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Auf Bali geht um Vier die Sonne unter
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Ebook316 pages4 hours

Auf Bali geht um Vier die Sonne unter

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About this ebook

Langzeit-BWL-Student Sven ist ein Studium zu langweilig und die Silvester-Feier zu schnell vorbei. Er fasst den Entschluss, im neuen Jahr seinen Durchbruch als Comedian zu schaffen und den nächsten Jahreswechsel charmanter und mit geringerem Gehirnzellenverlust zu verleben. In diesem Unterhaltungsroman nimmt er uns mit auf seine Reise durch den kuriosen Alltag, immer auf der Suche nach potenziellen Lachern und Material für sein Programm. Wird er es schaffen, das nächste Silvester nicht nur mit seinen zwei besten Freunden und einem gehörigen Kater am nächsten Tag zu feiern? Wird er die Comedy-Bühnen dieser Welt erobern? Oder wird er kläglich scheitern und bei RTL seine eigene Sendung erhalten?
LanguageDeutsch
Publisherepubli
Release dateOct 27, 2011
ISBN9783844212372
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    Auf Bali geht um Vier die Sonne unter - Maik Zehrfeld

    Auf Bali geht um Vier die Sonne unter

    Maik Zehrfeld

    Copyright 2011 Maik Zehrfeld

    www.LangweileDich.net

    published at epubli GmbH, Berlin

    www.epubli.de

    ISBN 978-3-8442-1237-2

    Inhalt

    1. Vorsätze

    2. Den Sack zu machen

    3. Engländerinnen

    4. Tom

    5. Die Miesepetrigkeit-Konzentrations-Matrix

    6. Du Lutscher

    7. Das Leben in vollen Zügen genießen

    8. Aufgemerkt: Kölsch

    9. Graufahren

    10. Eier – Wir brauchen Eier!

    11. Der erste Auftritt

    12. Fast Food-Bürokratie

    13. Den Blaubeerbraten gerochen

    14. Klein Finchen und der Besuch bei eBay

    15. Klein Finchen und der Schnee

    16. Die Farbe Lila

    17. Scheiß Baumarkt

    18. Nachbarschaftsparty

    19. Holy Hot Holly

    20. Das Debüt

    21. Die Taufe

    22. Eiswürfelwettschmelzen

    23. Der kleine Sven

    24. Die große Samstagabend-Show

    25. Die Urpizza

    26. Das Fünf-Tage-Buch

    27. Bali

    28. Nadja

    29. Der Wettbewerb

    30. SSDS: Sven sucht den Superjob

    31. Bluhreis

    32. Der neue Sven

    33. Die Widerauferstehung

    34. Der andere Wettbewerb

    35. Fazit & Ausblick

    1. Vorsätze

    Sieben. Sechs. Fünf. Vier. Drei. Zwei. Eins. „FROHES NEUES! So wird es wohl gewesen sein. Ich meine, so ist es doch eigentlich immer, oder? Okay, hier und da heißt es halt „Three. Two. One oder „Troi. Deux. Un, aber die Aussage bleibt die Selbe. Ob jung oder alt, ob schwarz oder weiß, ob Israeli oder Palästinenser, ob Dortmunder oder Schalker. Sie alle zählen in das neue Jahr und euphorisch hoffend in die Zukunft. Und sie alle haben gute Vorsätze. Besser in der Schule sein. Mehr mit den Enkeln unternehmen. Präsident werden. Weltfrieden schaffen. Endlich mal wieder deutscher Meister sein. Alles absolut realistisch. Zumindest realistischer als meine Wünsche. Denn nächstes Jahr, da möchte ich auch mal wieder in das Public-Countdowning am Silvesterabend einstimmen. Naja, vielleicht habe ich das ja auch in good old 2011 getan? Denn schon beinahe obligatorisch schreiben wir bereits den zweiten Januar des Jahres und meiner einer hat bislang größtenteils 2012 verschlafen. Definitiv habe ich dieses Jahr den größten Teil meines - nennen wir es gnädiger Weise „Essens – durch den Mund in die eigentlich nicht von Darwin-Schrägstrich-Gott dafür vorgesehene Richtung geschleudert. Und von meinen Freunden habe ich auch noch nichts gehört. Könnte die ja mal fragen, wie mein Silvester so war. Denen geht es aber sicherlich genauso. Neujahr ist für Über-11-Jährige doch mittlerweile ein Tag der Resozialisation und Reue geworden. Um 0:01 Uhr fasst man sich noch den Vorsatz, weniger zu trinken um geschätzte vierundsiebzig Minuten später so viel intus zu haben, dass schnell das Stadium des Vergessens eintritt. Und das nicht nur bezüglich ein paar Vorsätze. Mir fehlt dieses Mal alles zwischen etwa 21 Uhr am Silvesterabend und... Nun ja, jetzt. Ich weiß noch, wie ich die Tür geöffnet habe und Chris und Matze davor standen. Viertel vor Neun waren somit endlich alle Gäste anwesend.

