Gefangen im eigenen Leben: der weg zurück in ein normales Leben
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Book preview
Gefangen im eigenen Leben - Yvonne Hagedorn
INHALTSVERZEICHNIS
Titelseite
Vorwort
Der Anfang vom Ende
Die Lüge, mit der alles anfing
Menschliche Abgründe tun sich auf
Wie mich die Beziehung langsam zu zerstören drohte
Nachdem für mich die Beziehung endgültig beendet war
Das Ende der Beziehung wird der Anfang vom Stalking
Wie man lebt, wenn das Leben von Angst bestimmt wird
Der Feind in meinem Leben
Der Aufbruch in ein neues Leben
Nachwort
Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen
Strafgesetzbuch (StGB): § 238 Nachstellung
Diese Beratungsstellen bieten praktische Hilfe
Danksagung
Impressum
VORWORT
Es gab ein Leben vor dem Stalking und es gibt ein Leben nach dem Stalking. Dazwischen liegen fünf Jahre. Fünf Jahre lang lebte ich in einem psychischen Ausnahmezustand. Das hat Spuren hinterlassen. Der Stalker hat mein Leben verändert – gegen meinen Willen. Ich bin dabei, mir ein neues Leben aufzubauen, ein Leben nach dem Stalking. Es wird nie mehr so sein, wie es einmal war, weder für mich noch für meinen Sohn. Mein Sohn hat etwas erlebt, das ein Kind nicht erleben sollte. Es hat ihm die Unbeschwertheit und ein Stück weit auch die Kindheit und Jugend genommen.
Ich war glücklich in meinem alten Leben, ich konnte vertrauen und ohne Angst leben. Auch beruflich war ich erfolgreich. Das ist im neuen Leben anders. Um dieses neue Leben beginnen zu können, habe ich alles aufgegeben, meine Heimat, meine Freunde, meinen Job und viele andere wichtige Dinge. Ich schreibe auch darüber, wie schwer der Anfang in so einem neuen Leben sein kann. Im Leben nach dem Stalking ist die Angst geblieben, die innerliche und äußerliche Sicherheit fehlen. Es fehlt das Vertrauen zu anderen Menschen, Panikattacken, schlaflose Nächte und Albträume sind geblieben.
Auch wenn es für den Moment vorbei sein mag, weiß ein Stalkingopfer nie, wann es wirklich sicher und das Stalking zu Ende ist. Alles, was ich in diesem Buch erzähle, hat sich so zugetragen und war nicht weniger schlimm, als es beschrieben ist. Ich habe meine Geschichte aufgeschrieben, weil ich all das aufarbeiten und abschließen möchte und um mich im neuen Leben irgendwann sicher fühlen zu können. Ich kann nicht verzeihen, was man uns angetan hat, und auch nicht vergessen, aber ich muss lernen, irgendwie damit zu leben.
Mein altes Leben werde ich nicht zurückbekommen. Aber dafür habe ich ein neues. *Die Namen der handelnden Personen wurden zum Schutz geändert.
Opfer tun sich keinen Gefallen, wenn sie schweigen und hinnehmen, was ihnen angetan wurde. Vielleicht kann ich mit dem Buch für das Thema Stalking sensibilisieren und anderen Betroffenen eine Stimme geben.
Am Ende des Buches habe ich wichtige Informationen für Opfer und Angehörige aufgeführt, damit es ihnen nicht so ergeht wie mir.
DER ANFANG VOM ENDE
Gedankenverloren stand ich am Fenster und schaute zum dunklen Sternenhimmel hinauf. Mein kleiner Sohn lag friedlich schlafend in seinem Bett.
„Bitte, lieber Gott, schick mir einen Engel", hörte ich mich mit verzweifelter Stimme sagen.
Wie sollte ich das alles schaffen? Schule, Arbeit und ein kleines Kind alleine durchbringen? Ich hatte kaum noch Zeit für meinen Jungen. Warum hatte ich nur so lange gebraucht, um zu verstehen, dass Verantwortung für meine Fehler übernehmen nicht bedeutet, niemals andere Wege zu gehen? Nun stand ich mit meinem dreijährigen Sohn allein da. Die Ehe hatte nicht funktioniert oder, besser gesagt, ich konnte nicht mehr funktionieren.
Ich hatte jung geheiratet und drei Jahre später kam mein Sohn zur Welt. Geplant war es nicht, mit einem Mann, der selbst wie ein Kind war, ein Kind zu bekommen. Ohne Arbeit war ich nicht krankenversichert und selbst bezahlen konnte ich die Versicherung nicht. Das Sozialamt verwies auf meinen späteren Ehemann, mit dem ich gerade in die erste eigene Wohnung gezogen war. Er hatte Arbeit und somit Einkommen, weshalb man mir erklärte, dass ich vom Amt keine Hilfe zu erwarten hätte. Ich war noch Schülerin. Vom Bafög konnte ich maximal die Miete und den Strom bezahlen. Wir hatten übers Heiraten gesprochen, aber eigentlich war es mir noch zu früh. Ich war erst 21.
