Die Pferdelords 03 - Die Barbaren des Dünenlandes
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About this ebook
Hier liegt die Reihe nun erstmals in einer vom Autor überarbeiteten und ergänzten e-Book-Ausgabe vor. Jedes Abenteuer ist in sich abgeschlossen.
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Book preview
Die Pferdelords 03 - Die Barbaren des Dünenlandes - Michael Schenk
Kapitel 1
Michael H. Schenk
Die Pferdelords 3
- Die Barbaren des Dünenlandes -
Fantasy-Roman
© Überarbeitete Neuauflage Michael Schenk 2020
Vorwort
Die Leserschaft der Serie „Die Pferdelords wird im ersten Roman eine große Nähe zu den Verfilmungen von „Der-Herr-der-Ringe
feststellen. Dies war eine Bedingung des damaligen Verlages, meine auf zwölf Bände festgelegte Reihe überhaupt zu veröffentlichen, da man sich dadurch einen größeren Umsatz versprach. Ich stand also vor der Wahl, nicht veröffentlicht zu werden oder mich dieser Forderung zu stellen. Ich entschied mich für meine „Pferdelords" und nahm einen raschen Genozid an ihren ursprünglich gedachten Feinden, den Walven, vor, um diese durch die Orks zu ersetzen. Man möge mir diesen Eigennutz verzeihen, doch damals war dies der einzige Weg, meine Pferdelords in den Sattel zu heben.
Die Pferdelords bieten detailreiche und spannende Abenteuer, in der die Völker mit ihrer jeweils eigenen Geschichte und Kultur zum Leben erweckt werden. Wem die tatsächlichen oder scheinbaren Wiederholungen von Beschreibungen in den Bänden auffallen, der wird feststellen, dass sie die Entwicklung der Völker und ihrer Siedlungen aufgreifen, denn bei den insgesamt zwölf Bänden handelt es sich um eine Chronologie. Im Lauf der Zeit entsteht aus dem Tauschhandel eine Währung, aus dem schlichten Signalfeuer ein kompliziertes optisches Instrument, man entdeckt das Schießpulver und die Dampfmaschine sowie schließlich sogar das Luftschiff. Man begleitet den Knaben Nedeam, der schon bald als Schwertmann und Reiter und schließlich sogar als Pferdefürst an der Seite seiner Freunde steht. Man begleitet den ehrenhaften Orkkrieger Fangschlag und auch dessen hinterlistigen Gegenspieler Einohr.
Meine Leser begegnen alten und neuen Völkern, doch selbst jenen, die man zu kennen glaubt, gewinne ich manche neue Seite ab.
Es erwartet Sie also eine spannende Saga um mein Pferdevolk und ihre Freunde und Feinde.
Die Pferdelords-Reihe:
Pferdelords 01 – Der Sturm der Orks
Pferdelords 02 – Die Kristallstadt der Zwerge
Pferdelords 03 – Die Barbaren des Dünenlandes
Pferdelords 04 – Das verborgene Haus der Elfen
Pferdelords 05 – Die Korsaren von Um´briel
Pferdelords 06 – Die Paladine der toten Stadt
Pferdelords 07 – Das vergangene Reich von Jalanne
Pferdelords 08 – Das Volk der Lederschwingen
Pferdelords 09 – Die Nachtläufer des Todes
Pferdelords 10 – Die Bruderschaft des Kreuzes
Pferdelords 11 – Die Schmieden von Rumak
Pferdelords 12 – Der Ritt zu den goldenen Wolken
Mein Dank gilt dem Verlag WELTBILD, der es mir ermöglichte, die von ihm lektorierten Manuskripte für die weiteren Veröffentlichungen als e-Book zu verwenden und so dazu beitrug, dass diese Serie weiterhin im Handel erhältlich ist.
Die vorliegende Neuauflage der e-Books wurde von mir überarbeitet, ohne deren Inhalte zu verändern. Begriffe wurden vereinheitlicht und die Romane durch überarbeitete oder zusätzliche Karten ergänzt.
