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Dreamjumper: Lass sie nicht in deine Träume
Dreamjumper: Lass sie nicht in deine Träume
Dreamjumper: Lass sie nicht in deine Träume
Ebook439 pages6 hours

Dreamjumper: Lass sie nicht in deine Träume

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About this ebook

Es war doch nur ein Traum, oder?

Ein grausamer Familienmord ereignet sich im Bundesstaat Nebraska. Wenige Wochen später erhält der 15 jährige Taylor Turner in Deutschland eine Gabe, die es ihm ermöglicht in fremde Träume zu springen, sie zu manipulieren und zu kontrollieren. Auf seinen Abenteuern erfährt er viele Geheimnisse seiner Familie und Mitmenschen. Doch alles Aufregende bringt auch Gefahren mit sich, so dass die Traumwelt und die Wirklichkeit miteinander verschmelzen. Während das Böse auf den Teenager aufmerksam wird, findet Taylor heraus, dass er sich erst am Anfang einer langen Reise befindet…
Die Jagd beginnt…
LanguageDeutsch
Publisherepubli
Release dateJul 22, 2016
ISBN9783741833519
Dreamjumper: Lass sie nicht in deine Träume

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    Book preview

    Dreamjumper - Mirko Tomio

    Kapitel 1

    »Was war das?«, flüsterte Linda und saß mit hämmernden Herzen aufrecht im Bett. Sie hatte geschlafen und ein Geräusch, das aus dem Flur kam, riss sie aus ihren Träumen. Durch den fahlen Lichtstrahl, den der Vollmond in dieser Nacht durch den braunen Gardinenschlitz warf, erkannte sie nur schemenhaft die Schlafzimmereinrichtung.

    Erneut hörte sie das Geräusch, das einem mechanischen Quietschen glich, gefolgt von einem Knarzen. Ihr Mund war trocken und sie schluckte schwerfällig. Panisch rüttelte sie an Toms Schulter und zischte leise: »Schatz! Wach auf, da ist jemand im Haus!«

    Tom blinzelte. Sie wiederholte flüsternd, was sie gesagt hatte und hörte nicht auf, an seinem Arm zu zerren. Er schaltete das Nachttischlämpchen an und rieb sich grummelnd den Schlaf aus den Augen.

    Der Blick im Gesicht seiner Frau sprach Bände. Er bückte sich und griff nach dem Baseballschläger aus Eschenholz, der für solche Fälle unter dem Bett lag. Bis jetzt kam der Holzschläger gegen Einbrecher noch nie zum Einsatz. Tom nahm sein Handy vom Nachttisch und gab es Linda.

    »Hier, Liebling. Wähl im Notfall die Cops. Ich geh raus!«

    Er zog seine alten Turnschuhe an. Barfuß wollte er einem vermeintlichen Einbrecher nicht hinterherjagen.

    »Sei bitte vorsichtig, Schatz!«, bat sie ihn und strich nervös über die Handytastatur. In seinem markanten Gesicht formte sich ein Lächeln, das ihr zu verstehen gab, er täte nichts, was seine Familie oder ihn in Gefahr bringen würde. Ebenso wusste sie, dass ihr kampferprobter Air Force Pilot nicht tatenlos in eine Ecke kauern und auf die Polizei warten würde.

    Tom atmete tief durch, schlich zur angelehnten Schlafzimmertür und spähte durch den Türschlitz. Der Flur war dunkel. Es gab für ihn keinerlei Anzeichen für einen ungebetenen Besuch. Der Mann sah kurz zu seiner Frau und zuckte mit den Schultern.

    Linda gab ihm mit einem Wedeln zu verstehen, er möge trotzdem nachsehen. Tom überlegte, ob sie nicht ihren Stubentiger Muffin gehört habe. Dieser schlich öfter nachts herum auf der Suche nach essbarem, wenn sein Napf leer gefuttert war. Durch die Katzenklappe in der Hintertür, die zum Garten führte, konnte er nach Belieben ein- und ausgehen.

    Jetzt hörte Tom das Knarren und Quietschen auch. Diese Geräusche konnten weder vom Kater noch von seinem Sohn stammen. Eine Welle der Besorgnis durchspülte sein Gehirn. Die Familie war Toms Ein und Alles. Linda war hier bei ihm in Sicherheit, aber der kleine Benny…

    Sein Herz riss vor Aufregung fast aus der Verankerung und die Halsschlagader trat aus ansteigender Wut stärker hervor. Seine leicht behaarte Brust unter dem aufgeknöpften Oberteil des Pyjamas schwoll an.

    Den durchtrainierten Körper verdankte er dem jahrelangen harten Training bei der amerikanischen Luftwaffe. Im Schnelldurchlauf überlegte Tom, wie viele finstere Typen im Haus rumschnüffeln konnten. Er vermutete Drei. In der Regel wurde ein Einbruch dieser Art zu dritt verübt. Er verspürte keine Angst vor einer Konfrontation, nur vor dem was geschähe, wenn ihm selbst was zustieße.

    Was ist, wenn sie Knarren bei sich tragen? Ein gezielter Treffer reicht. Benny ist erst neun. Er braucht seinen Dad! Und Linda? Sie müsste zukünftig Selbstgespräche an meinem Grab führen. Nein! An sowas darf ich nicht denken.

