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Mit Gold gepflastert ...: Das Geheimnis der Bahnhofstrassen dieser Welt
Mit Gold gepflastert ...: Das Geheimnis der Bahnhofstrassen dieser Welt
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Mit Gold gepflastert ...: Das Geheimnis der Bahnhofstrassen dieser Welt

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Marc C. Riebe macht als CEO und Gründer der Züricher Location Group seit Jahren von sich reden. Seien es seine «schwergewichtigen» Research-Publikationen, frechen Sprüche oder lockere Art. Dabei schaut der prominente Immobilienexperte auf eine bewegte Vergangenheit zurück. Er kennt sowohl die Höhen als auch Tiefen des Lebens. Und er weiss, wie die Luxusbrands weltweit ticken. Die Liste derer, für die er neue Standorte gewinnen konnte, gleicht einem «Who's Who» der Fashionszene und Gastronomiebranche. Ganz nach dem Motto: Das Geld liegt auf der Straße, oder eleganter formuliert: The streets are paved with gold! Riebe erzählt nicht nur von seinen unkonventionellen, unternehmerischen Strukturen, schmerzlichen Niederlagen und Momenten, in denen er am Abgrund stand, sondern zeigt auf, dass es gut ist, wenn man «gewisse» Dinge einfach hat: Mut zum Risiko, Visionen und den unbedingten Glauben an sich selbst.

Marc C. Riebe, 1973 in Konstanz geboren, wuchs in einer Unternehmerfamilie auf. Im Alter von zweiundzwanzig Jahren beendete er die Ausbildung zum «Kaufmann in der Grundstücks- und Wohnungswirtschaft». Erste Berufserfahrungen sammelte er bei der Allianz Grundstücks GmbH, München. Nach der Fachhochschulreife im zweiten Bildungsweg studierte er «Europäische Finanzwirtschaft» und «International Business Finance» in Bremen und Leeds (England). Danach arbeitete er drei Jahre im Transaction Support bei der Wirtschaftsprüfung Ernst & Young in Mannheim und Frankfurt. 2005 gründete Riebe The Location Group, Zürich, deren CEO er heute ist. Zum Aufbau des Unternehmens bereiste er fast den gesamten Erdball. Seine akribische Vorgehensweise zahlte sich aus, denn er zählt mittlerweile zu den «Top Five» Retail Professionals in Europa. Marc C. Riebe lebt in Zürich, ist verheiratet.
LanguageDeutsch
Publisherepubli
Release dateFeb 15, 2022
ISBN9783737572927
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    Book preview

    Mit Gold gepflastert ... - Marc-Christian Riebe

    «Erfolg kann berauschend sein»

    Prolog

    Mit dreizehn Jahren war ich schier ahnungslos und hätte nie gedacht, dass «das Geld auf der Strasse liegt» und man sich eigentlich nur bücken müsste, um es aufzuheben. Der Engländer würde es eleganter sagen: «The streets are paved with gold». Ich war dazumal Paperboy, also Zeitungsjunge, und trug morgens vor der Schule mit dem Fahrrad Zeitungen aus, um mein Taschengeld aufzubessern. Mit vierzehn jobbte ich in den Sommerferien als Tellerwäscher auf der berühmten Blumeninsel Mainau am Bodensee. Mit fünfzehn verkaufte ich Eis und putzte abends zweimal wöchentlich Böden in der Universität Konstanz. Mit sechzehn versuchte ich mich nachmittags und abends als Barkeeper im Restaurant Mandarin in Konstanz. Ausserdem leistete ich Akkordarbeit während der Ferien in einer Dosenfabrik in Ermatingen. Mit siebzehn und achtzehn Jahren betätigte ich mich als Küchenjunge im Guten Hirten. Später bediente ich abends und am Wochenende im Restaurant des Hotels Volapük in Konstanz-Litzelstetten, und das, obwohl ich nicht mehr zur Schule ging, sondern in einer beruflichen Ausbildung steckte. Auch während meines BWL-Studiums war ich nebenbei als Buchhalter in einer Immobilienfirma tätig. Es schien, als ob mich Geld, notabene selbstverdientes, zu einem anderen Menschen machte. Ich fühlte mich nach Auszahlung des Lohnes stolz. Mein Selbstwertgefühl stieg. Ich fand Anerkennung, mehr Lebensqualität und wuchs an meiner finanziellen Unabhängigkeit.