Viel Lesevergnügen wünscht Ihnen
Michael H. Schenk
Hinweis:
Kapitel 65: Karte der Völker, der Pferdelords-Reihe
Kapitel 66: Detailkarte Das Dünenland
Kapitel 67: Personenregister
Kapitel 68: Einige Maße und Definitionen
Kapitel 69: Vorschau auf Die Pferdelords 4 – Das verborgene Haus der Elfen
In der Vergangenheit des Pferdevolkes…
»Sie werden sterben.« Helrund stampfte mit dem Fuß auf den Boden der
Wehrmauer, und eine kleine Wolke Staub wirbelte auf. Sein Nebenmann, der
stämmige Palwin, folgte seinem Blick und lächelte schwach.
»Dafür werden unsere Lanzen und Schwerter wohl nicht reichen.«
»Ich meine nicht die Barbaren, guter Herr Palwin.« Helrund seufzte und
musterte den Wald, der die Stadt Tarsilan wie ein riesiger Gürtel umgab. »Ich
meine die Bäume. Der Sand wird sie ersticken und töten.«
»So wie die Barbaren uns töten werden«, stimmte Palwin zu. Der
stämmige Pferdelord musste blinzeln, als ein Windstoß Sand in seine Augen
trieb. Instinktiv legte er die lange Stoßlanze in die Armbeuge, wischte sich
über das Gesicht und stieß ein grimmiges Knurren aus. »Sie sind ebenso
zahlreich wie die Sandkörner.«
Noch immer nahm der Wald eine gewaltige Fläche ein. Die Stämme der
Bäume waren riesig, und die zahllosen Blätter schimmerten in den
verschiedensten Grüntönen. Aber die Veränderung war nicht zu übersehen.
Wo einst Moose und Wildblumen den Boden bedeckten, schob sich nun ein
Meer von Sand zwischen den Bäumen hindurch. Unaufhaltsam
vorwärtsdrängend, würde es die Stadt bald erreicht haben. Es würde die
Bäume des Waldes ersticken und irgendwann auch die Stadt unter sich
begraben. Der Sand kam von Norden her, und mit ihm waren auch die
Menschen des Sandvolkes gekommen, die schon bald zum Angriff übergehen
würden.
Immer wieder huschten Reihen ihrer Krieger wie Wellen zwischen den
Bäumen hindurch auf die Stadtmauer Tarsilans zu und sammelten sich am
Rand des sterbenden Waldes. Welle auf Welle wuchs ihre Streitmacht zu
einer gewaltigen Woge heran, die schon bald über die Stadt und ihre
Menschen hereinbrechen und sie verschlingen würde.
»Wir werden die Mauer nicht mehr lange halten können«, sagte Helrund
und blickte die Mauerkrone entlang.
»Nein, nicht mehr lange.« Palwin spuckte aus, und sein Speichel mischte
sich mit dem allgegenwärtigen Sand. »Wir werden sie aufgeben und uns
zurückziehen müssen. Doch bevor das geschieht, werden wir unsere Lanzen
in die Leiber der verfluchten Barbaren senken. Mögen die finsteren Abgründe
den Sand und seine Krieger verschlingen.«
Die Wehrmauer umgab die in konzentrischen Ringen errichteten Häuser
Tarsilans und wirkte mächtig und unbezwingbar, aber es gab einfach zu
wenige Männer, um die Stadt verteidigen zu können. In viel zu weiten
Abständen standen sie entlang der Mauer hinter den Zinnen. Die meisten von
ihnen trugen die grünen Umhänge der Pferdelords, doch einige waren in den
braunen Stoff der einfachen Stadtbewohner gehüllt. Auch neben Helrund und
Palwin stand ein solcher Mann, den die beiden Pferdelords mit Argwohn
betrachteten. Es lag nicht einmal an ihm selbst, denn immerhin gehörte er
dem Pferdevolk an. Doch in seinen Händen hielt er Waffen, welche die
beiden erfahrenen Kämpfer zutiefst verabscheuten.
