Hass und Härte: Der Großvater erzählt von seiner Hitlerjungenzeit im letzten Kriegsjahr in Oberschlesien und Breslau
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Zuerst muss er als Flakhelfer Industrieanlagen in Ostoberschlesien gegen alliierte Bombenangriffe verteidigen, die ihn bis in die Nähe von Auschwitz bringen. Dann wird er in die Waffen-SS eingezogen und zusammen mit dem Volkssturm als letztes Aufgebot gegen die Russen aufgestellt, die Anfang Januar 1945 ihren Großangriff gegen Schlesien beginnen. Ihre Einheit wird überrollt und zerschlagen und Hans, der Hitlerjunge, schließt sich dem großen Flüchtlingstreck an, den die Russen vor sich herschieben. Die Militärpolizei ergreift ihn und bringt ihn nach Breslau, das zur Festung erklärt worden ist. In einem sinnlosen Verteidigungskampf gegen die übermächtigen Russen erlebt er die Zerstörung Breslaus. Dank seiner Cousine Marie, die mit einem Offizier der polnischen Armee heimlich verlobt ist, gelingt Hans die Flucht in den Westen.
Im Mittelpunkt der Erzählung stehen die Hitlerjungen, die sich als Helden gefühlt haben, aber Handlanger von Verbrechern gewesen sind. Aus ihrem tragischen Irrtum sind sie nicht erlöst worden. Was sie verdient haben, ist, dass die Nachwelt ihren tragischen Irrtum erkennt.
Klaus Steinvorth
Studium der Germanistik und Anglistik in Hamburg, Freiburg, USA 15 Jahre im Ausland als Lektor und Lehrer: USA, Frankreich, Indien, Nigeria, Ägypten. Gymnasiallehrer in Hamburg und Norderstedt, Schleswig-Holstein verheiratet, 3 Kinder, 7 Enkelkinder
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Hass und Härte - Klaus Steinvorth
Hass und Härte
Klaus Steinvorth
Klaus Steinvorth
Klaus Steinvorth
Hass und Härte
Der Großvater erzählt von seiner Hitlerjungenzeit im letzten Kriegsjahr in Oberschlesien und Breslau
Für Johanna und Valentin
Hier erzählt der Großvater den zweiten Teil seiner Hitlerjungenzeit, die vom Herbst 1944 in Oberschlesien bis zum Ende des Krieges in Breslau reicht.
Zuerst muss er als Flakhelfer Industrieanlagen in Ostoberschlesien gegen alliierte Bombenangriffe verteidigen, die ihn bis in die Nähe von Auschwitz bringen. Dann wird er in die Waffen-SS eingezogen und zusammen mit dem Volkssturm als letztes Aufgebot gegen die Russen aufgestellt, die Anfang Januar 1945 ihren Großangriff gegen Schlesien beginnen. Ihre Einheit wird überrollt und zerschlagen und Hans, der Hitlerjunge, schließt sich dem großen Flüchtlingstreck an, den die Russen vor sich herschieben. Die Militärpolizei ergreift ihn und bringt ihn nach Breslau, das zur Festung erklärt worden ist. In einem sinnlosen Verteidigungskampf gegen die übermächtigen Russen erlebt er die Zerstörung Breslaus. Dank seiner Cousine Marie, die mit einem Offizier der polnischen Armee heimlich verlobt ist, gelingt Hans die Flucht in den Westen.
Im Mittelpunkt der Erzählung stehen die Hitlerjungen, die sich als Helden gefühlt haben, aber Handlanger von Verbrechern gewesen sind. Aus ihrem tragischen Irrtum sind sie nicht erlöst worden. Was sie verdient haben, ist, dass die Nachwelt ihren tragischen Irrtum erkennt.
Bildnachweis. Cover: WELT
1. Kapitel
Diesmal gebe ich Opas Geschichte von seiner Hitlerjungenzeit wieder und nicht mein Bruder Valentin, weil es nur gerecht ist, wenn nach der Perspektive eines Jungen auch die eines Mädchens deutlich wird.
Wir hatten in dem Jahr Supersommerferien gehabt und freuten uns schon darauf, von Opa zu hören, wie es mit ihm weiterging, nachdem es seine Flak voll erwischt hatte und auch er umgekommen wäre, hätte sich sein Kameradschaftsführer Siegfried nicht im letzten Moment auf ihn geworfen.
Er ließ sich auch nicht lange bitten und legte los, nachdem wir es uns mit Cola und Knabberzeug bequem gemacht hatten.
Ihr erinnert euch, dass ich unter Siegfried gelegen hatte und er von mir herunterrutschte, als ich mich erheben wollte. Ich wusste sofort, dass er tot war, was sich bestätigte, als ich nach seinem Puls fühlte und vergeblich auf einen Atemzug wartete. Er hatte aber, indem sich auf mich warf, mir das Leben gerettet, denn ein Eisenteil traf seinen Kopf und nicht meinen.
