen Phase des Südtirol-Konflikts.

    Daneben gibt es noch einen weiteren engen Gehlen-Vertrauten, der zuerst innerhalb der Org. und dann im BND von Beginn an in Sachen Südtirol mitmischt: Hans Walter Julius Winter (1915–1985), von Studium und Beruf Mediziner, wird 1948 von Reinhard Gehlen persönlich für den deutschen Nachrichtendienst angeworben. Winter, der den DN „Wilden" trägt, ist jahrzehntelang in Pullach in leitenden Positionen tätig, unter anderem als Leiter der BND-Abteilung „Verbindung zu den Partnerdiensten" (Tarnziffer „424").

    Es sind also innerhalb der deutschen Geheimdienste eine Handvoll Personen mit dem Thema Südtirol betraut, aus den BND-Akten geht jedoch eines eindeutig hervor: Es ist vor allem Reinhard Gehlen, der ein besonderes Interesse an Südtirol hat. Der mächtige BND-Chef greift im Laufe der Jahre immer wieder in Geheimdienstabläufe ein und wird auch selbst tätig. Fortsetzung

    Der Mann im Vatikan

    Der BND hat einen hochkarätigen Kleriker aus dem Vatikan in seinen Diensten. Es handelt sich um einen Südtiroler Latinisten, dessen tiefgründige Analysen bestechend sind.

    Der „Lagebericht über Südtirol" trägt das Datum 3. Mai 1961. In dem Schreiben heißt es:

    Es ist keine große Genugtuung für den Berichterstatter, wenn er melden muss, dass die früher gemachten Voraussagen über eine Zunahme der Terrorakte durch die Ereignisse in den letzten Wochen bestätigt wurden.

    Trotz fieberhafter und systematischer Tätigkeit der italienischen Behörden gelang es noch nicht, einen der Sprengstofftäter zu finden. Das bestätigt die frühere Vermutung, dass eine verhältnismäßig kleine, aber gut organisierte Gruppe am Werke ist. Es dürfte heute auch kaum mehr ein Zweifel daran bestehen, dass die Terroristengruppe nach einem genau überlegten Plan arbeitet. Es wird nur Sachschaden zugefügt, es geht den Terroristen um die psychologische Wirkung. Ohne es zu wollen, unterstützen die italienischen Behörden mit ihren Maßnahmen diese Zielsetzungen: Sie richten sich vornehmlich auf die lokalen Spitzen der SVP und der Südtiroler Schützen; diese werden beinahe in ganz Südtirol systematisch verhört und verhaftet, um dann nach einigen Tagen wieder freigelassen zu werden, weil man nichts Belastendes feststellen konnte. […] Die dadurch hervorgerufene Unruhe in Südtirol und die zunehmende Verbitterung der Bevölkerung über die willkürlichen Verhaftungen waren wohl ein Ziel der Terroristen. Für die weitere Entwicklung scheint die Feststellung nicht unerheblich zu sein, dass die Südtiroler Bevölkerung über die Sprengstoffanschläge in ihrer Mehrheit keineswegs entrüstet ist, sondern sie mit einer gewissen Schadenfreude verfolgt, mit Ausnahme natürlich jener Kreise, die am Fremdenverkehr interessiert sind.

    Für die Terroristen ist diese Haltung der Südtiroler eine gute Ausgangsstellung, um ihre Aktionen zu intensivieren. Ob sie damit einen von der Bevölkerung aktiv mitgetragenen Aufstand vorbereiten wollen, kann nicht festgestellt werden.

    Dies ist nur einer von Dutzenden solcher Lageberichte, die heute im Archiv des BND ruhen. Gezeichnet sind sie mit einer Datumsangabe in römischen Ziffern und dem Kürzel „SV EGG. Die Abkürzung SV steht dabei für „Sonderverbindung. Die Sonderverbindungen im BND sind eine ganz eigene Kategorie von Mitarbeitern. Der langjährige Chef-Historiker des BND Bodo Hechelhammer beschreibt sie als „hochgestellte Persönlichkeiten mit größten Einblicks- und Einwirkungsmöglichkeiten, die zur Unterstützung begrenzter ND-Vorhaben [ND = Nachrichtendienst – Anm. d. Autors] herangezogen werden."

