Kreaturen des Todes, 1. Band
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Der Monstermörder, Der Tote im Straßengraben, Giftmord, Der Hammermörder, Leiche ohne Mörder und Ein Familiendrama.
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Kreaturen des Todes, 1. Band - Walter Brendel
Einleitung
Wenn man der Lehre von Cesare Lombroso, ein italienischer Arzt, Professor der gerichtlichen Medizin und Psychiatrie, folgen würde, wäre es relativ leicht, einen Mörder zu erkennen und zu überführen. In seiner umstrittenen Theorie, die 1887 erstmals veröffentlicht wurde „Der Verbrecher in anthropologischer, ärztlicher und juristischer Beziehung begründete er eine neue Theorie in der Kriminologie, den Übergang vom Tat- zum Täterstrafrecht. Seiner Lehre vom „delinquente nato – dem geborenen Verbrecher
nach, wird der Kriminelle hier als besonderer Typus der Menschheit beschrieben, der in der Mitte zwischen Geisteskranken und Primitiven stehe. Die direkte Verwandtschaft zu den aggressiveren, nicht kulturell domestizierten Vorfahren des heutigen Menschen trete bei manchen Personen in ihren körperlichen Merkmalen offen zutage, so Lombrosos These.
Danach ist eine bestimmte Schädelform oder zusammengewachsene Augenbrauen der Verweis auf eine atavistische – damit niedrigere und gewalttätigere – Entwicklungsstufe. Damit deuten äußere Merkmale auf die tief verwurzelten Anlagen zum Verbrecher hin, die auch durch die Aneignung sozialer Verhaltensweisen nicht überdeckt werden können. Zum „Beweis" seiner Theorie führte Lombroso in seinem Institut Messungen an zahlreichen Schädeln (u. a. von Hingerichteten) durch. Lombroso glaubte, den typischen Verbrecher von Geburt an aufgrund von Äußerlichkeiten feststellen zu können.
Cesare Lombroso
Es gibt demnach den Kriminellen, dessen abweichendes Verhalten unvermeidlich ist. Der Verbrecher sei nicht in der Lage, sich für oder gegen ein Verbrechen zu entscheiden, sondern handle vollständig unfrei und determiniert.
Lombroso beschreibt Diebe und Mörder folgendermaßen: Die Diebe haben im allgemeinen sehr bewegliche Gesichtszüge und Hände; ihr Auge ist klein, unruhig, oft schielend; die Brauen gefaltet und stoßen zusammen; die Nase ist krumm oder stumpf, der Bart spärlich, das Haar seltener dicht, die Stirn fast immer klein und fliehend, das Ohr oft henkelförmig abstehend …
Die Mörder haben einen glasigen, eisigen, starren Blick, ihr Auge ist bisweilen blutunterlaufen. Die Nase ist groß, oft eine Adler- oder vielmehr Habichtsnase; die Kiefer starkknochig, die Ohren lang, die Wangen breit, die Haare gekräuselt, voll und dunkel, der Bart oft spärlich; die Lippen dünn, die Eckzähne groß … Im allgemeinen sind bei Verbrechern von Geburt die Ohren henkelförmig, das Haupthaar voll, der Bart spärlich, die Stirnhöhlen gewölbt, die Kinnlade enorm, das Kinn viereckig oder vorragend, die Backenknochen breit, – kurz ein mongolischer und bisweilen negerähnlicher Typus vorhanden.
Wissenschaftlich ist das natürlich blanker Unsinn, aber in der Bevölkerung sind derartige Ansichten dennoch nach wie vor weit verbreitet: Den Glauben, dass der Sohn des Totschlägers wieder gewalttätig wird, gibt es noch immer. Das Sprichwort Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm
drückt diese Ansicht aus.
Warum begeht jemand schwere Verbrechen?
Das Potenzial, andere zu beschränken, ihnen zu schaden, wehzutun, das steckt in jedem Menschen und ist sehr unterscheidlich ausgeprägt. .
Nur wann genau dunkle Ideen, Gefühle und Wünsche zu einer Tat werden, die andere als falsch, böse oder verwerflich betrachten, das ist die Frage.
Bei den meisten Menschen, auch jenen mit schlimmen Kindheitserfahrungen, werden aggressive Impulse in Schranken gehalten. Durch die Fähigkeit zur Selbstkontrolle, die Fähigkeit zum Mitgefühl und durch die Akzeptanz moralischer Grundsätze. Wenn aber eine oder sogar alle drei dieser Fähigkeiten versagen, dann steigt das Risiko, Gewalt wiederholt zum eigenen Vorteil einzusetzen.
Experten unterscheiden bei Intensivstraftätern drei Typen, bei denen diese Schranken nicht zuverlässig funktionieren. Instrumentelle Täter, sie machen etwa 30 Prozent aus, sehen Gewalt als Strategie, um Konflikte zu lösen. Sie sind in einem Umfeld aufgewachsen, das sie gelehrt hat: Gewalt ist überlebenswichtig, effektiv und wird belohnt. Die zweite Gruppe besteht aus impulsiven, chronischen Gewalttätern. Sie leiden an einer antisozialen Persönlichkeitsstörung, fallen schon als Kinder auf, weil sie stehlen, soziale Regeln missachten oder das Eigentum anderer zerstören. Sie wissen, dass ihre gewaltsamen Ausbrüche ihnen langfristig eher schaden als nützen, ändern aber ihr Verhalten trotz harscher Konsequenzen nicht. Etwa 60 Prozent aller Intensivstraftäter fallen in diese Kategorie. Sie fühlen sich schnell bedroht, rasten schnell aus, schlagen schnell zu. Ihr Mitgefühl mit anderen hält sich in Grenzen, ihr Selbstwert ist leicht angreifbar. Neben einer problematischen Kindheit finden sich bei diesen Menschen häufig noch andere Auffälligkeiten – und zwar im Gehirn. Neurowissenschaftler konnten zeigen, dass impulsive Gewalttäter Veränderungen in der Anatomie und Funktion des präfrontalen Kortex, einem Areal hinter der Stirn, aufweisen. Anders als bei anderen Menschen hemmt das Areal bei ihnen aggressive Impulse nicht. Darüber hinaus ist bei diesen Tätern die Stressverarbeitung gestört: Der Mandelkern, für die emotionale Bewertung von Reizen zuständig, ist hyperaktiv. Das führt dazu, dass sich das Gefühl, bedroht zu werden, viel schneller einstellt als bei anderen Menschen. Kein Lernen nach Bestrafung oder auch Belohnung, eine Unempfindlichkeit gegenüber sozialen Sanktionen oder Bestärkungen, das ist auch typisch für die dritte Tätergruppe: die Psychopathen. Sie sind mit zehn Prozent die kleinste, aber gefährlichste Gruppe.
