Frau Bettina und ihre Söhne
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Frau Bettina und ihre Söhne - Hedwig Courths-Mahler
Hedwig Courths-Mahler
Frau Bettina und ihre Söhne
Saga
Frau Bettina und ihre Söhne
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1917, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726950465
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.
I
Henny Röhming eilte in dem großen Berliner Mietshaus eilig die Treppen hinauf. Im vierten Stock zog sie an der rechts liegenden Wohnungstür die Klingel, über der in glatten, einfachen Buchstaben der Name Röhming stand.
Es dauerte nur wenige Sekunden, da wurde die Tür geöffnet. Eine ältere Dame, schlank, etwa Mitte der Vierzig, erschien. Sie trug ein schlichtes schwarzes Kleid und sah ein wenig blaß und versorgt aus.
»Du bist es, Henny! Gottlob, daß du wieder da bist«, sagte sie aufatmend und ließ die junge Dame eintreten.
»Ja, Muttchen, ich habe mich beeilt, so gut ich konnte. Ganz atemlos bin ich vom schnellen Laufen. Und hier — sieh nur — die ganze Tasche voll Geld, lauter blanke Fünfmarkstücke. Ich habe wirklich achtzig Mark für die Skizze erhalten, man hat meine Forderung gleich bewilligt. Erst wagte ich mich nicht heraus damit und wollte nur fünfzig Mark verlangen. Aber ich dachte, abziehen können sie mir immer noch, wenn es ihnen zu teuer erscheint. Sie wunderten sich aber gar nicht. Ist das nicht famos, Muttchen? In knapp drei Tagen so viel Geld verdient!«
Frau Röhming zog ihre Tochter ins Wohnzimmer. Es war bescheiden ausgestattet, wenn auch einzelne Möbel einen vornehmen Eindruck machten. Die kleine Wohnung, die Mutter und Tochter seit einiger Zeit bewohnten, bestand aus diesem Zimmer, einem gemeinsamen Schlafzimmer und der Küche.
Die beiden Damen hatten bessere Tage gekannt. Hennys Vater war Direktor eines großen kaufmännischen Betriebes gewesen, und als solcher hatte er ein großes Haus geführt. Er liebte Glanz und Wohlleben und gab mehr aus, als er verdiente.
Um den Ausfall zu decken, ließ er sich auf gewagte Spekulationen mit fremdem Geld ein. Das führte zur Katastrophe. Man enthob ihn seiner Stellung, und er mußte alles, was er besaß, verkaufen, um seinen Verbindlichkeiten nachzukommen.
Dem Nichts gegenüberstehend, verlor er alle Spannkraft seines Wesens, die ihn im Glück unwiderstehlich gemacht hatte. Er war ein gebrochener Mann. Und als zu allem Unglück noch eine Krankheit kam, die ihn niederwarf, vermochte sein Körper keinen Widerstand zu leisten. Er starb und ließ seine Frau und seine Tochter in völlig zerrütteten Verhältnissen zurück.
Hennys Mutter, eine feine, stille Frau, die ihren Gatten abgöttisch geliebt hatte, wäre wohl unter diesem Schlag ebenfalls zusammengebrochen, wäre ihr Henny nicht eine Stütze geworden.
Henny war zweiundzwanzig Jahre alt, als ihr Vater starb. Vorher hatte sie nie die Not des Lebens kennengelernt. Aber sie war ein starker, fester Charakter und sah mit klugen, offenen Augen ins Leben. Schon als Backfisch hatte sie erkannt, was der Mutter verborgen geblieben war, daß der Vater über seine Verhältnisse lebte, daß der Glanz um sie her keine feste, solide Grundlage hatte. Den Eltern darüber Vorhaltungen zu machen, wagte sie nicht, aber es widerstrebte ihr, leichtsinnig in diesem Strom mitzutreiben und das Verhängnis tatenlos an sich herankommen zu lassen.