    In einem internen BND-Papier werden die Sonderverbindungen wie folgt charakterisiert:

    Personen, die, ohne selbst Mitglied des BND zu sein, ständig oder fallweise zur Gewinnung von Erkenntnissen oder sonstigen nachrichtendienstlichen Hilfestellungen zur Verfügung stehen und, zumindest fallweise, in die nachrichtendienstlichen Zusammenhänge eingeweiht sind. Sie können für ihre Tätigkeit eine materielle oder ideelle Hilfe erhalten.¹⁰

    „SV EGG ist eine dieser Sonderverbindungen, die zwischen 1960 und 1965 Analysen über Südtirol und die dortige Situation abliefern. Es sind historische Dokumente, die auch heute noch ihren Wert haben. „SV EGG ist ein Intellektueller, der über beste Kontakte zur hohen Politik, aber auch zur Kirche verfügt. Das geht aus all seinen Berichten hervor. So verfasst „EGG" etwa im Oktober 1961 einen 35-Seiten-Bericht zu Südtirol, der nicht nur von einer beeindruckenden Detailgenauigkeit ist, sondern vor allem mit großem Insiderwissen und einer bestechenden Analysefähigkeit alle wichtigen Bereiche der damaligen Krisensituation rund um Südtirol beschreibt. „Erstaunlich ist der Erkenntnisstand und das Eindringen in die Hintergründe", urteilt man in Pullach über die Arbeit dieses Südtirol-Fachmanns.¹¹

    „SV EGG wird deshalb vom BND auch vermehrt als Gutachter eingesetzt. Das heißt: Dem Mitarbeiter werden die Berichte anderer Informanten und Agenten über Südtirol zugestellt. Er verfasst dann Gutachten über die Meldungen, die in Pullach eintreffen. Sehr oft geht „SV EGG dabei mit den BND-Informanten hart ins Gericht und deckt Fehler, falsche Einschätzungen und Ungenauigkeiten in den Meldungen auf.

    Aus den Akten geht auch hervor, dass die Sonderverbindung „EGG von General Wolfgang Langkau (DN „Langendorf) angeworben und geführt wird und dass diese Sonderverbindung ursprünglich in einem anderen Bereich als Südtirol tätig ist. So schreibt Wolfgang Langkau im Herbst 1960 an die Sekretärin und Vertraute von BND-Chef Reinhard Gehlen Annelore Krüger (DN „Kunze")¹²:

    Lagebericht von Sonderverbindung „EGG": Inhaltsangabe eines 35 Seiten langen Berichtes über Südtirol.

    Meine SV EGG, die in diesem Zusammenhang vermehrt herangezogen wird und auch einen Gesprächspartner für ST [gemeint ist Südtirol – Anm. des Autors] abgeben könnte.¹³

    Dass die Berichterstattung über Südtirol nur eine Art Nebenprodukt ist, wird klar, wenn man weiß, in welchem Bereich „SV EGG" seine Haupttätigkeit für den BND entfaltet. Sein Spezialgebiet ist die Kirche. Das geht aus einem „Verteiler von Ausarbeitungen über Angelegenheiten im Kirchlichen Bereich" hervor, in dem der BND jene Fachleute auflistet, die in Sachen Vatikan und Kirche mit geheimen Informationen versorgt werden. In der Anweisung heißt es:

    „Geheim- und „Vertraulich-Stempel auf den Informationen müssen weggeschnitten werden, dafür Stempel „Meldedienstliche Verschlusssache"; grundsätzlich ohne Vorblätter und lediglich mit Datum versehen.¹⁴

    Es ist ein hoch exklusiver Empfängerkreis, der in dem Verteiler angeführt ist: elf Personen, die vorwiegend mit ihren Decknamen gekennzeichnet sind. So steht der Deckname „Zepter für den CDU-Politiker und Bundesminister für besondere Aufgaben Heinrich Krone (1895–1989), der Deckname „Globus für Konrad Adenauers Staatssekretär und Vertrauensmann Hans Globke (1898–1973). Hinter dem Decknamen „Du verbirgt sich der Leiter der Katholischen Akademie Bayerns Karl Forster (1928–1981). „Eigenheim steht für den Erzbischof von München und Freising Kardinal Julius Döpfner (1913–1976), „Künstler für den evangelischen Militärbischof Hermann Kunst (1907–1999) und „Ob für den Journalisten und Herausgeber des „Rheinischen Merkur" Otto Bernhard Roegele (1920–2005).

    Es werden aber auch einige Empfänger mit Klarnamen angeführt. Es sind der Berliner Generalvikar Walter Adolph (1902–1972), der Regensburger Bischof Rudolf Graber (1903–1992), dessen Bruder Siegfried Graber (DN „Gay") hauptberuflich für den BND tätig ist, und der damalige Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Rainer Barzel (1924–2006). Auf der Liste finden sich aber auch zwei Personen mit einem direkten Bezug zu Südtirol.

