Das Leben ist nicht einfach, um schön zu sein
By Ernst Luger
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Eine Geschichte über Heimat und Familie, Beziehungen, Rollen und Identitäten. Und über die wahrlich große Liebe.
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Das Leben ist nicht einfach, um schön zu sein - Ernst Luger
Kleine Inspiration
Langsam zieht sich die Dunkelheit hinter den Horizont zurück! Was wird der neue Tag wohl bringen, wohin wird er uns führen? Bringt er uns Zufriedenheit oder lässt er uns in der Dunkelheit zurück?
Nicht das fehlende Licht erzeugt die innere Dunkelheit, sondern die Unzufriedenheit. In der Finsternis sind wir blind, sehen weder, wo wir stehen, noch, wohin wir gehen. Der Tag soll nicht finster bleiben – lass uns zufrieden ans Tagwerk gehen, dann leuchtet auch für uns das Licht des Lebens.
(Ernst Luger)
I
Der Tag zog sich ewig dahin. Noch lagen einige Stunden vor mir, bis mein Zug vom Wiener Hauptbahnhof in Richtung Westen nach Feldkirch (Stadt in Vorarlberg) abfuhr. Als endlich der Taxifahrer an meiner Haustür läutete, erlöste er mich von der nervigen Warterei. Am Bahnhof war viel los, emsiges Treiben auf allen Gängen und Plattformen. Bahnsteig fünf war mein Ziel und der Zug ins „Ländle stand schon bereit. Zum Glück hatte ich einen Platz reserviert, denn ich hatte ganz vergessen, dass uns ein verlängertes Wochenende bevorstand, an dem verständlicherweise die meisten Studenten und Pendler nach Hause zu ihren Familien fahren. Endlich kündigte ein lauter Pfiff des Fahrdienstleiters die Abfahrt des Zuges an. Die Lokomotive nahm Fahrt auf und langsam beruhigte sich auch das Gewurle und Geplapper im Bahnabteil. Alle Passagiere hatten ihre Plätze bezogen, das Handgepäck verstaut und sich auf die mehr oder weniger längere Reise eingerichtet. Ich holte jenes Buch heraus, welches ich mir extra für die lange Fahrt mitgenommen hatte. Diesen „Schinken
wollte ich schon seit einiger Zeit lesen, konnte aber keine Zeit dazu erübrigen. Der Zug schlängelte sich durch die Häuserzeilen der Vorstadt, da und dort sah man Leute in ihren Vorgärten am Herumwerkeln. Die Gegend rundum war topfeben, das fiel mir in diesem Moment richtig gravierend auf. Jeden Tag marschiere ich durch die Gassen der Bundeshauptstadt, aber diese fast unendliche Weite war mir niemals so intensiv aufgefallen wie gerade in diesem Moment. Muss wohl an den nebeneinanderstehenden Häusern liegen, die durch ihre Höhe den eigenen Sichthorizont einschränken. Ist das vielleicht Heimweh nach den Bergen, den Alpen, den Alpwiesen, dem Älpele? Der Gedanke ließ mich nicht mehr los und das extra mitgenommene Buch verschwand wieder in der Versenkung. Irgendetwas muss ich unternehmen, damit ich wieder auf andere Gedanken komme, sagte ich zu mir. Gleichschon machte ich mich auf den Weg ins gut besuchte Zugrestaurant. Zu meinem Glück saß ein Herr allein an einem Zweiertisch. Freundlich erkundigte ich mich, ob es gestattet sei, an seinem Tisch Platz zu nehmen. Mit einer freundlichen Geste und den Worten „Jo, bittschön bot er mir den ihm gegenüberliegenden Platz an. Mit seiner Aussprache outete sich der Fremde mir gegenüber als original „Gsiberger
, wie wir Vorarlberger scherzhaft von den Wienern genannt werden. Gerne nahm ich das Angebot an. Gleichschon stand ein Kellner neben mir und erkundigte sich nach meinem Begehr. Was trinkt man in einem Zugrestaurant: Wein, Bier oder …? Am besten wird wohl ein Bier sein, dachte ich mir, denn da kann nicht viel schiefgehen. Bei Wein bin ich etwas heikel, weil ich von den billigen Weinen immer Sodbrennen bekomme, und das konnte ich in dem Moment schon gar nicht brauchen. Als der Kellner mir das Getränk servierte, staunte ich nicht schlecht, denn er reichte mir tatsächlich frisch gezapftes Bier aus meiner Heimat, und das in einem Zug, der von Wien aus quer durch das ganze Land fährt. Bis dahin schwieg mein Gegenüber, jedoch musste er mein Erstaunen in meinem Gesicht abgelesen haben und meinte daraufhin lakonisch: „Isch scho guat, odr? Erfreut entgegnete ich: „Ja, bin schon lange vom Ländle wegezogen, darum freut es mich jedes Mal, wenn mir ein Bier aus der Heimat serviert wird. Entschuldigung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt, bin der Mathias Polder aus Wien, Beamter im Finanzministerium.
„Freut mi, I bi dr Johannes Wiesmüller us Bludaz (Bludenz, Stadt in Vorarlberg), aber alle sägen zu mr Jokl. Dir seat ma sich’r oh net Mathias, eher Hias oder so?"
„Jo, na net. Zu Hause hat man mich Hiasl gerufen, aber die Wiener kennen den Hiasl net. Gerne kannst du Hiasl zu mir sagen. Warst du beruflich in Wien?"
„Jo, ka ma säga. I bi dr neue Finanzreferent im Rothus z’Bludaz und ha mie i eurem Ministerium vorgstellt. Woasch eh, Kontakte muass ma hega und pflega. Bisch du für’d Bundesländer zuständig?"