    „Nimm!" begrüßte mich Chris mit einer Kanne Bier. Wie immer war er in Feierlaune. Ein lautes Anstoßen, ein kräftiger Schluck und er verschwandt in der Küche, zwei Kästen Bier im Schlepptau. Wenn es um die Grundversorgung geht, ist er auf einmal nicht mehr so unsportlich wie ein italienischer Schwalbenkönig sondern flexibel und sprung-freudig wie ein chinesisches Turnmädchen bei Olympia.

    „Hi Sven" sagte Matze, noch immer im Treppenhaus stehend.

    „Hi! Komm doch rein und häng Dich auf" antwortete ich und nahm ihm die Tüte No-Name-Chips ab. Matze suchte sich einen freien Platz im Wohnzimmer und kurz darauf stoß auch Chris dazu. Nun waren also endlich alle geladenen Gäste da. Alle beide.

    Kurz nachdem Chris erneut „Nimm! gesagt hat, gibt es ein lautes Anstoßen, einen kräftigen Schluck, und... Ta-daa! Zweiter Januar. Das Einzige was mich beruhigt ist, dass es nicht das erste Mal so verlief. Seit 2003/2004 machen wir das im Grunde genommen so. Jahr für Jahr. Flasche für Flasche. So wissen wir wenigstens, woran wir sind. Alle bauen Silvester immer die größten Feiererwartungen auf, um dann enttäuscht zu werden. Dieses Feierzwangenttäuschungsritual lassen wir uns nicht bieten. Wir besiegen es. Niedrige Erwartungen sind die Basis eines hohen Erfüllungspotenzials. Nicht zuletzt können wir mit einer jährlich hundertprozentigen Rücklaufquote aller Eingeladenen rechnen. Wer kann das schon von sich behaupten? Paris Hilton mit Sicherheit nicht. Die muss Absagen von Stargästen hinnehmen und sich darüber ärgern, dass irgendeine andere Millionärs-Medien-Matschbirne eine teurere Party schmeißt. Feierzwangenttäuschungsritual deluxe. Armes Mädchen. Und wir befolgen schlicht the same procedure as every year. Zumindest solange the procedure ein Etikett mit dem Namen „Krombacher trägt. Oder „Heineken".

    Da der Vorsatz, in 364 Tagen nicht mehr nur zu dritt in das neue Jahr hinein zu zählen (und sich im Nachhinein noch daran zu erinnern!), wohl etwas utopisch erscheint, will ich auch noch etwas Realistisches vorschlagen: Ich werde Comedian! Das wollte ich schon immer werden. Regelmäßig bringe ich meine Mitmenschen zum Lachen. Die perfekte Ausgangssituation also. Und bei den Ladies kommt man als Comedian doch sicher auch bombig an. Die stehen doch alle auf Typen, bei denen man über Anderes als die Frisur, die Kleidung oder das Gemächt lachen kann. Humor ist das neue Schwarz. Da bin ich mir so sicher, wie nackte Brüste im Nachtprogramm eines Sportfernsehsenders.

    So reihe ich mich also in die anderen realistischen Vorsätze der Menschen dieser Welt ein. Weltfrieden, Präsidentschaft, Israelisch-palästinensische Freundschaft. Nur der Schalker muss Jahr für Jahr auf seine Schale warten.

    Sieben. Sechs. Fünf. Vier. Drei. Zwei. Eins. „Und der Hot Button hat wieder zugeschlagen!"

