Queen Victoria: Ein intimes Porträt der Monarchin
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Mit der Thronbesteigung Victorias am 20. Juni 1837 endete aufgrund des im Königreich Hannover geltenden Salischen Gesetzes, das Frauen von der Thronfolge ausschloss, die seit 1714 bestehende Personalunion zwischen Großbritannien und Hannover. Während der folgenden 63-jährigen Regierungszeit Victorias erreichte das Britische Empire den Höhepunkt seiner politischen und ökonomischen Macht, die Ober- und Mittelschichten erlebten eine beispiellose wirtschaftliche Blütezeit (Viktorianisches Zeitalter). Prägend für ihre Regentschaft waren der Einfluss ihres Ehemannes Albert von Sachsen-Coburg und Gotha sowie ihr nahezu vollständiger Rückzug aus der Öffentlichkeit nach dessen Tod 1861. Einen wesentlichen Anteil an der seelischen Entspannung der verwitweten Victoria schrieb man ihrem langjährigen Diener John Brown zu, der zunächst als schottischer Jagdgehilfe von Prinz Albert in Balmoral angestellt war. Insgesamt interpretierte Victoria ihre Rolle als konstitutionelle Monarchin sehr eigenwillig und durchaus selbstbewusst.
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Queen Victoria - Walter Brendel
Einleitung
Ihr Name steht für eine ganze Epoche der jüngeren Geschichte. Am 24. Mai jährt sich ihr Geburtstag zum 200. Mal. An ihr irritiert noch heute, dass das Bild, das die höfische Propaganda von ihr zeichnete, nicht die „echte" Victoria widerspiegelt: eine lebenslustige, machtbewusste Frau.
Ihren Ruhm ersaß sich die Monarchin, die länger herrschte als alle vor ihr. Ihr Auftreten prägte ein Zeitalter. Victoria (1819 -1901), Königin des Vereinigten Königreichs, Kaiserin von Indien, Herrscherin über das größte Empire der Weltgeschichte – vor allem Fotos prägen das Bild von ihr: mal als streng dreinblickende Landesmutter, mal als biederbrave Ehefrau an der Seite von Prinzgemahl Albert, der Liebe ihres Lebens.
Doch dieses Image ist das, was man heute Fake bezie-hungsweise durchkalkulierte Propaganda nennen würde: Der Erfinder dieser steril-prüden Victoria war Prinzgemahl Albert. Er ist es, der die junge Frau an seiner Seite in das enge Korsett eines sittsamen Frauenideals schnürt, für das die viktorianische Epoche heute noch verrufen ist. Ihrem Albert gegenüber zeigt sie sich dagegen als leidenschaftliche und erotische Frau. Auch nach seinem frühen Tod sollte sie ihr Interesse an attraktiven Männern nicht verlieren.
Sie versüßt sich den Lebensabend mit einem Jagdgehilfen des verstorbenen Prinzgemahls: John Brown, sieben Jahre jünger als sie, ein schlichter, derber Schotte, der ihr Diener und ständiger Begleiter wird. Viele Untertanen gehen davon aus, dass er auch ihr Geliebter ist.
Es ist die Witwe Victoria, die sich mehr und mehr in die Politik ihres Weltreichs einmischt. Nicht ohne Eitelkeiten: Immer wieder drängt sie ihre Premiers, ihr doch eine Kaiserkrone zu beschaffen. Nicht auszudenken, wenn ihre Tochter Kaiserin von Deutschland ist und sie „nur" Königin.
Eine Mutter ihrer Untertanen war sie nur bedingt: In ihrer Jugend bedauerte sie das Los der bitterarmen Unterschicht.
Für soziale Reformen hat sie sich freilich erst im Alter eingesetzt. 230 Kriege führte Großbritannien unter ihr in den Kolonien – ein königliches Bedauern über die vielen Toten ist nicht überliefert. Im Mai 2019 feiert die überzeugte Imperialistin und lebenslustige Queen ihren 200. Geburtstag.
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ist das britische Königshaus reichlich heruntergekommen. George III. hat seinen Lebensabend in geistiger Umnachtung verdämmert, seine beiden Nachfolger sind kaum königliche Figuren. Als der derbe Wilhelm IV. („Matrosen-Bill") 1837 stirbt, hinterlässt er keine männlichen Nachkommen; die nächste in der Erbfolge ist seine Nichte Viktoria.
Sie wird Königin, und so endet auch die 123-jährige Personalunion zwischen England und dem Königreich Hannover: Dort sind Frauen von der Erbfolge ausgeschlossen, Viktorias Onkel Ernst August I. wird König.
Viktoria, 18 Jahre alt, war nicht als Thronerbin vorgesehen und ist nicht dafür ausgebildet. Sie vertraut auf den Rat des Premierministers William Lamb Viscount Melbourne und den ihres Onkels, des belgischen Königs Leopold I. Ihr wichtigster Berater wird bald ihr Cousin, Prinz Albert von Sachsen-Coburg-Gotha, den sie 1840 aus Liebe heiratet.