    Einer der Empfänger der kirchlichen Nachrichten ist ein „Dr. Spaten. Es ist der Deckname für Johannes Schauff (1902–1990). Schauff wird 1932 als jüngster Abgeordneter der Zentrumspartei in den Reichstag gewählt. Ab 1934 steht er mit Widerstandskreisen in Verbindung. 1934 reist er erstmals nach Brasilien, wo er wenig später einer der Gründer von „Rolândia wird, einer Kolonie für deutsche Auswanderer. 1937 zieht Johannes Schauff mit seiner Familie nach Rom, ein Jahr später wandern sie nach Brasilien in die „Rolândia" aus, wo Schauff eine Farm erwirbt.

    Streng geheime BND-Verteilerliste: Südtirol-Fachmann „EGG" an erster Stelle.

    Zwei Jahre nach Kriegsende kehrt Schauff nach Rom zurück. Der Jurist, der enge Beziehungen zu Bundespräsident Heinrich Lübke (1894−1972) hat, arbeitet nun für die deutsche Politik als Vermittler und Emissär. Zudem hat Schauff beste Kontakte zum Vatikan. Während des Zweiten Vatikanischen Konzils finden wichtige Verhandlungen in seiner Wohnung in Rom statt.

    Einer der Fixpunkte des Kosmopoliten ist zeit seines Lebens aber Südtirol. Karin und Johannes Schauff haben in Bozen eine Wohnung, jahrzehntelang lebt die gesamte Familie in Sterzing. Nach ihrer Rückkehr aus Brasilien zieht die Familie Schauff in den Ansitz „Löwenegg" in Thuins bei Sterzing ein. Bereits in den 1930er-Jahren hatte der deutsche Theologe Ludwig Kaas (1881–1952) den Ansitz erworben. Kaas war Vorsitzender der Zentrumspartei und einer der Mentoren von Schauff, 1934 wird er Sekretär des Kardinalskollegiums im Vatikan und Domherr des Petersdoms. 1952, nach dem Tod von Ludwig Kaas, kaufen Karin und Johannes Schauff das herrschaftliche Anwesen.

    Johannes Schauff wird einer der renommiertesten Südtirol-Experten der deutschen Nachkriegsregierungen. Bei der sogenannten Rückoption und den Kriegsentschädigungen wird Schauff zum wichtigsten Verhandler zwischen Bozen und Rom. So ist er der Kopf des „Beratungsausschusses für Umsiedlungsgeschädigte" und arbeitet dabei eng mit SVP-Politikern wie Karl Mitterdorfer zusammen.¹⁵ Schauff ist auch eng mit Kanonikus Michael Gamper befreundet. Weniger bekannt ist, dass Johannes Schauff unter dem Decknamen „Dr. Spaten" als Sonderverbindung für den BND tätig ist. Schauff gehört dabei von Anfang an zum engeren Kreis um BND-Präsident Reinhard Gehlen.

    Besonders interessant aber ist der erste Name, der auf der Empfängerliste des erwähnten „Verteilers von Ausarbeitungen über Angelegenheiten im Kirchlichen Bereich" steht, nämlich „EGG. Wer ist nun dieser Mann, der in der BND-Hierarchie noch über Bundesministern und deutschen Bischöfen zu stehen scheint? Klar ist: „EGG muss auch in der Kirche eine besondere Rolle einnehmen. Und er muss ein Südtiroler sein. Auch das geht aus dem internen BND-Schriftverkehr hervor. So fragt der „Strategische Dienst" im BND im Jänner 1962 bei Wolfgang Langkau zu einem Lagebericht von „SV EGG" zu Südtirol nach: „Da der Verfasser in der Materie lebt, hat er neue Erkenntnisse?"¹⁶