    Ich hasse diese Call-In-Quiz-Sendungen. Aber irgendwie bleibe ich dann doch immer mal zwischendurch dort hängen. Einfach nur, um mich darüber aufzuregen. Über den „Sender, das „Spielprinzip, die Verarsche. Und am meisten über die Idioten, die da anrufen. Klar, schon verlockend, so eine kleine, bunte und mit einer Zahl beschriftete, glitzernde Schachtel, die sich Geldpaket schimpft. Da könnten ja Millionen drin sein in großen Scheinen. Sind sie aber nicht! Heute werden Wörter gesucht, die mit „Schul anfangen. Die heiße Endphase läuft, es wird bereits mehrere Minuten überzogen. Die Sendung endet gleich. Die Sendung endet mittlerweile seit geschlagenen drei Stunden. Als ich das erste Mal rein gezappt habe, war ein Wort gelöst: Schulfreund. Kurze Zeit später wurde mit Schulsport der zweite Begriff erraten. Durch seine packende Art und verschlüsselten Hinweise bringt der ehemalige Container-Bewohner mich dazu, weiter zu schauen. Okay das, und weil ich stark verkatert zu faul bin, nach Alternativen im Fernsehprogramm zu suchen. Meine Aufzeichnungen zählen mittlerweile 84 fehlgeschlagene Lösungsversuche, 46 Aufleger und zwei Beleidigungen, von denen zwei absolut berechtigt waren. Zumindest einleuchtender als die um 0:23 Uhr nachts folgende Auflösung der Sendung, die um 22 Uhr zu Ende sein sollte: „Schulschiffzeit. What the…? Ich nehme mir die Lösung zu Herzen und wuchte meinen trägen Körper Richtung Badezimmerporzellan. Danach statte ich dem Sportsender-Nachtprogramm noch einen kurzen Besuch ab, säubere die Sauerei notdürftig und gehe schlafen.

    Irgendetwas macht ein Geräusch. Und das viel zu laut und viel zu nah an meinem Kopf. Ich fuchtele wild in der Luft herum. Mehr oder weniger kann ich das hektische Gesumme und Gepiepe orten. Ein gezielter Glücksschlag und es ist aus. Endlich. Schön. Weiterschlafen ist angesagt und ich drehe mich im Halbschlaf auf die andere Seite meines Alabasterkörpers.

    „Sven? Hallo? Sveeheeen?"

    Ich wundere mich kurz, warum mein feuchter Traum, dem ich mich soeben wieder widmen wollte, so laut ist. Eine so kleine, blonde, gut gebaute Süße, und dann so laut? Naja, es kommt ja auf das Innere im Menschen an.

    „Wach auf, du Sau!"

    Frivoler Sprachschatz geht ja in Ordnung, gerne sogar. Aber eine rauchige, männliche Stimme? Und sehe ich da Bartstoppeln? Wuaah! Mein feuchter wird ein schwuler Traum. Hilfe! Ne, das ist nichts für mich. Ich wache lieber schreckhaft auf.

    „Wie, was.... Gott?" murmel ich nun pseudo-aufrecht sitzend blind in den Raum.

    „Das hätteste wohl gern" tönt es halblaut von halbrechts. Ich taste nach meiner Brille und erwische mein Handy. Ahh, mein Handy.

    „Hallo? Chris?" frage ich immer noch etwas zweifelnd in das leichte Stück Billig-Plastik aus dem fernen Osten.

    „Na endlich. du hast es erfasst. Wo bleibste denn?"

    „Watt? Wann ist denn?"

    „Bereits halb."

    „Halb wann?"

    „Halb jetzt. Halb drei und du pennst."

    „Scheiße, ja. Unterschreibst du für mich? Danke. Ich mach’s auch wieder gut, versprochen."

    „Jaja, aber du weißt: Nur 86 Prozent aller Täuschungsversuche klappen. Immer das gleiche mit Dir. Hau Dich weg. Wir sehen uns nachher. Bleibt’s bei 8?"

    „Yep, bleibt. Danke nochmal. Bis denne!"

    Verdammt, schon wieder verpennt. Dieser ganze BWL-Kram liegt mir nicht. Zumal die Motivationsmethoden von unserem Prof bei mir nicht ganz ziehen wollen.

    „Bei mir werden nur fünf Prozent durchfallen! 50 Prozent werden nicht bestehen und die restlichen 45 Prozent werden es nicht ganz schaffen. Willkommen im Semester!"