    Tom schüttelte den Kopf, um die penetranten Äußerungen seines Gehirns loszuwerden. Er klammerte sich noch fester an den Schläger und die Handknöchel traten weiß hervor. Egal wie viele es waren, er würde seine Familie verteidigen.

    Die Dreckskerle sollen es bereuen, dass sie sich überhaupt trauen, bei uns einzubrechen. Zuerst bekommen sie einen gezielten Hieb auf die Knie. Erst auf das eine, dann das andere. So können sie nicht mehr flüchten und werden sich noch Wochen-, Monate-, jahrelang daran erinnern, in dieser Nacht den Fehler begangen zu haben, meine Familie in Angst und Schrecken versetzt zu haben. Gewalt erzeugt Gegengewalt und sie haben damit angefangen, als sie in mein Haus einbrachen. Das fällt alles unter Notwehr.

    Der Familienvater atmete erneut durch, konzentrierte sich und zog vorsichtig die Zimmertür auf. Er lugte um den Türrahmen herum und schluckte gequält. Eine in schwarz gehüllte Gestalt stand vor der Flurkommode und versuchte an den Inhalt zu gelangen.

    Die Entfernung zu ihr waren knapp zehn Meter. Tom erkannte, dass sie über einen Kopf kleiner war als er.

    »Halt! Stehenbleiben!«, schallte es aus Toms Kehle. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Er sah, wie die Gestalt zusammenzuckte und der Kopf sich zu ihm drehte. Beeindruckt vom schwingenden Baseballschläger flüchtete sie in Richtung Kinderzimmer.

    »Gott, was habe ich getan?!«, sagte Tom geschockt.

    »Ruf die Polizei, Linda. Ruf sie!«, brüllte er und sprintete dem Einbrecher hinterher. Auf Toms Stirn bildeten sich tiefe Falten. Obwohl die kleine Gestalt langsamer, als er war, verschwand sie in Bennys Zimmer.

    Jede Sekunde zählte.

    Tom riss die Tür auf und sprang mit erhobenem Prügel ins Zimmer. Er schaltete die Deckenlampe an und sah, vom Licht geblendet, für zwei Sekunden erst mal nichts. Doch es gab keine Spur von dem Einbrecher.

    Sein erster Blick galt dem Kinderbett, in dem der kleine Benny schlief. Das Gesicht des Jungen drehte sich vom Licht weg und vergrub sich ins Kissen. Toms Adrenalinspiegel war für einen kurzen Moment im Sinkflug.

    Sofort schnellte dieser wieder nach oben, als er das Feuerwehrspielzeugauto umgekippt neben Bennys Bett auf dem Boden sah. Das Blaulicht war an. Die Gestalt war darüber gestolpert und hatte das Spielzeug eingeschaltet.

    Wo zur Hölle hast du dich verkrochen? Ich krieg dich, dachte Tom und lief zum Fenster. Es war verriegelt, im Wandschrank befand sich auch niemand und unter dem Bett lagen nur ein paar Turnschuhe, ein Twister-Spiel, zwei Baseballs und schmutzige Socken.

    Sein Blick huschte im Zimmer herum, ständig in der Angst, gleich könnte die schwarze Gestalt ihn doch noch überrumpeln, oder seine Komplizen kämen ins Zimmer gestürmt oder vergriffen sich an Linda.

    »Ich versteh es nicht, der Mistkerl ist doch hier rein …« sagte Tom fassungslos und fuhr sich mit der Hand durch seine kurzen blonden Haare. Im gleichen Moment richtete sich Benny auf. Verschlafen sah er seinen Vater an und fragte: »Daddy?«

    Tom kratzte sich am Kopf.

    »Ich dachte… geht’s dir gut, kleiner Mann? Magst du heute Nacht bei Mami und Daddy schlafen?«

    »Ja, okay, ich… hab was ganz Komisches geträumt.« Der Junge rieb sich den Schlaf aus den Augen. Tom versuchte, seinen Sohn zu beruhigen, und setzte sich neben ihn.

    »Hast du geträumt, du wirfst drei Slider hintereinander?« Tom versuchte zu lächeln. Sein Sohn spielte im Jugend-Baseballverein von Omaha den Pitcher und es machte ihm großen Spaß.

    »Nein, Daddy. Das war es nicht.« Tom wuschelte ihm durch das kurze Haar.

    »Es war nur ein Traum Benny, keine Sorge! Komm, wir gehen zu Mami.« Der kleine Junge war jetzt wach und konnte nicht mehr allein einschlafen oder allein bleiben. Seine Eltern lasen ihm abends vor dem Schlafengehen des Öfteren was vor. Dabei saß ein Elternteil neben ihm auf dem Bett, damit er die Wörter mitlesen und von Satz zu Satz müder werden konnte.

    Tom verstand die Welt nicht mehr. Über zwanzig Jahre war er im Dienst der Air Force angestellt. Für auftretende Probleme konnte er immer Lösungen finden, aber so ratlos wie heute war er schon lange nicht mehr gewesen. Er wollte um jeden Preis den Kerl in die Finger bekommen.