    Hinter „SV EGG verbirgt sich ein kaum bekannter Südtiroler Theologe, der im Vatikan jahrzehntelang eine Spitzenposition einnimmt: Karl „Carolus Egger (1914–2003). Karl Egger, der sich auch Carlo oder Carolus Egger nennt, wird am 10. Februar 1914 in Silz bei Innsbruck geboren und wächst in Sterzing auf, von wo seine Familie stammt. Nach dem Besuch des Vinzentinums in Brixen tritt er 1933 einem Konvent der lateranensischen Chorherren in Gubbio bei und wird 1937 zum Priester geweiht. Er promoviert am päpstlichen Institut Angelicum in Theologie und an der römischen Universität La Sapienza in alter Literatur und Philosophie. Seit seinen Oberschuljahren widmet sich Karl Egger der lateinischen Sprache. 1942 wird er zum privaten Hauslehrer der Neffen von Papst Pius XII. 1949 beruft ihn Papst Pius XII. zum Mitarbeiter des „Ufficio Latino im Vatikanischen Staatssekretariat. Schon bald steigt der Südtiroler Priester dort zum Chef-Latinisten des Vatikans auf. Egger dient unter fünf verschiedenen Päpsten als Leiter des lateinischen Büros. Unter Paul VI. gründet der Vatikan die Stiftung „Latinitas, der er bis zu seinem Tod als Präsident und Ehrenpräsident vorstehen wird.¹⁷

    Abt und Chef-Latinist Karl Egger: Jahrelang Spitzenquelle des BND im Vatikan.

    Carolus Egger hat als Abtprimas − darunter versteht man den obersten Leiter einer Ordensgemeinschaft − der Augustiner Chorherren 1961 die Windesheimer Kongregation der lateranensischen Chorherren wiederbelebt und 1963 in Tor Lupara bei Rom ein erstes Kloster errichtet. 1974 folgt dann eine weitere Klostergründung in Paring bei Regensburg. Dort verstirbt Karl Egger am 1. September 2003.

    Während des Zweiten Weltkriegs wird Karl Egger von Papst Pius XII. beauftragt, in Rom als eine Art Vermittler zu den deutschen Besatzern zu fungieren. Da Egger deutscher Muttersprache ist, gelingt es ihm, in direkten Kontakt mit deutschen Generälen zu kommen. Egger kann so vielen Flüchtlingen helfen − vor allem Juden. Unmittelbar nach Kriegsende ist er auch als Seelsorger in den Gefangenenlagern tätig, in denen die Alliierten deutsche Nazis und Soldaten in Italien internieren.

    Aus dieser Zeit dürften auch die Kontakte stammen, die in den 1950er-Jahren den Lateinexperten aus dem Vatikan schließlich zur Sonderverbindung des BND machen. Der hohe Status, den „SV EGG" beim deutschen Nachrichtendienst einnimmt, hat einen einfachen Grund. Im Vatikan ist Latein die Amtssprache, alle Dokumente werden auf Latein verfasst und dann erst in die verschiedenen Sprachen übersetzt. Das heißt: Mit dem Chef-Latinisten hatte der BND einen Mann im Vatikan, der jede öffentliche Stellungnahme des Papstes oder des Staatssekretariats, jede Enzyklika und sämtliche Dokumente der römischen Kurie zu sehen bekommt, lange bevor diese an die Öffentlichkeit gehen. Karl Egger nimmt in diesem Sinne auch beim Zweiten Vatikanischen Konzil und bei der anschließenden Reform der katholischen Liturgie eine führende Rolle ein. Eine solche Spitzenquelle ist für jeden Nachrichtendienst unbezahlbar.

    Sonderverbindung „EGG dürfte bei mehreren Operationen des BND aktiv mitgewirkt haben, so etwa bei der Operation „Pomeranze, die der Autor aus den ihm vorliegenden Akten leider nicht rekonstruieren kann. Sicher ist jedoch, dass General Wolfgang Langkau alias „Langendorf" „seine Sonderverbindung EGG" ab 1960 vermehrt in Südtirol-Angelegenheiten einsetzt. Eggers Lageberichte und Stellungnahmen zeugen von beeindruckendem Detailwissen. So ist etwa die Darstellung der SVP-internen Kämpfe zwischen der Gruppe um Silvius Magnago und der Gruppe „Aufbau, die „EGG im Herbst 1961 nach Pullach schickt, eine politische Analyse, die sich wie ein Krimi liest. Hier ist ein Gelehrter am Werk, der schreiben kann. Der Mann hat direkte Verbindungen zu Südtiroler Geistlichen und zu Politikern, die dem Chef-Latinisten immer wieder vertrauliche Informationen aus erster Hand liefern. Einer davon ist der SVP-Gründer und Parlamentsabgeordnete Friedl Volgger. So heißt es in einer Stellungnahme von „EGG" zur „kommunistischen Taktik in Südtirol":

    Dr. Fr. Volgger hat dem Berichterstatter persönlich über seine Kontaktaufnahme mit jugoslawischen Stellen berichtet. Der Berichterstatter hat Dr. Volgger in keiner Weise kommunistische Gesinnung unterstellt, da er ihn ja kennt.¹⁸

    Dass sich Friedl Volgger und Karl Egger bestens kennen, hat einen einfachen Hintergrund. Beide stammen aus dem Sterzinger Raum und sind 1914 geboren. Volgger und Egger haben auch gemeinsam das Gymnasium Vinzentinum in Brixen besucht.

