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Allmende 108 – Zeitschrift für Literatur: Pfiffig, griffig, ganz schön frech. Kinderlyrik und Sprachspiel
Allmende 108 – Zeitschrift für Literatur: Pfiffig, griffig, ganz schön frech. Kinderlyrik und Sprachspiel
Allmende 108 – Zeitschrift für Literatur: Pfiffig, griffig, ganz schön frech. Kinderlyrik und Sprachspiel
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Allmende 108 – Zeitschrift für Literatur: Pfiffig, griffig, ganz schön frech. Kinderlyrik und Sprachspiel

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Wodurch zeichnet sich Kinderlyrik aus? Welche Erscheinungsformen gibt es? Worin bestehen Gemeinsamkeiten mit und Unterschiede zur Lyrik für Erwachsene? Inwiefern fördert sie den spielerischen Umgang mit Sprache? Die Jubiläumsausgabe der allmende stellt aktuelle Positionen aus der Forschung sowie aus dem Literaturbetrieb vor und beleuchtet die sprachliche und gestalterische Vielfalt der Kinderlyrik.
Mit Beiträgen von Michael Augustin, Georg Bydlinski, Dagmar de Mendieta, Sigrid Eyb-Green, Uwe-Michael Gutzschhahn, Michael Hammerschmid, Gerald Jatzek, Jan Koneffke, Susan Kreller, Paul Maar, Jana Mikota, Nils Mohl, Sandra Niebuhr-Siebert, Arne Rautenberg, Manfred Schlüter, Leta Semadeni, Elisabeth Steinkellner u. a.
Internet: www.allmende-online.de
LanguageDeutsch
Release dateFeb 21, 2022
ISBN9783963116605
Allmende 108 – Zeitschrift für Literatur: Pfiffig, griffig, ganz schön frech. Kinderlyrik und Sprachspiel

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    Allmende 108 – Zeitschrift für Literatur - Hansgeorg Schmidt-Bergmann

    HANS-HEINO EWERS

    Vom Reichtum der Kinderlyrik

    Wer immer Gedichte für Kinder suchte und herausgab, konnte bereits auf dem Feld der sogenannten Erwachsenenlyrik eine reiche Ernte einfahren. Seit der impulsiven Erlebnislyrik des Sturm und Drang, seit den Natur- und Tiergedichten im Volksliedton aus Romantik und Biedermeier, seit den Hochzeiten der Ballade im 19. Jahrhundert boten sich Kindern wahre Schätze verständlicher deutschsprachiger Lyrik an. Für all diejenigen, die es wagten, Gedichte eigens für Kinder zu verfassen, war die Konkurrenz folglich riesengroß. So kann es nicht verwundern, wenn den eigentlichen Kinderpoeten mit Geringschätzung begegnet wurde. Viele von ihnen verzichteten dann auch von selbst darauf, literarische Ansprüche zu erheben. Ungeachtet aller Selbstbescheidung sind so manchem Kinderpoeten dennoch Gedichte von bleibendem Wert gelungen. Zu denken wäre hier an Adolf Overbeck aus dem 18. Jahrhundert, der uns das Frühlingsgedicht „Komm lieber Mai und mache schenkte, an Hoffmann von Fallersleben und Friedrich Güll, an den allerbescheidensten von ihnen, den Gothaer Pastor Wilhelm Hey („Weißt Du wieviel Sternlein stehen) – alle drei aus dem frühen 19. Jahrhundert, einer Blütezeit deutschsprachiger Kinderlyrik.