    Der Einbrecher hatte ihn an der Nase herumgeführt. Sie verließen das Kinderzimmer und gingen den oberen Flur entlang. Dabei achtete Tom darauf, dass Benny nicht an der Seite des Treppengeländers entlang lief. Als der kleine Junge zu seiner Mutter ins Bett krabbelte, drückte Linda ihn an sich und bekam glasige Augen. Sie küsste ihn mehrmals auf die Stirn.

    Tom lehnte den Baseballschläger gegen den Nachttisch und zog seinen Morgenmantel an. Nachdenklich starrte er auf den Boden. Ihn wurmte es, dass fremde Leute in sein Haus eingebrochen waren. Zumal es nicht sein Haus war, sondern Lindas. Sie hatte das Einfamilienhaus vor einiger Zeit geerbt. Bis zur heutigen Nacht hatten sie sich hier wohl und sicher gefühlt.

    »Was ist passiert?«, fragte sie.

    »Die Polizei ist gleich da! Wo ist der Einbrecher? Was hast du vor?«

    Tom massierte mit Daumen und Zeigefinger seinen Nasenrücken und antwortete:

    »Ich weiß nicht wohin der Mistkerl abgehauen ist. Er… war in Bennys Zimmer gelaufen und plötzlich… war er weg! Einfach verschwunden und… ich muss wissen, ob er oder noch weitere Einbrecher im Haus sind! Außerdem, was soll ich den Cops erzählen? Die halten mich doch für bekloppt!« Linda wollte gerade was sagen, da hörten sie die Polizeisirenen und durch die Gardinenschlitze drang bläuliches Flackern.

    »Was ist los, Mami? Ist das die Polizei?«, fragte Benny vorwitzig und gähnte.

    »Pscht! Schlaf weiter, Liebling. Schlaf jetzt, mein kleiner Schatz!« Sie strich sanft über Bennys Wange, während er langsam einschlief.

    »Tom, ich muss dir unbedingt…« Tom gab ihr einen Kuss auf den Mund, schnappte sich den Baseballschläger und band sich beim Hinausgehen den Mantel zu. Er lief die Treppe nach unten und schaltete im Vorbeigehen alle Lichter an. Im Erdgeschoss angekommen fühlte er sich sicher, stellte den Baseballschläger in die Ecke und öffnete den Beamten die Tür.

    Für die nächste Stunde glich das Haus einem Bahnhof. Überall waren Polizeibeamte. Sie nahmen jede Menge Fingerabdrücke, im Flur, an den Fenstergriffen, an den Türen und im Kinderzimmer. Sie drehten alles auf links. Der Suchtrupp ließ keinen Raum aus. Linda saß im Bett und hatte sich ebenfalls kurz vor Eintreffen der Polizei ihren Morgenmantel angezogen.

    Sie beobachte Benny, wie er unruhig schlief. Der kleine Junge drehte seinen Kopf nach links und rechts. Trotz Lindas Anwesenheit suchten die Beamten auch das Schlafzimmer ab. Nachdem sie nichts Verdächtiges fanden, ließen sie die zwei wieder allein. Zwei Officer untersuchten den Dachboden, zwei weitere den Keller. Parallel durchforsteten vier Gesetzeshüter den Garten und die Nachbargrundstücke. Beim Durchleuchten der Hundehütte vom Nachbarshund wurde ein Officer fast gebissen. Außer den anfänglichen Versuchen, die Flurkommode aufzuhebeln, fand die Polizei keine verwertbare Spur eines Einbruchs.

    »Wie oft noch, Inspector?!«, stöhnte Tom. »Ich sagte Ihnen doch, ich bin ins Zimmer meines Sohnes gesprungen und der Kerl war weg, spurlos verschwunden. Keine Ahnung, wie er entkommen konnte, aber ich habe mir diesen Mistkerl nicht eingebildet. Meine Frau und ich haben ihn gehört und ich habe ihn gesehen und Sie haben verdammt noch mal den Beweis an unserer Kommode!«

    Vor seinem inneren Auge ließ Tom die Jagd erneut ablaufen. Die Hände schwitzten bei der bloßen Vorstellung, der Einbrecher liefe noch frei herum und könnte jederzeit wiederkommen und sich holen, was er gesucht hatte. Er rieb sie sich nervös am Mantel trocken.

    »Hören Sie, Mister Collin!«, sagte der leitende Inspector Brad Landon im ruhigen Ton und kontrollierte die Fotos, die seine Kollegen vom Inhalt der Kommode erstellt hatten. Auf dem Display wurde direkt das aktuelle Datum, der 22.09.2009 eingeblendet.

    »Meine Männer haben jetzt alles nötige getan. Wir haben keinerlei Einbruchsmerkmale feststellen können. Lediglich das abgesplitterte Holz an der Kommode beweist, dass sich hier drin ein Einbrecher aufgehalten haben muss. Bis jetzt konnten wir im Haus nichts Verdächtiges finden. Draußen suchen meine Männer noch!«

    »Was wollte der Kerl von uns?«, fragte Tom und fuhr sich mit beiden Händen durch seine blonden Haare.