Die nächsten 20 Jahre ist Viktoria damit beschäftigt, neun Kinder zur Welt zu bringen – dabei mag sie keine Babys und haßt es, schwanger zu sein. Später wird man sie „Großmutter Europas" nennen, weil viele ihrer 40 Enkel und 88 Urenkel auf den Thronen des Kontinents Platz nehmen.
Die Amtsgeschäfte führt im Hintergrund Albert. Manche Untertanen sehen den Einfluss des „Deutschen", wie sie ihn nennen, mit Argwohn. Vom Stadtleben und Buckingham Palace hält das Paar wenig, es zieht nach Windsor Castle in Berkshire, kauft Osborne House auf der Isle of Wight und Schloss Balmoral in Schottland.
Die Monarchin hält Auseinandersetzungen auf Schlachtfeldern für unzivilisiert. Den blutigen Krim-Krieg gegen Russland kann sie nicht verhindern, aber sie regt Reformen im Militär an. Die sozialpolitischen Ideen Alberts fördert sie halbherzig.
Über ihren Mann schreibt Viktoria: „Er war für mich alles, mein Vater, mein Beschützer, mein Führer, mein Ratgeber in allen Angelegenheiten, fast möchte ich sagen, er war mir Mutter und Mann zugleich. Im Dezember 1861 stirbt Albert an Typhus. Von nun an trägt die Queen schwarz. Sie zieht sich zurück und bekommt den Beinamen „Witwe von Windsor
.
Viktoria meidet London, lässt die Minister zu sich kommen. Die jährliche Rede zur Parlamentseröffnung hält sie nur siebenmal in ihren 40 Witwenjahren selbst. Ihren ältesten Sohn Edward lässt sie nicht an den Regierungsgeschäften teilhaben, denn sie gibt dem Thronfolger die Schuld am Tod ihres Mannes: Albert ist, obwohl schon krank, nach Cambridge gereist, um den Prinzen von Wales wegen einer Affäre mit einer Schauspielerin zur Rede zu stellen.
Öffentlich hingegen ist die Königin auf dem Höhepunkt ihrer Macht. Wenn die wechselnden Premierminister, zunehmend gestützt auf ihre demokratische Legitimation und das Unterhaus, sich ihrem Willen nicht beugen, droht sie mit Abdankung. Als Ehrfurcht gebietende ernste Gestalt in schwarzen Kleidern verkörpert Viktoria die steifen Ideale ihrer Zeit, in der sich viele Briten angesichts der voranschreitenden Industrialisierung an die überkommene Ordnung klammern.
Alle Enkel Victorias sollten ihren oder ihres Mannes Namen als ersten Vornamen tragen. Sie verheiratete sie in Fürstenhöfe überall in Europa und hoffte, so den Frieden zu sichern. Noch heute regieren ihre Nachkommen: Elisabeth II. von England und ihr Mann sind beide Ururenkel Victorias, ebenso Sophia und Juan Carlos von Spanien. Auch Harald V. von Norwegen, Karl XVI. Gustav von Schweden und Margarethe II. von Dänemark sind ihre Nachkommen.
Auch unter den nicht mehr regierenden Königinnen und Königen Europas finden sich die Nachfahren Victorias, Konstantin II. von Griechenland und Michael I. von Rumänien zum Beispiel. Nachkommen der Queen sind auch die Oberhäupter der ehemaligen Herrscherhäuser von Serbien, Russland, Preußen (Deutschland), Sachsen-Coburg-Gotha, Hannover, Hessen, Baden und Frankreich.
Viktorias Lieblingspremier Benjamin Disraeli betreibt eine Expansionspolitik, die die Königin begeistert. Das Empire wird groß und mächtig wie nie – die Queen, die sich seit 1877 auch Kaiserin von Indien nennen darf, wird zu seinem Symbol. Zu ihrem Goldenen und Diamantenen Thronjubiläum 1887 und 1897 kommen zahlreiche europäische Fürsten; ihre verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Adelshäusern des Kontinents nutzt Viktoria, um ihre Stellung zu festigen.
Das Weihnachtsfest 1900 verbringt Viktoria in Osborne House. Die 81-Jährige hat Rheuma, ist vom Grauen Star fast blind und fühlt sich schwach und schwindlig; sie stirbt am frühen Abend des 22. Januar 1901. Bei ihr sind unter anderem ihr ältester Sohn, der als Edward VII. ihr Nachfolger wird, und der deutsche Kaiser Wilhelm II., ihr Enkel.
Kaum eine Königin war für England so prägend, wie Queen Viktoria. Sie begründete ein Weltreich, in dem die Sonne niemals unterging. Nie davor und nie mehr danach war das Empire größer, als während ihrer Regierungszeit. Sie überlebte sieben Attentate.
Kindheit und Prinzessin
Die spätere Monarchin, die diesem Zeitalter ihren Namen gab, wurde am 24. Mai 1819 im Londoner Kensington-Palast geboren. Ihr Vater, der den recht pompösen Namen „Edward Augustus (1767 - 1820) hatte, trug als vierter, legitimer, Sohn des 1811 wegen einer Erkrankung von den Throngeschäften entbundenen Königs Georg III. (1738 - 1820) den Prinzen-Titel „Duke of Kent
. Bei der Geburt von Victoria wurde davon