Von Kindheit auf hatte sie eine hervorragende Begabung für Zeichnen und Malen und reges Interesse für alles gehabt, was mit Kunstgewerbe zusammenhing. Schon als Schulkind hatte sie ihre Puppenstuben mit einem überraschenden Talent immer wieder dekoriert,hatte Zeichnungen dafür entworfen und sich aus bemalten Karten die herrlichsten Möbel hergestellt. Da das ihrem Schaffensdrang noch nicht genügte, dachte sie sich ganze Innenausstattungen aus und suchte ihre Ideen auf dem Papier festzuhalten. Ihre auffallende Begabung war eines Tages dem im Haus ihrer Eltern verkehrenden Professor Vogel, einem bekannten Innenarchitekten, aufgefallen. Er ließ sich alles von ihr zeigen, was sie gezeichnet, gemalt und angefertigt hatte. Das war an Hennys sechzehntem Geburtstag.
Professor Vogel hatte staunend über die Gestaltungskraft und das hervorragende Stilgefühl der jungen Dame den Kopf geschüttelt und sie gefragt, ob das alles ihren eigenen Gedanken entsprungen sei. Sie hatte bejaht, kam mit ihm in ein Gespräch und skizzierte ihm dabei diesen oder jenen Gedanken mit sicheren Strichen.
»Sie sind ein kleines Genie, Fräulein Henny, Sie müssen unbedingt Innenarchitektin werden«, hatte er gesagt.
Henny hatte ihn mit großen Augen angesehen. »Wie macht man das?« hatte sie gefragt.
Er hatte es ihr erklärt, und von der Stunde an war der Plan gefaßt.
Sie ging zu ihrem Vater und bat ihn, sie eine Kunstschule besuchen zu lassen, sie wolle sich als Innenarchitektin ausbilden. Er lachte sie aus, nahm sie gar nicht ernst und suchte ihr den ›Unsinn‹ auszureden. Aber sie ließ nicht nach, ihn zu bestürmen, und endlich gab er nach.
»Schließlich ist es ja einerlei, womit du deine Mußestunden ausfüllst. Ob du Romane liest und Handarbeiten anfertigst oder Bilderchen malst ist ja gleich.«
So ließ er Henny gewähren. Er ahnte nicht, mit welchem Ernst und mit welch zäher Beharrlichkeit seine Tochter ihr Studium betrieb, um das er sich gar nicht kümmerte.
Henny hatte es nicht als Spielerei aufgefaßt, und bei ihrer außerordentlichen Begabung, die wirklich genial zu nennen war, machte sie bewundernswerte Fortschritte. Die Mutter war so wenig wie der Vater mit Hennys Studium einverstanden. Sie hätte es lieber gesehen, wenn ihre Tochter in der Gesellschaft glänzte. Es war ihr gar nicht recht, daß Henny ihre Arbeiten vorzog und Spiel und Tanz vernachlässigte. Oft zankte sie direkt, weil sie nicht von ihrem Zeichenbrett fortzulokken war und sich stundenlang im Kunstgewerbemuseum aufhielt. Sie ahnte ja nicht, wie nötig ihre Tochter eines Tages die so erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten gebrauchen würde.
Henny war dicht vor der Beendigung ihrer Studien, als daheim der Zusammenbruch kam und bald darauf der Vater starb. Nun hieß es für sie, einem Weiterstudium zu entsagen und das bisher Gelernte zu verwerten, um für die Mutter und sich Brot zu verdienen.
Ihr Traum sich als Innenarchitektin zu etablieren, ließ sich nicht erfüllen, da ihr das dazu nötige Kapital fehlte. Sie versuchte nun, eine ihrem Können entsprechende Position in einem großen Betrieb zu erhalten. Aber das war auch nicht leicht. Überall nahm man Anstoß an ihrer Jugend und davon, daß sie eine Dame war. Und doch fühlte sie die Kraft in sich, zu leisten, was ein Mann zu leisten vermochte. Ihren Arbeiten brachte man großes Interesse entgegen, und einige Firmen ließen sich schließlich herbei, hier und da eine Skizze bei ihr zu bestellen.