    »Wir haben hier zu Hause kein Geld rumliegen! In der Kommode liegen doch nur ein paar Dokumente und unsere Reisepässe!«

    »Vermutlich erhoffte sich der Einbrecher in der verschlossenen Kommode etwas Verwertbares zu finden. Geld, Schmuck oder so was in der Art.«

    Der Inspector gab die Digitalkamera einem vorbeilaufenden Cop. Dann blätterte er durch die Reisepässe und schrieb sich Notizen. Als alle Dokumente und Pässe wieder in der Schublade lagen, schob er diese langsam zu. Die Kommode war schon alt und es quietschte beim Zuschieben. Er rüttelte an ihr und sie knarzte.

    »Hm … also … wenn er die Schublade irgendwie hätte öffnen können, hätte auf jeden Fall das Herausziehen Lärm verursacht und Sie drei geweckt! Sehen Sie, ich rüttele an der verschlossenen Schublade und sie macht Lärm. Haben Sie und Ihre Frau diese Geräusche gehört?«

    Tom starrte nachdenklich auf die Kommode und nickte nur. Landon tippte mit dem Kugelschreiber auf seinem Blöckchen herum.

    »Seien Sie froh, dass alles noch mal gut gegangen ist. Ihre Familie ist wohlauf und den Einbrecher werden wir finden. Wir kümmern uns drum. Ich habe selbst eine kleine Tochter und nehme solche Einsätze ernst!«

    Die Polizei wurde nicht fündig. Trotz der Unterstützung eines Hubschraubers konnte im Umkreis des Hauses nichts Verdächtiges gefunden werden. Als endlich der Letzte in Uniform gegangen war, schloss Tom die Tür und schnappte sich seinen Schläger. Er lief nach oben, positionierte den Holzprügel auf den Nachttisch, zog den Morgenmantel aus und legte sich zu Frau und Kind.

    Benny schlief friedlich. Aber Linda träumte schlecht. Falten legten sich in ihr hübsches Gesicht und unter den Lidern zuckten ihre Augen nach links und rechts. Er strich ihr eine verirrte schwarze Strähne vom Gesicht hinters Ohr und betrachtete sie für einen Moment. Er schloss seine Augen und schlief ein.

    Draußen unterhielten sich die Beamten kurz und stiegen dann in ihre Streifenwagen. Sie waren insgesamt mit drei Fahrzeugen aufgefahren.

    Die Blaulichter warfen ihre Schatten an die Häuserfassaden. Aufgeweckte Nachbarn hatten aus ihren Fenstern und Verandas das Aufgebot der Polizei beobachtet und trotteten wieder zurück in ihre Betten. Dieser nächtliche Fall war für die Beamten mysteriös.

    »Was hältst du davon, Bottisaldt?«, fragte der Inspector seinen Kollegen, der auf dem Beifahrersitz saß.

    »Schon komisch.«, antwortete er und klickte durch die aufgenommen Bilder der Digitalkamera.

    »Wir fanden nichts. Als wäre das Schwein einfach so durch die Wände gegangen. Die Türen und Fenster waren alle intakt. Nicht mal am Dach waren Spuren, seien es Fenster oder Ausstiegsluke. Die Hunde hatten auch keinen Anhaltspunkt. Sie irrten wie blöd über die Grundstücke. Keine Andeutung einer verwertbaren Spur.«

    Der Inspector zündete sich eine Zigarette an und aschte aus dem Fenster.

    Das Funkgerät knarzte und die Zentrale wollte sich erkundigen, ob der Trupp immer noch vor Ort war. Bottisaldt schnappte sich das Funkgerät und antwortete: »Ja, Brittany, wir sind immer noch am Haus in der Leavenworthstreet. Sind hier jetzt fertig! Over!«

    Nachdem Bottisaldt das Funkgerät wieder in die Halterung zurücksteckte, sagte er zum Inspector: »Ich hab trotzdem ein mulmiges Gefühl.« Landon schrieb zu seiner letzten Notiz noch eine Uhrzeit und erwiderte: »Besser so, als kurz vor zwölf noch einen Mordfall zu bearbeiten. Schon kurios. Ich weiß nicht, was ich von Collins Aussage halten soll. Du weißt ja, für meine Tochter würde ich auch alles daran setzen, dass ihr kein Haar gekrümmt wird, aber hier können wir jetzt nichts mehr tun.«

    »Ich weiß nicht was ich tun würde, wenn jemand Hand an meine Familie legen würde«, äußerte sich Bottisaldt und schlug sich mit der linken Faust in seine flache Rechte. Landon nickte.

    »Harding und Loid haben sich bereit erklärt, noch bis sechs Uhr vor dem Haus Posten zu beziehen, falls der Einbrecher zurückkommen sollte. Ich hoffe, für die Collins, er kommt nicht. Die Frau von Collin hatte völlig verstört geguckt, die Arme. Aber mal ganz unter uns, die Collin-Lady hat schon was an sich oder?«

    »Stimmt, Landon. Tolle Figur und hübsches Gesicht. Wie alt ist sie doch gleich?«

    Landon blätterte durch seine Notizen, tippte mit dem Kugelschreiber auf das Blatt und antwortete: »Hier steht es. Achtunddreißig…«

    Sie hörten aus dem Haus jemanden brüllen: »Schatz, oh mein Gott! Was pass… Nein! Aaaargh!«

    Der Schrei zerriss die Stille der Nacht. Landon und Bottisaldt sahen sich entgeistert an und riefen wie aus einem Munde: »Das war Collin!«

    Sie sprangen aus ihrem Wagen und liefen mit gezogenen Waffen zum Haus zurück. Die Kollegen in den anderen Fahrzeugen, die durch die geschlossenen Scheiben den Schrei nicht gehört hatten, allerdings die anderen beiden quer über den Rasen zur Tür rennen sahen, fassten alle den gleichen Entschluss und sprangen aus ihrem Streifenwagen hinaus.

