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Die Wahrheit über Jürgen: Ein Künstlerroman
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Die Wahrheit über Jürgen: Ein Künstlerroman

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Jahrmarkt in der Stadt
Band 2

Die Wahrheit über Jürgen
Ein Roman von Nikolaus Klammer

Der Mensch dürstet nach dem Bösen, aber er vermag es nicht,
ihm seine Seele zu verschreiben.
Deshalb schlägt er krumme Wege ein:
Die Neurose, das Gelächter oder die Kunst.

Eine Stadt Mitte der 90er Jahre in der bayerischen Provinz: Die Bilder des Malers Jonas Nix sind eine künstlerische Sensation und Tagesgespräch bei den Kulturschaffenden. Doch liegt der Erfolg wirklich in der Qualität seiner düsteren, blutigen Werke begründet oder eher an seinen verwandtschaftlichen Beziehungen zu einem Stadtrat und den oberen Zehntausend?

Der junge Journalist und Maler Georg Hauser, der mit dem schwierigen Künstler in die Schule gegangen ist, beginnt nachzuforschen und Nix und die Personen in seinem Umfeld zu befragen. Hauser wird dadurch in ein Familiendrama verwickelt, das bald auch sein Leben bedroht und ihn vor die existenzielle Frage stellt:

Wie weit würdest du für deine Kunst gehen?
LanguageDeutsch
Publisherepubli
Release dateNov 8, 2018
ISBN9783746778181
Die Wahrheit über Jürgen: Ein Künstlerroman
Author

Nikolaus Klammer

Nikolaus Klammer erblickte am 10. Februar 1963 das Licht dieser besten aller Welten. Er übt den Beruf des Geschichtenerzählers aus, seit er sprechen kann - also schon eine lange, lange Zeit. Er lebt und schreibt im verträumten Diedorf bei Augsburg, ist seit über dreißig Jahren glücklich verheiratet und hat zwei inzwischen erwachsene Söhne, die längst auf eigenen Füßen stehen.

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    Die Wahrheit über Jürgen - Nikolaus Klammer

    NIKOLAUS KLAMMER

    DIE WAHRHEIT

    ÜBER JÜRGEN

    Ein Künstlerroman

    img1.jpg

    JAHRMARKT IN DER STADT

    BAND 2

    E-BOOK-AUSGABE

    img2.jpg

    Texte und Bilder:

    © Copyright by Nikolaus Klammer

    Tuschezeichnungen im Text:

    © Copyright by Bernhard Wurzer

    Umschlaggestaltung:

    © Copyright by Nikolaus Klammer

    klammer@email.de

    Druck:

    epubli – ein Service der neopubli GmbH, Berlin

    Kunst ist etwas, was so klar ist,

    daß es niemand versteht.

    Karl Kraus

    img1.jpg

    Es ist an der Zeit, das Schweigen zu brechen. Dass ausgerechnet ich einen Text über Jürgen Niedermayer alias Jonas Nix veröffentliche, mag vielen, die uns beide kennen, seltsam erscheinen. Einige seiner engen Freunde haben mir dieses Unternehmen sogar zum ernsten Vorwurf gemacht. Sie warfen mir Sensationssucht vor, weil gerade ich, der ich Jürgen nur sehr oberflächlich kannte und von einigen zu seinen Feinden gerechnet werde, diese alte Geschichte erneut aufwärmen will. Damit würde ich all das wieder ins grelle Licht einer voyeuristischen Öffentlichkeit stellen, das nach ihrer Meinung besser verborgen bliebe. Denn letztlich sei es unfassbar.

    Ich kann mich dieser Meinung keinesfalls anschließen. Vielmehr glaube ich, diese wohlmeinenden Freunde haben den Intensionen von Jürgen einen Bärendienst erwiesen. Wir dürfen nicht vergessen: Seine Tat war öffentlich, vor Publikum. Er wollte gesehen, beobachtet, rezensiert werden. Nun, im Abstand von drei Jahren, nachdem sich die durch die Medien aufwühlten Gemüter der Leute wieder beruhigt haben und längst andere Dinge das Gespräch in der Stadt bestimmen, wird es, denke ich, Zeit, Jürgens Beweggründe zusammenzufassen, sie ausführlich darzulegen und zu versuchen, in seine komplexe Psyche einzudringen.