Das brachte ihr wenigstens so viel ein, um für sich und die Mutter den Lebensunterhalt zu verdienen. Aber ihren Ehrgeiz befriedigten diese gelegentlichen Arbeiten nicht. Sie fühlte sich fähig, Besseres zu leisten.
Auch war es ihr peinlich, immer wieder um einen kleinen Auftrag zu bitten und sich in den meisten Fällen als lästige Bewerberin abweisen zu lassen. Ja, es kam sogar vor, daß man dem schönen Mädchen gegenüber zudringlich und unverschämt wurde.
Es waren oft bittere Stunden, die sie durchleben mußte, und von denen sie der Mutter nie etwas erzählte, um diese nicht zu beunruhigen. Sie zeigte sich ihr gegenüber immer ganz zuversichtlich.
»Einmal muß sich ja auch für mich eine Position finden, wie ich sie mir wünsche«, sagte sie.
Unentwegt sah sie die Zeitungen durch nach offenen Stellungen und bewarb sich darum. Aber stets erhielt sie den Bescheid, daß man eine Dame für den ausgeschriebenen Posten nicht für geeignet hielt, obwohl ihre Probezeichnungen sehr gut gefallen hätten.
Seit einem Jahr lebte nun Henny mit ihrer Mutter in dieser kleinen Wohnung und suchte Tag für Tag Beschäftigung. Sie verdient so viel, daß sie nicht gerade Not zu leiden brauchten, aber natürlich bezahlte man für ihre Arbeiten meist nur die Hälfte von dem, was man einem Mann geboten hätte. Und Hennys Ehrgeiz war unbefriedigt geblieben.
Heute nun hatte sie eine Arbeit abgeliefert, für die man ihr ein höheres Honorar bewilligt hatte, und so brauchte sie der Mutter keinen Frohmut vorzutäuschen. Sie freute sich an dem kleinen Erfolg.
Und ihre Mutter freute sich mit.
»Achtzig Mark, Henny, wirklich achtzig Mark?« fragte sie mit freudigem Staunen.
»Ja, Muttchen, und noch dazu in so schönem, blankem Geld. Ordentlich schwer ist meine Tasche — fühl mal.«
Die Mutter hob die Tasche und nickte. Sie sah mit zärtlichem Stolz an ihrer Tochter empor, die rank und schlank gewachsen vor ihr stand, ein Bild jugendlicher Kraft und Schönheit.
»Meine Henny! Wie töricht war ich früher, wenn ich auf dein fleißiges Arbeiten und Studieren schalt. Freilich, ich dachte damals nicht, daß du es je gebrauchen würdest. Und nun sind wir so ganz und gar darauf angewiesen. Wird es dir nicht zu schwer, mein Kind?«
Ein liebes, weiches Lächeln flog über das schöne, energische Mädchengesicht, aus dem die braunen Augen mit einem goldigen Schein ins Leben blickten. Klar und froh blickten diese Augen, die Klugheit und festes Wollen verrieten.
