Das Haar in der Suppe: Zeitgeschichte in Leserbriefen von 1993 bis 2013
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Dabei kann man feststellen, dass sich manche Wildsau, die durchs Dorf getrieben wurde, einige Zeit später als niedliches Ferkel erwies.
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Book preview
Das Haar in der Suppe - Dieter Rakete
Vorwort/e
Zeitgeschichte
in
Leserbriefen von 1993 bis 20l3
Vorwort/e
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.
(Immanuel Kant)
Nur tote Fische schwimmen immer mit dem Strom.
Offenbar ist der Mensch so organisiert, dass er einem übergeordneten Rechtgläubigkeitsverband angehören will. Das müssen gar keine Religionen sein. Er möchte einer Gemeinschaft angehören, die die Welt richtig sieht.
(zitiert von Thilo Sarrazin in: Der neue Tugendterror, S.24)
Ich kann zwar keine Eier legen, aber ich merke, wenn sie faul sind.
(Karl Kraus)
Erklärungen zu Zeichen und Daten
1. Zeile: Überschrift und Datum
2. Zeile:
- nicht veröffentlicht
v veröffentlicht
vg gekürzt veröffentlicht
3. Zeile: Schlagwort
Es handelt sich im Wesentlichen um Leserbriefe an die „Welt".
Beim Datum kann es das Absendedatum, das Erscheinungsdatum oder auch das Datum eines Zeitungsartikels sein.
Die Leserbriefe nach Datum sortiert (1993-1999)
„Parteienverdrossenheit" und zur Hamburger Wahl 29.09.1993
vg
Demokratie
Platon läßt Sokrates kurz vor dessen Tod mit dem befreundeten Kriton folgenden Dialog führen:
Kriton: „Gerade die gegenwärtigen Ereignisse zeigen ja, daß die Menge imstande ist, nicht die geringsten Übel durchzusetzen, sondern so ziemlich die allerschlimmsten, wenn jemand bei ihr in schlechtem Rufe steht."
Sokrates: „Wäre die Menge doch nur imstande, Kriton, die schlimmsten Übel durchzusetzen, damit sie's auch bei den größten Gütern wäre - dann könnte man zufrieden sein. Nun ist sie zu keinem von beidem imstande; sie ist unfähig, irgend etwas Vernünftiges oder Unvernünftiges zu tun, und sie tut, was ihr gerade einfällt."
Ich glaube, daß die Medien in der ganzen Diskussion um Parteien- und Politikverdrossenheit diese ewige Wahrheit vergessen. Nicht alle demokratischen Parteien sind „Schuld an diesem eigenartigen Wahlergebnis, sondern eher viele Wähler und Nichtwähler, die nicht „mündig
, sondern vielmehr behämmert sind, und zwar nicht nur bei Wahlen. Aus einer Unzahl von „Beweisen" seien nur drei genannt:
1. Sie können die Demokratie nicht ertragen mit ihren (manchmal wirklich) langen und ärgerlichen Diskussions- und Entscheidungsprozessen.
2. Es gelingt ihnen nicht, den einzelnen Parteien deren Lösungsvorschläge zuzuordnen. (Die SPD hätte eigentlich viel mehr Stimmen verlieren müssen, wenn man ihre historische Fehlleistung beim Asylproblem bedenkt.)
3. Sie wählen in Hamburg blind einen eitlen Querulanten wie Markus Wegner, der überhaupt keine inhaltlichen Aussagen gemacht hat und auf einem oberen Listenplatz eine Dame zuläßt, die nach eigenem Eingeständnis die „Ochsentour durch die Parteien scheut. (Diese Ochsentour halte ich für unbedingt nötig, damit sich die Spreu vom Weizen trennt. Allerdings darf es dabei keine „Vorentscheider
bei der Kandidatenaufstellung geben.)
Mein Fazit: Verantwortliche Medien wie DIE WELT, die nicht von Geisteskrüppeln beherrscht werden, sollten nicht dauernd auf den demokratischen Parteien herumhacken, sondern mindestens den Versuch machen, den einen oder anderen Narren aufzuklären.
Diskussionsvorlage zum neuen Hamburger Schulgesetz 24.01.1995
-
Bildung
Mit dem neuen Hamburger Schulgesetz würde sich die rote Bildungsgrütze weiter ausbreiten. In allen Schularten wird Kompetenz durch Kompensation ersetzt.