    Ich habe mich deshalb mit meiner literarischen Aufarbeitung von Jürgens Weg an den Verlag gewendet, für den ich früher tätig war. Nun erhoffe ich mir vom Herausgeber den Mut, diesen Text trotz des Drucks von gewisser Seite ohne Zugeständnisse, Eigenzensur und Streichungen zu veröffentlichen. Ich habe bewusst keine journalistische, sondern – soweit mir das möglich war – eine epische Form gewählt. Auch wenn sie sicherlich persönlich geprägt, fragmentarisch und episodenhaft ist, denk ich, nur eine Romanhandlung kann eine Annäherung an die Person, über die ich berichten will, möglich machen.

    Ich will dieses Vorwort auch dazu nutzen, Jürgens Freundin Theresa Windisch zu danken. Obwohl erheblicher Druck auf sie ausgeübt wurde, unterstützte sie mich immer in meinem Entschluss. Ihre selbstlose Hilfe bei vielen Detailfragen war unschätzbar. Sie hofft, dass trotz der Abscheu vor Jürgens Tat durch meine Aussage endlich so etwas wie Verständnis für den ernsthaften Künstler, der er war, entstehen kann. Das ist auch meine Hoffnung. Jürgen ist nicht wie die meisten seiner Zunft wie eine Katze um den heißen Brei Wahrheit herumgeschlichen und war dabei vorsichtig bemüht, sich nicht das Maul daran zu verbrennen. Er hat sich seinen Dämonen gestellt. Er hat erbittert um Erkenntnis und mit seiner Kunst gerungen. Jonas Nix ist es wert, in der Erinnerung nicht nur als Ungeheuer, sondern auch als Mensch und großer Künstler bestehen zu bleiben.

    Deshalb habe ich diesen Text geschrieben.

    Georg Hauser, im Sommer 1998

    img3.jpg

    Ich lernte Jürgen in der Fachoberschule kennen. Wir besuchten sie vor sieben Jahren gleichzeitig. Da er, wenn ich richtig informiert bin, auf Drängen seiner Eltern ausgerechnet den von ihm ungeliebten Wirtschaftszweig besuchte, gingen wir nicht in die gleiche Klasse. Wir wären wahrscheinlich nie aneinandergeraten, wenn nicht durch einen Zufall jemand bei einer Gemäldeausstellung der Kunstkurse unserer Schule seine Arbeit neben die meine gehängt hätte.

    Jürgens Werk war eine Collage aus Zeitungsartikeln über die Wiedervereinigung und dicken, schwarzen Kreidestrichen, die ein grob skizziertes Pissoir andeuteten. Darüber war quer in Kreuzform wie mit einer Wasserpistole etwas unangenehm Bräunlich-Rotes gespritzt, das ich zuerst für Farbe hielt. Es handelte sich um ordinäres, eingetrocknetes Ketschup, wie ich bei genauerer Untersuchung erleichtert feststellen konnte. Es klebte auf dem Bild und roch sogar schwach nach Essig und faulen Tomaten. Dennoch war diese Collage gelungen, das musste ich ein wenig neidisch anerkennen. Soweit ich es damals überhaupt beurteilen konnte, war das eine ordentliche Arbeit. Sie war handwerklich überzeugend, das Werk hatte Tiefe und Inspiration. Es erregte sofort heftige Debatten bei den Besuchern der Ausstellung, die das Gemälde daneben - meine bunte, expressionistisch ausgeführte Fabrik, auf die ich sehr stolz war -, mit einem Achselzucken abtaten. Und wirklich, neben diesem durchaus als Geniestreich zu bezeichnenden, im Wortsinn originellen Werk war mein Bild unbedeutend, epigonenhaft und dilettantisch.

    Wie bei allen anderen Ausstellungsstücken klebte auch neben dem von Jürgen ein Foto, das den Künstler zeigte. Ich sah mir das Bild an, um mir das Gesicht einzuprägen, denn es war wahrscheinlich eines, das man sich merken musste. Wie ich bald darauf Gelegenheit hatte festzustellen, glich ihm dieses Foto nur in groben Zügen, es war offensichtlich eine etwas ältere und auch noch unscharfe Aufnahme.