    Ich wusste lange nicht, was ich beruflich machen sollte – oder anders gesagt, in welcher Branche ich meine erste Million verdienen wollte! Denn das war mein Ziel. Ich konnte es als junger Mann noch nicht so schlüssig formulieren, aber ich spürte, dass es im Universum ein Gesetz der Ordnung und Anziehung geben muss. Ich glaubte an Wohlstand und Glück und liess nicht zu, dass sich gegenteilige Gedanken in meinem Kopf festsetzten. Sehr viel später erst lernte ich nicht nur die Höhenflüge beruflicher Erfolge kennen, sondern auch, wie es sich anfühlt, völlig am Boden zu sein. Das Leben stellt einen auf die Probe. Denn: einfach Erfolg zu haben ist nie einfach und er wird nicht geschenkt. Aber es kann unglaublich berauschend sein.

    Wie alles begann…

    Ungebetener Besuch

    Es war ein ganz normaler Dienstagmorgen im Februar 2006. Wie so oft hatte ich bis weit nach Mitternacht an meinem ersten Zürcher Retail-Marktbericht gearbeitet, und war danach erschöpft ins Bett gefallen. Nicht in mein eigenes, sondern in das meiner Freundin Victoria, in die ich mich unsterblich verliebt hatte und bei der ich seit sechs Monaten wohnte. In der Nacht, in den kurzen Momenten zwischen Wachen und Träumen, machte ich ihr stumm eine Liebeserklärung und nahm mir vor, sie am nächsten Morgen sanft damit zu wecken. Zufrieden über diese Absicht, kuschelte ich mich näher an Victoria heran. Dass sie da war, gab mir ein gutes Gefühl. Was konnte mir mit einer so klugen, bildschönen und lebensbejahenden Frau an der Seite schon geschehen!

    Mit diesem Gedanken fiel ich in tiefen Schlaf, ziemlich zufrieden. Brachte eine intakte Beziehung nicht unweigerlich beruflichen Erfolg mit sich? Im Traum zumindest war es so. Ich lief schwerelos Shoppingmeilen entlang und suchte exklusive Locations für Armani, Gucci, Prada und ich weiss nicht wen alles sonst. Gerade als ich dabei war, den Deal meines Lebens zu machen, rüttelte mich mein Traumwesen unsanft: «Aufwachen, aufwachen …!»

    Aufwachen, wieso? Noch völlig benommen erkannte ich die Stimme von Victoria: «Nun werde doch endlich wach. Die Kripo ist da!» Ich schlug die Augen auf. Einen Moment zweifelte ich an meinem Verstand. War das, was ich gerade sah, wirklich wahr? Standen die Schweizer Polizisten, drei Männer und eine Frau, tatsächlich im Schlafzimmer vor dem Bett oder waren sie einfach nur meiner Fantasie entsprungen? Vielleicht befand ich mich noch immer in einer Schlafphase und es war nur die Fortsetzung meines Traums. «Grüezi, Herr Riebe», sagte der Grössere aus der Gruppe. «Verstehen Sie Mundart?» Ich nickte verschlafen und richtete mich auf. «Bitte entschuldigen Sie die frühe Störung», fuhr er in Schwyzerdütsch fort, «aber wir sind aufgrund einer Anzeige von Gernot C. Riebe da. Sie werden beschuldigt, vom Server Ihres Bruders wichtiges Datenmaterial entwendet zu haben. »

    Datenmaterial entwendet! Das durfte nicht wahr sein. Einen Moment war ich völlig fassungslos. Dann kam Wut in mir hoch, und ich sprang völlig aufgebracht aus dem Bett. Am liebsten hätte ich die Polizisten kurzerhand aus der Wohnung geworfen. «Hey, habt ihr nichts Besseres zu tun, als einen erschöpften Menschen am frühen Morgen aus dem Schlaf zu reissen? Kinderschänder und Kriminelle lasst ihr frei herumlaufen, aber ein Überfallkommando auf einen unbescholtenen Bürger loslassen, das könnt ihr!»

    So hätte ich am liebsten geschrien. Vielleicht habe ich das auch. Die Polizisten erwarteten jedoch keinen Wutausbruch, sondern eine sachliche Erklärung von mir. Doch ausser dass das alles «Blödsinn» sei, fiel mir nichts dazu ein. Ich musste dermassen ratlos gewirkt haben, dass einer der Männer mir zu Hilfe kam: «Wir bedauern ausserordentlich, doch die Kollegen in Kreuzlingen haben sich mit einem Rechtshilfeersuchen an uns in Zürich gewandt. Wir sind nur beauftragt, das Anliegen …»

    «Ihre Kollegen spinnen!», fiel ich ihm wild gestikulierend ins Wort. «Prüfen die so einen Mist vorher nicht?» Meine Stimme klang schneidend und durchdringend, selbst mir erschien sie einen Tick zu laut. «Anordnung ist Anordnung. Bevor wir die ganze Wohnung auf den Kopf stellen und jeden Winkel durchsuchen, rücken Sie lieber gleich das Datenmaterial heraus.» Der Polizist, der das sagte, ein junger Kerl, schien sich seiner Sache sicher.