»Es ist nicht recht, dem Feind mit Pfeil und Bogen zu begegnen«, brummte
Palwin. »Man muss ihm im Sattel begegnen und die Lanze mit festem Stoß in
seinen Leib senken. Von Angesicht zu Angesicht.« Er spuckte erneut aus.
»Ihn aus der Ferne mit dem Pfeil abzuschlachten, hat keine Ehre.«
Der Mann im braunen Umhang erwiderte Palwins Blick und verzog das
Gesicht. »Ihr werdet Euch schon bald wünschen, es gäbe mehr von meiner
Art auf der Mauer, guter Herr Pferdelord.«
Palwin stieß ein obszön klingendes Geräusch aus. »Den Pfeil in einen
Pelzbeißer oder eine Raubkralle zu senken, das ist Euer ehrliches Handwerk,
Herr Jäger. Aber einen Krieger aus der Ferne zu morden, das hat keine Ehre.
Nein, die hat es nicht.«
»Sagt das den Barbaren des Sandvolkes, Herr Pferdelord«, erwiderte der
Jäger wütend. »Auch sie töten aus der Ferne. Ihr kennt ihre merkwürdigen
Rohre, die sie an den Mund legen und mit denen sie ihre scharfen Stacheln
verschießen. Schon mancher Pferdelord wurde durch sie vom Pferd geholt.«
»Wie auch immer, es hat keine Ehre«, knurrte Palwin.
Helrund legte seine Hand beschwichtigend auf die Schulter seines
Kampfgefährten. »Streitet nicht. In diesem Moment stehen wir vereint,
Schulter an Schulter. Ich gebe Euch recht, mein guter Herr Palwin, es wäre
ehrenhafter, dem Feind auf dem Rücken unserer Pferde zu begegnen, die
Stoßlanze fest in der Hand. Aber selbst der König sagt, dass eines Tages
womöglich gar die Pferdelords mit Pfeil und Bogen kämpfen.«
»Niemals«, erwiderte Palwin entschieden. »Kein wahrer Pferdelord würde
diese Waffen verwenden, um den Feind so ehrlos abzuschlachten.«
»Die Ehre, die Ehre«, zischte der Jäger. »Wo war sie denn, als die
Barbaren in unser Land einfielen, unsere Weiler überrannten und Frauen und
Kinder abschlachteten? So wahr ich Otan aus dem Grüntalweiler heiße, ich
bin ein guter Jäger, Ihr Herren Pferdelords, und solange noch Kraft in meinen
Armen ist und Pfeile in meinem Köcher sind, werde ich ihre Spitzen in die
Leiber der Mörder senken.«
Helrund nickte und lächelte versöhnlich. »Wohl gesprochen, guter Herr
Otan.« Er klopfte Palwin auf die Schulter. »Und er hat recht, mein Freund,
wir werden uns bald wünschen, mehr Jäger auf der Mauer zu haben, die ihre
Pfeile auf den Feind schießen können.«
»Dennoch sollten wir ihm gebührend entgegentreten. Auf dem Rücken der
Pferde und mit vorgereckter Lanze.« Palwin grinste. »So wie wir uns das
erste Mal begegnet sind, Helrund, mein Freund.«
Helrund erwiderte das Lächeln. »Ich kann mich noch gut daran erinnern,
guter Herr Palwin. Der Kampf um die Herde des Grausteinweilers, bei dem
Ihr mir Eure Lanze in die Schulter rammtet. Ein guter Stoß, noch immer
schmerzt die Narbe, wenn das Wetter umschlägt.«
»Heute wird mein Schild Euch decken, guter Herr Helrund.« Palwin
schüttelte die Stoßlanze in seiner Hand. »Und mein Stahl wird den Feind von
der Mauer stoßen.«
»Wir haben dem Feind nicht viel Stahl entgegenzusetzen«, seufzte
Helrund. »Die Hälfte der Wache des Königs und die Menschen der Weiler
sind auf dem Weg zur Grenze, um eine neue Heimat zu finden. Unsere
Reihen sind dünn besetzt.« Er zuckte die Schultern. »Immerhin stehen wir
nun geeint Seite an Seite, alter Freund.« Helrund blickte über die Mauer auf
die sich sammelnden Barbaren des Sandvolkes. »So haben wir den Barbaren
auch etwas Gutes zu verdanken.«
Noch vor wenigen Jahreswenden waren die Clans des Pferdevolkes
verstreut gewesen und kämpften untereinander um Herden und Weidegründe.
