Eine Novelle aus dem Powder-Mage-Universum: Die Abgeschworene
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Als sie sich entscheidet, einer jungen Bürgerlichen zu helfen – einer zu Tode verurteilten Pulvermagierin, die vor dem Gesetz flieht –, riskiert sie ihr Leben und den Ruf ihrer Familie, um ihren neuen Schützling ins sichere Adro zu bringen, wobei sie in ein Katz- und Mausspiel mit den Magierjägern des Königs und deren Captain, Herzog Nikslaus, verwickelt wird.
Die fantastische Romansaga wird derzeit als TV-Serie umgesetzt.
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Book preview
Eine Novelle aus dem Powder-Mage-Universum - Brian McClellan
DIE ABGESCHWORENE
Fünfunddreißig Jahre vor den Ereignissen aus »Blutschwur«
Der Wald war erfüllt vom trockenen, knisternden Geräusch gefallener Blätter, die im Wind umherwirbelten, als Erika die Sehne ihres Bogens zurückzog. Sie zog, bis die Feder des Pfeils ihre Wange kitzelte, zielte entlang des Pfeilschaftes und atmete aus, während sie den Schuss abfeuerte, alles in einer einzigen, flinken Bewegung.
Der Pfeil prallte von einer zwölf Meter entfernten Baumwurzel ab und verschwand im Unterholz. Das Eichhörnchen, auf das sie gezielt hatte, rannte den Baum hoch und zwitscherte sie verärgert an. Sie zog einen weiteren Pfeil aus ihrem Köcher, legte ihn an, zog die Sehne zurück und schoss ein weiteres Mal.
Der zweite Pfeil traf den Ast direkt unterhalb des buschigen Schwanzes des Eichhörnchens. Erika griff nach einem weiteren Pfeil, aber der Nager hatte sich bereits in die Sicherheit seines Nestes zurückgezogen. »Die Haltung ist ausgezeichnet«, kommentierte eine strenge Stimme. »Die Schnelligkeit ist vortrefflich, und die Bewegungen sind präzise. Nur an einer Sache hapert es: Sie haben danebengeschossen.«
Erika warf der Waffenmeisterin der Leora-Familie über die Schulter einen bösen Blick zu. Santiole war eine Frau in ihren späten Vierzigern mit strengem Blick, wettergegerbter Haut und mehr als nur ein paar grauen Strähnen in ihrem braunen Haar. Sie war etwa gleich groß wie Erika, aber durch ihre stramme Haltung wirkte sie viel größer. Die Art, wie sie mit gerümpfter Nase auf einen herabschaute, mochte auf andere tatsächlich imposant wirken. Erika fand es einfach nur nervig. Auch nach fünfzehn Jahren als Erikas Tutorin hatte sich Santioles saures Gemüt kein Stück gebessert, und sie wusste immer genau, was sie sagen musste, um Erika auf die Palme zu bringen.
»Vielleicht hätte ich getroffen«, sagte Erika, »wenn Sie nicht da hinten mit Ihrem Sattel knarren und meine Ziele verschrecken würden.«
Santioles Pferd schüttelte ungeduldig mit dem Kopf. Die Waffenmeisterin verlagerte ihr Gewicht auf dem Rotschimmel, sodass ihr Sattel ein weiteres Knarren von sich gab. »Sie müssen lernen, trotz Ablenkungen zu schießen.« Erikas Augen wanderten zuerst zu der Steinschloss-Muskete, die quer über Santioles Sattelhorn lag, dann zu der Pistole, die im Gürtel der Waffenmeisterin steckte. Ihre Finger juckten bei dem Gedanken, mit einer dieser Waffen jagen zu gehen. In den neunzehn Jahren, die sie jetzt auf der Welt war, war es ihr nie erlaubt gewesen. Eine Schwarzpulverwaffe auch nur zu berühren, selbst wenn sie nicht geladen war, war ihr unter Strafe verboten.
»Sammeln Sie Ihre Pfeile ein«, sagte Santiole. »Wir sollten uns bald auf den Rückweg machen.«
Sie waren eine Reitstunde entfernt vom Anwesen der Leoras, und wenn sie sich beeilten, würden sie rechtzeitig zurück sein, um sich vor dem Abendessen frisch zu machen. Erika schlang ihren Bogen über die Schulter und machte sich auf ins Dickicht. Sie wühlte im Unterholz herum, um den ersten Pfeil zu finden. Dabei riss sie ein Loch in ihr Jagdwams, was ihre Großmutter zweifellos bemerken würde. Dann ging sie zu dem Baum und kletterte ihn viereinhalb Meter weit hoch, um den zweiten Pfeil aus dem dicken Ast herauszuziehen, in dem er steckte.