    Da wäre Comedian doch viel besser. Da muss man auch nur abends arbeiten. Und man kommt besser bei den Frauen an. Ich nehme gewohnheitsmäßig die Fernbedienung in die Hand und wähle gekonnt im Blindflug die 15 auf den Tasten. Sportfernsehen. Ach, was hab‘ ich aber auch für ein Pech. Da muss natürlich gerade etwas über Sport kommen. Der kurze naive Zapping-Versuch auf den Musiksender wird jäh von irgendeiner untertitelten Ami-Scheiße unterbrochen. Musikfernsehen ist so Neunziger. Leider. Ich schalte den Fernseher genervt wieder aus und beschließe, meinen neu angestrebten Werdegang in Angriff zu nehmen. Aber erst einmal wird gefrühstückt. Und da heute passenderweise die Vorlesung für mich ausfällt, kann ich mir dafür Zeit nehmen.

    Es soll ja Menschen geben, die essen kein Fleisch. Andere essen keine Tiere. Wieder andere nichts, was auch nur an Tiere erinnert oder damit zu tun hat. „Das hat ´nen Vokal im Namen, das ess‘ ich net". Ich fühle mich nach den drei mehr als schmackhaften Mettbrötchen wie neu geboren. Das Geheimnis: Chili-Gewürzpulver und eine selbstgemachte Fleisch- Grill-Gewürzmische. Selbstverständlich neben dem obligatorischen Salz und Pfeffer. So erhält das Ganze eine pikant-exotische Note, klar im Abgang. Die armen Vegetarier, Veganer und Menschen ohne Zähne. Die verpassen was.

    Nachdem ich diese Worte geschrieben und den Wikipedia-Artikel somit für die Nachwelt fertig gestellt habe, raffe ich mich auf, zum nahe gelegenen Elektrofachgeschäft mit dem Planeten im Namen zu gehen. Ich muss etwas Schulungsmaterial für meine kommende Berufung besorgen. So wenig Zeit und Geld ein Student auch hat, für Mettbrötchen und eine DVD reicht es immer noch irgendwie.

    „Ist ja auch für meine Zukunft, quasi eine Investition in meine Bildung."

    „Toll. Macht Sechs-Fuffzich."

    „Stimmt so."

    „Aber das sind nur fünf Euro!"

    Na toll, die Kassiererinnen hier sind meinem Unterhaltungsniveau wohl noch nicht gewachsen. Es kommen mir kurz Zweifel, ob die Welt vielleicht einfach noch nicht bereit für mein enormes Komikpotenzial ist. Während ich Richtung Heimat schlendere, lese ich gebannt den Klappentext des silberrunden Schlüssels zu meiner Lustigkeitslizenz für Anerkennung, Geld und Frauen. Hm, ein halbglatziges, verschwitztes, leicht pumeliges Ebenbild von Stefan Raab, welcher ausnahmslos über seine Freundin erzählt? Und das soll lustig sein? Während ich gerade noch einen Beinahe-Unfall mit einer Straßenlaterne vermeiden kann, denke ich mir, dass man so etwas vielleicht nur nachvollziehen kann, wenn man gerade selbst in einer Beziehung steckt, bei der mindestens zwei Partner aus mehr als einer linken Hand bestehen. Und nein, rechte Hände meine ich damit nicht. Daheim angekommen beschließe ich, dem Berliner Witzejongleur der Neuzeit eine Chance zu geben und drücke erwartungsvoll auf „Play".

    2. Den Sack zu machen

    Es klingelt. Wie immer ist Matze überpünktlich. Überpünktlich genau dreißig Minuten zu spät. Aber das rechne ich mittlerweile mit ein, wenn wir Zeitpunkte vereinbaren. Außerdem ist der fußballbedingte Druck, den Anstoß zu verpassen dann doch so groß, dass er spätestens dann eintrudelt. Ich betätige den Surrer an der Tür und wende mich meinem Abschlusssatz zu:

    „Diese Variationsmöglichkeiten und liebevoll arrangierten Gebilde zeugen von dem höchstanzunehmenden Involvement, welches Gourmetfreunde aus aller Welt der Thematik entgegen bringen". Ich füge noch schnell die Bilddatei Mettigel2012_04.jpg ein und speichere den Artikel. Ein User hatte ihn doch tatsächlich letzte Woche gelöscht, aufgrund angeblich „nicht gegebener Relevanz. Pah, nicht gegebene Relevanz. Ich geb dem gleich „nicht gegebene Relevanz. Als ob er der Relevator ist, der bestimmt, was relevant ist, und was nicht. Und sowieso, mit so einem Nicknamen sollte man mal ganz leise sein. Tz, dieser dämliche „Mr.HelloKitty59".