Als dann die Barbaren des Sandvolkes aus dem Norden herandrängten, waren
einzelne Weiler des Pferdevolkes eine leichte Beute und wurden einfach
überrannt. Doch in der Zeit der höchsten Not, als alles verloren schien, war
wie aus dem Nichts ein Mann aufgetaucht und hatte die Wende
herbeigebracht.
Wer ihn von Ferne sah, war wenig beeindruckt, denn der Mann wirkte
schmächtig und unscheinbar, aber aus der Nähe erkannte man das Feuer, das
in seinen Augen brannte. Mit Überredungskunst und Waffengewalt einte er
die Clans und wurde schließlich der erste König des Pferdevolkes. Fast schien
es, als könne das Volk mit vereinter Kraft den Barbaren widerstehen, aber es
gab zu viele von ihnen, und viele tapfere Pferdelords fielen unter den
Stachelpfeilen des Feindes, noch bevor sie ihm Angesicht zu Angesicht
gegenüberstanden.
Noch bot das Pferdevolk dem Gegner die Stirn, aber es war abzusehen,
dass der Widerstand bald brechen würde. Erneut war es der König, der einen
Ausweg fand, doch um das Überleben seines Volkes zu ermöglichen, mussten
die Stadt Tarsilan und ihre Einwohner geopfert werden.
»Sie müssten die Grenze in einem Zehntag erreichen«, murmelte Helrund
und blickte nach Osten. »Dann sind sie der Gefahr entronnen.«
»Sie werden auf neue Gefahren treffen«, stellte Palwin trocken fest.
»Die Streitmacht ist stark. Zweitausend Lanzen der Wache des Königs und
die Männer der Weiler, die ebenfalls zu kämpfen verstehen. Sie werden die
Frauen und Kinder beschützen und für unser Volk eine neue Heimat finden.«
Helrund lächelte. »Und sie sind schnell, denn sie haben all unsere Pferde bei
sich.«
»Die Herden und Wagen werden sie aufhalten.«
Helrund nickte. »So wie unsere Lanzen und Schilde die Barbaren an
Tarsilans Stadtmauer aufhalten werden.«
Es war dem Pferdevolk nicht leichtgefallen, dem Befehl des Königs zu
folgen und die alte Heimat mit ihren fruchtbaren Weiden und ausgedehnten
Wäldern zu verlassen. Aber Sand und Barbaren rückten gleichermaßen vor,
und das Ende der gedeihlichen Zeit war abzusehen. Nun würden die
Angehörigen des Pferdevolkes im Osten eine neue Heimat suchen, während
die Verteidiger Tarsilans den Feind aufhielten, um den Flüchtenden Zeit zu
verschaffen.
Unten, im Zentrum der Stadt, erklang ein Horn, dessen Signal von anderen
Hörnern aufgenommen wurde. Es rief die Verteidiger zu den Waffen, doch
wer eine solche trug, befand sich längst auf der Mauer.
