Nachdenken über Deutschland: Das kritische Jahrbuch 2013 / 2014
By Albrecht Müller and Wolfgang Lieb
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About this ebook
Wolfgang Lieb und Albrecht Müller fassen die wichtigsten politischen Themen des Jahres 2013 zusammen und liefern Nachrichten, Analysen und Hintergrundinformationen, die im Medienmainstream sonst nicht zu hören oder zu sehen sind. Sie regen zum Nachdenken an mit dem Ziel, dass immer mehr Bürgerinnen und Bürger immer weniger bereit sind, sich von skrupelloser Manipulation und willfähriger Meinungsmache bevormunden zu lassen.
"Manchmal fällt das Schweigen erst auf, wenn wieder Stimmen zu hören sind. Ein bisschen ähnlich ist es mit dem 'kritischen Jahrbuch' der Nachdenkseiten, das jetzt zum sechsten Mal erschienen ist. Die Stimmen, die dieses Jahrbuch sammelt, gehören allesamt dezidierten Kritikern der derzeit herrschenden Politik. Wenn man es liest, fällt einem erst auf, wie sehr diese Töne oft fehlen im täglichen Allerlei aus Schuldenkrisen und Rettungspaketen … Hier kann man noch etwas lernen - und vielleicht bald die eigene Stimme nutzen, um andere ein wenig aufzuklären." Stephan Hebel, politischer Kommentator und Autor des Bestsellers "Mutter Blamage"
Albrecht Müller
Albrecht Müller, 1938 in Heidelberg geboren, ist Diplom-Volkswirt, Bestsellerautor und Publizist. Er ist Herausgeber der NachDenkSeiten. Müller leitete Willy Brandts Wahlkampf 1972 und die Planungsabteilung unter Brandt und Schmidt. Von 1987 bis 1994 war er für die SPD Mitglied des Deutschen Bundestages. Zu seinen veröffentlichten Büchern zählen "Mut zur Wende!", "Die Reformlüge" sowie "Machtwahn". Im Westend Verlag erschienen zuletzt die "Glaube wenig, hinterfrage alles, denke selbst" (2019) und "Die Revolution ist fällig" (2020).
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Nachdenken über Deutschland - Albrecht Müller
Albrecht Müller
Wolfgang Lieb
Nachdenken
über
Deutschland
Das kritische Jahrbuch
2013/2014
WESTEND
Mehr über unsere Autoren und Bücher:
www.westendverlag.de
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
ISBN 978-3-86489-507-4
© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2013
Lektorat: Brigitte Baetz
Satz: Publikations Atelier, Dreieich
Druck und Bindung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Printed in Germany
Inhalt
Die NachDenkSeiten geben Gebrauchsanweisungen zum Selberdenken
Gedanken zur Gegenöffentlichkeit
Ein Vorwort von Jakob Augstein
1 Big Brother is watching you:
Wer schützt uns vor unseren Freunden?
2 Zahlemann und Söhne:
Die alltägliche Korruption
3 Ist es nur Dummheit oder hat es doch Methode?
Tricksereien mit Zahlen
4 Kein Anschluss unter dieser Nummer:
Warum gibt es keine politische Alternative?
5 Angela I., Kaiserin ohne Kleider:
Die Fehlschlüsse der Tefl on-Kanzlerin
6 Der Dilettantenstadl:
Wie sich die europäische Politelite blamiert
7 Die Rückkehr der reitenden Leichen:
Die Neoliberalen geben nicht auf
8 Einblick schafft Durchblick:
Wirtschaftswissen abseits des Mainstreams
9 Bundesagentur macht Arbeit:
Wie die Arbeitslosigkeit verwaltet wird
10 Bloß nicht krank werden!
Fehler im Gesundheitssystem
Wer sind und was wollen die NachDenkSeiten?
Die NachDenkSeiten geben
Gebrauchsanweisungen zum
Selberdenken
Würde sich die Politik an den Analysen und Vorschlägen der NachDenkSeiten orientieren, dann sähe es in Deutschland und Europa besser aus. Das klingt arrogant, meinen Sie? Vielleicht haben Sie recht, aber wir sind überzeugt davon, dass eine vernünftige Politik ohne Nachdenken, ohne das Analysieren von Problemen und ihren Ursachen nicht gelingen kann. Aber dieses Analysieren und Nachdenken über alternative Konzepte findet unserer Beobachtung nach kaum noch statt. Teilweise, weil unsere Medienwelt keinen Raum mehr bietet für unvoreingenommene öffentliche Debatten, teilweise, weil bestimmte Interessengruppen mit viel Geld und Einfl uss die Macht haben, dafür zu sorgen, dass ihre interessengesteuerte politische Strategien nicht aufgedeckt oder zumindest hinterfragt werden.