    „Moinsen."

    „Tach. Na, wie läuft’s?"

    Matze hatte die 76 Stufen in mein Studentenpenthouse im vierten Stock in persönlicher Bestzeit abgespult. Bestimmt, damit das Bier schnell in den Kühlschrank kommt. Mit im Schlepptau hat er Chris, der wesentlich mitgenommener von dem Stufenstieg aussieht. Eigentlich heißt Matze ja – welch Überraschung – mit richtigem Namen Matthias. Aber als er in der Anfangszeit des Studiums hat verlauten lassen, nicht „Matze" genannt werden zu wollen, wie jeder andere Matthias XY auf dieser Welt, hat er sich ein schönes Eigentor geschossen, um beim Samstagmittäglichen Betrinkungs- und Geselligkeitsmotiv Fußball zu bleiben. A pro pos: Von meinem Anschauungsmaterial letztens habe ich mir eines merken können und zwar, dass man seine Umwelt beobachten soll. Da passiert schon genug Lustiges, welches andere für einen erarbeiten. Man muss es nur zusammenfassen und schon erntet man die Lacher. Und die wohl größte Fundgrube der Unterhaltungsästhetik ist das allwöchentlich mindestens einmal stattfindende gemeinsame private viewing von Fußballspielen. Je schlechter das Spiel, desto besser schmeckt das Bier und desto essenzieller werden die angebrachten Wortspielereien. Dazu kommt, dass die Kommentatoren anscheinend mehr und mehr den Drogen zusagen, um mit teils höchstphilosophischen Bemerkungen vom bezüglich des Spielgeschehens fehlenden Überblick abzulenken. Da ist bspw. eine Taube für einen Moment auf der grünen Spielfläche des kommenden Knallerspiels eingeblendet und prompt folgt die absolut treffende Schlussfolgerung:

    „Die Punkte liegen für die Gäste so hoch, wie eine Taube..."

    Dann ist man sich sicher, dass irgendwer wichtiges gestorben sein muss, aufgrund der vom Kommentator eingeworfenen schweigenden Minute. Doch dann folgt plötzlich:

    „... die fliegt. Sehr hoch".

    Dass man nur mit einem abgeschlossenen Philosophie-Studium einen Kommentatoren-Job bekommen kann, zeigen dann wieder Sätze, wie „sie müssen den Eingang zum Sack finden, den es zuzumachen gilt".

    Und neben diesen hochkulturellen Ansätzen, wird dem ach so dummen Zuschauer auch noch ein wenig mathematisch-statistische Nachhilfe gegeben:

    Zwölf Tore. Somit ist das halbe Dutzend mehr als voll gemacht. Nämlich doppelt voll.

    Und vor solchen Unterhaltungsperlen möchte der gemeine eingebildete und besserwisserische Zuschauer natürlich nicht hinten anstehen. 79. Minute, 2:0 für Finnland gegen die deutsche Nationalmannschaft.

    „Oh, da brauchen wir aber ein starkes Finish."

    Fehlt die Kreativität auf dem Platz, muss sie sich halt auf der Couch entfalten. Irgendwo muss sie ja sein. Am besten in meinem nagelneuen Collegeblock, der meine zweite Großinvestition zum Comedy-Ruhm darstellt und spontane Komikejakulationen auffangen soll. Denn mit dem Erinnern ist das bei mir immer so eine Sache, selbst wenn kein Alkohol im Spiel ist. Ich lebe quasi die Weisheiten der finnischen Punkgruppe Disco Ensemble, die einen ihrer Songs mit den Worten „I’d forget my name if it wasn’t printed on my passport beginnen. Oder besser „ohne facebook würde ich selbst meinen Geburtstag vergessen. Aber das kennt doch sicherlich jeder, oder? Und für Comedians ist das doch eh nicht wichtig. Ich meine, Mario Barth wird doch sicherlich auch manchmal in Gegenwart seiner Freundin sein und sich denken „Mensch, Mario, dat glaubse net. Den muss ick mir merken" und sich innerlich kaum einkriegen, weil er selbst das größte Opfer seiner Komik darstellt. Und vor lauter Selbstbelachung ist der Brüller auch schon wieder vergessen. Selbst Elefanten vergessen bestimmt. Und selbst ein Elefant, der in seiner Elefanten-Truppe den Comedian darstellt und sich witzige Wasserloch- und Löwen-Fangenspielgeschichten vom Vortag merken muss, wird sicherlich hin und wieder was vergessen.