»Sie kommen«, knurrte Palwin. »Der Ring um die Stadt ist geschlossen,
und nun greifen sie an. Wir werden nicht lange standhalten können.«
Helrund löste seine Hand von der Schulter des Freundes und fasste Lanze
und Schild fester. »Angst vor dem Ritt zu den Goldenen Wolken, alter
Freund?«
Was eine Beleidigung für einen wahren Pferdelord hätte sein können, löste
bei Palwin nur ein leises Lachen aus. »Es wird ein wahrhaft ruhmreicher Ritt
werden, alter Freund. Die Barbaren werden ihn noch lange in Erinnerung
behalten.«
»Das werden sie.« Hinter ihnen, an einem anderen Mauerabschnitt, ertönte
bereits Kampflärm, und nun setzten sich auch die Barbaren am Waldrand
ihnen gegenüber in Bewegung. Helrund spuckte aus und befeuchtete seine
trockenen Lippen. »Wir müssen so viele wie möglich von ihnen töten. Jeder
Stoß gibt unserem Volk ein wenig mehr Zeit, die neue Heimat zu finden.«
Otan stieß einen warnenden Ruf aus, und die beiden Pferdelords hoben
instinktiv ihre grünen Rundschilde. Mit leisem Pochen schlugen Stachelpfeile
in das Holz. Währenddessen spannte Otan die Sehne seines Jagdbogens und
begann seine Pfeile zu lösen. Doch es war ein einseitiges Duell zwischen den
wenigen Jägern auf Tarsilans Mauer und den Barbaren, die sie berannten.
Jeder Pfeil wurde von Hunderten scharfer Stacheln beantwortet, und Helrund
und Palwin mühten sich redlich, den fluchenden Jäger zu decken, der damit
beschäftigt war, seine Pfeile in schneller Folge auf den Feind zu schießen.
Einige wenige Barbaren stürzten, aber die anderen drangen unaufhaltsam vor.
Schließlich stieß Otan einen leisen Schrei aus und kippte hintenüber.
Helrund sah noch einen Stachelpfeil aus dem Auge des Jägers ragen, bevor
dieser haltlos von der Mauer stürzte. Er sah seinen Kampfgefährten Palwin
grimmig an und lauschte dem Schaben und Kratzen unter ihnen an der Mauer.
»Bald werden sie über die Brüstung kommen. Sie legen bereits die Leitern an.
Dann werden wir dem Tod ins Auge sehen, alter Freund.«
Palwin lächelte. »Und sie unserem Stahl, alter Freund. Mögen die
Legenden noch lange unseren Ritt zu den Goldenen Wolken besingen.«
Die beiden Pferdelords standen geduckt auf der Mauer, und als die ersten
Barbaren zwischen den Zinnen erschienen, zuckten ihre Lanzen vor und
stießen die Angreifer in den Tod. Die flinken Augen und geübten Reflexe der
beiden Kämpfer führten ihre Handlungen. Sich gegenseitig mit den Schilden
deckend, töteten sie jeden, der sich vor ihnen zeigte, und so gelangte keiner
der heraufkletternden Barbaren auf die Mauer.
Aber rechts und links der beiden Kämpfer gab es viele ungedeckte Zinnen,
an denen bald schon die ersten Krieger des Sandvolkes auf den Wehrgang
sprangen und schreiend mit erhobenen Schädelkeulen auf die beiden
Pferdelords zurannten. Rücken an Rücken stellten sich Helrund und Palwin
nun ihrem letzten Kampf.
Unten in der Stadt bliesen erneut die Hörner, welche die Verteidiger von
der Mauer zurück in die Stadt riefen. In deren Zentrum, dort, wo sich der neue
Königspalast erhob, würde sich der Erste König des Pferdevolkes mit der
verbliebenen Hälfte seiner königlichen Wache dem letzten Kampf stellen.
Unter seinem Banner würden sie dort sterben, doch ihr Tod würde das
Überleben des restlichen Volkes sichern. Gemeinsam mit dem König würden
auch die letzten Verteidiger fallen, ebenso wie jene ihrer Frauen und Kinder,
die sich entschlossen hatten, an ihrer Seite zu sterben.
Helrund und Palwin erlebten diesen letzten Kampf nicht mehr. Die
erdrückende Übermacht der Barbaren überwältigte sie schließlich. Doch als
sich das Blut der toten Pferdelords auf der Mauer Tarsilans vermischte, war es
wie ein Symbol für die erst vor Kurzem erfolgte Vereinigung des
Pferdevolkes.