Es hat den Anschein, als ob sich seit Jahren in der Hamburger Schulpolitik Sozialpädagogen und Sozialtherapeuten in Mengen versammelt haben, die fast jedes Kind oder jeden Jugendlichen als möglichen Klienten ansehen. Heraus kommt dabei eine bodenlose Organisation des Unterdurchschnittlichen in allen Schularten.
Grass spricht von Barbarei 20.10.1997
v
Grass, Günter
Der Originalleserbrief ist nicht mehr vorhanden. Das Sokrates-Zitat gilt meiner Meinung nach für viele Äußerungen von Grass zu politischen Themen.
Auf der Suche nach einem weiseren Menschen als ihm befragte der griechische Philosoph Sokrates auch Dichter und Schriftsteller. Er stellte fest, daß sie vielen anderen -und vor allem sich selber - als weise erscheinen, es aber eigentlich nicht sind. „Nicht aus Weisheit dichteten sie, was sie dichten, sondern aus ihrer besonderen Natur und, von Gott erfüllt wie die Seher und Propheten ... Und zugleich bemerkte ich, daß sie um ihrer Dichtung willen auch in allen anderen Bereichen zu den weisesten Männern zu gehören glaubten, was sie doch nicht waren.". (Platon, Apologie des Sokrates).
Mit dem Zentralabitur zu mehr Niveau 01.07.1998
v
Bildung
Den Ausführungen des Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, ist uneingeschränkt zuzustimmen. Darüber hinaus wäre es außerordentlich interessant, wenn seine Zahlenangaben (über 30 Prozent Studienabbrecher; über 14 Semester durchschnittliche Verweilzeit an den Universitäten) statistisch aufgearbeitet würden mit dem Ziel festzustellen, aus welchen verschiedenen Bundesländern die Studienabbrecher und „Verweilstudenten" kommen. Aus solcher Statistik könnte wahrscheinlich sehr gut auf die unterschiedliche Qualität des Abiturs geschlossen werden.
Gregor Gysi ist ein unterhaltsamer Parlamentarier, mehr nicht 09.09.1998
-
Politiker
Die Berichte in der Welt zum Thema „Prominente für SPD und Gysi haben nun genug Platz eingenommen. Es wird Zeit, daß die Redaktion jetzt das Thema aufgreift „Intelligente für Kohl und die CDU
. Ich rechne mich dazu und könnte auch ein Bild von mir zur Verfügung stellen.
Startchaos der Rot-Grünen Koalition 10.12.1998
-
Prophetie
Friedrich Hölderlin scheint in prophetischem Geiste das Gewusel der neuen Regierung in seinem Gedicht „Der Archipelagus" beschrieben zu haben:
„ .... Aber weh! Es wandelt in Nacht, es wohnt, wie im Orkus,
Ohne GöttIiches unser Geschlecht. Ans eigene Treiben
Sind sie geschmiedet allein, und sich in der tosenden Werkstatt
Höret jeglicher nur, und viel arbeiten die Wilden
Mit gewaltigem Arm, rastlos, doch immer und immer
Unfruchtbar, wie die Furien, bleibt die Mühe der Armen ..."
Mahnmaldiskussion 01.02.1999
v
Migranten
Im Ethikunterricht fragte mich ein Schüler, ob von den Millionen von Neubürgern, die demnächst vielleicht eine doppelte Staatsangehörigkeit besitzen werden, auch Scham über die Greueltaten des Naziterrors erwartet wird. Und wenn „nein", warum nicht?
Vor lauter Schreck habe ich diese Frage auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.
Pazifismus gegen „Bellizismus" im Kosovo- Konflikt (passim) 02.05.1999
-
Pazifismus
In dieser Diskussion sollte Max Weber nicht vergessen werden, der meiner Meinung nach dazu „Endgültiges" gesagt hat.
„Eine Ethik der Würdelosigkeit - außer: für einen Heiligen (gemeint ist der Pazifist, der auch die andere Wange darbietet, wenn er auf die rechte geschlagen wird).
Das ist es: man muß ein Heiliger sein in allem..., muß leben wie Jesus, die Apostel, der heilige Franz und seinesgleichen, dann ist diese Ethik sinnvoll und Ausdruck einer Würde. Sonst nicht.
