UNGLAUBE - Eine Ermutigung
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About this ebook
Dabei geht er der Frage nach, was der Unglaube mit dem Glauben zu tun hat und ergründet, warum er - entgegen gängiger Vorstellungen - sogar einen wertvollen Teil religiöser Existenz ausmacht. In jedem Kapitel beleuchtet er das Wort "Unglaube" (apistia), das in dieser Form insgesamt nur elfmal quer durch das Neue Testament auftaucht - von den Evangelien bis hin zu Paulus und den übrigen Briefen. Alle Bibelstellen erhellen ganz unterschiedliche Aspekte im eigenen UN/GLAUBEN. Dabei wird schnell klar: Es gibt keinen Glauben ohne Unglaube! Und das ist gar nicht mal so schlimm, wie wir dachten.
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Book preview
UNGLAUBE - Eine Ermutigung - Sebastian Rink
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2022 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn
Alle Rechte vorbehalten
Umschlaggestaltung: Grafikbüro Sonnhüter, www.grafikbuero-sonnhueter.de
unter Verwendung eines Bildes von © Local_doctor (shutterstock.com)
Lektorat: Hauke Burgarth, Pohlheim
Verwendete Schriften: ScalaSans, Scala:
DTP: Breklumer Print-Service, www.breklumer-print-service.com
Gesamtherstellung: PPP Pre Print Partner GmbH & Co. KG, Köln, www.ppp.eu
Printed in Germany
ISBN 978-3-7615-6826-2 (Print)ISBN 978-3-7615-6827-9 (E-Book)
www.neukirchener-verlage.de
Vorwort
„Ich glaube, hilf meinem Unglauben!"Markus 9,24
Das denkwürdige Jahr 2020 stand auf vielfältige Weise im Zeichen dieses Ausrufs. Dass ich mich auf meine eigene Weise mit dem Thema „Unglaube auseinandergesetzt und meine Gedanken zusammengetragen habe, wurde durch diese „Jahreslosung
(eine Art Mottovers) ausgelöst. In einer siebenteiligen Predigtserie in „meiner" Freien evangelischen Gemeinde Fischbacherberg in Siegen sind wir gemeinsam dem Unglauben nachgegangen. Daraus wurde dieser eigene Zugang, ergänzt durch eine Predigt zu Luthers Großem Katechismus aus dem Jahr des 500. Reformationsjubiläums.
Ein paar Anmerkungen zur Lektüre seien vorweggeschickt: Anders als in meinen vorigen Büchern „Heiliges Leben über die Bergpredigt und „Wenn Gott reklamiert
über die zwölf (Kleinen) Propheten nehme ich mir in diesem Buch keinen zusammenhängenden Text vor. Das wirkt sich unmittelbar auf die Auslegung aus. Ich habe daher nicht das vordergründige Anliegen, Bibeltexte zu erklären. Mir geht es zuerst darum, mit den Texten über das Thema zu sprechen. Dabei beanspruche ich nicht, genau das herauszufinden oder gar zu präsentieren, was die Texte an sich sagen wollen. Es gibt immer alternative Auslegungen, und mit anderen Fragen wird man andere Antworten von den Bibelstellen hören. Ich lasse mich in meinen Gedanken von den Worten der Bibel inspirieren – nicht viel mehr, aber auch keinesfalls weniger.
Das Thema steht zwar im Vordergrund, dennoch habe ich mich an eigenen Worten für die Bibeltexte versucht. Das ist immer schon Interpretation, tut der griechischen Vorlage aber im besten Fall keine Gewalt an. Ich hoffe, das ist gelungen. Ein Vergleich mit anderen Übersetzungen sei herzlich empfohlen.
Dieses Buch ist keine systematische Abhandlung, die logisch von einem Aspekt zum nächsten geht. Es ist vielmehr eine Art „Theologie am Wühltisch. So darf es gern gelesen werden. Manches liegt womöglich unsortiert herum, einiges ist „ausverkauft
, manches gar nicht im Angebot. Heißt so viel wie: Dieses Buch ist eine Auswahl an Gedanken zum Weiterdenken, keine fertige Theorie. Ich mache einen Aufschlag, aber dann liegt der Ball auch schon bei den Leser:innen. Die Fragen am Ende jedes Kapitels dienen dazu, das Gedankenspiel in Gang zu halten.