Nur an wenigen Stellen der Mauer wurde noch gekämpft, und nur wenigen
Verteidigern gelang es, sich zum Zentrum und zum Königsplast
zurückzuziehen. Sie wichen langsam und kämpfend zurück und ließen den
Feind dicht folgen. Auf dem großen Platz, auf dem sich der Palast erhob,
stellten sie sich unter dem Banner des Königs dem Gegner, dessen Vorhut mit
Triumphgeheul auf sie einstürmte.
Nochmals zeigte sich die Zähigkeit des Pferdevolkes, als aus den Häusern
im Rücken des Feindes eine kleine Schar Kämpfer hervorbrach, begleitet von
den Frauen, die sich nicht nur darauf verstanden, Wunden zu heilen, sondern
diese auch dem Feind geschickt zuzufügen wussten. Männer und Frauen
starben massenhaft, nur die letzten Überlebenden zogen sich in den Palast
zurück.
Irgendwann erstarb der Kampflärm, und Stille senkte sich über die Stadt
Tarsilan. Die Krieger des Sandvolkes hatten gesiegt, aber einen hohen Preis
dafür bezahlt. Sie hatten keine Zeit, ihre Toten zu beklagen, ehrten sie jedoch
gemäß ihrer Tradition, bevor sie sich eilig nach Osten wandten, wohin die
Menschen des Pferdevolkes geflohen waren. Man durfte sie nicht entkommen
lassen, denn womöglich würde sich das Volk bald erholen und eines Tages
Vergeltung suchen. Also würde man den Pferdemenschen folgen und auch die
letzten Schädel nehmen.
Die Krieger des Sandvolkes nahmen den schnellen Schritt auf, der typisch
für ihre Clans war. Sie waren entschlossen, die Menschen des Pferdevolkes
noch vor der Grenze einzuholen. Diese führten auf der Flucht ihre Kinder, die
Alten und Kranken, ihre Herden und das nötigste Hab und Gut mit sich. Sie
würden nur langsam vorankommen, trotz all der Pferde, die sie dabeihatten.
Der Führer der Clans wusste, dass die Fliehenden von den letzten Männern
der königlichen Wache begleitet wurden. Doch das waren nicht mehr viele,
vielleicht gerade einmal zweitausend Lanzen.
Der Führer des Sandvolkes behielt recht. Sie holten die Fliehenden an der
Grenze ein, und tatsächlich waren es nicht mehr als zweitausend der
Pferdelords. Aber diese hier waren beritten.
Hinter den Barbaren blieb die ausgelöschte Stadt Tarsilan zurück. Der
Sand begrub die Wälder und die Stadt unter sich; er bedeckte gnädig den Ort
des Todes, um ihn eines Tages wieder freizugeben.
Kapitel 2
In der Gegenwart des Pferdevolkes…
Es war ein sanfter und warmer Wind, kaum mehr als ein Hauch, der
unmerklich von Westen nach Osten strich und nicht erahnen ließ, zu welchem
Sturm er anwachsen und welche Gewalt er bringen konnte. Der Wind
bewegte die langen grünen Umhänge, welche die Schultern der Reiter
bedeckten. Diese standen in langen Reihen, eine hinter der anderen, und
blickten nach Osten, dorthin, wo sich hinter steilen Gebirgszügen die neue
Heimat des Pferdevolkes erstreckte.
Zweitausend Reiter sahen ihr entgegen, doch keiner von ihnen würde sie
jemals erreichen.
Die ausgeblichenen Umhänge waren verschlissen und verfallen, so wie das
Fleisch der Reiter und ihrer Pferde längst verfallen war. Hölzerne Stützen
hielten Mann und Ross aufrecht und vermittelten den Eindruck von Leben,
wo schon so viele Jahre kein Leben mehr war.