Auch Fritz, der hinter Siegfried hergelaufen war, hatte es tödlich getroffen. Er schrie noch und schluchzte, als Günther sich über ihn beugte, aber dann röchelte er und ließ seinen Kopf fallen. Günther hob ihn zu sich und drückte ihn an seine Brust und wiegte ihn wie ein Baby. Ich aber weinte über Siegfried, der mit gezeigt hatte, dass er mein Freund gewesen war, obwohl ich es nicht glauben wollte.
Bald kamen die Sanitäter mit ihren Bahren und stellten den Tod von Siegfried und Fritz fest. Auch der lange Ludwig hatte nicht die Explosion überlebt, die er durch falsches Hantieren der Granaten ausgelöst hatte. Hätte er aber auf Siegfrieds Warnung gehört, wäre es nicht zu dieser tödlichen Explosion gekommen, die drei Menschenleben gekostet hatte.
Wir hatten nicht den Feind bekämpft, sondern uns selbst! Wie sollten wir je den Krieg gewinnen, wenn wir nicht einmal in der Lage waren, geschlossen und gut organisiert zu kämpfen? Was uns auch unsere Führer und Ausbilder vorwarfen: ‚Ihr seid ein loser Haufen, eine Hammelherde, das reinste Kanonenfutter! Nun reißt euch endlich mal an den Riemen!‘
Als ob es unsere Schuld war, dass es mit dem Krieg so schlecht stand!
Andererseits wurde gemunkelt, dass es Materialfehler an der hoch gerühmten Acht-Acht-Flak gab, dass auch einem erfahrenen Kanonier das Missgeschick des armen Ludwig hätte passieren können. Tatsache war, dass unser Material immer schlechter, das des Feindes aber immer besser wurde.
Diese Gedanken gingen mir erst später durch den Kopf, als es uns an allen Ecken und Enden an gutem Material fehlte. Für den Augenblick stand ich unter dem Schock, den Siegfrieds Tod in mir ausgelöst hatte. Er war doch mein Freund gewesen, weil er mir das Leben gerettet hatte, dachte ich immer wieder, und deshalb musste ich in seinem Sinn weiterkämpfen, durfte den Krieg nie für verloren ansehen, musste so tapfer und unerschrocken sein wie er.
Wir, die an der Flak überlebt hatten, das waren Erich, der Klavierspieler, Otto, der das Bier über Siegfried gekippt hatte, Günther und ich, kamen mit dem Schrecken und leichteren Verletzungen an Beinen und Armen davon, konnte aber laufen, musste auch sofort laufen, und zwar zum Appellplatz, wo der Major alle Flakhelfer versammeln ließ.
Er schimpfte über die unglaubliche Stümperei in einer Batterie, wo man nicht nur eigenmächtig und ohne Rücksicht auf die Gesamtsituation einen feindlichen Aufklärer abgeschossen hatte und damit die Heimatflak Annahof unnötig in Gefahr brachte, sondern dazu noch den Abschuss so unsachgemäß bewerkstelligte, dass durch einen Rohrkrepierer der Tod dreier Flakhelfer zu beklagen war. Eine solche Anmaßung eigenen Handelns, die ohne Auftrag und Vollmacht war, durfte nicht hingenommen werden!
Er richtete seinen Blick auf einen Zettel in seiner Hand und las unsere vier Namen vor und sagte, wir würden uns dem Zug der älteren Flakhelfer anschließen, der östlich von Kattowitz eingesetzt werden sollte, um wichtige Industrieanlagen zu schützen, auf die der Ami sein Auge geworfen hatte.
Der Major schwieg, ein leichtes Raunen war zu vernehmen, die Blicke der jüngeren Flakhelfer richteten sich auf uns in der bangen Hoffnung, nur wir würden bestraft, sie aber blieben verschont, denn es nahte die kalte Jahreszeit und da wären sie lieber zu Hause. Zum Glück für sie sprach der Major vom Abtransport der Acht-Achter an die Ostfront, weshalb momentan die jüngeren Flakhelfer nicht gebraucht wurden, sodass er sie ihren Familien wiedergeben könne, damit sie gemeinsam Advent und Weihnachten feierten.
Sofort brachen sie in großen Jubel aus und liefen vom Platz, um ihre Sachen zu packen. Wir aber mussten mit den älteren Flakhelfern auf Armeelaster steigen, von wo wir sahen, wie unsere Kameraden sich davonmachten, so schnell sie konnten. Siegfried, Fritz und Ludwig wurden dagegen in Holzkisten nach Hause gefahren.