Wir schreiben für Menschen, die sich noch ihre eigenen Gedanken machen. Und davon gibt es zum Glück viele. Die Reaktionen vieler Leser auf unsere Denkanstöße beweisen das. Sie schreiben uns unter anderem, dass sie durch die NachDenkSeiten dazu ermutigt wurden, kritischer mit dem alltäglichen Medieneinerlei und den Zumutungen aus der Politik umzugehen. Sie schreiben uns auch, dass ihnen unsere kritische, aber gleichwohl konstruktive und vielfach auch optimistische Herangehensweise an die herrschende Politik und an die unbestreitbaren Probleme hilft, Zusammenhänge besser zu durchschauen und zu verstehen.
Unsere Internetseite wie auch dieses Buch haben Servicecharakter. Wir von den NachDenkSeiten wollen helfen, die Dinge besser zu verstehen. Eine intensive Bindung an unsere Leserinnen und Leser und die vielen freundlichen Reaktionen, die uns wiederum ermutigen und ermuntern, zeigen uns, dass die NachDenkSeiten ein wichtiger Begleiter durch das politische, ökonomische und gesellschaftliche Geschehen sind.
Das ist das siebte kritische Jahrbuch, das wir auf der Basis der Texte unserer Internetseite www.nachdenkseiten.de herausgeben. Nachdenken über Deutschland, dazu wollen wir auch in gedruckter Form anregen. Notwendig ist das. Gerade das Wahljahr 2013 hat bei vielen Menschen ein schales Gefühl hinterlassen. Es ging praktisch um Nichts, obwohl es um Vieles hätte gehen müssen. Es gab keine wirkliche politische Alternative zum Kurs von Frau Merkel, obwohl unser Land und wir alle diese dringend bräuchten.
In der veröffentlichten Meinung und in den herrschenden Kreisen wird so getan, als ginge es »uns« in Deutschland gut. Wer das nicht von sich sagen kann, bleibt vor der Tür. Im schlimmsten Fall wird ihm oder ihr vorgehalten, er oder sie sei eben selber schuld an seiner/ihrer Lage.
Sie werden in Nachdenken über Deutschland eine große Zahl von Analysen finden, die vor Monaten geschrieben wurden und (leider) gleichwohl aktuell geblieben sind. Denn die Probleme sind geblieben.
Sie werden deshalb bei der Lektüre dieses Buches nachvollziehen können, welchen Nutzen der regelmäßige Besuch der NachDenkSeiten haben kann. Zum Beleg haben wir unter anderem Texte zur Kandidatur Peer Steinbrücks als »Kanzlerkandidat« der SPD in das Buch aufgenommen. NachDenkSeiten-Leser konnten schon bei seiner innerhalb der Führungsriege ausgekungelten Ausrufung im September 2012 wissen, wohin die Reise geht. Nicht nur für das Funktionieren unserer Demokratie, sondern auch für eine bessere Wirtschaft und für mehr soziale Gerechtigkeit wäre eine »wirkliche Alternative« zum neoliberalen Einheitskartell notwendig gewesen.
Die Qualität politischer Entscheidungen hängt eng mit dem kritischen Verstand der Entscheidungsträger, der Medien und der Bürger eines Landes zusammen. Das Nachdenken und kritische Hinterfragen durch möglichst viele Menschen ist daher das Salz in der Suppe einer lebendigen Demokratie. Es verbessert den Geschmack. Es verbessert das Ergebnis.
Von unseren Sorgen können wir aber auch in diesem Vorwort nicht schweigen. Wir fürchten, dass die Zahl der Kritischen und Aufmüpfigen kleiner statt größer wird – weil viele unter dem Druck schlechter wirtschaftlicher Verhältnisse stehen und weil andere beim Genießen ihres Wohlstandes sich nicht stören lassen wollen. Zu viele Menschen werden müde. Das verstehen wir, können und wollen es aber nicht hinnehmen. Unsere Gesellschaft braucht eine kritische Gegenöffentlichkeit zur großen Einheitspartei der Abwiegler und Beschöniger. Deshalb erscheint auch dieses Jahr ein neues NachDenkSeiten-Jahrbuch. Deshalb bitten wir Sie, das Buch in Ihrem Freundeskreis herumzureichen oder zu verschenken – wenn es Ihnen persönlich geholfen hat, die Welt um uns herum besser zu verstehen.