„Nein nein, mein Resort beschäftigt sich mit der Finanzierung von Straßen- und Tunnelbau."
„Interessant, mir z’Bludaz hond oh a paar Stroßabauprojekte am Lofa. Guat, dass do bisch, kum lass üs grad drüb’r reda. Irgendwie entwickelte sich diese Unterhaltung nicht so ganz in die richtige Richtung. Ein zu vertrauliches Gespräch zwischen zwei Finanzlern kann im Nachhinein auch gerne mal falsch interpretiert werden. Zudem kennt die Finanz weder Freunde noch Bekannte noch Verwandte, hier walten Fakten, Zahlen, Paragrafen und Argumente. Da der Zug gerade aus dem Salzburger Hauptbahnhof abgefahren war, vertagte ich höflichst die Fortsetzung des Gesprächs: „Ich glaube, wir sollten hier abbrechen und unser Gespräch ein andermal fortsetzen
, und bevor mein Gegenüber noch antworten konnte, verabschiedete ich mich mit der Begründung, die Toilette aufsuchen zu müssen. Beim Verlassen des Zugrestaurants bezahlte ich noch meine Rechnung beim Kellner und kehrte in mein reserviertes Zugabteil zurück. Dort standen bereits zwei Sitze leer und ein neuer Fahrgast war zugestiegen. Notgedrungen widmete ich mich wieder jenem Buch, das ich extra für die Bahnfahrt mitgenommen hatte.
Ein plötzlicher Ruck ließ mich aus meinem Tiefschlaf hochschrecken. Der Zug stand, so viel konnte ich feststellen, doch was war passiert? Neugierig schaute ich aus dem Fenster. Wir standen im Landecker Bahnhof, aber warum hatte es plötzlich so einen Ruck gegeben? In dem Moment ging gerade der Schaffner an unserem Abteil vorbei und sogleich rief ich ihm nach. „Ist da was passiert? Oder was löste diesen gewaltigen Ruck aus?"
Der Schaffner blieb stehen und antwortete zu meiner Beruhigung: „Keine Panik, nur die Ruhe bewahren. Es hat lediglich eine zusätzliche Lokomotive an unseren Zug angedockt, damit wir die Steigung auf den Arlberg leichter schaffen."
In dem Moment fiel es mir wieder ein. „Logisch, vielen Dank für die Info." Obwohl ich nicht zum ersten Mal auf dieser Strecke unterwegs war, hatte ich das ganz vergessen. Beruhigt versuchte ich, in meinem Buch weiterzulesen, doch die Vorfreude aufs Ländle ließ mich überwiegend in meiner Vergangenheit schwelgen, als mich auf den Text im Buch zu konzentrieren.
Es war bereits nach 18 Uhr, als unser Zug in den Feldkircher Bahnhof einfuhr. Meine Schwester Maria erwartete mich bereits. Nach einer liebevollen Begrüßung brachte sie mich mit dem Auto nach Nofels (siehe Anhang) und bezog im dortigen Gasthof mein Zimmer. Gleichschon ging’s weiter zu ihrer Familie, die ja nur zwei Straßen weiter wohnt. Meine zwei Nichten freuten sich sehr, mich wiederzusehen. Susanne, die ältere, hat sich mit ihren 16 Jahren bereits zu einem kleinen Fräulein entwickelt. Die jüngere Klara ist erst zwölf und noch recht verspielt. Mein Schwager, der Poldi, ein echter Wiener, begrüßte mich herzlich, und zum Empfang servierte er mir ein Vorarlberger Bier vom Feinsten. Irgendwie wollte er mir sicher beweisen, dass er im Ländle angekommen war. Es gab viel zu erzählen, denn die letzten Jahre hatte ich mir ehrlich gesagt nicht die Zeit genommen, um meine alte Heimat zu besuchen. Meine Schwester überraschte mich mit echten Vorarlberger „Käsknöpfle (siehe Anhang). Es war ewig her, als ich das letzte Mal eine meiner Leibspeisen serviert bekommen hatte. Ich hatte zwar mal in Wien in einem Restaurant, das Vorarlberger Spezialitäten anbot, welche bestellt, aber die waren so was von grässlich, dass ich fortan vermied, mich auf Speisekarten von irgendwelchen „Pseudo-Kässpätzle
verlocken zu lassen.
Nach dem Nachtmahl, wie man im Ländle sagt, begleiteten mich meine Schwester und ihr Mann bei einem Abendspaziergang durch die Innenstadt von Feldkirch. Liebevolles mittelalterliches Montfortstädtle, viele alte, gut erhaltene und gepflegte Häuser, über denen die Schattenburg über ihre Bürger wacht. Die Hauptstraßen werden von Laubengängen gesäumt, unter denen viele kleine Geschäfte, Boutiquen, Cafés und Gasthäuser mit ihrem emsigen Treiben die Altstadt beleben.
Nach einem Rundgang durch die engen Gassen und Plätze führte unser Weg vorbei am einstigen Gymnasium, wo ich vor vielen Jahren maturiert hatte. Was nicht fehlen durfte, war ein Besuch im Dom St. Nikolaus. Damals, nach dem Umzug vom Dorf in die Stadt, ministrierte ich dort noch so lange, bis es mich nach Wien zog, um zu studieren.
Zum Ausklang des Abends lud uns mein Schwager noch zu einem Umtrunk in eines dieser kleinen Cafés ein. Schön, dass es genau das Lokal war, in dem wir uns damals als Jugendliche des Öfteren getroffen hatten, um die Welt zu verbessern –