Auch bei ihnen gibt es Auffälligkeiten im präfrontalen Kortex, wie bei den impulsiven Tätern. Eines aber ist bei ihnen anders: Ihr Mandelkern, das Furchtzentrum, ist nicht hyperaktiv, sondern völlig still.
Lassen wir es dabei bewenden. Die nachfolgenden tatsächlichen Kriminalfälle beantworten zum Großteil die eingangs erwähnte Frage, warum jemand schwere Verbrechen begeht.
Die Hinrichtung einer Frau – der Fall Anne-Marie Allaix
Es geschah in Marseille und wir schreiben den 13. Februar 1996. Um 8 Uhr morgens klingelt bei der Kriminalpolizei das Telefon. Im Norden der Stadt geschah ein Mord. Eine Person war in ihrem Fahrzeug regelrecht hingerichtet worden. Ein Motorradfahren hatte angehalten, geschos-sen und war davon gerast.
Solche Vorfälle sind für die Polizei von Marseille schon fast Alltag. Also gingen sie sofort von einer Abrechnung im Verbrechermillieu aus. Doch das Opfer entspricht absolut nicht dem üblichen Profil. Es handelte sich um eine Frau, eine Frau die so hingerichtet wurde. Das war schon sehr seltsam, wirklich ungewöhnlich, dass eine Frau unter solchen Umständen erschossen wird. Das ist eher eine Form der Abrechnung unter kriminellen Männern.
Die Polizisten untersuchen den Tatort, Das Opfer saß noch auf dem Fahrersitz und war von mehreren großkalibrigen Geschossen getroffen worden und sofort tot. Der etwa 50jährigen Frau war direkt in den Kopf geschossen worden. Schnell ist die Polizei von Augenzeugen umringt, die eine regelrechte Hinrichtung beschreiben und das am helllichten Tag.
Ein Mann auf einem Motorrad hielte an und ging seelenruhig auf den Renault der Frau zu. Er trug einen Helm. Der Mann zog eine Waffe aus seiner Lederjacke, er schoss etwa sechs Mal und ging völlig ruhig und ohne Eile zu seinem Motorrad zurück. Danach fuhr er davon. Offensichtlich ist der Schütze ein Profi, darauf deutet sein ruhiges und gelassenes Vorgehen hin. Man muss schon sehr abgebrührt sein, um an einer roten Ampel ein Opfer auf diese Weise zu erschießen.
Alles deutete auf einen Auftragsmord hin. Am Tatort liegen keine Patronenhülsen und es gibt keine Reifenabdrücke. Der Mörder ist extrem vorsichtig, um keine Spuren zu hinterlassen. Die Identifizierung des Opfers hat jetzt Priorität. Wer ist diese Frau? Gibt es einen Hinweis, der ihr tragisches Ende erklären könnte?
Möglichweise lebte sie mit einen Kriminellen zusammen, einen Bandenmitglied und war selbst in etwas verwickelt. Im Auto finden die Polizisten die Handtasche des Opfers, mit ihren Ausweis und Papieren.
Das Opfer war Anne-Marie Allaix, eine Lehrerin auf dem Weg zu ihrer Arbeit. Sie war Lehrerin für Sozialkunde an einem Gymnasium im Norden der Stadt und Mutter eines 19jährigen Sohnes. An diesen Tag hatte sie Prüfungsaufsicht. Die 47jährige Lehrerin ist geschieden. Ihr Profil passt so gar nicht in das Bandenschema, von dem die Polizei ausgeht. Sie hatte überhaupt keine Verbindung zur Unterwelt. Es konnte also keine Abrechnung sein. Sie ging jedem Morgen zur Arbeit, kam abends wieder. Sie hatte einen Freund und kümmerte sich um ihr Haus.
Das Opfer Anne-Marie Allaix
Sie spielte nicht, trank nicht und ging nicht aus. Auch über ein ausschweifendes Sexleben war nichts bekannt. Eine absolute durchschnittliche Frau und Bürgerin. Auf der einen Seite gab es das absurd brutale Verbrechen, auf der anderen Seite eine ganz normale Frau. Das passte einfach nicht zusammen.
Die Polizisten sind ratlos. Wer hat diese harmlose Person umgebracht? Die Ermittler fahren zur ihrer Arbeitsstelle. Die Schule liegt in einem Gebiet, in dem es häufig zu Gewalttaten kommt. Der Mord geschah nahe der Schule. Es schien, als habe der Mörder alles ausgekundschaftet, und sie bei der letzten roten Ampel vor dem Gymnasium aufgelauert. Es konnte also jemand von der Schule gewesen sein. Eventuell ein Kollege, mit dem sie Streit hatte, vielleicht hatte sie auch