    «So ein Mistkerl!»

    «Ich habe nichts, was ich herausrücken könnte. Was soll das?» Ich war mir keiner Schuld bewusst, fühlte mich aber trotzdem mies. Meine Gedanken rasten, gingen alle Möglichkeiten durch, die zu einem solchen Verdacht geführt haben könnten. Wie kam mein Bruder dazu, mir Datenklau zu unterstellen? Fühlte er sich verletzt, weil ich nicht mehr für ihn arbeitete? Wollte er meiner Selbstständigkeit Steine in den Weg legen? Trotzdem konnte und wollte ich nicht glauben, dass Gernot C. so rücksichtslos reagierte. Das alles musste ein Missverständnis sein.

    Die Polizisten machten sich, nachdem ich ihnen wohl keine grosse Hilfe war, an die Arbeit. In Windeseile durchsuchten sie Schubladen, Schränke, hoben Matratzen hoch, nahmen Bilderrahmen von der Wand und verrückten Möbelstücke. Victoria, die sich einen Bademantel über ihr Negligé von Agent Provocateur gezogen hatte, schaute mich tief besorgt an. Wie gerne hätte ich sie jetzt … ach, ist ja auch egal. Ich zuckte frustriert die Schultern, ging kurz ins Badezimmer und zog mich an, während es um mich herum schepperte und polterte. «So ein Mistkerl», murmelte ich vor mich hin, und meinte Gernot C., der mir den ganzen Schlamassel eingebrockt hatte.

    Ich stand mittlerweile unschlüssig zwischen Flur- und Wohnbereich. Die Polizistin trug mehrere Laptops an mir vorbei. «Gehören die Ihnen?»

    Ich nickte stumm. «Die müssen wir konfiszieren.»

    In dem Moment erst realisierte ich die möglichen Auswirkungen dieser Aktion. «Scheisse», rief ich erschrocken und malte mir aus, dass ich die nächsten Wochen, vielleicht sogar Monate, nicht an mein Arbeitsmaterial herankommen würde. Ich geriet in Panik. Meine Existenz. Dachte denn keiner an meine berufliche Existenz? Den USB-Stick, auf dem ich sicherheitshalber die Informationen der Marktstudie noch einmal abgespeichert hatte, würden sie sicher gleich finden. Und so war es auch.

    «Abgeführt und verfrachtet»

    Einer der Polizisten hielt ihn triumphierend in die Höhe. Nur waren auf dem nicht die Daten, die sie sich erhofften.

    «Kommen Sie, wir fahren in Ihr Büro!» Der Polizist, der mich am Bett angesprochen hatte, gab das Zeichen zum Aufbruch.

    Ich verabschiedete mich flüchtig von Victoria und nicht so liebevoll, wie ich es gewöhnlich tat, auch die Liebeserklärung, die ich mir vorgenommen hatte, musste warten. Ich folgte den Beamten. Was für ein Tag!

    Draussen wurde ich in den Fond des Polizeiwagens verfrachtet. Zwei der Polizisten stiegen vorne ein. Die beiden anderen nutzten ein weiteres Dienstfahrzeug.

    Der Fahrer und sein Begleiter blieben stumm. Auch gut. So hatte ich Zeit zum Nachdenken. Aber mein Ärger und meine Wut verhinderten jeden klaren Gedanken. Selbstmitleid und Verzweiflung kamen über mich. Und immer wieder Wut. Diese Art von Wut, bei der man weiss, dass sie nichts bringt und alles nur noch schlimmer macht.

    Die Wut war mit Angst vermischt. Gerüchte und vage Behauptungen können Vertrauen und somit Karrieren vernichten. Was, wenn dieser ganze Quatsch an die Öffentlichkeit käme. Ich, ein Optimist durch und durch, war auf Untergangsfantasien eingestellt. Meine Mitarbeiterinnen würden kündigen, mein Vermieter schmiss mich womöglich raus … Ich hasste solche Vorstellungen. Aber sie waren da. Waren in meinem Kopf.