    »Wir haben den Mann schreien gehört«, rief Bottisaldt den Kollegen zu und auch der letzte Officer zog jetzt seine Waffe aus dem Halfter. Eine Handvoll umstellte das Haus und zwei Beamte brachen die Haustür auf. Drei Cops stürmten den unteren Flur. Immer mit der Pistole im Anschlag. Officer Bottisaldt und Landon hielten ihre Waffe gegen die obere Etage.

    Sie hörten erneut zuerst den Mann und das Kind schreien, poltern, dann herrschte Stille. Der Inspector brüllte nach oben:

    »Halt! Keine Bewegung, das Haus ist umstellt! Kommen Sie mit erhobenen Händen raus!«

    Bottisaldt war unerwartet schneller als Landon und lief die Treppe nach oben. Mit dieser Kurzschlussreaktion hatte Landon nicht gerechnet und versuchte, trotz seinem Übergewicht dem Kollegen hinterher zu eilen und stolperte über eine Stufe.

    »Bottisaldt, verdammt!«, rief der Inspector, aber sein Kollege war bereits oben angekommen und verschwand rechts um die Ecke. Der Officer wusste von der vorherigen Hausdurchsuchung, dass das Schlafzimmer in der ersten Etage im rechten Flügel lag. Am Ende des Flures befand sich das Elternschlafzimmer links. Es war für ihn nicht schwer, herauszufinden, woher die gequälten Rufe stammten. Mit einem kräftigen Tritt trat er die angelehnte Tür auf und stand mit gezogener Schusswaffe im Türrahmen.

    Ein eisenhaltiger Geruch stieg ihm sofort in die Nase. Er starrte auf die Eheleute Collin, die in einer riesigen Blutlache im Bett lagen. Für den Officer, der noch nicht viele heikle Einsätze bewältigt hatte, war das ein verstörender Anblick.

    Die Frau, grausam aufgeschlitzt, regte sich nicht mehr. Ihre Augen standen weit offen und starrten an die Decke. Der Mann röchelte noch. Er spuckte Blut, versuchte etwas, zu sagen, was der Officer nicht verstand. Das Kind saß auf dem Bett, im Gesicht hatte es Blutspritzer und starrte den Cop an.

    Der Junge hielt einen blutverschmierten Zettel. Bottisaldt bekam einen faden Geschmack im Mund. Er betrat den Raum und wollte sich dem Mann nähern. Mister Collin sah von seinem Sohn weg und konnte gerade noch mit letzter Kraft den Arm heben, um den Officer etwas zu signalisieren. Dann erstarrte sein Blick.

    Bottisaldt drehte sich und sah den Baseballschläger auf sich zukommen. Ein intensiver Schmerz folgte und es wurde ihm schwarz vor Augen. Den Sturz zu Boden fühlte er, als wäre dieser weit, weit weg.

    Leere umgab den Officer. Er hörte ein Flüstern. Woher es kam, konnte er nicht zuordnen. Es war eine fremde Sprache. Dann wurde der Beamte bewusstlos. Einen Augenblick später tauchte der Inspector auf und hatte weitere zwei Officer im Rücken stehen.

    Landon sah als erster die Gräueltat auf dem Bett und stolperte fast über den niedergeschlagenen Kollegen. Er und seine Mannschaft waren ratlos.

    Vater und Mutter abgeschlachtet, der kleine Junge saß mittendrin und Bottisaldt am Boden. Ein Cop rief per Funkgerät den Notarzt, der andere kontrollierte, ob der Mörder noch im Raum war und der Inspector checkte Bottisaldts Vitalwerte.

    Landon machte sich Vorwürfe, dass er Tom Collin nicht geglaubt hatte. Das war ein Fehler gewesen. Landon spürte bei seinem Kollegen einen äußerst niedrigen Puls. Es gelang ihm nicht, ihn anzusprechen.

    »Warum Bottisaldt? Warum hast du dich nicht an den Verhaltenskodex in solchen Situationen gehalten? Ich war nicht so schnell. Ich hätte dir Rückendeckung gegeben! Verdammt, Mernnad! Komm zu dir, mein Freund! Wo bleibt der verdammte Notarzt? Wach auf, Junge. Oh nein … was … scheiße, Blut …«

    Unter Bottisaldts Kopf hatte sich eine Blutlache gebildet, das bereits von den Fasern des Teppichbodens aufgesogen wurde. Was geschah hier?