    „Och Sven, warum muss ich schon wieder auf diesem beschissenen Stuhl sitzen, der bereits halb auseinanderfällt?" beschwert Chris sich, auf der Sitzfläche hin und her rutschend. Der Stuhl knatscht dabei in hohen metallenen Tönen.

    „Es tut mir leid, dass ich deinen gesellschaftlichen Status nicht halten kann und nur eine Couch besitze..."

    „Warum hast du nicht zwei... äh... ‚Couchen‘? Oder was ist die Mehrzahl von ‚Couch‘?"

    „Hm... ‚Sofas‘! Ich habe keine zwei Sofas, weil halt die Klappe."

    „Wenn du weiter über Möbel sprichst, während Fußball läuft, kann die Periode ja nicht weit sein" beendet Matze das aufkeimende Gespräch auch schon wieder.

    Das heutige Fußballspiel bietet leider auf beiden Seiten der Mattscheibe nur wenig Kreatives. Mal den kunstvollen Stapel an Pizzaschachteln, Bierflaschen und Chipstüten ausgenommen, den Chris errichtet hat. Der Notizlock bleibt aber vorerst leer für heute. Das Spiel endet 8:6:7 und somit ist Chris heute der mit den meisten getrunkenen Bieren und darf den ersten Vorschlag für die weitere Abendplanung machen.

    „Disco heute? In der Glocke soll gute Musik gespielt werden..."

    „Gute Musik in deinen Ohren oder allgemein geltend gute Musik?"

    „Haha, lustig Sven... Dann schlag du doch was vor!"

    „Wie wäre es denn erst einmal mit einer Bar? Ein bisschen in ruhiger Runde Trinken und neue Leute kennen lernen."

    „Wenn du mit ‚neue Leute‘ Frauen meinst, bin ich dabei" unterstützt mich Matze.

    „Okay, okay... Dann lass uns ins Ripper’s gehen. So um Zehn? Ich geh dann erst mal noch ein bisschen Chillen und was futtern."

    Wir nicken uns gegenseitig an. So sei es. Matze und Chris suchen ihre Klamotten zusammen und machen sich auf den Weg. Ich checke kurz mein Portmonee zwecks Finanzlage für den Abend. Die Weltwirtschaftskrise hätte bereits vor Jahren erkannt werden können, wenn nur die Anzeichen auf meinem Konto von den Experten richtig gedeutet worden wären. Aber für heute sollte es noch reichen. Sonst alles dabei? Oh, meinen Ausweis muss ich mal verlängern...

    Die Jungs verschwinden winkend im Treppenhaus und ich widme mich der Essensproblematik. Noch habe ich keinen Hunger, aber wie sieht es in 25 Minuten aus, wenn zum Beispiel meine Tiefkühl-Cordon-Bleus fertig wären? Denn das ist die eigentliche Kochkunst: So früh und getimed anfangen, dass man bei Vollendung hungrig ist. Fängt man erst an, wenn von den Nachbarn die erste Lärmbelästigung aufgrund unüberhörbaren Magengrummeln bei der Polizei eingeht, hat man etwas falsch gemacht. Ich beschließe in 25 Minuten noch keinen Hunger zu haben und räume oberflächlich das Wohnzimmer auf. Wer weiß, wer heute Nacht noch Einblick in dieses Junggesellenreich erhält?

    3. Engländerinnen

    Mitte des zweiten Stockwerks höre ich sie kommen. Ein kurzer verzweifelter Zwischensprint und ich höre auch schon, wie sie wieder wegfährt. Na wunderbar, Bahn verpasst. Die acht Minuten gewonnene Zeit beschließe ich in unserem Kiosk an der Ecke zu investieren.