»Es wird mir gewiß nicht schwer, mein Muttchen, ich könnte zehnmal so viel schaffen, wenn man mir nur Gelegenheit dazu bieten würde. Aber diese Gelegenheit kommt schon noch, daran glaube ich fest. Und vorläufig bin ich froh, daß wir zu leben haben. Ich gebe aber die Hoffnung nicht auf, daß ich dir eines Tages wieder ein sorgenloses, schönes Leben schaffen kann, weil ich die Kraft in mir fühle, Tüchtiges zu leisten. Wenn man mich nur auf den richtigen Platz stellen wollte! Weißt du, Muttchen, im Grunde ist es recht traurig, daß ich ein Mädchen bin. Wäre ich ein Mann, dann hätte ich längst eine gutbezahlte Anstellung in einem großen Atelier. Aber warte nur, eines Tages gerate ich doch einmal an einen hellen Kopf, der einsieht, daß man auch als Frau tüchtig und leistungsfähig sein kann.«
Bei diesen Worten lachte sie ein wenig. Sie hatte inzwischen abgelegt und trug ihre Sachen hinaus. Dann trat sie an den Arbeitstisch, der an dem einen Fenster Platz gefunden hatte. Aber die Mutter zog sie an den kleinen runden Tisch vor dem Sofa, der sauber und einladend gedeckt war. Auf einer hübschen, bunten Kaffeedecke standen zwei Tassen, ein Körbchen mit Weißbrot, Butter und auf einem Spiritusuntersatz eine Kaffeekanne aus Nickel, der ein aromatischer Duft entstieg.
»Komm, meine Henny, du wirst hungrig und durstig sein von dem weiten Weg«, sagte sie.
Henny ließ sich der Mutter gegenüber nieder und füllte die Tassen. Dann langte sie zu von dem knusprigen Weißbrot, und es war ein Vergnügen, zu sehen, wie die weißen, festen Zähne hineinbissen.
Während dieser Kaffeepause erzählte Henny von ihren kleinen Erlebnissen unterwegs. Nur das Angenehme berichtete sie, während sie alles Unangenehme der Mutter verschwieg und fernhielt. Zwischen Mutter und Tochter bestand fast ein umgekehrtes Verhältnis, die Tochter war viel besonnener und energischer als die Mutter und hatte gewissermaßen die Führung übernommen. Frau Röhming war kleiner und zierlicher als ihre Tochter. Aber auch sie war noch immer eine gut aussehende Frau, der man anmerkte, daß sie einmal sehr schön gewesen sein mußte.
»Ich habe auch wieder einen neuen Auftrag mit heimgebracht, Muttchen. Man hat eine Skizze bestellt für einen Salon im Stil Louis XIV.«, sagte Henny im Laufe des Gesprächs.
»Das freut mich, Kind. Bis wann mußt du sie denn liefern?«
»Bis übermorgen, Muttchen. Aber sie ist nicht groß, ich kann sie bequem in einem Tag anfertigen. Und ich bekomme vierzig Mark dafür. Ist das nicht famos?«
»Gewiß, Henny. Eigentlich werden solche Arbeiten doch recht gut bezahlt, nicht wahr?«
»Ja, Muttchen, wenn man nur alle Tage zu tun hätte, dann könnte man mit einem ganz ansehnlichen Einkommen rechnen. Aber leider sind solche Aufträge so selten wie Festtage. Na, es muß auch so gehen. Für nächste Woche hat man mir bei Bär u. Sohn wieder verschiedene Möbelzeichnungen in Aussicht gestellt. Und dann will ich auch mal wieder bei verschiedenen neuen Firmen anklopfen und meine fertigen Zeichnungen vorlegen. Vielleicht kauft man mir etwas ab.«
»Ach, mein gutes Kind, wie schmerzlich ist es mir, daß du deine köstlichen Jugendjahre so freudlos verbringen mußt in angestrengter Arbeit.«
Henny schüttelte abwehrend den Kopf. »Freudlos kannst du das nicht nennen, Muttchen. Meine Arbeit ist mir der schönste Genuß.«
»Nun, ja, du bist ja gottlob anders geartet als andere junge Mädchen. Aber die Sorgen, die du dir hast aufladen müssen, die bedrücken dich dennoch.«
»Das ist nur ein Übergang. Warte nur, es wird besser werden. Ist es doch schon ein wenig vorangegangen. Im Anfang wollte man ja überhaupt nichts bestellen. Und gestern habe ich doch wieder nach einer Stellung geschrieben. Wer weiß, vielleicht komme ich diesmal an einen hellen Kopf. Sei nur unverzagt — Glück kommt über Nacht.«
»Wie das Unglück, meine Henny — nur viel seltener als dies.«
Henny streichelte die Hände der Mutter. »Mein liebes Muttchen, denk doch nicht mehr daran, was hinter uns liegt.«
Die Mutter schluckte krampfhaft die aufsteigenden Tränen hinunter.