Der Wind ließ Rüstungsteile und Knochen aneinanderschlagen und rief ein
leises Klappern hervor, als pochten die Hufe der Pferde noch über den Sand,
als schlügen die Reiter noch immer kampfeswillig die Waffen gegen ihre
grünen Rundschilde. Der Wind und der Sand des Dünenlandes forderten ihren
Tribut. Sie hatten die Knochen von den Sehnen gelöst, und ausgebleichtes
Gebein lag zwischen den Reihen der Reiter am Boden. Es wurde vom Sand
bedeckt, den der Wind herantrug, und von der nächsten Windbewegung
wieder freigelegt.
Die Toten trugen ihre Helme, an denen noch die Reste stolzer
Rosshaarschweife zu erkennen waren. Aber diese Helme bedeckten keine
Köpfe mehr, sondern steckten auf kurzen Stangen, denn jene, die den Reitern
einst das Leben raubten, hatten den Toten auch die Schädel genommen, als
Zeichen des Triumphes über die Männer mit den grünen Umhängen.
Die Toten waren Pferdelords und gehörten einst der Wache des Ersten
Königs an. Sie hatten die Grenzen des Pferdevolkes bewacht und das Volk
beschützt. Nun hatte ihr Volk eine andere Heimat gefunden, aber die Tote
Wache des Königs hielt noch immer die alte Grenze.
Kapitel 3
Die alten Lieder wussten zu berichten, dass die Menschen des Sandes einst in
festen Städten lebten. In Städten mit Häusern und Mauern aus Stein. Aber es
waren sehr alte Lieder, und kaum ein Angehöriger des Sandvolkes konnte
sich vorstellen, dass es tatsächlich jemals so gewesen sein sollte. Seit Urzeiten
schon waren ihre Heimstätten beweglich, um dem wechselnden Wüstenwind
trotzen und dem Sturm weichen zu können. Die Städte des Volkes hatten
keine Häuser und keine Mauern und auch keine Namen. Sie waren
Heimstätten und wurden nach den Clans benannt, die sie bewohnten. Die
Heimstatt des Nagerclans war typisch für die Zeltstädte des Nomadenvolkes.
Das Erste, was man von einer Heimstatt erblickte, waren die
Aussichtsplattformen, die sich auf einem geschälten Pfahl erhoben. Es waren
hohe und starke Pfähle, die man aus Bäumen gefertigt hatte und von denen
ein jeder mit Blut bezahlt worden war, denn im Land des Sandvolkes gab es
keine Bäume und schon gar keine Wälder. Man musste das kostbare Holz aus
den Ländern anderer Völker holen. Aber das Sandvolk hatte nicht viel, mit
dem sich handeln ließ, und so nahm es sich mit Gewalt, was es brauchte.
Manchmal gelang dies ohne Blutvergießen, manchmal brachte man
gegnerische Schädel für diese Kämpfe, manchmal musste man eigene
zurücklassen. Der Preis dafür – die hohen Pfähle – wurde sorgsam gepflegt
und mit den Zeichen der Krieger versehen, die um sie gekämpft hatten.
Die Plattformen dienten dazu, die Annäherung eines Gegners zu erkennen,
doch der Hauptfeind des Sandvolkes bewegte sich nicht auf der Erde, sondern
darunter.
Sandwürmer sahen nicht besonders gut, und das brauchten sie auch nicht,
da sie im Wüstensand tief unter der Oberfläche lebten und nur nach oben
kamen, wenn sie etwas Fressbares entdeckt hatten. Sie nahmen Vibrationen
im Boden noch über große Entfernungen wahr, wobei sie besonders auf
gleichförmige Erschütterungen reagierten, wie Lebewesen sie bei der
Fortbewegung erzeugten. Ein Angehöriger des Sandvolkes lernte daher früh,
seine Füße in veränderlichem Rhythmus aufzusetzen.
Aber auch die Sandwürmer riefen Vibrationen hervor, wenn sie sich unter
der Oberfläche hindurchwühlten, und genau das machte man sich bei den
Plattformen zunutze. Denn auf ihnen erhoben sich Stangen mit dünnen
Metallplatten, die zu schwingen und zu klirren begannen, sobald sich ein
Sandwurm näherte. Und da die Plattformen mit Bedacht immer viele Längen
vor der Heimstatt errichtet wurden, hatten deren Bewohner im Falle eines
Alarms genug Zeit, um sich auf den Wurm vorzubereiten.
