Der alte Meister Brack: Fahrräder, Nähmaschinen und ein Lebenskünstler
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About this ebook
Ein Vierzehnjähriger bekommt bei einem kauzigen Fahrrad- und Nähmaschinenspezialisten seinen ersten Ferienjob.
Für 5,-- D-Mark pro Stunde lernt er Reifen zu flicken, Schaltungen einzustellen, die geheimen Funktionen von Nähmaschinen zu verstehen und die Dinge zu schätzen und zu bewahren.
Dabei bringt ihm der alte Meister Brack seine ganz eigener Sicht der Welt und des Lebens auf eine Weise nahe, die er nie wieder vergessen wird.
Matthias Herbert
Matthias Herbert wurde 1960 in Darmstadt geboren. Nach einem bis dahin eher ereignisarmen Leben machte er 1979 das Abitur und wurde zum Entsetzen vieler Polizist. Als Ordnungshüter stand er bald vor der Wahl, depressiv zu werden oder mit dem Schreiben zu beginnen. Er wählte eine Mischform: Er verfasste fortan kaum verständliche und traurige Prosa. Nach drei Jahren zog er die Uniform aus und hat seitdem eine Allergie gegen grüne Kleidung. Es folgte ein orientierungsloses Jahr, dann schrieb er sich zum Studium von Germanistik, Buchwesen und Publizistik in Mainz ein. Ein gleichzeitig eintreffender Nachwuchsliteraturpreis überzeugte ihn davon, dass er als Autor vielleicht doch nicht talentfrei war. Bald musste er aber feststellen, dass die Germanistik Literatur auseinandernimmt und nicht zusammensetzt und verlor die universitäre Motivation. Während er mehr schrieb als studierte, arbeitete u.a. als Kraftfahrer, Bäcker, Fensterputzer, Buchclubwerber, Druckereigehilfe, Installateur, Gärtner, Offsetmonteur, Meinungsforscher, Gewächshausverkäufer, Bewässerungskonstrukteur, Reprofotograf und Hifi-Händler. Neben einem unlesbaren Roman und diversen Erzählungen produzierte er in der Zeit verschiedene Theaterstücke, veranstaltete Literaturworkshops und -Feste und betreute mehrere Jahre eine Gruppe junger Autoren, aus der diverse, heute namhafte Künstler bzw. Journalisten hervorgingen. Geld verdiente er als Schriftsteller aber erst, als er anfing, Krimis für Illustrierte zu schreiben. Aus genau dieser Zeit stammt die vorliegende Sammlung von Kurzgeschichten über Mord und Totschlag, die allesamt zwischen 1997 und 2000 in Publikums-Zeitschriften aus der sogenannten Yellow-Press veröffentlicht wurden. Rundfunkarbeiten und eine Einladung zu einem Drehbuchseminar der Bertelsmann-Stiftung folgten. 1988 gab Matthias Herbert seinen letzten Brotjob auf und versuchte seinen Traum zu leben, als freier Schriftsteller zu existieren. Da er mit seinem ersten Drehbuch gleich als die Entdeckung des Jahrzehnts gefeiert wurde, musste er sich um Aufträge erst einmal keine Sorgen machen. Er gab das Prosaische nahezu vollständig auf und widmete sich filmischem Mord und Totschlag. Gute 30 Jahre später hat er mehr als tausend Tote auf dem Gewissen und über 350 Drehbücher verfasst. In einer der periodischen Wirtschafts- und Fernsehkrisen besann er sich dann auf seine Wurzeln und fing wieder mit Prosa an. Er folgte seiner heimlichen Liebe zur Fantasy und er erfand seine eigene
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Book preview
Der alte Meister Brack - Matthias Herbert
für
Kurt und Eva
Inhalt
Die Siebzigerjahre
Arbeiten bei Meister Brack
Meister Brack und das Wasser
Meister Bracks Garten
Winter in Meister Bracks Werkstatt
Meister Bracks Reiselust
Meister Brack und das Geld
Meister Brack und seine Feinde
Meister Bracks Werkzeuge
Meister Bracks Rennrad
Meister Bracks Söhne
Meister Brack und die Sonntage
Osterzeit bei Meister Brack
Meister Bracks alte Werkstatt
Meister Bracks Jagd
Ein schlechter Tag bei Meister Brack
Meister Brack und die alten Fahrräder
Meister Bracks Freund
Meister Bracks Tricks
Meister Brack und der Fußball
Meister Brack und die Zeit
Meister Bracks Tante
Meister Bracks Vögel
Meister Brack und seine Helfer
Meister Brack und der liebe Gott
Der andere Mann bei Meister Brack
Meister Brack baut
Ein Besuch bei Meister Brack
Der Autor
Die Siebzigerjahre
Es war eine Zeit, die von Mondlandungen über Ölkrisen bis zur Friedensbewegung reichte, und wenn ich heute davon rede, dann schauen mich viele mit einem Blick an, den ich damals auch drauf hatte: Opa erzählt vom Krieg.
