Stoß mich nicht weg: Sophienlust Extra 56 – Familienroman
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In der Reihe Sophienlust Extra werden die schönsten Romane dieser wundervollen Erfolgsserie veröffentlicht. Warmherzig, zu Tränen rührend erzählt von der großen Schriftstellerin Patricia Vandenberg.
Sophienlust Extra Nr. Andrea von Lehn beugte sich über den Kinderwagen, in dem ihr kleiner Sohn fröhlich strampelte. »Na, Peterle, dir scheint es ja hier draußen im Garten sehr gut zu gefallen«, meinte sie und streichelte ihm zärtlich über die runden Bäckchen. Peterle krähte laut vor Vergnügen, lachte glucksend und griff nach Andreas Haaren. Die junge Frau lachte. »Ich weiß genau, was du willst. Ich soll dich auf den Arm nehmen und herumtragen. Oder mit dir spielen. Deine beiden Onkel haben dich total verwöhnt. Wenn sie hier sind, kümmern sie sich ständig um dich. Nick schleppt dich immerzu herum, und Henrik bringt dein ganzes Spielzeug herbei. Aber deine arme, bedauernswerte Mutti hat viel zu viel zu tun.« Andrea stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus, den Peterle mit einem glucksenden Lachen quittierte. »Deine arme Mutti muss sich um den Haushalt kümmern, ihrem Mann in der Praxis helfen – und jetzt wird sie dich gleich füttern«, schloss sie. Doch statt ins Haus zu gehen, um Peterles Mahlzeit zu holen, hob Andrea ihren geliebten Sohn aus dem Wagen und trug ihn auf dem Arm ein Stück in den Garten hinein. Es war ein wunderschöner Tag. Die Sonne schien von einem strahlend blauen Himmel, aber es war nicht schwül. Im Garten dufteten die Blumen.
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Book preview
Stoß mich nicht weg - Gert Rothberg
Sophienlust Extra
– 56 –
Stoß mich nicht weg
Die kleine Heidemarie sucht ihren Bruder …
Gert Rothberg
Andrea von Lehn beugte sich über den Kinderwagen, in dem ihr kleiner Sohn fröhlich strampelte. »Na, Peterle, dir scheint es ja hier draußen im Garten sehr gut zu gefallen«, meinte sie und streichelte ihm zärtlich über die runden Bäckchen. Peterle krähte laut vor Vergnügen, lachte glucksend und griff nach Andreas Haaren.
Die junge Frau lachte. »Ich weiß genau, was du willst. Ich soll dich auf den Arm nehmen und herumtragen. Oder mit dir spielen. Deine beiden Onkel haben dich total verwöhnt. Wenn sie hier sind, kümmern sie sich ständig um dich.
Nick schleppt dich immerzu herum, und Henrik bringt dein ganzes Spielzeug herbei. Aber deine arme, bedauernswerte Mutti hat viel zu viel zu tun.« Andrea stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus, den Peterle mit einem glucksenden Lachen quittierte. »Deine arme Mutti muss sich um den Haushalt kümmern, ihrem Mann in der Praxis helfen – und jetzt wird sie dich gleich füttern«, schloss sie.
Doch statt ins Haus zu gehen, um Peterles Mahlzeit zu holen, hob Andrea ihren geliebten Sohn aus dem Wagen und trug ihn auf dem Arm ein Stück in den Garten hinein. Es war ein wunderschöner Tag. Die Sonne schien von einem strahlend blauen Himmel, aber es war nicht schwül. Im Garten dufteten die Blumen.
Nun kam Waldi mit flatternden Ohren angerannt. Er sprang an Andrea empor.
Die junge Frau lachte. »Ich weiß schon«, sagte sie in Waldis Richtung, »du willst Peterle die Händchen lecken, damit er auch merkt, wie sehr du ihn magst. Aber ich mag das nicht, verstanden? So kleine Kinder sind nämlich noch sehr empfindlich!«
Andrea bemühte sich um eine strenge Miene, die jedoch auf Waldi keinen Eindruck machte. Er fuhr fort, an seinem Frauchen emporzuspringen, und Peterle wedelte mit beiden Händchen in Waldis Richtung.
»Mich nimmt einfach kein Mensch ernst«, seufzte Andrea schicksalsergeben. »Ich möchte bloß wissen, woran das liegt.«
Nun kamen auch Hexe, ihre beiden Kinder und Severin, die Dogge, angerannt. Peterle wurde ganz aufgeregt. Beide Händchen streckte er nach den Hunden aus und quietschte vergnügt.