Mutter würde einen Anfall bekommen, wenn sie mich so sähe, dachte Erika, während sie den Ast entlang zum Pfeil robbte. Mutter würde Santiole eine Standpauke halten, und Santiole würde sie über sich ergehen lassen, nur um ihr danach zu sagen, dass eine Kez-Herzogin lernen musste, sich selbst zu helfen. Und dann würde Vater sich einmischen und Mutter sagen, dass sie die arme alte Waffenmeisterin in Ruhe lassen solle, und …
Erika unterbrach ihren Gedankengang und richtete ihre Augen auf etwas tiefer im Wald: eine fast unmerkliche Bewegung im Rot und Braun der gefallenen Herbstblätter.
Sie sammelte den Pfeil ein und kehrte zurück auf festen Boden. Santiole wartete dort mit einem ungeduldigen Gesichtsausdruck. Sie öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber Erika kam ihr zuvor.
»Binden Sie die Pferde an und kommen Sie mit.«
Die Waffenmeisterin zögerte einen Moment, aber sie stieg von ihrem Schimmel und band beide Pferde an. »Was ist los?«
»Ich bin mir nicht sicher«, sagte Erika. »Ich habe etwas gesehen. Jemanden.«
»Lassen Sie mich vorgehen.« Santiole schlich sich mit angelegter Muskete ins Dickicht; das Laub rührte sich kaum, während sie sich ihren Weg suchte. Erika folgte ihr mit angelegtem Pfeil. Sie durchquerten ein ausgetrocknetes Flussbett und betraten eine Lichtung, die etwa vierzig Meter von der Straße entfernt war.
Santiole schulterte ihre Muskete. »Ein Kind.«
Das Mädchen konnte nicht älter als zwölf sein. Ihr Haar war eine Spur heller als Erikas Dunkelblond, und sie hockte mit zur Brust gezogenen Knien neben einem hohlen Baum. Sie trug ein Sommerkleid aus Wolle, das mit Matsch verklebt war, und um ihre nackten Füße hatte sie Stoffstreifen vom Saum ihres Kleides gewickelt. Die behelfsmäßigen Bandagen waren blutdurchtränkt.
»Meine Herrin«, fing Santiole an zu sagen, aber Erika war bereits auf dem Weg zu dem Mädchen auf der anderen Seite der Lichtung.
»Keinen Schritt näher.« Die Stimme des Kindes war kaum mehr als ein heiseres Flüstern, aber ihre Worte – und ihr Gesichtsausdruck – waren todernst. Das Mädchen wischte sich mit der Rückhand über die kleine, runde Nase und blinzelte sich Tränen aus den braunen Augen. Sie hatte Schnitte an ihrer linken Wange, die nicht mehr als einen Tag alt waren, und beide Arme waren von Dornenkratzern übersät. Mit einer Hand zückte sie ein Taschenmesser.
»Was tust du hier draußen?«, fragte Erika.
»Geht weg«, antwortete das Mädchen.
»Brauchst du Hilfe?«
»Geht weg, habe ich gesagt.«
»Schauen Sie sich ihre Füße an«, flüsterte Erika Santiole zu.
Die Waffenmeisterin musterte das Mädchen misstrauisch. »Sie ist einen weiten Weg gelaufen. Es gibt im Umkreis von dreißig Meilen keine Stadt außer Bedland. Sie kommt nicht von hier. Wir würden sie sonst erkennen.«
»Vielleicht besucht sie einen Verwandten?«, schlug Erika vor. »Oder sie hat sich verirrt?« Diese Ländereien gehörten Erikas Großeltern, und sie kannte sich hier gut aus, aber niemand kannte sich hier besser aus als Santiole.
»Nein«, sagte Santiole. »Das kann nicht sein.«
»Redet nicht über mich, als ob ich euch nicht hören könnte«, sagte das Mädchen. Die Spitze ihres Taschenmessers zitterte kein bisschen. »Ich bin direkt hier drüben.«
»Wo kommst du her?«, fragte Erika.
»Geht weg.«
»Wo willst du hin?«
»Nirgendwo hin. Geht euch gar nichts an.«
Erika ging langsam die Geduld zur Neige, und sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. Dies hier waren die Ländereien ihrer Familie, weshalb es sie sehr wohl etwas anging, und sie würde ihre Antworten erhalten.
Santiole berührte sie am Arm und lehnte sich vor, um ihr ins Ohr zu flüstern. »Schauen Sie, über ihrer rechten Schulter.«
Erika konnte