Zu danken habe ich wieder vielfältig: Zuerst Ruth Atkinson und dem Neukirchener Verlag für die Anregung, Möglichkeit und Unterstützung, dieses Buch zu schreiben. Hauke Burgarth danke ich für eine erneut äußerst angenehme Zusammenarbeit im Lektorat. Barbara Daub bin ich sehr dankbar für mehr als wertvolle Rückmeldungen beim Testlesen. Julia danke ich von Herzen für ihre Geduld mit mir und meinen Büchern.
PS: Alle Anmerkungen können online bequem auf dem Smartphone parallel gelesen werden, ohne umzublättern:
www.sebastianrink.de/unglaube/anmerkungen
Inhalt
Vorwort
Ein Spiel von Licht und Schatten
Vom Licht des Glaubens
Die Konfrontation mit dem Leben aushalten
Die Normalität des Lebens wertschätzen
Eine Hommage an das Leben erleben
Den Glauben eines Gottes entdecken
Auf Schultern von anderen stehen
Das Ziel des Wissens anpeilen
Das Heute des Glaubens erkennen
Was bleibt vom Unglauben?
Ein Spiel von Licht und Schatten
Das Leben gleicht einem Spiel aus Licht und Schatten. Die biblische Weltgeschichte erzählt sogar, dass Gott selbst es ganz am Anfang spielt: Gott fügt Licht und Schatten in einen täglichen Wechsel von Mit- und Gegeneinander. Das Leben lebt vom Spiel mit seinen Gegensätzen.
Das gilt genauso für den Glauben. Er ist ein Spiel der Kontraste, lebt von Licht und Schatten. Denn jeder Glaube bringt immer seinen Schatten des Unglaubens mit; jeder Glaube enthält in sich etwas, das ihn zugleich infrage stellt. Wir sind glaubende Ungläubige und ungläubige Glaubende.¹ Das beschreibt in wunderbar verstörender Klarheit, wie ich Glauben erlebe: Das mehr oder weniger fromme Leben ist ein ständiges Mit- und Ineinander, ein Zu-, Mit- und Gegeneinander von Glaube und Unglaube. Gerade in dieser Mischung ist der Glaube eine faszinierende Bereicherung für das Leben.
In der Tradition, in der mein eigener Glaube entstanden ist, wird Unglaube gemeinhin als etwas wahrgenommen, das es zu überwinden gilt. Wenn nicht gar als etwas Bedrohliches. Und da ist durchaus etwas dran. Wer als Glaubende:r den eigenen Unglauben entdeckt, muss akzeptieren, sich verletzlich zu machen. Ihn als Teil des eigenen Glaubens zu akzeptieren, fällt deshalb oftmals schwer.
Die verständliche Reaktion wäre, den Glauben so gut es geht abzusichern, sich in seinem Licht zu sonnen und die Schatten höchstens zähneknirschend zur Kenntnis zu nehmen, zähneklappernd zu ignorieren oder zähnezeigend zu bekämpfen. Mehr und mehr aber finde ich diese Art zu glauben weder ehrlich noch gesund. Jedenfalls nicht für mich.
Denn auch wenn es mir anders lieber wäre, steht mein Glaube auf wackligen oder wenigstens sehr ungleichen Beinen. Auf einem, das glaubt, und auf einem, das sich da manchmal nicht so sicher ist. Doch erst in dieser Einsicht in den eigenen Unglauben beginnt für mich das Verstehen des Glaubens oder wie der katholische Theologe Johann Baptist Metz (1928–2019) es schreibt:
„Erst wo der Glaube sich so dem Unglauben stellt, erfährt er sich selbst als den Ort, an dem in der Tat immer die absolute Sinnfrage des konkreten Daseins gestellt wird, an dem nichts und keines von vornherein sicher und auf jeden Fall klar und fraglos ist."²
Unglaube beschreibt nicht nur andere Menschen, sondern da geht es um mich selbst und meinen Glauben in seiner tiefsten Verletzlichkeit. Glaube ist nämlich alles andere als selbstverständlich. Wäre ich nur ein paar Hundert Kilometer weiter rechts oder links auf der Landkarte ins Dasein hineingeboren, dann wäre mir womöglich nie ein religiöser Glaube geschenkt worden. Nimmt man all die anderen Zufälligkeiten des Lebens hinzu, wird man sagen können: Glaube ist recht unwahrscheinlich, er hängt an den seidenen Fäden eines Mobiles aus Biografie und Geografie, Prägung und Bildung, Sehnsucht und Erfahrung.