Dieser war den Menschen tatsächlich sowohl von den Jahren als auch von den Gefühlen her noch viel näher als die aktuelle Gegenwart den Siebzigern und sein Ende gerade einmal 35 Jahre her.
Auch der alte Meister Brack war davon geprägt.
Denn der Krieg hatte ihn aus seiner geliebten Heimatstadt vertrieben, wo er eine sehr große Werkstatt besessen hatte.
Doch all das lag nun unerreichbar hinter dem Eisernen Vorhang.
Den alten Meister Brack hat es wirklich gegeben.
Alle kannten ihn in der kleinen Stadt, in der ich die meiste Zeit meiner Jugend verbrachte, auch wenn er nicht dort geboren war und sein ganzes Leben lang eher ein Außenseiter blieb, obwohl er mitten im Leben stand.
Man achtete den alten Meister Brack und seine Eigenheiten und nahm sie als gegeben hin – eine Ehre, die wahrlich nicht jedem Zugereisten in dieser Stadt zuteilwurde.
Aber der alte Meister Brack war nun einmal die erste Adresse, zu der man in unserem Ort ging, wenn man ein Fahrrad brauchte oder der Frau eine neue Nähmaschine schenken wollte.
Oder wenn eine zu reparieren war, ob sie noch mit dem Fußpedal bedient wurde oder schon einen elektrischen Motor hatte. Den oft genug der alte Meister Brack selbst nachgerüstet hatte.
Es gab zwar noch einen weiteren Laden, der auch Fahrräder im Angebot hatte, aber der war keine Konkurrenz, weil es da niemanden gab, der alles wieder zum Laufen bringen konnte.
Den Namen meines alten Meisters habe ich geändert. Aber das, was ich über ihn erzähle, ist nicht frei erfunden, wie es immer so schön heißt. Es ist alles wahr und wirklich geschehen.
Oder vielleicht besser: Ich erinnerte mich genau so daran, als ich Anfang des aktuellen Jahrtausends begann, diese kleinen Episoden aus meiner Jugend aufzuschreiben. Erst war es nur eine einzelne Anekdote, dann wurden es mehr und mehr.
Die Sammlung an skurrilen Geschichten vom alten Meister Brack hatte sogar schnell einen kleinen Verlag gefunden.
Aber wie es damals eben so war, scheiterte der Nebenerwerbsunternehmer vor der Veröffentlichung meines Buchs an seinen allzu hochfliegenden Plänen, und die Geschichten vom alten Meister Brack landeten trotz Verlagsvertrages irgendwann irgendwo in meinem Archiv.
Genau dort habe ich sie unlängst wieder gefunden, gelesen und gedacht, es könnte sich vielleicht der eine oder die andere für derlei interessieren.
Für Anekdoten aus einer Zeit ohne Internet, Fußballbundesliga live, Smartphone 24/7.