Denn wenn es...heißt: dem Übel nicht widerstehen mit Gewalt
(Matthäus 5,5);- so gilt für den Politiker umgekehrt der Satz: du sollst dem Übel gewaltsam widerstehen, sonst- bist du für seine Überhandnähme verantwortlich...
Denn für die (bösen) Sieger wird er (der Krieg) sich politisch rentiert haben. Und dafür ist jenes Verhalten verantwortlich, das uns jeden Widerstand unmöglich machte."
( Max Weber, Politik als Beruf)
Auf den Lehrer kommt es an 12.06.1999
v
Bildung
Es ist falsch und aus der Feder einer Erziehungswissenschaftlerin besonders unfair, daß für die offenkundige Schulmisere in erster Linie die Lehrer verantwortlich gemacht werden, wie Frau Brinck zu behaupten scheint.
Man stelle sich einen Ideallehrer vor, der mehrere Wissenschaften studiert hat mit einem natürlichen freundlichen und liebevollen Charakter! Er ist allerdings schon ein wenig in die Jahre gekommen, so um kurz über 50.
Monat für Monat, Jahre um Jahre wurde er zunehmend bombardiert mit Problemen der folgenden Art.
(Die Aufzählung ist bei weitem nicht vollständig!):
- Er mußte feststellen, daß die scheinbar „ Besten" die Schule verlassen haben, und zwar aus Ermüdung, Enttäuschung, Langeweile usw. Sie gingen in die Behörden und in andere Institutionen und produzieren von dort eine Unmenge von Papieren, Broschüren und Büchern, woraus die Kollegen vor Ort lernen sollen, wie's besser zu machen sei (vielleicht auch Frau Brinck?)
- Seinen eigentlichen Unterricht kann er teilweise nur noch zur Hälfte geben, denn „Sascha war während der Pause auf dem Dach, Imke hatte Schwierigkeiten mit ihrem Kreislauf, und drei Schülerinnen haben sie ins Krankenzimmer begleitet, Martin hat wieder eine Schlägerei provoziert usw. Er schreibt ins Klassenbuch: „15 Schüler/innen machten trotz Briefe an die Eltern ihre Hausaufgaben nicht
und „Entschuldigungen für Fehlzeiten müssen geradezu eingetrieben werden. Sein Terminkalender füllt sich zunehmend mit dem Wort „Konferenz
, besonders auch zu Disziplinarfallen und Gesprächen mit teilweise unvernünftigen und verantwortungslosen Eltern.
- Besonders in Hamburger Gymnasien muß er sich auf eine irrwitzige Heterogenität in allen Schulstufen einstellen. Das reicht vom schwachen Hauptschüler bis zum Hochintelligenten. (Von ca. 13500 Fünft-Klässlern wollen in Hamburg 1999 knapp die Hälfte aufs Gymnasium!)
- Er hat mit seinem Unterricht in Mathe, in Fremdsprachen, Chemie usw. kaum Chancen gegen die außerschulischen Erlebniswelten, die immer schon gegenüber mühevoller Aneignung von Wissen als freudvoller und interessanter empfunden wurden.
Da stellt sich der Ideallehrer nach seinen Unterrichtsstunden immer häufiger die Frage nach dem Sinn seines Tuns, und es wirkt außerordentlich demotivierend, wenn er diesen auch bei bestem Willen häufig nicht entdecken kann.
Er glaubt durchaus Verbesserungen zu kennen. Diese müßte er allerdings gegen eine Phalanx lernunfähiger Bildungsideologen durchsetzen, und deshalb drängt sich ihm zwangsläufig die bekannte stoische Frage auf: „Geht mich das eigentlich etwas an?"
Abitur nach 12 Jahren 05.12.1999
-
Bildung
In Hamburg (Welt vom 04.12.1999) wie auch in anderen Bundesländern möchte man „hochbegabten" Schülern eine Klasse ersparen, so daß sie nach 12 Jahren Abitur machen können.
Aufgrund langjähriger Erfahrung als Lehrer an einem Hamburger Gymnasium ist mir nicht ganz klar, warum man „begabt in der politisch-pädagogischen Diskussion um den Begriff „hoch
steigern muß.
Wenn man z.B. aus drei 6. Klassen jeweils 10 Schüler herausnehmen will und zu einer „Schnellzugklasse zusammenfaßt (wie in einem Hamburger Pilotprojekt geplant), dann hat man das „alte
in einigen SPD-regierten Bundesländern faktisch abgeschaffte Gymnasium.