    Während ich durch die Aula schlenderte und mir die anderen Kunstwerke ansah, wurde ich auf eine Versammlung von vielleicht acht oder neun jungen Männern aufmerksam. Sie hatten sich am anderen Ende des Raumes um ein etwas größenwahnsinniges, abstraktes Triptychon eines Freundes von mir versammelt. Es waren wohl Schüler der Fachoberschule, weil ich ein paar der Gesichter kannte, aber ich hatte noch mit keinem von ihnen gesprochen. Ich trat unauffällig näher, um ihre Meinungen zu erlauschen. Es gab unter ihnen allerdings nur eine einzige. Denn in der Mitte der Gruppe, direkt vor dem Bild, stand Jürgen in der Rolle des gnadenlosen Kritikers. Jetzt fiel mir auf, dass mir sein Charakterkopf schon häufig begegnet war. Ich kannte seine eindrucksvolle Erscheinung nicht nur vom Pausenhof und von einem Informatikkurs, den er allerdings regelmäßig schwänzte. Jeder hat das schon einmal erlebt: Er war für mich ein „öffentliches" Gesicht, das ich immer wieder einmal gesehen hatte: Selbstredend auf dem Pausenhof, aber auch auf der Straße, im Bus, in einem Lokal, bei einer Vernissage. Es war schon ein seltsames Spiel des Zufalls, durch das wir uns nicht schon früher kennengelernt hatten. Dies hier ist schließlich eine sehr übersichtliche Stadt. Wie sich später herausstellte, besaßen wir sogar ein paar gemeinsame Bekannte.

    Ich fand es irritierend, nun zum ersten Mal Jürgens tiefe Stimme zu hören. Bis jetzt war er für mich ein Gesicht in der Masse der alltäglichen Begegnungen gewesen. Es fällt mir schwer, ihn so zu beschreiben, wie ich ihn damals während der Ausstellung sah; als ich ihn zum ersten Mal wirklich aufmerksam musterte. Einiges mag sich jetzt in meine Beschreibung von ihm mischen, das mir damals noch nicht in den Sinn kam. Ich weiß aber noch, wie unproportioniert er auf mich wirkte, er war ein statisch nicht ganz ausgewogenes Bauwerk. In seinem schmalen, langgezogenen und hageren Schädel, der so aussah, als habe er ihn einem Bild von El Greco entliehen, brannten dunkle, in schwermütigen Höhlen liegende Augen mit einem ernsten, fast wahnhaften Feuer. In seinen Blicken war kein bisschen Humor zu finden oder auch nur ein Anflug von Ironie, die diesen Eindruck ein wenig hätten abmildern können. Auf der Bühne hätte wirklich einen wunderbaren „Misanthrop" in dem Stück von Molière abgegeben. Dazu schaukelte sein Asketenkopf auf einem dünnen, zerbrechlichen Hals mit einem abnormen, spitz hervorstechenden Adamsapfel. Jürgens massiver, untersetzter Leib jedoch, der entschieden zur Korpulenz neigte, stand dazu in einem geradezu grotesken Gegensatz.

    Ich sah auf seine Hände, die er erhoben hatte, um ein Detail des Triptychons näher zu erläutern. Der Anblick erschütterte mich. Seinem fetten Unterarm folgte ein breiter und grober Handteller, eine tiefe Speckfalte kennzeichnete die kaum sichtbare Abgrenzung. Aber Jürgens Finger waren dürr, lang und fein, er besaß Finger wie Jean Cocteau. Wenn der Schöpfer überhaupt jemandem jemals den Kopf und die Finger eines Künstlers geschenkt hatte, dann ihm. Der Rest seines Körpers war jedoch für einen ungeschlachten, primitiven Bauer gedacht. Ob mir damals schon der Gedanke kam, er müsse unter jenem Gegensatz leiden?