Der Major verabschiedete uns mit einem grimmigen Lächeln und hoffte, wir bewährten uns so gut, dass wir auch zu Weihnachten zu Hause sein konnten. Kaum war er außer Sichtweite verfluchten wir ihn, denn er war es doch, der durch falsche Befehle und Versprechungen den Tod unserer drei Kameraden auf dem Gewissen hatte.
Weil Opa eine Pause machte, sagte ich, dass ich nicht verstand, warum der Major sich so über den Abschuss des feindlichen Flugzeugs aufgeregt hatte, wenn es vorher dafür noch eine Belohnung geben sollte.
Opa seufzte. „Weil es schlechte Planung war, was der Major wusste. Deshalb suchte er einen Sündenbock, den er in Siegfried fand. Denn die Lage unserer Heimatflak in Annahof war strategisch gesehen völlig verfehlt. Das Ziel der amerikanischen Bomber war das Industriegebiet um Kattowitz. Das hätten wir mit unserer Flak schützen müssen. Das erkannte der Major, deshalb befahl er den Abtransport der Acht-Achter, freilich zu spät.
Es zeigte die Misere des letzten Kriegsjahres, wo jeder Soldat eigentlich wusste, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen war, aber nicht wagte, die Befehle von oben zu verweigern. Dann kannst du einen Krieg nur noch halbherzig führen. Dann schleichen sich Fehler ein, in der Planung, in der Ausbildung, denn wir Flakhelfer wurden zuletzt viel zu schnell und oberflächlich ausgebildet.
Dazu kommt der Mangel an Ressourcen, ein wichtiger Grund für einen verlorenen Krieg. Das Material wurde knapper und schlechter, und so häuften sich Rohrkrepierer."
„Was genau ist ein Rohrkrepierer?", fragte ich.
„Dann wird das Geschoss nicht hinausgefeuert, sondern explodiert schon im Rohr. Das ist dann so, als ob eine Bombe einschlägt."
Opa seufzte wieder. „Ich habe mit meinen 15 Jahren nicht über Strategie und Ressourcen nachgedacht, aber die Schrecken des Krieges am eignen Leib erfahren und begonnen, am Sinn des Krieges zu zweifeln, vor allem als noch eins dazukam: das Gefühl der Schuld. Das war schon lange in mir, auch weil ich katholisch aufgewachsen bin, trat aber deutlich in mein Bewusstsein, als ich das erlebte, wovon ich jetzt berichten will."
Zuerst kam es mir so vor, als hätte man uns zu einem erneuten Räumeinsatz geschickt, denn die Wälder, durch die wir fuhren, sahen so aus, als wäre dahinter der Hof von Maries Großeltern. Aber ich wusste, dass es nicht so war und es machte mich traurig, dass ich mich mit jedem Kilometer weiter von ihr entfernte und noch nicht einmal sicher war, ob ich sie wiedersah. Es trieb mir die Tränen in die Augen, aber ich wollte nicht weich sein und ich biss die Zähne zusammen und dachte an Siegfried. Sein Opfertod durfte nicht umsonst gewesen sein. Er war für Deutschland und für mich gefallen, genau so wie der Tatschick für Deutschland und für mich gefallen war. Ich musste für ihr Vermächtnis weiterkämpfen.
Der Kopf wurde mir schwer und ich legte ihn auf die Arme und hörte im Halbschlaf Otto über sein Gut sprechen, das in der Nähe lag, und immer wieder sagen: „In der einen Hand den Pflug, in der anderen das Gewehr!" Und ich dachte, wir hatten nur noch das Gewehr.
Schließlich schreckte ich hoch, denn wir waren angekommen und es war dunkel geworden. Zwei Soldaten holten uns ab und wir marschierten durch den schwarzen Wald und wieder war es mir, als hätte ich schon alles gesehen, als würde ich mit Siegfried zum alten Skowronek gehen. Tatsächlich war das Haus, das wir schließlich erreichten, dunkel, nur von einer schwachen Laterne beleuchtet, die ich aber nicht kaputt zu schießen brauchte.
Der Schlafraum war so groß, dass jeder sein Bett aussuchen konnte, und ich suchte mir das neben Erich aus, denn er gefiel mir in seiner ruhigen, auch ein bisschen traurigen Art. Er war das Gegenteil von Siegfried und schon bekam ich wieder ein schlechtes Gewissen, weil ich an seinen Opfertod dachte. Dann dachte ich an Gerda, Siegfrieds schöne Seite, und fragte mich, wie sie wohl seinen Tod aufgenommen hatte. Mich hatte sie bestimmt vergessen, denn es gab in Breslau viele Soldaten, die Ausschau nach hübschen Mädchen hielten, und Gerda würde sich das gefallen lassen.