    Haarsträubende Szenen tauchten vor meinem geistigen Auge auf. Dinge aus meinem Leben, die ich lieber verdrängt hätte. Ich wollte an etwas Schönes denken, etwas völlig anderes.

    Eine alte Ansichtskarte fiel mir ein, ziemlich abgegriffen und an den Ecken eingeknickt, die mir mein Vater einmal gezeigt hatte. Ich interessierte mich schon als Junge für elegante Häuser und exklusive Geschäfte, und er hatte damals gemeint, dass die Hansestadt Elbing an imposanten Gebäuden, Kirchen und Kunstwerken nicht zu überbieten gewesen wäre. Tatsächlich waren die Bauwerke, die ich betrachtete, beeindruckend, die ganze Atmosphäre dort. Und auf einmal befand ich mich in meiner Vorstellung inmitten von historischen Handelshäusern, engen Altstadtgassen und dem Elbingfluss. Ganz so, wie mein Vater es wohl im Jahre 1944 gesehen hatte, bevor er als kleiner Junge seine Heimat verlassen musste.

    Mit dreizehn Jahren hatte ich noch keine Ahnung davon, dass «das Geld auf der Strasse liegt» und man sich eigentlich nur «bücken» muss, um es aufzuheben. Und schon gar nicht sprach ich damals so gut Englisch, um die elegantere Version zu verstehen, die da heisst: The streets are paved with gold. Ich war Paperboy, Zeitungsjunge und trug morgens vor der Schule mit dem Fahrrad Zeitungen aus, um mein Taschengeld aufzubessern. Mit vierzehn jobbte ich in den Sommerferien als Tellerwäscher auf der Insel Mainau am Bodensee. Mit fünfzehn verkaufte ich Eis und putzte abends zweimal wöchentlich Böden in der Universität Konstanz. Mit sechzehn versuchte ich mich nachmittags und abends als Barkeeper im Restaurant Mandarin in Konstanz. Ausserdem arbeitete ich in den Ferien in einer Dosenfabrik in Ermatingen Akkord. Mit siebzehn und achtzehn Jahren betätigte ich mich als Küchenjunge im Guten Hirten. Später bediente ich abends und am Wochenende im Restaurant des Hotels Volapük in Konstanz-Litzelstetten, und das, obwohl ich nicht mehr zur Schule ging, sondern in einer beruflichen Ausbildung steckte. Und auch während meines BWL-Studiums war ich nebenbei als Buchhalter in einer Immobilienfirma tätig. Es schien, als ob Geld mich zu einem anderen Menschen machte, selbst verdientes Geld. Ich fühlte mich nach Menschen machte, selbst verdientes Geld. Ich fühlte mich nach Auszahlung des Lohnes stolz. Mein Selbstwertgefühl stieg. Ich bekam Anerkennung, empfand mehr Lebensqualität und wuchs an meiner finanziellen Unabhängigkeit.

    Ich wusste lange nicht, was ich beruflich machen sollte oder anders gesagt, in welcher Branche ich meine erste Million verdienen wollte! Denn das war mein Ziel. Ich konnte es als junger Mann noch nicht so schlüssig formulieren. Doch ich spürte, dass es im Universum ein Gesetz der Ordnung und Anziehung geben muss. Ich glaubte an Wohlstand und Glück und liess nicht zu, dass sich gegenteilige Gedanken in meinem Geist festsetzten. Sehr viel später erst lernte ich nicht nur die Höhenflüge von beruflichem Erfolg kennen, sondern auch, wie es sich anfühlt, völlig am Boden zu sein. Irgendetwas musste sich in meinen positiven Gedanken verhakt haben. Aber vielleicht wollte mich das Leben auch nur auf die Probe stellen, denn einfach ist «Erfolg zu haben» nie. Aber unglaublich berauschend.

    Ein Blick zurück

    Elbing in Westpreussen, am gleichnamigen Fluss gelegen, bezeichnete mein Vater stets als «Schmuckkästchen»: Zahlreiche gotische Kirchen, hübsche Giebelhäuser, ein sehenswertes Markttor, der masurische Oberländische Kanal … Das Haus und Geschäft «Alter Markt 53» gehörte meinem Urgrossvater, dem Goldschmiedemeister Johann Augustin Cyrus Riebe (1863-1945). Er bot unter anderem «Alfenidewaren» an, eine Mischung aus Kupfer, Zinn und Nickel, bei der es sich um eine Art Neusilber handelte. Deshalb stand über dem Laden: «AUGUST RIEBE Gold, Silber & Alfenidewaaren». Waaren mit zwei aa geschrieben. Und unter den Fenstern des zweiten Stocks hiess es noch einmal schlicht: Augustin Riebe. Er war ein Meister seines Fachs und bildete im Laufe der Zeit zahlreiche Goldschmiedegesellen aus, die noch heute in Schriften erwähnt werden.