»Ich kann es nicht vergessen, Henny, niemals. Solange ich denken kann, wird es nicht verlöschen. Du weißt ja, mein Kind, daß mit Papa all mein Glück zusammenbrach. Ich kann seinen Verlust nie verschmerzen.«
»Es tut dir aber doch weh, daran zu denken.«
»Nein, das mußt du nicht glauben. So wenig wie möglich denke ich an das bittere Ende. Ich sehe Papa immer nur vor mir, wie er in seiner besten Zeit war. Er war ein Sonnenmensch, so unwiderstehlich und von einer so köstlichen Frische. Das hast du von ihm, dies Sonnige, Lebenskräftige. Wenn man ihn ansah, wurde man froh — so wie man auch bei deinem Anblick froh wird. Du hast das vielleicht nie so empfunden wie ich, meine Henny, weil du selbst ein Sonnenschein bist. Aber du verlierst deine Lebensfreude gottlob auch dann nicht, wenn du im Schatten stehen mußt. Papa konnte das nicht. Er brach zusammen, als er nicht mehr in der Sonne leben konnte.«
Henny sah sinnend vor sich hin. Auch sie hatte ihren Vater sehr geliebt und aufrichtig sein frühes Ende betrauert. Aber ihrem starke, zielbewußten Charakter war das haltlose Zusammenbrechen des Vaters unverständlich gewesen. Sie hatte nicht begreifen können, daß er bei dem ersten Lebenssturm, der ihn erfaßte, und den er allein verschuldet, sich so völlig selbst verlor.
Der Mutter gegenüber hätte sie aber um keinen Preis ein kritisches Wort über den Vater fallen lassen mögen. Sie wußte, daß sie sie damit bis ins Herz treffen und ihr weh tun würde.
Zärtlich zog sie die Mutter an sich. »Mein Herzensmuttchen, wenn ich doch für dich noch einmal einen Platz an der Sonne erringen könnte, damit du wieder froh würdest.«
»Ach, Kind, für dich ist ein Platz an der Sonne wichtiger als für mich.«
Lächelnd schüttelte Henny den Kopf. Sie faßte die Mutter an den Schultern und rüttelte sie zärtlich.
»Ach, du törichtes Muttchen, das ist doch das schönste für mich, daß ich für dich arbeiten kann. Du brauchst mich gar nicht zu bedauern. Ich bin sehr zufrieden mit meinem Schicksal.«
Das entsprach nun freilich nicht ganz der Wahrheit. So ganz zufrieden war Henny nicht. Aber wozu sollte sie das der Mutter zeigen? Sie war ein tapferes, unverzagtes Geschöpf und wollte sich nicht unterkriegen lassen. Aber gerade, daß sie die Kraft in sich fühlte, etwas Großes zu erreichen und doch diese Kraft nicht betätigen konnte, quälte sie. Aber das sollte die Mutter nicht merken. Den Mut verlor sie deshalb nicht und auch nicht den Glauben, daß wieder bessere Zeiten für sie und die Mutter kommen müßten.
Als sie ihren Kaffee eingenommen hatte, ging Henny gleich wieder an die Arbeit. Wenn sie einen Auftrag erhalten hatte, erledigte sie ihn immer so schnell sie konnte. Das lag in ihrer Art. Sie mochte nie etwas auf morgen verschieben, was sie heute tun konnte.
Am nächsten Tag traf Antwort ein auf ihre Bewerbung um die ausgeschriebene Stelle. Es war wieder eine Absage.