Und das ist den „begabten" Schülern gegenüber gerecht!
Wirklich „hoch"-begabte Kinder aber würden die gymnasialen Anforderungen in wesentlich geringerer Zeit als in 12 Jahren schaffen.
Kohl will anonyme Spenden nicht bekannt geben 24.12.1999
v
Kohl, Helmut
Alle die „Moralisten", die gegen Helmut Kohl eine Hetzjagd veranstalten, sollten sich erinnern, dass es auch eine moralische Grundkategorie ist, ein Versprechen nicht zu brechen.
Man kann Kohls Situation durchaus als eine tragische ansehen. Was immer er macht, er kann nur das Falsche machen: sich selber als Person vernichten, wenn er sein Wort bricht, oder seiner Partei noch mehr Schaden zufügen, weil Medien und andere Kräfte keine Ruhe geben und ihn weiterhin bedrängen werden, die Spender zu nennen.
Nicht der Rechtsverletzter Helmut Kohl gefährdet die Demokratie, sondern alle diejenigen, die diesen Fall aufblasen und politisch instrumentalisieren.
Meine Replik auf Th. Kielinger:
Kohl und die CDU wären doch wohl auf jeden Fall bestraft worden, selbst wenn er die Namen nachträglich genannt hätte. Warum also dieses Insistieren auf der Nennung. Richtig ist, dass Kohl gegen das Parteispendengesetz verstoßen hat, nicht aber dass er sich „über das Gesetz" stellte. Diese Behauptung ist tendenziös bis bösartig.
Die Leserbriefe nach Datum sortiert (2000-2005)
Knut Teske, Der gefesselte Riese 20.01.2000
-
Kohl, Helmut
Auch der Mächtigste steht in einem demokratischen Rechtsstaat nicht „über, sondern „unter
dem Gesetz.
Diese Botschaft ist im Grundsatz natürlich richtig, und selbst diejenigen, die sich für Staatstheorien bisher wenig interessierten, können sie jetzt ohne Stottern aufsagen.
Dennoch - und so könnte man gutwillig die Haltung von Helmut Kohl interpretieren - gibt es im Leben des Einzelnen Extremsituationen, in denen er bewußt oder unbewußt Thomas von Aquin folgt, der sinngemäß gesagt hat: „Man muß immer auf sein Gewissen hören, aber man darf dabei nicht annehmen, dass es sich nicht irren könnte!"
Wenn die Allgemeinheit über die Medien auch diese „komplizierte" Wahrheit vermittelt bekäme im Streit um Helmut Kohl, so könnte das zu einem menschlicheren Umgang untereinander beitragen.
„Sterile Aufgeregtheit" einiger Journalisten 07.02.2000
-
Kohl, Helmut
Im Deutschunterricht der Oberstufen wird bisweilen eine Unterrichtseinheit angeboten, die zum Ziele hat, durch Vergleich von Zeitungsartikeln oder anderer Medienberichte die manipulativen und interessegeleiteten Machenschaften einiger Journalisten nachzuweisen. Dabei stellt sich häufig heraus, dass auf diesem Gebiet nicht nur redliche Hochintelligente oder mitleidsvolle Ethiker agieren.
Wieso eigentlich wird im Rahmen der gegenwärtigen politischen Affären allen zunächst fast alles geglaubt?
In diesem Zusammenhang ist auf eine recht sichere Quelle hinzuweisen, die glaubwürdig behauptet, Helmut Kohl habe den bisher anonym gebliebenen Spendern geradezu untersagt, ihm und seiner Partei durch eigene Namensoffenbarung zu Hilfe zu kommen. Er werde sich nicht unter die Vormundschaft von Scheinheiligen oder inkompetenten Staatstheoretikern der sogenannten 4. Gewalt begeben, die alle seine Taten in der Vergangenheit teilweise böswillig kritisiert haben, sondern er warte vertrauensvoll die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses und die Arbeit der Staatsanwaltschaft ab. Eine mögliche Strafe für seinen Gesetzesbruch werde er dann natürlich akzeptieren.
Politskandale und der „einfache Bürger" 15.02.2000
-
Demokratie
Journalisten und Politiker verkünden in Zeitungen,