Doch eines Tages besuchten wir eine Bekannte in ihrem Lokal. Irgendwie kam es dazu, dass wir über das Problem mit der Krankenkasse sprachen.
„Heiratet doch!", sagte Inge frei heraus.
„Heiratet doch? Okay, dann heiraten wir."
Somit war es beschlossen. Die Hochzeit fand im Mai darauf im kleinen Kreis statt. Außer einem mit meinem Ehemann befreundeten Pärchen, seinen Eltern und Brüdern war nur meine Freundin und Trauzeugin mit ihrem zukünftigen Mann und ihrer kleinen Tochter dabei. Ich hatte mal wieder keinen Kontakt zu meinen Eltern, im Großen und Ganzen ging es mir damit aber gut.
An meine Kindheit habe ich nur wenige positive Erinnerungen. Als ich drei war, trennten sich meine Eltern, als ich sechs war, lernte meine Mutter meinen späteren Stiefvater kennen. Die Situation war immer schwierig, nur nach außen wurde die Fassade gewahrt.
Was meine beruflichen Ziele anging, war ich immer unentschlossen gewesen. Doch nachdem mein Sohn zur Welt gekommen war, wollte ich mir eine Perspektive schaffen und meinem Kind ein gutes Vorbild sein. Also ging ich zur Abendschule. Ziel: Abitur!
Während meines ersten und leider auch letzten Jahrs am Abendgymnasium, das mir sehr viel gegeben hat, fasste ich den Entschluss, Jura zu studieren, vorausgesetzt, dass ich das Abi schaffte. Doch in diesem einem Jahr wurde mir auch bewusst, wie schlecht es mir in meiner Ehe ging. Nicht nur finanzielle Probleme und Sorgen, sondern auch die Weltwirtschaftskrise machten mir Angst. Wie viele andere verlor auch mein Mann seinen Job. Stellen, die er hätte haben können, waren ihm nicht gut genug.
Ich werde niemals vergessen, was er dann tat.
Eines Tages kam ich von der Arbeit nach Hause und fragte ihn, weshalb er nicht zu der vom Amt angeordneten Maßnahme gegangen sei.
„Du bist zu spät mit dem Auto wiedergekommen, ich habe den Termin wegen dir verpasst", antwortete er lapidar.
Ich wurde ärgerlich und bat ihn, dann wenigstens abzusagen und zum Arzt zu gehen.
Er verlor völlig die Fassung und fing an rumzuschreien. Plötzlich hatte er eine Eisenstange in der Hand, mit der er Möbel kaputtschlug.
Fassungslos und in Tränen aufgelöst stand ich daneben. Er war wie im Rausch.
Irgendwann, als er sich gefasst hatte, sagte er mir, er gehe jetzt zur Kita, um unseren Sohn abzuholen.
Weinend saß ich im Schlafzimmer. Ich wusste, dass es so nicht weitergehen konnte. Aber trennen? Wie sollte ich ohne Ausbildung mit einem kleinen Kind und Schulden zurechtkommen? Die Angst vor Hartz 4, wir steckten da ja schon drin, und vor dem finanziellen und sozialen Totalabsturz hielten mich ab. Die körperliche und seelische Gewalt, die sich im Laufe der Jahre ihren Platz in der Ehe gesucht hatte, war da vermutlich das kleinere Übel.
Ich schreckte aus meinen Gedanken über meine ausweglose Situation hoch, als unser Telefon klingelte. Ich erkannte die Festnetznummer nicht und überlegte kurz, nicht abzunehmen. Doch die Hoffnung auf eine positive Nachricht siegte – um sofort wieder zu sterben. Am anderen Ende der Leitung meldete sich der Arbeitsvermittler meines Mannes. Aufgeregt berichtete er mir, dass mein Mann ihm gerade telefonisch seinen Suizid angekündigt habe!
„Es tut mir sehr leid, antwortete ich. „Ich habe mich gerade von diesem Mann getrennt. Falls er sein Vorhaben umsetzt, kommt ja die Polizei und teilt mir das mit.
Ein wenig perplex erklärte mir der Arbeitsvermittler, dass er die Polizei bereits informiert habe.
„Dann ist ja alles Nötige getan", erwiderte ich. Ich wollte mir die Verzweiflung nicht anmerken lassen. Mir war in der Situation nur klar, dass ich so mit diesem Mann nicht weiterleben konnte. Er war so unberechenbar. In diesem Moment hoffte ich, dass dieser Schicksalsschlag mich und meinen Sohn befreien würde.
Völlig irritiert beendete der Arbeitsvermittler das Gespräch. Er hatte gemerkt, dass er mich nicht erreichte. Ich versuchte, in Gedanken zu akzeptieren, dass meine Ehe nicht mehr zu retten war, dass es endgültig vorbei war und wir beide allein. Ich konnte keinen Einfluss mehr