»Ihre Arbeiten haben uns sehr interessiert, aber wir haben in unserem Betrieb nur männliche Angestellte und müssen darauf verzichten, den Posten mit einer Dame zu besetzen.«
Sie biß die Zähne zusammen und sah starr vor sich hin, als sie das las.
»Ich werde mir die Zöpfe abschneiden und Männerkleider anlegen müssen, dann engagiert man mich vielleicht«, sagte sie mit bitterem Zorn zu ihrer Mutter.
Aber dann mußte sie lachen über deren entsetztes Gesicht.
» Ach, Muttchen, hab keine Angst — ich tue es nicht. Dazu bin ich denn doch zu eitel.«
Nun lachte auch ihre Mutter.
»Es wäre ja auch jammerschade um deine Zöpfe, Henny.«
Die junge Dame seufzte ärgerlich.
»Aber zornig kann man doch werden, daß niemand eine Frau für solchen Posten anstellen will.«
II
Draußen vor der mittelgroßen Provinzstadt, da, wo die bewaldeten Höhenzüge begannen und der Fluß durch das breite Tal rauschte, lagen am Flußufer zwei große Fabriken nebeneinander. Der Fahrweg, der sich von der Stadt her am Fluß entlang zog, führte zu den beiden mächtigen Torwegen. Uber denselben waren in einem gewölbten Bogen die Namen der Firmen angebracht. ›Brandner und Sohn‹ stand über dem einen Tor, das zu den riesigen Holzplätzen führte. Und hierzu gehörte auch das große Sägewerk unten am Fluß.
Mit einem eigentümlich zischenden, schneidenden Ton, der sich regelmäßig wiederholte, wurden die riesigen Stämme von der elektrisch betriebenen Säge zu Brettern zerschnitten und diese dann auf kleinen, auf Schienen gehenden Wagen zum Holzplatz transportiert. Dort wurden sie in hohen Stößen aufgebaut, so, daß zwischen zwei Brettern immer eine Luftschicht blieb.
Zwischen den Holzplätzen lief vom Torweg her ein breiter Fahrdamm durch das ganze Anwesen bis zu dem bewaldeten Berg im Hintergrund. Der Fahrweg führte auch noch, etwas schmäler werdend, unter hohen, breitästigen Bäumen bergaufwärts, bis zum Wohnhaus des Besitzers, das in halber Höhe des Berges auf einem breiten Abhang lag. Es war im vornehmen Villenstil gehalten und von einem gutgepflegten Garten umgeben.
Harziger Holzgeruch lag über dem großen Grundstück, dieser gesunde, würzige Duft, der den Zellen des geschnittenen Holzes entströmt. Am Fuß des Berges, unterhalb des Wohnhauses, lag ein großes, schmuckloses Gebäude, in dem die Kontore und sonstigen Geschäftsräume untergebracht waren, und rechts und links an dem Zaun entlang, der das Grundstück begrenzte, waren große Schuppen aufgebaut, in denen das zum Trocknen bestimmte Holz aufgeschichtet war.
Der jetzige Besitzer der Firma Brandner und Sohn, Friedrich Brandner, hatte dieselbe vor nahezu fünfundzwanzig Jahren von seinem Vater übernommen, so wie sie diesem wieder von seinem Vater vererbt worden war. Damals bestand sie freilich nur aus einer schlichten, vom Wasser getriebenen Schneidemühle und einem bescheidenen Holzhandel. Unter Friedrich Brandners Vater hatte sich der Betrieb vergrößert, aber erst der ins Große strebende Geschäftssinn des jetzigen Inhabers hatte das Werk zu dem gemacht, was es war. Die Firma Brandner und Sohn hatte weit hinaus einen guten Klang. Nachdem Friedrich Brandner Chef der Firma geworden war, hatte er sich mit einer sehr vermögenden jungen Dame vermählt, und als ihm dann zwei Töchter geboren wurden, ließ er an Stelle des alten schlichten Wohnhauses, das dicht am Fluß lag, oben auf dem Berg die schöne, geräumige Villa bauen.