    Von draußen hatten sie das Haus umstellt. Drinnen postierten sich in allen Etagen Polizisten. Die Fenster im Schlafzimmer waren immer noch unversehrt. Für die Eltern kam jede Hilfe zu spät. Auf dem Zettel, den der kleine Junge hielt, stand mit Blut geschrieben:

    Ihr wollt mich kriegen? Träumt weiter!

    Kapitel 2

    Weit weg vom Bundesstaat Nebraska auf einem anderen Kontinent, sah Taylor Turner seine Angebetete am Strand stehen. Das Wasser peitschte um die Füße des Mädchens. Die Wellen warfen weißschäumende Kämme.

    Sie trug ein weißes Seidentuch um ihren Körper. Ihre blonde, lange Mähne wehte im Wind. Wegen der Sonne musste sie sich die flache Hand über die Augen halten. Er winkte ihr zu und sie winkte ihn mit ihrer freien Hand herbei. Taylor glaubte seinen Augen kaum. Er sah sich um, ob die Geste wahrhaftig ihm galt.

    Als der Teenager sich sicher war, näherte er sich. Das kalte Wasser überspülte jetzt auch seine Füße und Taylor war kurz überrascht, wie intensiv die Berührung vom kühlen Nass war. Der Junge brachte kaum ein Wort über seine Lippen, als er ihr gegenüberstand.

    Sein Herzschlag erhöhte sich und er spürte, wie in ihm ein Feuerwerk der Euphorie entfachte. Taylor war sich nicht mehr im Klaren, ob es die Sonne war, oder ihr umwerfendes Antlitz, das ihn blendete. Obwohl er seinen Mund öffnete und die Zunge und Stimmbänder sich bewegten, bekam er kein Wort heraus.

    Sie hingegen öffnete ihre Lippen und sagte mit einem Augenzwinkern: »Ich habe auf dich gewartet. Hier ist es doch wunderschön, oder?«

    Taylor wollte zustimmen, schaffte es jedoch nur, schweigend zu nicken. Sein Mund war trocken. Er fand sie so hübsch, doch Taylor konnte es sich nicht nehmen, kurz um sich herum zu schauen. Nur er und seine Traumfrau Annabell. Wie sie da stand! Immer noch die eine Hand schützend über ihren saphirblauen Augen, mit dem zauberhaften Wimpernaufschlag. Es roch nach Pfirsich. Entweder war es ihr Shampoo oder ihr Parfüm. Was es auch war, es war betörend.

    Er sah seine Chance. Niemand war hier an diesem weißen Strand, um ihm dazwischen zu funken, also tat er es. Er lächelte ihr zu, streichelte mit seiner Hand über ihre linke Wange und spürte, wie weich sich die Haut anfühlte. Dann küsste er sie auf ihre zarten Lippen.

    Den Kuss nahm er vor Aufregung nicht wirklich wahr, doch eine Gänsehaut breitete sich auf seinen ganzen Körper aus. Annabell nahm wieder einen kleinen Abstand von ihm. Also wollte er sich ihr erneut nähern. Sie legte ihren Zeigefinger auf seine Lippen und zwinkerte ihm ein weiteres Mal zu, dann entknotete sie ihr Seidentuch.

    Taylor schluckte vor Aufregung. Er spürte, wie sein Herz anfing, frenetisch zu pochen. Der Junge wunderte sich, warum auf einmal so eine starke Meeresbrise auffrischte, die das Tuch so vor ihm hin wehen ließ und die Sicht auf ihre Vollkommenheit versperrte. Sie hielt es gerade so mit ihren Fingern fest. Er wollte es zur Seite schlagen und sie in ihrer Makellosigkeit betrachten, da wurde er von der Realität – in diesem Fall von seinem Wecker – aus den Träumen gerissen.

    Taylor lag in seinem Bett. Nicht mehr irgendwo auf der Welt an einem verlassenen weißen Strand mit seiner Angebeteten. Er war allein und ohne das Mädchen aus den Träumen.

    Nachdem der Teenager den Wecker ausgeschaltet und sein Nachttischlämpchen angeknipst hatte, warf er einen hektischen Blick durchs Zimmer. Anstatt dem Mädchen, sah er nur einen Schreibtisch, der mit seinem Computer, Schulbüchern, zerrissenem Geschenkpapier und dem Inhalt davon überladen war. An den Wänden und an der Decke hingen Luftballons und Luftschlangen. Auf dem Boden lag noch Konfetti. Hier war kein Strand, keine Annabell. Beides war weit weg in seinen Träumen. Doch selbst dort fiel es ihm schwer, sie für sich zu gewinnen.

    Seit ungefähr einem Monat träumte er kontinuierlich das Gleiche. Immer mit ihr, ständig waren sie allein und immer stand er kurz davor, einen Schritt weiter zu gehen. Heute war es ihm gelungen, sie zu küssen. Ihm wäre es lieber gewesen, wieder einzuschlafen und erneut von ihr zu träumen. Er sah auf seinen Radiowecker.

    Das Display war wegen einer Geburtstagskarte, die durch seinen Schlag auf den Wecker völlig zerknautscht war, versperrt. Er zog die Karte auseinander und las den bunten Aufdruck: alles Gute zum 15. Geburtstag.