    Viktoria Stadlmayer alias „Stasi"

    Anfang Mai 1963 wird der Innsbrucker Universitätsassistent und BAS-Mann Norbert Burger von der deutschen Polizei verhaftet. Bei der Durchsuchung einer konspirativen Wohnung in München am 7. Mai 1963 stellen die Beamten des Bayerischen Landeskriminalamtes auch ein Buchmanuskript sicher. Das Schriftstück mit dem Titel „Die Nachfolger des Judas von Tirol" ist über 100 Seiten lang. Norbert Burger gibt im Verhör vor der Polizei zu, der Verfasser des Werkes zu sein.¹⁹ Im Manuskript geht Burger auch auf die Rolle von Viktoria Stadlmayer, der Leiterin des Südtirol-Referates in der Tiroler Landesregierung, im sogenannten Südtiroler Freiheitskampf ein. Burger erinnert an eine Aussprache mit Stadlmayer, die über Vermittlung des Innsbrucker BAS-Mannes Helmuth Heuberger im Juli 1961 im Haus des damaligen Chefs der Innsbrucker BAS-Gruppe Heinrich Klier stattgefunden haben soll. Dann schreibt Norbert Burger:

    Immer wieder taucht die Vermutung auf, dass der Bundesdeutsche Nachrichtendienst, die Organisation Gehlen, ihre Hand bei der Aufdeckung der Südtiroler Freiheitskämpfer im Spiel haben könnte. Die mannigfaltigsten Spekulationen und Kombinationen wurden angestellt. Warum aber in die Ferne schweifen, wenn das Gute (oder hier das Böse) liegt so nah?

    Schließlich wissen es nicht nur die Nachrichtenoffiziere in München, dass Frau Doktor Stadlmayer zum Chef dieses Nachrichtendienstes, General Gehlen, intime Beziehungen pflegt.²⁰

    Ein harter und absurder Vorwurf? Eine Verleumdung? Könnte sein, denn das Verhältnis zwischen Viktoria Stadlmayer und Norbert Burger gleicht jenem zwischen Hund und Katze. Die Nordtiroler Leiterin des Südtirol-Referates hat alles nur Mögliche unternommen, um den Einfluss des Rechtsradikalen und späteren Gründers der österreichischen Nationaldemokratischen Partei (NDP) Norbert Burger in und um Südtirol zu schmälern. Andererseits hatte Norbert Burger durchaus Kontakte zu BND-Mitarbeitern, demnach könnte einer dieser BND-Leute, die mit den rechten Kreisen um Burger sympathisiert haben, diese Geschichte durchgestochen haben. Tatsache ist, dass der Kontakt Gehlen-Stadlmayer nicht aus der Luft gegriffen ist. Das belegen die Akten aus dem BND-Archiv.

    Fast alle Berichte aus und über Südtirol gehen direkt zum Leiter des Nachrichtendienstes Reinhard Gehlen. Der Chef der Org. und des BND hat ein besonderes Interesse an Südtirol, er selbst und sein engstes Umfeld sind in den 1950er- und 1960er-Jahren in Sachen Südtirol nachrichtendienstlich aktiv tätig. Das zeigt neben vielen anderen Dokumenten auch eine unscheinbare Notiz in den Pullacher Akten zu Südtirol. Anfang 1965 verfasst der Leiter der Abteilung „Gegenspionage", Hans Georg Langemann alias „Lückrath", einen Übersichtsbericht über den „Kommunistischen Einfluss in der Südtirol-Frage", der für Reinhard Gehlen persönlich bestimmt ist. „Nach Abflauen der Hauptattentatswellen war der BND in der Südtirol-Frage nur mehr rezeptiv tätig, ohne aktive Aufklärungsoperationen zu betreiben", schreibt Lückrath einleitend. Der Bericht geht wenig später an den Verfasser zurück, versehen mit einer handschriftlichen Anmerkung seines Vorgesetzten Wolfgang Langkau genau an dieser Stelle. Langkau schreibt: „Laut 106 nicht zutreffend, da eigene Quellen bzw. Operationen bei 106 laufen."²¹ Hinter der Tarnziffer „106" verbirgt sich Reinhard Gehlen, der Gründer und erste Präsident des BND. Gehlen

    Enjoying the preview?
    Page 1 of 1