Friedrich Brandner lebte mit Frau und Töchtern in sehr guten Verhältnissen. Er hatte eine glückliche Hand. Alles, was er anfaßte, gelang, und es schien, als wollte ihm das Schicksal jeden Wunsch erfüllen, außer einem — der heiß ersehnte männliche Erbe, der einst die Firma weiterführen sollte, blieb ihm versagt. Das war der einzige Schatten an seinem Glückshimmel.
Die große Fabrik neben dem Brandnerschen Betrieb war gewissermaßen ein Schwesterunternehmen. Über dem Tor prangte hier der Name ›Heinrich Falkner‹.
Auch diese Firma war mit den Jahren mächtig emporgeblüht. Die Möbelfabriken von Heinrich Falkner waren ebenfalls weithin bekannt und berühmt. Auch sie waren aus bescheidenen Anfängen emporgewachsen. Jetzt befanden sich mehrere große Fabrikgebäude auf dem Grundstück, das eine gleiche Ausdehnung besaß wie das Brandnersche und sich ebenfalls bis zu dem Berg hinüberzog.
Auch Heinrich Falkner hatte in gleicher Höhe auf dem Bergabhang eine geräumige Villa erbauen lassen. Sie war innen mustergültig eingerichtet, nur mit Erzeugnissen der eigenen Fabrikation.
Beide Villen waren durch einen breiten Fußweg verbunden. Über diesen Weg führte der rege, nachbarliche Verkehr der Familien Brandner und Falkner. Die Freundschaft hatte wohl ihren Ursprung in der geschäftlichen Verbindung der beiden Firmen. Die Falknerschen Fabriken deckten fast den ganzen, enormen Bedarf an Hölzern bei der Firma Brandner. Nur wenige ausländische Hölzer, die von Brandner nicht geliefert werden konnten, bezog man von auswärts.
Die Firma Heinrich Falkner hatte im Aufblühen wacker Schritt gehalten mit der Firma Brandner und Sohn, obwohl der Chef derselben, Heinrich Falkner, bereits vor zwölf Jahren gestorben war.
Seine Witwe, eine äußerst tatkräftige und energische Frau, hatte nach seinem Tod die Zügel in feste Hände genommen und für ihre beiden unmündigen Söhne die Geschäfte in bewundernswerter Weise geführt.
Unterstützt wurde sie darin von dem langjährigen Prokuristen Karl Hermsdorf. Im Anfang, ehe sie sich eingearbeitet hatte, stand ihr auch Friedrich Brandner mit Rat und Tat zur Seite. Er hegte eine ehrliche Bewunderung für Frau Bettina Falkner.
Da Brandner selbst keine Söhne hatte, war bald genug der Wunsch in ihm lebendig geworden, seine beiden Töchter mit den Söhnen Heinrich Falkners zu vermählen. Er dachte es sich wunderschön, wenigstens der Schwiegervater von zwei solchen ›Prachtkerlen‹ zu werden, wie er Norbert und Hans Falkner bei sich nannte. Er malte sich das schon aus, als seine Töchter noch in kurzen Kleidern und Hängezöpfen mit den um reichlich zehn Jahre älteren Brüdern auf den Holzplätzen umherkletterten, wenn er auch noch mit keinem Menschen darüber sprach. Norbert Falkner, der älteste der beiden Brüder, blieb dann Chef der Firma Falkner, und Hans, der jüngere, übernahm das Sägewerk und die Holzhandlung, die natürlich unter der alten Firma weitergeführt werden mußten. So blieb alles herrlich beisammen, und nebenbei machten seine Töchter ebenso glänzende Partien wie die Brüder Falkner.
Als endlich seine Töchter ein heiratsfähiges Alter erreicht hatten, zögerte Friedrich Brandner nicht