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YOHO oder das Geheimnis des Unsichtbaren
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Ebook174 pages1 hour

YOHO oder das Geheimnis des Unsichtbaren

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About this ebook

Es ist wohl das Beste, der Reihe nach zu erzählen … sei es als reine Meditationsübung, als bereinigender Rückblick oder – ein schöner Gedanke – als Ermutigung für Menschen, denen Ähnliches widerfahren ist, denn im Februar 2015 bekam ich die Diagnose "Brustkrebs" vor den Latz geknallt. Und ich hatte wider Erwarten eine gute Zeit damit. Mein Anliegen: zu zeigen, dass die alltäglichen, scheinbar unwichtigen Dinge es wert sind, erzählt zu werden, so wie sie es wert sind, erlebt zu werden, denn ich war während meiner Therapie so sehr mit ihnen beschäftigt, sie machten mich so glücklich, dass ich "das große Thema" teilweise komplett vergaß, ohne je die Realität zu verdrängen. Das war der beste Teil meiner "systemischen Therapie". Meine Erkrankung war und ist Teil meines Lebens, aber nicht mein komplettes Leben. Egal was kommt – das Bisherige war gut.
LanguageDeutsch
Publisherepubli
Release dateOct 18, 2016
ISBN9783741858543
YOHO oder das Geheimnis des Unsichtbaren
Author

Andrea Schatz

andrea-schatz@t-online.de Geboren 1966 in Rosenfeld. Kaufmännische Ausbildung, Berufserfahrung in Vertrieb, Einkauf und Verwaltung. Zahlreiche Weiterbildungen, Zweitausbildung zur Fremdsprachlichen Wirtschaftskorrespondentin, CLIC-International House-Stipendiatin für Spanisch in Sevilla, berufsbegleitender Studiengang International Business mit Schwerpunkt Interkultureller und Kommunikativer Kompetenz. Das Schreiben in der Freizeit gehört seit langem zum Alltag, vor allem Kurzgeschichten, Beiträge zu Anthologien, Verse. Wohnhaft in Baden-Württemberg.

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    YOHO oder das Geheimnis des Unsichtbaren - Andrea Schatz

    Juli 2016

    Morgen Abend gehe ich mit meiner Freundin essen. Gestern und heute habe ich mir frische Salatzutaten klein geschnippelt und das Ganze jeweils mit getoastetem Kräuterbutterbrot ver­drückt, einmal in der Variante „mit geräucher­tem Fisch und einmal „mit Oliven mediterran. Davor habe ich mit meiner Mutter Kaffee ge­trunken. Davor habe ich meinen Rucksack und ein paar Wanderutensilien für die Wochenend­tour nach Österreich zusammengesucht. Davor habe ich Bewerbungen geschrieben. Ach ja, gestern habe ich Sport getrieben und werde das morgen auch tun, bevor ich eventuell weitere Bewerbungen schreibe, Wäsche zusammenlege, einkaufen gehe und – nein, kochen brauche ich dann ja nichts. Wie schön.

    Langweilige Abfolge? Genau! Ich schreibe Be­werbungen, treibe Sport, lese, koche, trage Wäsche hin und her, gehe einkaufen, kümmere mich um viele kleine Dinge. Ebenfalls habe ich regelmäßige Verabredungen, die natürlich nicht langweilig sind, und ebenso häufige Arzttermine, die aber bald weniger werden. Ab und zu mache ich eine kurze Reise. Ich lese, ich schreibe. Für all diese Dinge habe ich genügend Zeit. Die zahlreichen Auswahlmöglichkeiten, meinen Tag zu gestalten, ohne dabei Arbeitszeitenregelungen  oder Feierabendtermine berücksichtigen zu müssen, sind Zeichen eines Zustands, nach dem ich mich lange gesehnt habe und um den ich sicherlich auch beneidet werde: Freiheit! Und nun behaupte ich: langweilig! Nicht dass mir wirklich langweilig wäre, ich bin gut beschäftigt und gehe meist gutgelaunt durch den Tag. Aber irgendwie stehe ich außerhalb des Geschehens und suche nach Inhalt. Klar, ich könnte ein Buch schreiben, meine Jobsuche intensivieren, ein Studium beginnen und nebenher jobben, eine super Hausfrau werden, mich selbständig machen, ein Biogemüsebeet anbauen, mich stär­ker als bisher in einer NGO engagieren, etwas Kreatives lernen. Aber das alles ist es nicht, oder es ist zu viel, oder, oder, oder. Mir fehlt eine Aufgabe, bei der mein Tun Bestätigung findet.