    Diese sollte nicht die letzte sein: Um die Jahrhundertwende und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts machen sich Paula und Richard Dehmel, Christian Morgenstern, Joachim Ringelnatz, Erich Kästner und Bertolt Brecht mit entschieden mehr Selbstbewusstsein daran, Gedichte für Kinder zu schreiben (und für Kinder von großen Künstlern zeichnen und malen zu lassen). Die genannten Autoren haben wie ihre Vorgänger daran mitgewirkt, dass die Kinderlyrik zu dem wohl reizvollsten Bereich originärer Kinderliteratur geworden ist. Viele ihrer Kindergedichte hätten längst einen Platz im Pantheon deutschsprachiger Lyrik erreicht, hätten die Großvisiere unter den Gedichtanthologisten von Benno von Wiese bis Karl Otto Conrady auch nur einmal einen Blick in diesen wahren lyrischen Blumengarten geworfen.

    Die wohl reichhaltigste Blüte deutschsprachiger Kinderlyrik fällt in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts und zeigt sich auch in Österreich (Christine Busta u.a.) und im damaligen zweiten deutschen Staat, der DDR (Peter Hacks u. a.). Deren Zentrum liegt aber doch in Westdeutschland als der Wirkungsstätte zweier kinderlyrischer Großmeister. Der Helgoländer James Krüss und der Oberschwabe Josef Guggenmos führen, jeder auf seine Weise, die Kinderlyrik auf einen bislang ungeahnten Höhepunkt. Der kinderlyrische Aufschwung setzt Ende der 1950er Jahre ein und hält über die nachfolgenden Jahrzehnte, die 1960er, 1970er und 1980er Jahre, an, eng verzahnt mit einer Glanzzeit des neuen Kinderlieds (Frederik Vahle). Verlagsgeschichtlich gesehen ist die anspruchsvollere Kinderlyrik auch in diesen Zeiten wie die Lyrik allgemein eine Angelegenheit kluger Querfinanzierung geblieben. Dennoch dürfte die Kinderlyrik des späten 20. Jahrhunderts die wohl populärste Ausprägung von Lyrik gewesen sein. Gedichte wie „Was denkt die Maus am Donnerstag" dürften im Gedächtnis zahlloser Menschen haftengeblieben sein.

    Es hat den Anschein, als sei mit dem kinderlyrischen Aufschwung seit Ende der 1950er Jahre ein dauerhaftes Niveau erreicht. Die andauernde Wertschätzung dieses Bereichs originärer Kinderliteratur äußert sich etwa in der regelmäßigen Vergabe von Kinderlyrikpreisen (wie dem Guggenmos-Preis), aber auch in der kontinuierlichen Beteiligung von Autoren wie Paul Maar, Hans Manz, Uwe-Michael Gutzschhahn, Peter Maiwald, Georg Bydlinski, Gerald Jatzek, Elisabeth Steinkellner und Arne Rautenberg an diesem lyrischen Feld. In das Radar des hochliterarischen Feuilletons gerät die Kinderlyrik weiterhin nur höchst selten; die von ihr erzielte Breitenwirkung verdankt sich denn auch den zahllosen Vermittlern im Vorschul- und Grundschulbereich, die von Kinderlyrik reichhaltigen Gebrauch machen. Es soll wohl auch Eltern geben, die Kindergedichte schätzen und an ihren Nachwuchs weiterreichen.

    Die jüngste Blütezeit der Kinderlyrik fiel in eine Epoche, in welcher die Lyrik allgemein mit hermetischer Lyrik (Paul Celan, Ingeborg Bachmann u.a.) gleichgesetzt wurde. Ein Verständnis von Gedichten setzte hohe interpretatorische Anstrengungen voraus, was dazu führte, dass Gedichtinterpretationen bei vielen als unangenehmer Teil des Deutschunterrichts im Gedächtnis geblieben sind. Leserfreundliche humorvolle und amüsante Gedichte sind ihnen in den späteren Klassen kaum noch begegnet. Die Kinderlyrik hält daran fest, dass Gedichte zugänglich sein und Spaß bereiten können, was ihr nur zu oft das Etikett einer Gebrauchslyrik eingetragen hat. Zu einem gewissen Anteil ist sie tatsächlich Gebrauchsund Gelegenheitslyrik geblieben und hat sich für ihren Sitz im Alltagsleben der Kinder keineswegs geschämt. Dies gilt in erster Linie für den altüberlieferten, aus der Mündlichkeit stammenden Kinderreim wie für dessen Wiederbelebung durch Friedrich Güll oder Friedrich Hoffmann (Ole Bole Bullerjahn, 1957). Doch lässt sich die Kinderlyrik hierauf nicht festlegen, womit eines ihrer bedeutendsten Charakteristika angesprochen wäre.