Als wir den Speisesaal betraten, saßen in einer Ecke ein paar Kameraden, die nicht zu uns schauten, sondern die Köpfe über die Teller gebeugt hielten. Wir sahen, dass es viel und gut zu essen gab: mehrere Brotsorten und aufgehäufte Wurst- wie Käsescheiben, weder abgezählt noch karg bemessen, doch die größte Überraschung war, dass man Bier zu trinken bekam, dünnes Bier zwar, wie Erich bemerkte, aber immerhin!
Jetzt wachten wir auf und ließen es uns gut gehen und langten zu und tranken uns zu und merkten erst nach einiger Zeit, dass die Kameraden in der Ecke immer noch schwiegen und die gute Laune, die wir nach dem Bier bekommen hatten, nicht teilten. Auf unsere Fragen, wie es ihnen hier gefiel und wie der Dienst war, schüttelten sie nur den Kopf bis einer, der wohl der Älteste war, sagte: „Ihr werden schon sehen!"
Wir legten uns erstaunt, aber auch ein wenig beunruhigt in die Betten. Ich konnte nicht schlafen und wollte das Fenster öffnen, weil die Luft zum Schneiden dick war, fand es aber verschlossen und dachte, wegen der Kälte. Bis ich einen beißenden, süßlichen Geruch wahrnahm, der von draußen kommen musste und den ich von Heydebreck kannte, sodass ich glaubte, in der Nähe eines Arbeitslagers zu sein.
Da stand einer der schweigsamen Kameraden plötzlich neben mir und sagte, dass draußen ein KZ war, wo sie jede Nacht aus Gründen der Hygiene die Leichen ins Feuer warfen. Ich sollte mir keine Gedanken darüber machen, weil es sich nicht lohnte, sondern lieber an meinen Schlaf denken. Ich starrte ihn erstaunt und verärgert an. Wieso maßte er sich an, mir vorschreiben zu wollen, was ich zu tun hätte?
Er trat noch näher an mich heran und hauchte mir seinen Bieratem ins Gesicht und darin war nur ein Wort eingehüllt: Juden!
Ich fuhr zurück, aber er sah mich nicht mehr an, sondern lief schnell und lautlos zu seinem Bett zurück. Ich aber zweifelte nicht daran, dass er mir die Wahrheit gesagt hatte, obwohl sie verboten war.
Dass die Juden in KZs eingesperrt und sogar vergast wurden war Feindpropaganda und durfte nicht ausgesprochen werden. Es genügte für eine polizeiliche Vorladung. Und doch hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass mit den Juden etwas Schlimmes passierte.
Es gab ja viele Arbeitslager in unserer Heimat, von dem in Heydebreck habe ich schon erzählt. Nur zehn Kilometer von meiner Heimatstadt Groß Strehlitz entfernt, lag auch eins, und wenn der Wind ungünstig stand, roch es nach Leichen. Selbst wenn wir Fenster und Türen schlossen, blieb der Geruch. Dann hieß es, man verbrannte sie wegen der Ansteckungsgefahr. Omi hatte nur gesagt: „Leuteschinder, Teufelskinder!" Mehr nicht. Der Tatschick glaubte nicht, dass die Juden, die unsere Stadt verlassen hatten, in solche Lager kamen. Auch für ihn war das Feindpropaganda.
In der Schule hatten wir einen Juden gehabt, Simon Seidmann. Er konnte unheimlich gut Klavier spielen und einmal in der Hofpause, als wir beide in der Klasse blieben, weil wir Tafeldienst hatten, spielte er das Horst-Wessel-Lied auf eine ganz andere Weise, fröhlich und lustig, sodass wir lachen mussten. Ich wollte es noch einmal hören, aber er schloss den Klavierdeckel. Es war verboten!
Darüber wunderte ich mich und er sagte, es war verboten, weil er aus dem Horst-Wessel-Lied Negermusik gemacht hatte. „Und weißt du, was das bedeutet? Dass uns Juden nichts heilig ist!", hatte er gesagt.
Eines Tages kam er nicht mehr in die Schule. Es hieß, dass er mit seiner Familie nach Amerika gefahren war. Sein Vater war Bankdirektor, da konnten sie sich die Reise nach Amerika leisten. Volker Wiese, der bei dem Luftangriff der Amis ums Leben gekommen war, ihr erinnert euch, kannte Simon näher. Er sagte, dass es ihnen wieder sehr gut ging, wie es ihnen auch in Deutschland gut gegangen war. Sie hatten überall ihre Leute sitzen. Die halfen sich.
Volker, der sonst immer still war, sagte das laut und deutlich. Simon gehörte wie er zu den Klassenbesten. Vielleicht war Volker