    So sieht also mein Seelenzustand nach einein­halb Jahren Arbeitspause aus. Ich war fast ein Workaholic und war anschließend total über­rascht, wie schnell ich Abstand zu meinem Berufsleben fand. Jetzt arbeite ich daran, wieder zu jener Welt zu gehören. Das hätte ich so nicht erwartet, oder wenigstens nicht so schnell.

    Manchmal kommen auch zu viele Termine zu­sammen, und ich fühle mich nicht gerade ge­stresst,  bin aber froh, dass ich mich danach wieder ausruhen kann. Immerhin spüre ich noch die Nachwehen einer anstrengenden Therapie in Form von Vergesslichkeit und dem Gefühl, dass manche Dinge anstrengender sind als zuvor. Am Alter allein kann das nicht liegen … Doch ich bleibe dabei: Die Fülle der Möglichkeiten wirkt erschlagend, ich spüre keine grundsätzliche Motivation für die Dinge; ich tue sie einfach, lasse mich treiben, um mangels einer wirklichen Aufgabe irgendwie beschäftigt zu sein, und für teure Selbstverwirklichungstrips wie ausge­dehnte Reisen oder Mega-Events in den Berei­chen Kunst, Kultur und Bildung reicht es finan­ziell sowieso nicht. Ich lebe in einer Art Korsett, habe gleichzeitig zu wenig und zu viel Spiel­raum. Was also tun?

    Meine Ra(s)tlosigkeit lässt mich mit Aufräum­arbeiten am Computer beginnen, und hier stoße ich auf meine Aufzeichnungen aus dem Jahr 2015. Die tagebuchartigen Einträge beginnen mit der vielversprechenden Aussage Die Fülle der alltäglichen Erlebnisse macht aus unserem Leben ein einziges großes Abenteuer. Es lebe die Schöpfung. – Stop, woher habe ich denn das? Ich kann kaum glauben, dass ich mir vor nicht allzu langer Zeit solch einen beglückenden Satz einfallen ließ, während ich momentan vor Unentschlossenheit fast vergehe und mich auf nichts wirklich kon­zentriere.

    Es ist wohl das Beste, der Reihe nach zu erzäh­len … sei es als reine Meditationsübung, als be­reinigender Rückblick oder –  ein schöner Ge­danke – als Ermutigung für Menschen, denen Ähnliches widerfahren ist, denn im Februar 2015 bekam ich die Diagnose „Brustkrebs" vor den Latz geknallt. Und ich hatte wider Erwarten eine gute Zeit damit.

    Als alles begann (02-03/2015)

    Nach reiflicher Überlegung hatte ich mich dazu entschlossen, meinen Job aufzugeben. Die Ent­scheidung fiel mir nicht leicht, doch mein alter Vorsatz, mich zu verändern, wenn ich „einmal auf die 50 zugehe, koinzidierte mit einem bereits einige Zeit andauernden Zustand der Überarbeitung. Gespräche waren geführt, Mög­lichkeiten ausgelotet, im Privatleben diskutiert worden. Ich würde mir eine Teilzeitbeschäf­tigung suchen und mich parallel über die Mög­lichkeiten zur Finanzierung eines alten Traums informieren, der Aufnahme eines Romanistik­studiums an der Universität. Dazu hatte ich ein halbes Jahr Zeit, so lange lief mein Arbeits­vertrag. Ich würde meine Aufgaben ordentlich übergeben, wollte einen „guten Abgang machen und vereinbarte parallel dazu, wie in jedem Frühjahr, Termine für einige Vor­sorge­untersuchungen. Vorsorge beim Zahnarzt – ok. Vorsorge bei der Frauenärztin – ok. Check-up beim Hausarzt – ok. Danach Zeit für die beiden gebuchten Kurse bei der Volkshoch­schule, Antike Kulturen und Grundlagen der Philo­sophie von Descartes. So dachte ich mir das.