Auch ohne Worte verstand die junge Frau ihren Sohn. Der Kleine wollte mit den Hunden spielen. Seine braunen Augen glänzten vor Begeisterung.
»Aber das geht jetzt nicht, Peterle«, sagte Andrea unglücklich, »Betti richtet schon dein Mittagessen.« Sie trug das Kind zu seinem Wagen zurück.
Doch kaum lag Peterle auf der weiß bezogenen Matratze, da fing er auch schon aus Leibeskräften zu schreien an. Er wollte zweifellos auf dem Arm seiner Mutti bleiben. Oder mit den Hunden spielen.
»Sei still, Peterle«, bat Andrea. »Ich bin ja gleich wieder zurück.«
Aber Peterles Protestgeschrei hallte weiterhin durch den ganzen Garten.
Hans-Joachim streckte den Kopf aus der Haustür. »Du bist nicht zufällig gerade dabei, unseren Sohn umzubringen, Andrea?«, erkundigte er sich schmunzelnd. »Es klingt nämlich ganz danach.«
Mit unglücklichem Gesicht entgegnete die junge Frau: »Ich hab ihn bloß in seinen Wagen gelegt, um sein Mittagessen zu holen. Aber das passt ihm nicht. Er will herumgetragen werden. Und mit den Hunden spielen.«
Grinsend riet Hans-Joachim ihr: »Ruf doch deine beiden Brüder an. Die kommen mit Freuden her und tun alles, was ihr verwöhnter Neffe will.«
»Und morgen schreiben Sie dann eine schlechte Arbeit in der Schule und behaupten hinterher, daran sei nur ich schuld gewesen, weil ich sie vom Lernen abgehalten hätte.«
»Du bist schon eine bedauernswerte viel geplagte Frau«, meinte Hans-Joachim. Er nahm seine Frau in die Arme und küsste sie zärtlich.
Hinter ihnen war es plötzlich still geworden.
Rasch machte sich Andrea aus den Armen ihres Mannes frei und fragte mit großen Augen: »Ob ihm etwas fehlt? Er ist auf einmal so still.« Sie rannte auf den Wagen zu.
Peterle lag auf seiner weißen Matratze und lutschte seelenruhig an seinem Däumchen. »Gott sei Dank«, murmelte Andrea, »er ist ganz in Ordnung. Diese plötzliche Stille war mir ganz unheimlich.«
»O Andrea!« seufzte ihr Mann und legte seinen Arm um ihre Schulter. »Du bist ein wahres Original. Wenn Peterle schreit, denkst du, er sei sterbenskrank. Ist er ruhig, glaubst du das Gleiche. Was soll der arme Kerl denn tun, damit du beruhigt bist?«
»Du verstehst mich nicht«, erwiderte Andrea mit tragischer Miene. »So etwas versteht eben nur eine Mutter!« Hoch aufgerichtet betrat sie das Haus.
Grinsend folgte ihr Hans-Joachim. Ein Leben ohne Andrea hätte er sich einfach nicht mehr vorstellen können. Manchmal war sie noch ein großer Kindskopf. Aber gerade das liebte er an ihr. Eine ernste, würdige Andrea wäre nicht mehr seine Andrea gewesen.
Als Andrea die Küche betrat, hatte Betti bereits Peterles Mittagsmahlzeit gerichtet. Geriebene Karotten und Kalbfleisch. Letzteres natürlich zu Püree verarbeitet.
»Ich glaube, ich werde den Kleinen draußen im Garten füttern. Das Wetter ist so schön«, sagte die junge Frau.
»Hier ist Peterles Lätzchen«, antwortete Betti und drückte Andrea das Leinenlätzchen in die Hand, auf dem eine Ente mit ihren Jungen zu sehen war. Die großen Mädchen von Sophienlust hatten das gestickt und Andrea das Lätzchen zur Geburt ihres ersten Kindes geschenkt.
Andrea nahm auch noch den Teller und Peterles Löffel in die Hand, dann ging sie wieder hinaus in den Garten.
Der Kinderwagen stand noch am gleichen Fleck wie vor fünf Minuten. Aber nun beugte sich jemand über den Wagen und starrte aufgeregt in Peterles Gesicht. Es war ein kleines Mädchen von etwa fünf Jahren. Es hatte lange braune Zöpfe und trug ein hellblaues Kleidchen.
»Du bist Stefan!« stammelte das kleine Mädchen völlig außer sich. »Endlich habe ich dich gefunden. Ach, da wird sich der Opa aber freuen.«
Die Kleine streckte beide Arme in den Wagen und machte Anstalten, Peterle herauszuheben.