Wir bedanken uns bei jenen vielen Menschen, die zum Gemeinschaftswerk der NachDenkSeiten täglich mit Rat und Tat beitragen und auch Beiträge zuliefern. Dankbar sind wir auch Jens Berger, der einige interessante Texte zu unserem Buch beigesteuert hat.
Albrecht Müller und Wolfgang Lieb
Gedanken zur
Gegenöffentlichkeit
Ein Vorwort von Jakob Augstein
Gegenöffentlichkeit ist ein widersprüchliches Wort. Man sollte meinen, es schließt sich selber aus. Es kann doch nur eine Öffentlichkeit geben. Die öffentliche. Und in der Öffentlichkeit wird in der Demokratie alles abgemacht. Aber wir wissen, dass die Verhältnisse nicht so sind. Es ist eine hübsche Idee, dass die Öffentlichkeit der Verhandlung von Wahrheit, Richtigkeit und Wahrhaftigkeit dient. Aber sie trifft nicht zu.
Das Problem besteht nicht darin, dass die Journalisten nicht schreiben dürfen, was sie wollen. Solche Fälle gibt es. Aber sie sind selten. Eigentlich kann jeder schreiben, was er will. Aber so viele Journalisten wollen so wenig. Und sie haben ihre Leser daran gewöhnt, mit so wenig zufrieden zu sein.
Wenn man fragt: welche Rolle sollen die Medien spielen, auf wessen Seite stehen sie, was ist ihre Funktion, dann haben sich in den vergangenen Jahren die Antworten geändert. Im Beruf des Journalismus geht es heute seltener um Kritik, mehr um Stabilisierung. Weniger um das Hinterfragen, eher um das Erklären des Bestehenden. Das gilt nicht für alle Medien, so wie früher nicht für alle das Gegenteil galt. Aber es gilt zu oft für die großen Medien, für den Mainstream.
»Die freien Medien sind ja sozusagen ein Teil des Lebenselixiers jeder Demokratie«, das hat Angela Merkel einmal vor jungen Journalisten gesagt, die ja angeblich eine der mächtigsten Frauen der Welt ist, aber sicher nicht eine der wortmächtigsten. Und es trifft auf eine unangenehme Art und Weise zu. Viele Journalisten verstehen sich heute mitnichten als Gegner (Kritiker oder Gegenüber) der Politik, sondern als Partner. Wenn das so weitergeht, dann braucht man keine Journalisten mehr. Dann tun Pressesprecher es auch. Das scheint der Zug der Zeit ohnehin zu sein: Es soll mittlerweile mehr Pressesprecher in Deutschland geben als Journalisten.
Es ist kein Wunder, dass die Kanzlerin die Journalisten so wohlwollend loben kann. Die Demokratie hat sich verändert, und die Journalisten, die ihr dienen und sie schützen sollen, auch. Man muss sich sogar langsam fragen, ob wir dasselbe wie die Kanzlerin meinen, wenn wir von Demokratie reden. Die amerikanische Politikwissenschaftlerin Wendy Brown hat geschrieben: »Die großen Demokratien zeichnen sich heute weniger durch eine Überschneidung als vielmehr durch eine Verschmelzung von staatlicher und unternehmerischer Macht aus: Staatliche Aufgaben von Schulen über Gefängnisse bis hin zum Militär werden in großem Stil outgesourct; Investmentbanker und Konzernchefs fungieren als Minister und Staatssekretäre; auch wenn sie die entsprechenden Fonds nicht selbst verwalten oder anlegen, sind Staaten doch Eigentümer unvorstellbar großer Mengen an Finanzkapital; und vor allem ist die Staatsmacht über ihre Steuer-, Umwelt-, Energie-, Arbeits-, Sozial-, Finanz- und Wirtschaftspolitik sowie einen endlosen Strom direkter Unterstützungen und Rettungsprogramme für sämtliche Bereiche des Kapitals ganz unverhohlen in das Projekt der Kapitalakkumulation eingespannt. Die breite Masse, der Demos, kann die meisten dieser Entwicklungen nicht verstehen oder nachvollziehen geschweige denn bekämpfen und ihnen andere Ziele gegenüberstellen.«
Das alles geschieht im Rahmen der Demokratie. Und solche Demokratien brauchen die Medien vor allem als Instrumente der Vermittlung der Staatsmacht. Denn wenn wirklich Gefahr droht, schließen allzu viele Journalisten die Reihen fest um das System. Wir haben das bei den großen Skandalen um Recht, Moral und Öffentlichkeit gesehen, Wikileaks oder Geheimdienstüberwachung. Mit großer Verblüffung musste man feststellen: ganz und gar nicht alle Journalisten der großen deutschen Zeitungen stellten sich vorbehaltlos auf die Seite der Bürger, ja sie verteidigten nicht einmal ihre eigenen Rechte. Sondern ganz schön viele hielten lieber zum Staat und brachten viel Verständnis für Rechtsbrüche und Machtansprüche auf.