    Von der gynäkologischen Praxis wurde ich zwecks Abklärung einer Auffälligkeit in der rechten Brust zur Mammographie geschickt. Meiner Ansicht nach handelte es sich wie bereits öfter um eine harmlose Zyste, die mit Flüssigkeit gefüllt war und erfahrungsgemäß mit der Zeit wieder verschwinden würde. Die Mammo­graphie ergab einen „unauffälligen mammo­gra­phischen Befund bei dichtem Drüsen­gewebe mit der Bezeichnung BI-RADS 0. Das heißt Breast Imaging Reporting and Data System mit einer Codierung von 1 bis 5, wobei 1 unauf­fällig und 2 gutartig war. 0 war also gar nichts. Um auf Nummer sicher zu gehen, bekam ich einen Termin zur Stanzbiopsie, um das Gewebe unter­suchen zu lassen. Mir sollte es recht sein, ich nahm meine Vorsorgetermine schließlich ernst. Über die entnommenen „Würmchen, bezeich­net als sechs grau-gelbe Stanzzylinder, musste ich schmunzeln.

    Zwei Wochen nach meiner Kündigung erhielt ich einen Anruf aus der Frauenarztpraxis. Die entnommene Gewebeprobe war bösartig. Ich stand mit dem Mobiltelefon am Ohr regungslos im Besprechungszimmer und spürte förmlich, wie das unheimliche Wort in mich einsickerte wie schwere Tinte in Löschpapier. Die Nach­richt war weder schlimm noch schockierend, sie war surreal, betraf nicht mich, sondern die neben mir, mein anderes Ich. Ich hatte die Ge­webeprobe nicht ernst genommen – die ganze Zeit war ich mir sicher gewesen, dass die bei der Vorsorge nicht als flüssigkeitsgefüllte Zyste, sondern als zackiges Etwas definierte Stelle sich als harmlos erweisen würde.  Mit keinem Ge­danken hatte ich die Möglichkeit einer schlech­ten Nachricht in Erwägung gezogen, die mich von meinen Zukunftsplänen abhalten könnte.

    Während sich eine meiner jungen Kolleginnen einen Spaß erlaubte und mich mit einem „Ätsch, beim privaten Handygebrauch ertappt!" foppte, versuchte ich tapfer zu lächeln, mich zu beherr­schen und gleichzeitig mein Bedauern darüber, die Volkshochschulkurse sicherlich wieder stor­nieren zu müssen, zu überspielen. Mechanisch machte ich mich auf den Weg ins Büro, um erst einmal weiterzuarbeiten, um später zu über­legen, machte aber nach drei Schritten kehrt, ging zurück ins Bespre­chungszimmer, schloss die Tür und versuchte meinen Lebensgefährten anzurufen. Der war leider nicht erreichbar, ich schrieb eine kurze SMS, klopfte bei meinem Chef und faselte etwas von früher gehen und Arzttermin, er nickte und schon klingelte mein Mobiltelefon, keine fünf Minuten später stand das Auto meines Lebens­gefährten vor dem Ein­gang und wir fuhren – nicht nach Hause, aber an den Fluss, der viele Geheimnisse kennt: an die Balinger Eyach.

    Tagebucheintrag: Wer zieht hier die Fäden?

    Mein Mikrokosmos ist unzweifelbar

    biologisch erklärbar

    histologisch überschaubar

    ursächlich unklar.