    „Ein Bier und eine Schachtel West, bitte."

    „Hier. Macht 5,90 Euro."

    „Stimmt so."

    Ich gebe es auf mit dem Kassiererinnen-Humor dieser Welt und drücke der jungen Kosovo-Albanerin sechs Euro in die Hand.

    Das Bier ist laukalt und das Wetter beschissen. Ein guter Start für einen gelungenen Abend. Je weniger Lust man zu Beginn des Abends hat, aus dem Haus und durch die Nacht zu gehen, desto besser wird es doch in der Regel. Hoffentlich. Es regnet leicht und der Bahnsteig ist voller Müll. Lauter Fast-Food-Verpackungen und Bierflaschen liegen herum. Eine alte Dame rollt mit ihrer Gehhilfe vor sich hin schimpfend durch den Abfall. Das müsste sie doch eigentlich aus den Fünfzigern kennen. Andere scheint es weniger zu stören und sitzen oder liegen sogar direkt daneben. Oh man, noch vier Minuten. Immer diese Warterei. Ich schreibe Chris eine SMS, dass es etwas später bei mir wird.

    „Junger Mann, lassen Sie mich mal durch…"

    Auch wenn sich auf dem Steigbereich vor mir drei alte Frauen mit ihren Wagen ein Rennen hätten liefern können, gehe ich noch einen Schritt zurück und die alte Frau rollt an mir vorbei. Noch zwei Minuten. Ich schreite wieder einen Schritt nach vorne und schalte meinen MP3-Player an, damit Metallica mir die Abendstimmung versüßen kann. Durch den fallenden Regen hindurch sind hetzende Menschen mit ihren Regenschirmen und Taschen in den dunklen Straßen zu erkennen. Manche rennen durch den Regen, manche würden gerne rennen, aber das ist ihnen zu peinlich, so dass sie lediglich „zügig laufen", was weitaus peinlicher aussieht, und wieder andere schlendern genüsslich als ob es der erste Regen in einem vertrockneten Sommer wäre. Ist es aber nicht. Es ist verdammt nochmal scheiße kalt! Als hätte sie meine fluchenden Gedanken gehört, schlägt mir die alte Rollator-Dame mit ihrer Gehhilfe gegen mein Schienbein.

    „Ahh! Was soll das?"

    „Gehen Sie zur Seite, junger Mann!"

    Die alte Dame hat sich nun doch wieder für die andere Bahnsteigseite entschieden und will anscheinend rübermachen, was sie mir mittels ihrer Gehhilfe in einer Art Morsecode verdeutlichen will.

    „Aye, aye, alte Frau."

    Sie schaut etwas grimmig und schiebt sich schimpfend an mir vorbei in Richtung Abfallhaufen. Was müssen die denn auch immer selbst betonen, dass andere so viel jünger sind als sie? Da kann ein 70-Jähriger auf dem Bahnsteig stehen und wird von 80-Jährigen Frauen als „junger Mann" beschimpft. Aus was für Wörtern die überhaupt Schimpfwörter kreieren können.

    Noch eine Minute. Ich sehe die Bahn bereits an der vorherigen Station stehen. Im Hintergrund ein lautes Klimpern. Die alte Frau, die gerade noch über den Abfall gemeckert hat, meckert nun darüber, dass in einigen der Flaschen noch Reste liegen. Sie schüttet sie aus und packt die Flaschen in ihre Tasche. Pfandsammlerin, soso. Wohl der Job 2.0 des neuen Jahrtausends in Deutschland. Der Spaß für die ganze Familie.

    „Linie 6, Messe Ost" ertönt es von der kleinen Bahnfrau, die im Lautsprecher versteckt ist. Meine Straßenbahn ist da. Endlich. Ich steige in den hinteren Wagen und setze mich wärmend in eine Ecke. Schon komisch, was für Gestalten man nachts in der Bahn so zu sehen bekommt. Ein Mann im Anzug schreibt etwas in seinen Laptop, während sich neben ihm eine kleine Gruppe halbstarker Jugendlicher Döner reinzieht, von denen einer stärker riecht als der nächste. Und damit meine ich sowohl die fleischbeladenen Fladenbrote, als auch die fleischbeladenen Vierzehnjährigen. Gegenüber

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