    Er stand vor dem Triptychon und sprach kurze, wirkungsvolle Sätze mit seiner klaren, dunklen Stimme. Verblüfft registrierte ich, wie andächtig und – ich finde kein anderes Wort - „fromm" ihm die anderen zuhörten. Er hatte seine Jünger vollkommen in seinen Bann gezogen. Ich schob mich noch näher an die Gruppe heran und bemühte mich, Jürgens Worten zu folgen. Es war herablassend und gemein, was er sagte. Es mochte zwar im Kern wahr sein, aber mir missfiel der offensichtliche Genuss, den er dabei empfand, das wässrige Aquarell-Triptychon meines Freundes unter dem Beifall dieser Gruppe von Speichelleckern mit Worten zu zerfleddern. Diese Häme war unter Kollegen unnötig und vor allem war sie arrogant. Schließlich waren wir doch alle Anfänger und der Kritik schutzlos ausgeliefert. Was machte es da für einen Sinn, wenn wir uns gegenseitig ans Messer lieferten? Jeder von uns suchte unsicher nach einem Weg, den er beschreiten konnte und kopierte unbeholfen und frech falsch verstandene Vorbilder. Wie konnte Jürgen nur glauben, ausgerechnet er sei die geniale Ausnahme, die das Recht hatte, die anderen verächtlich abzuurteilen?

    Er trat zum nächsten Ausstellungsobjekt, die anderen folgten ihm. Erneut vernichtete er Sinn und Gestalt des Bildes mit seiner herablassenden, leider jedoch auch zutreffenden und gerade in ihrer Kürze bösartigen Kritik. Dann gingen alle weiter zum folgenden Gemälde. Jürgen war ihr König, ihr Führer. Sie waren nur sein johlendes Gefolge ohne eine eigene Meinung. Jede Spitze von ihm fand lachenden und zustimmenden Beifall. Für einen Gänsehaut erzeugenden Moment sah ich statt Jürgen Joseph Goebbels vor mir. Ein bitterer Geschmack lag plötzlich auf meiner Zunge.

    Nachdem Jürgen auch mein Bild mit einem von einem herablassenden Schulterzucken begleiteten Verriss dem Gespött der Gruppe preisgegeben hatte, was ich, obwohl ich es erwartet hatte, wie einen Tritt in den Unterleib empfand, konnte ich mich auf keinen Fall mehr zurückhalten, als alle, vor Ehrfurcht erstarrt, ergriffen schwiegen und über das Wahre, Gute und Schöne meditierend vor seiner Collage standen. Ich musste mich rächen. Ich musste den weihevollen Augenblick kaputt machen. Das war ich den anderen Malern und der bohrenden Kränkung in meinem Herzen schuldig. Voller Abscheu stieß ich meine Worte wie Hagens Speer in Jürgens Rücken und hoffte, dass ich seine verwundbare Stelle fand:

    »Schade, dem Bild fehlen ein paar vertrocknete Pommes frites. Dann wäre es gelungener und ausgewogener«, stieß ich zornig hervor. Zehn wütende Augenpaare wandten sich zu mir. Sie musterten mich feindselig und auch ein wenig unsicher. Ich empfand eine ehrliche Befriedigung dabei, ihnen ihre heilige Kuh geschlachtet zu haben. Jürgen zuckte erschreckt zusammen, fuhr herum und sah mich sehr überrascht an. Er bemerkte mich erst jetzt. Er kniff die Augen zu einem schmalen Schlitz zusammen und schob das Unterkiefer mit einem hörbaren Knacken nach vorn. Dadurch verwandelten sich seine vergeistigten Gesichtszüge plötzlich in eine brutale und aggressive Maske. Ein sezierender Blick glitt sehr langsam an mir herab. Ich wich unwillkürlich einen Schritt zurück, mich gegen einen körperlichen Angriff wappnend, der nun als eine unausgesprochene Drohung in der Luft lag. Doch dann lachte Jürgen überraschend auf. Dieses freudlose und kurze Lachen war ein Markenzeichen von ihm.