Es gehört zu dieser Wesensveränderung der Medien, dass der Schein unbedingt gewahrt bleiben muss. Dafür bedarf es einer Inszenierung. Die freie Rede muss sich hin und wieder gegen irgendeinen Widerstand durchsetzen. Das erhöht dann ihren Wert. Also gibt es beispielsweise in der Bild-Zeitung eine Kolumne, die den Titel trägt: »Das wird man ja noch sagen dürfen.« Diese Wendung ist geradezu ein geflügeltes Wort, oder sagen wir genauer ein struppig gefiedertes. Es ist die Essenz des Ressentiments. Es birgt in sich eine ganze Weltanschauung, klaustrophobisch in seiner spießigen Engstirnigkeit und maßlos ausgreifend in seinem allgemeinen Geltungsanspruch.
Was heißt das? Man tut so, als gäbe es jemanden, der einem den Mund verbietet. Man könne nicht einfach sagen, was man will. Man müsse sich das Recht nehmen. Man täte es gegen einen Widerstand. Hoch lebe die Pressefreiheit und die Demokratie!
Aber man kann getrost davon ausgehen: Wenn einer so redet, »das wird man ja noch sagen dürfen«, dann lügt er schon. Denn er weiß, dass er sagen kann, was er will. Und das, was »man« ja noch sagen dürfen soll, ist zumeist nichts als das wenig reflektierte Vorurteil. Es gibt niemanden, der verbietet, das Vorurteil zu verbreiten – außer Vernunft und Anstand.
Gegenöffentlichkeit ist etwas anderes. Sie bietet Gelegenheit zum Gespräch zwischen anspruchsvollen Autoren und Lesern, die sich ihrer Vernunft bedienen wollen und ihr Gefühl für Anstand bewahren. Das sind übrigens geradezu konservative Werte. Na und? Günter Gaus hat gesagt: »Ich bin von Geblüt konservativ. Ich bin aber links.« Das stammt aus einem schönen Gespräch, das Alexander Kluge einmal mit ihm geführt hat. Es geht darin um die Medien und die Öffentlichkeit und um das linke Denken. Da gab es auch diesen Wortwechsel:
Kluge: »Eine linke Position wäre also skeptisch empfindend?«
Gaus: »Ja.«
Kluge: »Geduldig?«
Gaus: »Ja.«
Kluge: »Langfristig angelegt, über die Generationen hinweg?«
Gaus: »Ja, aber in einem Punkt sollten sich linke Positionen von denen unterscheiden, die es gegeben hat und wohl auch noch gibt, und von denen ich finde, dass sie zu Recht zurückgedrängt worden sind: Man sollte nicht denken, dass man gesellschaftliche Fragen für alle Zeiten beantworten kann.«
Gaus hatte da etwas Wichtiges gesagt. Es steckte darin die Warnung vor dem Sektierertum, vor der Selbstgerechtigkeit, vor dem Dogmatismus. Das sind Risiken, die jeder eingeht, der sich gegen den Mainstream stellt. Denn so leicht lässt sich das Paradoxon, das in der Idee der Gegenöffentlichkeit steckt, nicht auflösen. Es ist eine heikle Angelegenheit: Je stärker das »Gegen« vom allgemeinen Bewusstsein entfernt ist, desto schwächer droht das »Öffentlich« zu werden. Aber wer die Leute aufklären will, muss sie erreichen. Die Gegenöffentlichkeit muss für die Öffentlichkeit zugänglich bleiben. Die Leute müssen von ihr erfahren und mit ihr etwas anfangen können. Und sie müssen – ganz praktisch – unter zumutbaren Bedingungen Zugang zu ihr finden können.
Darum kann ein Medium, das sich damit begnügt, gegen alles Mögliche zu sein, aber an der Öffentlichkeit kein Interesse mehr hat, für die Meinungsbildung dieser Öffentlichkeit keine Rolle mehr spielen.