    Gemeint ist die ungeahnte Breite ihres lyrischen Gattungsspektrums. Zahllose Gedichtformen vergangener Epochen werden von ihr weitergepflegt – und dies keineswegs in sklavischer Treue, sondern in bisweilen kecker Anpassung an gegenwärtige Verhältnisse. Für diesen parodistischen Teil von Kinderlyrik stehen Bertolt Brecht mit seinen Umfunktionierungen alter Gedichtformen, in jüngerer Zeit aber James Krüss, der sich als ein wahrer Meister im hintergründigen Parodieren althergebrachter lyrischer Genres erwiesen hat und gerne mit den Moralgedichten alter Zeit sein ironisches Spiel betreibt. Dem gegenüber steht Josef Guggenmos, dessen hauptsächliche Leistung darin besteht, die Kinderlyrik in einzelnen Aspekten der modernen Lyrik angenähert zu haben. Guggenmos befreit die Kinderlyrik vom Zwang zum Reim und zur festen Strophenform und verschafft ihr darüber hinaus den Charakter einer authentischen Selbstaussprache des lyrischen Ich, bei dem es sich um den erwachsenen Autor handelt. Damit ist das kindliche Rollengedicht verabschiedet und nicht mehr der Anspruch erhoben, stellvertretend für das Kind zu sprechen. Die kindlichen Empfänger werden vielmehr eingeladen, am Erleben von Erwachsenen teilzuhaben. Damit ist ein fundamentaler Unterschied zur Erwachsenenlyrik eingeebnet und Lyrik für Kinder als eine weitere Form der lyrischen Selbstbekundung erwachsener Autoren eingeführt. Die Kinderlyrik hat sich hier, so könnte man sagen, zu einer Erwachsenenlyrik (auch) für Kinder entwickelt – eine Linie, die insbesondere von Uwe-Michael Gutzschhahn und Arne Rautenberg fortgeführt wird.

    Das breite Gattungsspektrum wird nun von den Sachwaltern der Kinderlyrik keineswegs akzeptiert und geschätzt. Nur zu oft wird eine ihrer Ausprägungen zu der einzig legitimen Form von Kinderlyrik erhoben. Die einen setzen auf den althergebrachten Kinderreim als idealer Ausprägung, die anderen halten die konventionellen Lied-, Reim- und Strophenformen kinderlyrisch für unersetzlich, noch andere wollen auch in diesem Feld nur Gedichte nach Art der modernen Lyrik als zeitgemäß gelten lassen. Dass die verschiedenen Ausprägungen von Kinderlyrik nicht von allen kindlichen Rezipienten (und erwachsenen Mitlesern) gleich gut und gerne aufgenommen werden, ist kein Argument dafür, die Vielfalt einzuschränken. Auch in der Erwachsenenlyrik gibt es unterschiedliche Popularitätsgrade – warum nicht auch auf dem Feld der Kinderlyrik? Die Vermittler sehen sich vor Ort zurecht veranlasst, nur das eine oder andere heranzuziehen; was sie im konkreten Fall für nicht einsetzbar halten, sollten sie deshalb nicht schon verurteilen. Wie dem auch sei, es bleibt festzuhalten, dass Kinderlyrik in überaus vielfältiger Weise gebraucht und eingesetzt wird zum Nutzen und zum Vergnügen zahlloser Kinder. Die sperrigeren Ausprägungen von Kinderlyrik bedürfen dabei einer besonderen

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