    Die zwanzig Euro, die darin klebten, zog er heraus, die Karte verschwand in der Schublade und den Schein legte er auf den Nachttisch. Die Uhrzeit auf der LCD-Anzeige vom Radiowecker zeigte halb sieben. Taylor schürzte die Lippen und blies genervt Luft aus. Er nahm es erneut hin, dass das vorhin Erlebte nur ein Traum gewesen war, und stand auf. Am Wandkalender mit getunten Autobildern schob er auf dem Oktoberblatt das rote Kästchen von der Siebenundzwanzig ein Feld weiter und verließ das Zimmer.

    Taylor besuchte die Hauptschule im Eifelstädtchen Prüm. Er war ein Jugendlicher mit einer schlanken Statur. Hin und wieder hielt er sich mit Laufen fit oder trainierte im Zimmer. Er spielte keinen Fußball, allerdings sagte er zu einer Partie Tischkicker nie nein.

    Der Teenager war in der Kleinstadt geboren und aufgewachsen. Gelegentlich las er in den Zeitungen von kleinen Drogenfunden bei Polizeikontrollen an der deutsch-belgischen Grenze und Prügeleien von Besoffenen in den Kirmesnächten.

    Durch die Geschichte der Stadt verirrten sich viele Touristen nach Prüm. Die einen, um die Sandalenreliquien von Jesus Christus in der Basilika zu fotografieren, die anderen um den Weg zum Explosionskrater oberhalb von Prüm zu umwandern. Beides kannte Taylor durch einige Jahre als Messdiener und Wanderungen mit der Schulklasse.

    Es gefiel ihm, hier zu wohnen. Jeder kannte hier jeden und Geheimnisse, egal welcher Natur, blieben nie lange verborgen. In dieser Stadt konnte man nachts um drei Uhr aus der Kneipe nach Hause schlendern oder, je nach Gemütszustand, torkeln, ohne Angst zu haben überfallen zu werden. Natürlich kannte Taylor das nur vom Hörensagen. Ihm selbst war es verboten, solange er minderjährig war, sich in Prümer Kneipen aufzuhalten.

    In diesem Luftkurort brauchte Taylors Lieblings Mini-Fast Food Imbiss keine Angst zu haben, von den Franchise-Riesen verdrängt zu werden. Das Lokal besaß eine treue Gästeklientel und die Stadt mit über fünftausend Seelen bot für die Konzernriesen zu wenig Einwohner. Hier gab es wie vielerorts arme und reiche Menschen. Doch selbst die Reichen merkten, wie klein und unbeholfen sie waren, wenn die Sonne am Tag so stand, dass die über sechzig Meter hohen Zwillingstürme der Basilika ihre mächtigen Schatten auf das Stadtzentrum warfen.

    Es war der Morgen nach Taylors Feier. Er stand im Bad und begutachtete sich. Die dunklen wuscheligen Haare hatte er auf jeden Fall von seinem Vater geerbt. Trotz Kämmen sahen sie immer zerzaust aus. Während er sich einen Streifen Zahnpasta auf die Bürste strich, erinnerte er sich an den gestrigen Tag.

    Von den Eltern hatte er zwei Wochen vorher die Einwilligung bekommen Freunde einzuladen. Sein Vater erlaubte ihm, bis zehn Uhr zu feiern. Sie durften sich im Wohnzimmer und in Taylors Zimmer aufhalten. Fast dachte er, der Abend würde zum Fiasko werden, als sein Kumpel Tim aus Versehen die Lieblingstasse seines Vaters, mit der Zahl ‚35‘, von der Tischkante stieß. Taylor hatte für einen kurzen Moment gedacht, so wie die Tasse in tausend Scherben zerschellte, so würde auch die Party zerspringen doch… sein Vater George linste nur über seinen Brillenrand und sagte: »Naja, immerhin hat sie sieben Jahre gehalten!« Das war alles. Keine Szene, kein Partysprengen. Für einen kurzen Moment dachte Taylor da: Cool, Dad! Danke.

    Taylor war kein Einzelkind. Seine Schwester, Meggy, war ein Jahr jünger als er. Sie hielt sich von der Party fern. Meggy schenkte ihm ein Buch mit dem Titel: Wie werde ich meinen Bruder los? Sie grinste frech und verschwand für den Rest des Abends auf ihrem Zimmer.

    »Wollte dich deine Schwester damit ärgern?«, fragte ihn sein Kumpel David, der in seine Parallelklasse ging.

    »Mag sein! Weißt du, wenn man meine Schwester richtig ärgern will, muss man sie nur Magdalena rufen.«

    »Wieso? Sie heißt doch Meggy, oder nicht?«

    »Das ist die Kurzform, aber in ihrem Kinderausweis steht Magdalena. Wenn meine Schwester was verbockt hat, dann schimpft meine Mutter immer und ruft wütend Magdaleeena. Da flippt die blöde Kuh immer aus! Der Name würde so altbacken klingen!« Taylor grinste boshaft und warf das Buch auf den Wohnzimmertisch.

    »Ihr versteht euch nicht so gut, oder?«, fragte ihn David und tippte auf ein Foto im Regal, das die Familie am Weihnachtsbaum zeigte.