Die Medien der Gegenöffentlichkeit müssen Rückzugsräume für die Vernunft, für die Kritik, für die Neugier bieten. Den NachDenkSeiten gelingt dieses Kunststück.
1 Big Brother is watching you:
Wer schützt uns vor unseren
Freunden?
Als wären wir alle die Kaninchen vor der großen Schlange USA: Es dauerte erstaunlich lange, bis der PRISM-Skandal die Gemüter im Lande erregte. Die Politik wiegelte ab, die Medien standen zunächst treu zum »Verbündeten«. Verschwörungstheoretiker hätten es sich nicht schöner ausdenken können: Unsere guten »Freunde jenseits des Atlantiks« spionieren uns in großem Stil aus, und unsere Politiker machen das Spiel mit.
Der Bote des Unheils wird geköpft und nicht der Unheilverursacher. Und unsere jämmerlichen Medien machen das mit
25. Juni 2013 / Rubrik: Verschiedenes / von Albrecht Müller
Snowden düpiert die USA – »Wie konnte das passieren?«, fragen amerikanische Medien. So berichtete die Tagesschau und übernimmt diese Sicht der Dinge. Wie konnte das passieren, wie ist das möglich, dass amerikanische und britische Geheimdienste die Kommunikation des restlichen Teils der Welt abhören, und worin unterscheidet sich dies noch von den Methoden übelster Diktaturen? – Das wären die notwendigen Fragen. Die Tagesschau und die anderen Medien müssten voller Abscheu darüber berichten und recherchieren. Sie müssten den Boten des Unheils, den Aufdecker der antidemokratischen Machenschaften hochleben lassen. Stattdessen verfolgen sie die Flucht des 29-jährigen Snowden mit Häme und plappern nach, was die Kommunikationsstrategen seiner Verfolger sich und den Medien zurechtgelegt haben. Sie lassen beispielsweise die Tagesschau in fetten Lettern fragen: »China, Russland, Kuba – der Pfad der Freiheit?«
Dieser Umgang mit dem »Verräter« Snowden ist weit verbreitet. Bei Spiegel Online beispielsweise oder auf WDR 2: Dort hießes: »Klartext zu Edward Snowden: Held oder Schuft?«. Der Autor Paul Elmar Jöris: »Durch die Spionage der Geheimdienste konnten Anschläge verhindert werden. Edward Snowden brachte nun aber alle Programme ohne Differenzierung in Misskredit und richtete großen Schaden an, …«
Ähnlich Marcus Pindur vom Studio Washington des Deutschlandradio:
»Bedenken- und gewissenlos. Edward Snowdens bizarre Flucht Es ist eine bizarre Flucht, und die Geschichte erscheint auf den ersten Blick so spannend wie einfach. Hier der einsame Whistleblower, der seinem Gewissen folgt und Freundin und Familie verlässt, um sein Martyrium öffentlich zu machen. Dort die herausgeforderte, rachsüchtige Großmacht USA, die all ihre Macht zum Einsatz bringt, der Goliath, der alles daran setzt, den kleinen David in seine Fänge zu bekommen.
Aber so einfach ist es eben nicht. Denn Edward Snowden ist kein Whistleblower. Er hat keine einzige illegale Praxis der amerikanischen Regierung enthüllt, keinen illegalen Übergriff der Sicherheitsbehörden belegt. All das, was wir von ihm erfahren haben, passiert innerhalb des amerikanischen Rechtsstaates und amerikanischen Rechts. (…)
Edward Snowden wird nicht von den amerikanischen Sicherheitsbehörden verfolgt, weil er sich gegen die USA gestellt hat. Sondern weil er sich bedenken- und gewissenlos über den Rechtsstaat hinweggesetzt hat. Mal sehen, wie glücklich er im ecuadorianischen Exil wird.«
Die US-Regierung und andere Verantwortliche in den USA haben sich eine PR-Strategie zur Abwehr der Kritik an der skandalösen Überwachung von Millionen Bürgerinnen und Bürger der Welt zurechtgelegt:
Sie machen aus dem Helden, der das Unheil der Überwachung aufgedeckt hat, einen Schuft und Verräter.
Und sie diskreditieren ihn, indem sie jene, die ihm bei der Flucht helfen oder zumindest sie nicht behindern, als falsche Freunde, als Feinde von Freiheit und Demokratie abwatschen.