    Unser Makrokosmos ist anzweifelbar

    philosophisch diskutierbar

    wissenschaftlich nicht beweisbar

    im Großen und Ganzen ungreifbar.

    Im Rückblick finde ich es erstaunlich, wie ruhig ich geblieben bin. Mit 48 Jahren spürte ich zum ersten Mal etwas von der Tragweite der End­lichkeit des Daseins, doch gleichzeitig hatte ich den Eindruck, es handle sich um kurz­fristige Terminänderungen und nicht um eine potentiell lebensbedrohliche Diagnose namens Brustkrebs. Ein Riesenkompliment an meine Gynä­kologin, meinen Lebensgefährten und meinen Hausarzt, die allesamt Bodenhaftung bewahrten, nicht um den heißen Brei herumredeten und dennoch die unfrohe Botschaft mitfühlend mit mir trugen und mir Vertrauen in die bevor­stehende Thera­pie mit auf den Weg gaben.

    Nach dem ausführlichen Gespräch mit meiner Ärztin war ich sofort einige Tage krank ge­schrieben, um meine Gedanken sortieren zu können. Ich schnappte mir das Fax mit dem pathologisch-anatomischen Gutachten und setzte mich ans Internet, um die mir nicht bekannten medizini­schen Begriffe zu deuten. Nur gut, dass ich beruflich bereits mit der medi­zinischen Termi­nologie in Berührung gekom­men war; doch der Bericht war gespickt mit irre­führenden Begriffen. Es war etwas gruselig, sich durch so viele Definitionen zu klicken, in denen überall Schlagwörter wie Überlebensrate, Rezi­div, töd­licher Verlauf, Sterblichkeit, Heilungs­chancen laut Statistik usw. enthalten waren. Sobald ich die wichtigsten Begriffe gefunden hatte, fuhr ich den Computer aus der aberg­läubischen Sorge, beim Weiterlesen dem siche­ren Tode geweiht zu sein, herunter. Ich hatte jetzt ein unschar­fes Bild von einem invasiv-duktalen Karzinom NST (no special type), das mäßig differenziert war (G2), dass der Tumor noch recht klein war (< 2 cm), bei Draufsicht auf 9 Uhr stand und damit gut operabel sein sollte, die Proliferations­rate mit 10 % nicht zu beängstigend war, dass der positive Hormon­rezeptorstatus für eine Therapie vorteilhaft war und dagegen der   HER-2/Neu-Rezeptor (ein Protein) mit starker Aus­prägung Score 3+ weni­ger vorteilhaft war.

    Das K-Wort wirkte nun weniger bedrohlich, ich konnte es aussprechen und denken, auch wenn ich es anderen gegenüber eher vermied (ersetzt durch den Begriff „Tumor"). Ein Krebs war an und für sich ja etwas Schönes, ich hatte im Urlaub schon kleine Krebse fotografiert, die sich zwischen Felsritzen versteckten und doch neu­gierig daraus hervor lugten. Außerdem war mein Lebensgefährte im Sternzeichen Krebs geboren, das konnte also nur Gutes bedeuten. Man legt sich die Dinge eben so lange zurecht, bis sie passen. Dass ich buchstäblich Glück im Unglück hatte, wurde mir erst später in der Klinik, als ich Menschen mit viel schwerwiegenderen Dia­gnosen oder weit fortgeschrittenen Krankheits­stadien traf, richtig bewusst.

    Es folgten angenehme Tage. Ich erinnere mich an mildes Frühlingswetter, an die Stunden, die ich im gemütlichen Sessel unseres Wintergartens verbrachte, wo sich die vielen neuen Informa­tionen und wirren Gedanken setzen konnten: Ich war dankbar für eine recht gute Prognose (Brustkrebs ist heilbar), genoss die wärmenden Sonnenstrahlen, hatte keinen Zusammenbruch meines Weltbildes erlitten, endlich Zeit zu lesen, hatte auf weitere Deutungsversuche

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