Als in meinem Fall die Sache mit dem „Hineingeborenwerden" erledigt war, verflüchtigten sich jedoch schnell die Unwahrscheinlichkeiten. Die evangelische und zudem freikirchliche Tradition meiner Eltern und Großeltern wurde schnell zu meiner eigenen. Und mit dem Unwahrscheinlichen der Geburt verschwand allmählich alles Zweifelhafte des Glaubens. Irgendwann gab es dazu keine ernst zu nehmende Alternative mehr. Es war klar: Ich glaube. Und das tat ich lange Zeit mit zunehmender Überzeugung.
Heute glaube ich immer noch, tue das (meist) sehr gerne und in der Überzeugung, dass es sinnvoll ist zu glauben. Doch aus dem Standpunkt wurde mir ein Weg, aus der Überzeugung eine Überlegung. Der katholische Theologe Walter Kasper (*1933) bringt das gut auf den Punkt:
„Die Glaubensgewißheit ist Hoffnungsgewißheit. Das bedeutet, daß der Glaube in der Geschichte immer strittig sein wird und daß auch der Glaubende seinen Glauben nie einfach hinter sich, sondern stets vor sich hat. Hier gilt: ‚Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben‘ (Mk 9, 23). […] Der Glaube des Gläubigen steht immer wieder auf dem Spiel. So ist der Glaube kein geschlossenes, sondern ein offenes System. […] Er darf nicht nur ein Asyl der Geborgenheit sein, sondern er muß auch ein Herd heiliger Unruhe sein."³
Dieser „Herd heiliger Unruhe macht mich neugierig – weil ich das kenne. Deshalb will ich wissen, was es mit einem solchen Glauben auf sich hat, der den Unglauben als das eigene Gegenteil in sich trägt und akzeptiert, ihn vielleicht sogar zu „nutzen
und seine Unruhe zu heiligen weiß. Beim Verfolgen dieses gewagten Anliegens balanciere ich auf einem schmalen Grat: Ich will den Unglauben in meinem Glauben wahrnehmen, ohne dass er zum Eigentlichen wird. Er soll in seiner Eigenschaft als Unglaube den Glauben fördern und ihn nicht zerstören.
Ein Bild von einem Schatten
Vielleicht gelingt solch eine heilsame Wahrnehmung, wenn wir nicht direkt sachlich in das theologische Thema einsteigen, sondern uns zunächst einer tragenden Metapher dieses Buches nähern: dem Schatten. Denn wir wollen versuchen, den Unglauben als den Schatten des Glaubens verstehen zu lernen.
Was hat es mit diesem Bild auf sich? Schatten haben auf den ersten Blick einen eher schlechten Ruf, gerade im Vergleich mit dem Licht. Schatten ist Dunkelheit, Kälte, Ungewisses. Die „Schatten der Vergangenheit sind nicht unbedingt die allerschönsten Erinnerungen, kaum jemand möchte nur noch ein Schatten seiner oder ihrer selbst sein, und wer will schon gern von anderen „in den Schatten gestellt
werden? Schatten sind das zu Vermeidende, stehen sprichwörtlich für die dunkleren Seiten des Lebens. So kann die Bibel den Schatten als Bild für die Vergänglichkeit benutzen, wie es Psalm 144,4 ausdrückt:
Der Mensch ähnelt dem Hauch,seine Tage sind wie ein vorbeiziehender Schatten.
Noch bedrohlicher, wenigstens auf der Schattenseite, wirkt das Bild in Matthäus 4,16 (ein Zitat aus Jesaja 9,1), wo Schatten und Tod Hand in Hand gehen:
Das Volk, das sich im Dunkeln befindet, hat ein helles Licht gesehen!Und denen, die im Land und Schatten des Todes wohnen, ist ein Licht aufgegangen!
Aber das ist nur der erste Blick und die eine Seite. Diese Schattenmetapher ist äußerst schillernd, sie hat unscharfe Ränder und viele Facetten, schon in der Bibel.⁴ Schatten ist nicht bloß ein Phänomen der Lebensbedrohung, sondern er kann zum genauen Gegenteil werden und etwa Schutz bedeuten, wie in Psalm 121,5:
Gott ist dein Schutz, Gott ist dein