    «Um das Bein nicht amputieren zu müssen, wurde es gekürzt.»

    Einer seiner Söhne war Leo Josef Riebe, mein Grossvater. Er arbeitete zunächst als Goldschmiedelehrling und später als Geselle bei seinem Vater. In den 1930er Jahren machte er sich selbstständig und eröffnete sein eigenes Juweliergeschäft in der damals umbenannten Adolf-Hitler-Strasse, zuvor Innerer Mühlendamm. Infolge der Weltwirtschaftskrise musste ein Unternehmer nach dem anderen Insolvenz anmelden, auch mein Urgrossvater wurde zahlungsunfähig, und das schmucke Haus «Alter Markt» musste zwangsversteigert werden.

    Leo Riebe, sein Vater beziehungsweise mein Grossvater, war behindert. Das hatte nicht wirklich Auswirkungen auf das Zusammenleben, sollte sich später sogar als hilfreich erweisen. Wie es dazu gekommen war? Leo hatte als elfjähriger Junge mit seinen Freunden auf der Schlittschuhbahn Schabernack getrieben und sich das linke Schienbein angeschlagen. Er verschwieg zunächst das Unglück, bis die Wunde zu eitern begann. Um das Bein nicht amputieren zu müssen, wurde es gekürzt. Die Operation musste fürchterlich gewesen sein, denn sie geschah mangels Narkosemitteln ohne Betäubung. Er wurde kurzerhand auf eine Pritsche geschnallt und konnte nur hoffen, dass der Chirurg schnell und sicher in seinen Handgriffen war. Seither trug er einen Spezialschuh mit Schiene. Das war schon schlimm genug. Doch der Eiter hatte sich bereits durch seinen Körper gefressen. Sein rechtes Auge war angegriffen worden. Es lief aus und musste durch ein Glasauge ersetzt werden.

    Juweliergeschäft von Augustin Riebe in Elbing, Westpreussen

    Der Zweite Weltkrieg machte auch vor Elbing nicht halt. Die Russen rückten näher und mein Grossvater Leo bereitete im November 1944 die Flucht der Familie vor. Oma Gertrud, im Freundeskreis Lache-Trudchen genannt, weil sie ein sonniges Gemüt hatte und immerzu gute Laune versprühte, brach mit den Kindern Gernot C., dem Zwillingsbruder Manfred sowie Tochter Erdmute mit dem Zug Richtung Westen auf. Die Reise war als «Besuch bei Freunden» getarnt, bei Menschen, die es tatsächlich gab und die Familie erwarteten. Mein Grossvater, der wegen seiner Behinderung als Berufsschullehrer eingesetzt und zwangsverpflichtet worden war, sollte weiterhin die Stellung halten. Er erlebte später das ganze Ausmass einer überstürzten Flucht und brach erst gen Westen auf, als die Russen im Januar 1945 die Stadt mit Kanonen beschossen und die ersten Panzer Kurs auf Rathaus und Innenstadt nahmen.

    Über Steglitz, Burg und Magdeburg gelangten sie alle gemeinsam nach Ostberlin. Von dort flohen sie nach dem Krieg in den Westsektor, wo mein Grossvater in Wilmersdorf eine Zweizimmerwohnung organisiert hatte. Ein Glück und eine Rarität. Das Leben, der Stolz, eine Zukunft – alles war unter enormen Trümmerbergen begraben. Zurück blieb nur die Pflicht des unbedingten Weitermachens, und der kamen meine Grosseltern beherzt nach.

    «Eines Tages entdeckte Leo ein freies Ladengeschäft direkt am Konstanzer Bahnhof»

    Grossvater Leo machte sich keine unnötigen Gedanken. Er vertraute auf sich und sein Können. Von Prophezeiungen oder gar Zukunfts-voraussagen hielt er nicht viel, auch wenn er sich für Astrologie interessierte. Über dieses Interessengebiet kam er mit einer Wahrsagerin in Kontakt, die ihm voraussagte, bald an ein «grosses Wasser» zu gelangen. Nun gut, er war Segler, er konnte schwimmen, so abwegig war das

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