Es gab nicht viel, was ein Angehöriger des Sandvolkes gegen einen
Sandwurm aufzubieten hatte. Da war zum einen die Schnelligkeit seiner Füße
und zum anderen das Gift des Sandstechers, das allerdings eine bestimmte
Stelle im gewaltigen Maul des Wurms erreichen musste. Es war nicht leicht,
einen vergifteten Pfeilstachel in diese Stelle hineinzutreiben, und so versuchte
das Sandvolk lieber, dem Wurm rechtzeitig zu weichen oder seine
Aufmerksamkeit erst gar nicht zu erregen.
Ein Sandwurm verfügte neben seinem Vibrationssinn über die Fähigkeit,
eine Wärmequelle an der Oberfläche auszumachen, und so entfachte kein
Angehöriger des Sandvolkes ein Feuer direkt am Boden. Aus diesem Grund
erhoben sich auch die Wohnstätten der Clans auf Pfählen über dem
Wüstenboden. Das dazu benötigte Holz war jedoch einfacher zu erhalten,
denn die verwendeten Pfähle durften kürzer sein, und für die
Bodenplattformen der Häuser genügten sogar sorgsam gebundene
Knüppelhölzer. Die Feuer wurden stets klein gehalten, doch konnte man nicht
ganz auf sie verzichten, denn man musste kochen und brauchte in den eisigen
Wüstennächten auch eine Wärmequelle. Als Brennstoff wurden die reichlich
vorhandenen und schnell nachwachsenden Stachelpflanzen genutzt.
Aus deren Fasern wurden auch die halbkugelförmigen Zelte gefertigt, die
auf den Pfahlplattformen standen und als Behausung für die Menschen
dienten. Die Fasern wurden von den Frauen zugeschnitten, sorgfältig weich
gekaut und danach zu dicken Strängen geflochten, wodurch die Zelte
überraschend dicht waren und gut vor Wind und Sand schützten, sofern man
den Eingang sorgsam mit einem Fell oder einer Lederhaut bedeckte. Das bei
einem Regensturm herabstürzende Wasser ließ die getrockneten
Pflanzenfasern ungeheuer schnell aufquellen, sodass sie das Zeltdach
zuverlässig abdichteten.
In der Mitte jedes Hauszeltes erhob sich eine Steinplatte, auf der gekocht
und geheizt wurde und über der sich ein Loch im Zeltdach befand, durch das
Rauch und Gerüche abziehen konnten. Manchmal löschte ein besonders
starker Regen das Feuer, doch man störte sich nicht daran, denn in der Wüste
war Regenwasser kostbarer als Glut.
Der Regen brachte viel mehr Wasser als das Fleisch der Stachelpflanzen.
Wenn er fiel, sammelten die Menschen des Sandvolkes das Nass in
gebrannten Gefäßen und traten oft unbekleidet aus ihren Pfahlzelten heraus,
um die seltene Erfrischung zu genießen. Doch mitunter schwoll der Regen
zum Regensturm an, und das Wasser wurde zur Gefahr. Denn die riesigen
Tropfen schlugen mit großer Wucht vom Himmel herunter, sodass der
trockene Boden sie nicht schnell genug aufnehmen konnte. Pfützen bildeten
sich, wuchsen zusammen und bedrohten das Leben der Menschen, wenn sie
nicht rechtzeitig die hohen Pfahlzelte erreichten.
Die Pfahlbauten waren in konzentrischen Kreisen angeordnet. Die äußeren
Ringe waren den Zelten der Krieger vorbehalten, gefolgt von denen der
Nicht-Krieger. Die Eingänge wiesen ins Kreisäußere, sodass ein Angreifer
notfalls vom Zelt aus bekämpft werden konnte. Der innere Zeltring war den