Andrea stellte den Teller auf einen Gartenstuhl. Dann wandte sie sich an das fremde Kind. »Wer bist du denn?«, fragte sie freundlich und mit ruhiger Stimme.
»Ich heiße Heidemarie«, gab das Mädchen bereitwillig Auskunft und richtete sich auf. »Und das da drinnen – das ist der Stefan.« Die Kleine deutete auf Peterle.
Lächelnd entgegnete Andrea: »Ich glaube, da irrst du dich, Heidemarie. In dem Wagen liegt Peterle. Er ist mein kleiner Sohn.«
Hartnäckig schüttelte die Kleine den Kopf, sodass die Zöpfe flogen. »Aber nein!«, rief sie aufgeregt. »Genauso sieht der Stefan aus. Er hat auch so dünne Haare. Und braune Augen. Und so klein ist er auch. Bestimmt ist das Stefan!«
»Wer ist denn Stefan?«, fragte Andrea ruhig.
»Das ist mein Brüderchen«, antwortete die Kleine. Ihre Stimme klang plötzlich traurig.
»Weshalb sollte denn dein kleines Brüderchen hier in diesem fremden Garten sein?«, erkundigte sich Andrea geduldig.
Heidemarie zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht, wie er hergekommen ist. Es ist ja auch ziemlich weit von München.«
»Du kommst aus München?«, unterbrach Andrea die Kleine überrascht.
»Ja. Zusammen mit meinem Opa. Wir wohnen jetzt in Wildmoos. In einem Gasthof.«
Andrea beugte sich vor und nahm Peterle aus dem Wagen.
Mit andächtigem Gesicht verfolgte Heidemarie jede ihrer Bewegungen. »Aber er sieht genauso aus wie Stefan«, beharrte sie. »Ich glaube, er ist doch mein Brüderchen.«
Andrea hatte in Sophienlust gelernt, wie man mit Kindern umgehen musste. Sie setzte sich auf einen der Gartenstühle, band Peterle sein Lätzchen um, stellte den Teller mit dem Kindermenü neben sich und schob den ersten vollen Löffel in Peterles Mund.
Das Baby schluckte eifrig und sperrte den Mund sofort wieder auf. Die Nahrungszufuhr ging ihm offensichtlich nicht schnell genug.
Andächtig schaute Heidemarie zu. »Stefan«, sagte sie zärtlich, streckte vorsichtig das Händchen aus und strich damit über Peterles Flaumhärchen.
Andrea verbot dies dem fremden Kind nicht. Sie sah, wie verklärt das Gesicht des Mädchens plötzlich war. Mit ruhiger Stimme fragte sie: »Weshalb glaubst du, dass dein Brüderchen hier bei mir ist und nicht zu Hause bei deinen Eltern?«
Zum ersten Mal richteten sich die großen Kinderaugen voll auf die junge Frau. »Weil der Stefan auf einmal weg war«, berichtete Heidemarie. »Er hat in seinem Kinderwagen gelegen, draußen im Garten. Aber als die Mutti nachgeschaut hat, da war er auf einmal weg.«
»Entführt?«, rief Andrea mit aufgerissenen Augen und ließ den Löffel vor Schreck in den Teller zurückfallen. Peterle schrie empört los, weil der nächste Löffel so lange auf sich warten ließ.
Hastig schob Andrea einen vollen Löffel in Peterles empört geöffnetes Mündchen. Doch den Blick hielt sie dabei auf das fremde Mädchen gerichtet. »Man hat dein Brüderchen entführt?«, wiederholte sie.
Heidemarie nickte traurig. »Ja, so haben sie es genannt. Entführt. Und Männer in Uniform waren da. Alle haben sie nach Stefan gesucht. Aber niemand hat ihn finden können. Mutti und Vati waren schrecklich aufgeregt. Ich auch. Ich hab immer geweint. Und nachts geträumt und geschrien. Deshalb ist der Opa mit mir fortgefahren.«
Voll herzlichen Erbarmens hing Andreas Blick an dem blassen Kindergesicht. »Dein Brüderchen war also noch so klein wie mein Peterle hier?«, fragte sie.
Das Mädchen nickte wieder heftig. »Genauso«, bestätigte es. »So klein wie das Baby da. Und die Härchen waren auch so blond. Sag, Tante, ist das wirklich dein Baby?«
»Ja, Heidemarie, es ist wirklich mein Baby. Es tut mir so leid, dass ich dich enttäuschen muss. Aber bestimmt finden die Männer von der Polizei dein Brüderchen wieder.«
»Ich glaub nicht«, widersprach Heidemarie.