    »Das passt schon. Auf dem Schulhof gehen wir uns aus dem Weg und hier zu Hause verstehen wir uns meistens.«

    »Ich finde deine Schwester ganz hübsch. Vor allem ihre braunen Locken, obwohl sie hier ja schwarz sind!«

    »Das Foto ist zwei Jahre alt, da war sie auf einem Experimentiertrip. Sie färbte ihre Haare bei einer Freundin ohne die Einwilligung von Mom und dafür bekam sie eine Woche Hausarrest.«

    »Ihre schwarzen Augen erinnern mich an Kohlestücke.«

    »Stell das Bild wieder zurück, David!«, sagte Taylor im ernsten Ton und wollte nicht mehr über seine Schwester reden. »Ich glaub, Tim läutet das nächste Geburtstagspiel ein!« Mit diesen Worten beendete Taylor das Gespräch und ging zurück zu den anderen. Taylors Feier verlief mit verschiedenen Spielen lustig und ohne Alkohol.

    Seine Mutter hatte für den Abend eine Fruchtbowle zubereitet, bekam selber von den Feierlichkeiten nichts mit. Sie musste als Mediengrafikerin früh raus und ging daher zeitig zu Bett.

    Mit der Morgentoilette war Taylor mittlerweile fertig. Er frühstückte alleine. Meistens war er der Letzte, der das Haus verließ. Meggy war eine Frühaufsteherin. Sie traf sich mit einer Freundin und lief dann mit ihr zur Schule. Sein Vater war wie seine Mutter schon früh auf der Arbeit.

    Taylor warf das Geschirr in die Spüle, schnappte sich die Schulsachen und verließ das Haus. Als er noch etwas verschlafen die Hillstraße hochging, dachte er nur noch an seinem Traum.

    Annabell ging in dieselbe Klasse wie er. Sie saß in der hinteren Reihe direkt hinter ihm. Manchmal unterhielt er sich mit ihr über den Schulstoff. In der Pause war sie meist in der Gruppe unterwegs. Taylor hatte es da schwer ein persönliches Gespräch zu beginnen.

    Annabell war ein Jahr älter als er. Vielleicht war sie sitzen geblieben oder ein Jahr später eingeschult worden. Er war noch nicht dazu gekommen, sie darüber auszufragen. Des Öfteren bekam er unfreiwillig die Gespräche zwischen Annabell und ihrer Banknachbarin mit. Obwohl sie sich gedämpft unterhielten, spitze Taylor die Ohren und konnte immer alles mithören.

    Wie auch an diesem Morgen saß er auf seinem Platz und horchte dem Gespräch hinter seinem Rücken: »…Schon wieder ihr beide? Und was ist dieses Mal passiert?«, bohrte ihre Freundin.

    »Das verrate ich dir besser, wenn wir unter uns sind. Nicht jetzt! Später, Lisa, in der großen Pause.« Lisa schüttelte den Kopf und erwiderte: »Ne, geht nicht! Ich muss ins Sekretariat was klären.«

    »Gut, dann wenn wir Sport haben. Wir bleiben länger in der Umkleide und dann ...«

    »Annabell! Hier vorne spielt die Musik«, unterbrach sie ihr Klassenlehrer, Herr Schwarz, »Lisa, für dich gilt das Gleiche! Wenn ich noch einen Ton von euch höre, schreibt mir jeder von euch zwei Seiten ‚Mein Benehmen‘. Hab ich mich deutlich genug ausgedrückt?«

    Annabell und Lisa nickten synchron. Herr Schwarz war ein sympathischer verständnisvoller Klassenlehrer. Er mochte es jedoch nicht, wenn man seinen Unterricht störte. Die Schüler hatten bei ihm Deutsch, Geschichte und Sozialkunde.

    Annabell nahm ihren Stift und schrieb die Sätze, von der Tafel ab. Lisa hingegen zückte aus ihrem Stiftetui einen kleinen Schminkspiegel und kramte aus ihrem Auge eine Wimper. Lisa war nicht so zielstrebig wie ihre Freundin. Dafür konnte ihr sportlich keiner in der Klasse das Wasser reichen. Zu Hause machte sie viermal in der Woche Fight-Aerobic. Nach der Schule strebte sie, sofern die Noten es zuließen, eine Ausbildung zur Immobilienmaklerin an. Lisa schrieb Annabell einen kleinen Zettel auf dem das Wort ‚abgemacht‘ stand und schob es heimlich auf ihr Heft. Annabell lächelte und die Freundinnen verfolgten weiter den Unterricht.

    Taylor konnte sich nicht auf den Unterrichtsstoff konzentrieren.

    Ich muss wissen, was sie meint, verdammt.

    Als die Schulstunde sich dem Ende neigte und der Klassenlehrer hinausging, nahm Taylor seinen Banknachbarn Tim zur Seite und flüsterte: »Hör mal, du musst mir bei einer Sache helfen, Alter! Du hast dich schon mal unbemerkt in der Mädchenumkleide aufgehalten, stimmt`s?«

    »Ja und?« Tim grinste und beobachtete wie Annabell und Lisa gerade zu einer Freundin an einen anderen Tisch gingen. Tim sah Taylor an und hob die Augenbrauen.

    »Aha, willst du die Mädels in

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