Einer Zeit mit nur dreieinhalb Fernsehprogrammen und die erst ab 15 Uhr, frühestens.
Einer Zeit, in der man 7 Jahre darauf warten musste, dass einem die Deutsche Bundespost die Ehre erwies, sich endlich mit dem Antrag auf ein Telefon in der Wohnung zu befassen.
Einer Zeit, in der man Dinge nicht wegwarf, sondern reparierte, und man zu Menschen gehen konnte, die diese Kunst noch beherrschten.
Wie mein alter Meister Brack.
Man musste Geduld mitbringen, wenn man Werkstatt und Laden aufsuchte. Denn neben einer ausführlichen Beratung und Belehrung über Qualitäten und Funktion von Fahrrädern und Nähmaschinen bekam der Kunde stets auch eine angemessene Dosis Weltsicht und Lebensweisheit.
Gratis.
Der Junge, der in der Werkstatt arbeitete, spitzte die Ohren und bekam alles mit.
Vieles davon vergaß er nie wieder…
Limburg, Oktober 2021
Arbeiten bei Meister Brack
Mein erstes Geld verdiente ich mit vierzehn beim alten Meister Brack. In den Osterferien durfte ich bei ihm in der Fahrradwerkstatt Räder reparieren. Er gab mir fünf Mark für den halben Tag, wobei der Vormittag interessanterweise drei, der Nachmittag dagegen vier Stunden hatte, die sich besonders gegen Abend ganz schön hinziehen konnten.
Fünf Mark, das war eine Menge Geld in einer Zeit, in der noch immer der halbjährlich erscheinende Versandhaus-Katalog für mich das Maß aller Dinge war. Darin hatte er, meinem Alter entsprechend, den weihnachtlichen Spielzeugkatalog abgelöst, dessen Verlockungen ich mich inzwischen entwachsen fühlte, besonders nachdem ich einsehen musste, dass ich schon mit zwölf für den längsten angebotenen Go-Cart zu groß ge worden war.
Meinen persönlichen Reichtum versuchte ich in diesem 600 Seiten starken Werk daran abzulesen, was ich mir kaufen könnte, wenn ich wollte, wobei ich die erstaunliche Erfahrung machen musste, dass Dinge, die ich mir von meinem Ersparten hätte leisten können, plötzlich jeden Reiz verloren und ich mich dabei ertappte, wie ich neue Ziele anstrebte. Aber mit jedem Fünfmarkstück, das ich in meine abgewetzte alte Kasse legte, an der das Schloss nicht mehr funktionierte, wurde es schwerer, etwas davon auszugeben. Ich tauschte die Münzen in Scheine, möglichst neue und möglichst kleine, damit das Bündel nach mehr aussah und zählte sie jeden Abend langsam und sorgfältig. Es war ein ganz eigenartiges Gefühl, dieses Papier in den Händen zu haben, es war meins, nur meins, und dazu noch selbst verdient. Das war etwas ganz anderes als geschenktes Geld, das es sowieso nur selten gab, vielleicht einmal einen Zehn- Dollarschein meiner Tante aus Amerika. Aber selbst erarbeitetes Geld war etwas ganz anderes. Ich malte mir aus, wie es aussehen würde, wenn ich es ausgeben würde, es ganz selbstverständlich aus dem Kunstlederportemonnaie, in das sich bislang höchstens einmal ein einsamer Zehnmarkschein verirrt hatte, nehmen und bezahlen würde.
Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie ich eines Abends im Bett lag und darüber nachdachte, ob mir irgendetwas fehlen würde, ob ich noch irgendwelche Wünsche hätte. An diesem Tag hatte ich das alte Dreigang-Fahrrad bekommen, das als Inzahlungnahme in einer Ecke des Werkstatthofes vor sich hin gerostet hatte. Nachdem ich über zwei Wochen immer wieder heimliche Blicke darauf geworfen hatte, hatte ich mich endlich getraut, Meister Brack zu fra gen, was er damit vorhätte. Er hatte es mir ohne