So schreibt FAZ-Mann Matthias Rüb am 24.6.:
»Whistleblower auf der Flucht – Edward Snowdens falsche Freunde
China, Russland und Ecuador: Edward Snowdens Fluchtweg macht es den Politikern in Amerika leicht, den früheren Mitarbeiter von Geheimdiensten als bösen Verräter darzustellen.«
Die kritiklose Übernahme US-amerikanischer Propaganda zeichnet einen gewichtigen Teil deutscher Journalisten schon lange und immer wieder aus. Sie haben über Jahrzehnte schon die gängige Unterscheidung in Gut und Böse, in USA und Westen auf der einen Seite und die Bösen, die Russen, die Iraner, die Palästinenser, der Islam und so weiter auf der anderen Seite gemacht und propagiert. So dass sie jetzt bei diesem unglaublichen Skandal der Schnüffelei durch die USA und Großbritannien nach dem gleichen Schema verfahren und nicht im Ansatz fähig und willens sind, wenigstens zu fragen, ob man Snowdens Tat nicht als etwas Notwendiges und Wünschenswertes bezeichnen müsste.
Sie sind deshalb auch unfähig, auf der Basis der Informationen durch Snowden zu fragen und zu recherchieren, was Briten und Amerikaner mittels ihrer Schnüffelei noch erfahren hätten können. Offensichtlich haben die Briten Diplomaten und Politiker im Vorfeld von internationalen Konferenzen ausspioniert. Und beide Länder können mit der Abschöpfung von Informationen Wirtschafts- und Industriespionage betreiben. Es gäbe also ausreichend Gründe, sich über die Praxis der USA und Großbritanniens zu beschweren. Stattdessen wird beschönigt.
Merkel versinkt im Geheimdienstsumpf
11. Juli 2013 / Rubrik: Audio-Podcast, Das kritische Tagebuch / von Wolfgang Lieb
In einem Interview mit der Wochenzeitung Die Zeit über den Abhörskandal um den amerikanischen Geheimdienst NSA erklärte die Kanzlerin: »Dass Nachrichtendienste unter bestimmten und in unserem Land eng gefassten rechtlichen Voraussetzungen zusammenarbeiten, entspricht ihren Aufgaben seit Jahrzehnten und dient unserer Sicherheit.« Inwieweit Berichte über Programme wie PRISM zuträfen, müsse geklärt werden. Sie selbst habe vom USSpionageprogramm aus den Medien erfahren.
Merkel bemerkt offenbar nicht, wie sie selbst im Geheimdienstsumpf versinkt.
Die Kanzlerin forderte in dem Interview weiter, in der Debatte die besonderen Beziehungen zu den USA stärker zu berücksichtigen. Sie wünsche sich, »dass wir die notwendige Diskussion mit den Vereinigten Staaten von Amerika in einem Geist führen, der bei allen mehr als berechtigten Fragen nie vergisst, dass Amerika unser treuester Verbündeter in all den Jahrzehnten war und ist …«
Und weiter: »Für mich gibt es überhaupt keinen Vergleich zwischen der Staatssicherheit der DDR und der Arbeit der Nachrichtendienste in demokratischen Staaten. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge, und solche Vergleiche führen nur zu einer Verharmlosung dessen, was die Staatssicherheit mit Menschen in der DDR angerichtet hat. Die Arbeit von Nachrichtendiensten in demokratischen Staaten war für die Sicherheit der Bürger immer unerlässlich und wird es auch in Zukunft sein. Ein Land ohne nachrichtendienstliche Arbeit wäre zu verletzlich.«
Auf die Frage, ob sie selbst die Berichte der Nachrichtendienste lese, wies die Kanzlerin darauf hin, dass dies in der Verantwortlichkeit des Kanzleramtsministers liege. So weit das Interview der Kanzlerin. Laut einer Umfrage des Stern glauben 80 Prozent der Bürger nicht, dass die Bundesregierung von den NSA-Aktivitäten nichts wusste. Nur 15 Prozent denken, dass die Bundesregierung durch die Medien davon erfahren habe. Merkel bestreitet diese Vermutung und sagt, sie habe davon »durch die aktuelle Berichterstattung Kenntnis genommen«. Wie üblich bei ernsthaften Problemen, macht sich die Kanzlerin einen »schlanken Fuß« und verweist auf die Verantwortlichkeit des Kanzleramtsministers.
Ist es aber denkbar, dass der Kanzleramtsminister seiner Regierungschefin niemals berichtet hat, dass Geheimdienste auf deutschem Boden zumindest möglicherweise das im