    »Da hast du recht, ich hatte leider Angst vor Schmerzen und Konsequenzen«, stellte er wegwerfend fest. Dabei klang er äußerst unzufrieden. Ich verstand damals seine Bemerkung nicht. Aber ich verschränkte die Arme, hob die Augenbrauen und lächelte wissend. Wenn sich zwei Künstler unterhalten, hat der verloren, der zuerst seine Unwissenheit bekennen muss. Diese Regel hatte ich damals bereits gelernt und gut verinnerlicht. Ich wartete auf die unvermeidliche verbale Auseinandersetzung, die mir besser lag und bei der ich einige Punkte gut machen wollte. Doch mit Jürgen konnte man solche Spiele nicht machen. Er musterte mich noch einmal scharf und nickte einmal, zu einem sicherlich nicht schmeichelhaften Ergebnis kommend. Dann ließ er mich und die ganze Gruppe einfach stehen, ging mit schnellen Schritten aus der Aula. Fast rannte er. Seine Epigonen eilten nach einer Schrecksekunde hinter ihm her. Einer fand noch die Zeit, mir im Vorbeigehen ein Schimpfwort zuzuflüstern. Ich sah diesem ungeordneten Rückzug nach und glaubte, ich wäre als Sieger auf dem Schlachtfeld verblieben. So naiv war ich damals noch.

    Das war meine erste Begegnung mit Jürgen. Ich hielt es auch nicht für besonders wahrscheinlich, dass ihr noch weitere folgen würden. Tatsächlich hörte ich längere Zeit nichts mehr von ihm. Übrigens zog er bereits am nächsten Tag beleidigt sein Bild von der Ausstellung zurück, was ich als eine äußerst kindische Reaktion empfand.

    Ich habe ihn dann noch ab und an von der Ferne gesehen, immer von seinen Leuten umringt, die fast alle aus seiner Klasse waren. Einmal, vielleicht ein Jahr später, in einem Café, schnorrte ich ihn um eine Zigarette an, die er mir dann auch gab. Nach dem Fachabitur jedenfalls verlor ich seine Spur, bis ich von einem Bekannten Erstaunliches über ihn hörte. Das war vor nun fast vier Jahren.

    img3.jpg

    Ich hatte wegen akuten Geldmangels mein Kunststudium unterbrochen; natürlich nur kurzzeitig, wie ich mir beruhigend einredete. Ich arbeitete, da meine Bilder keiner kaufen wollte, als freier und schlecht bezahlter Mitarbeiter bei der Stadtzeitschrift MegaSzene von Rainer Werner. Abends stand ich zusätzlich viermal in der Woche in einer Musikkneipe hinter der Theke und perfektionierte das gleichzeitige Einschenken von vier Weißbieren. Davon wurde ich zwar nicht reich, aber es genügte für das sparsame Leben, das ich damals führte. Zu jener Zeit war ich nur für mich selbst verantwortlich. Es gab für mich Wichtigeres als neue Kleidung und einen vollen Bauch. Freilich hatte ich meine Hoffnungen noch nicht aufgegeben, dass ich einmal mit meiner Kunst groß herauskäme, aber die Umstände zwangen mich doch zu diesen Zugeständnissen. Immerhin musste ich nicht mehr bei der Post Briefe austragen.

    Ich sah mich selbstbewusst durchaus als einen bildenden Künstler an. Nur wenn ich malte, fühlte ich mich mit mir und meinem Leben eins. Doch ich musste auch leben und so wurden die Dinge, die mir wichtig waren, durch eine immer weiter außer Kontrolle geratende, mir geradezu mystisch erscheinende Dynamik in eine immer knapper bemessene freie Zeit gedrängt, die zusätzlich durch eine sich langsam entfaltende, enge Partnerschaft mit meiner späteren Frau Christine noch einmal beschnitten wurde. Ich war nur noch ein Wochenend-, ein Sonntagsmaler und mir gelang es über Jahre hinweg nicht, mich in meiner Kunst weiter zu entwickeln: In der Rückschau betrachtet, dilettierte ich vor mich hin. Falls ich diese Tatsache damals überhaupt akzeptierte, litt ich jedoch noch nicht unter ihr. Ich hatte mich mit dieser Art zu leben arrangiert und hoffte, sie würde ewig währen.

    Ich ging mit meinen Werken kaum an die Öffentlichkeit. Das lag vor allem in meiner Unsicherheit und Schüchternheit begründet. Anstatt der banalen Wahrheit ins Gesicht zu sehen, machte mir vor, mich würde in erster Linie die Prostitution bei irgendwelchen dummen Menschen, die dazu nötig gewesen wäre, ekeln. Es ist doch so: Schon um zu kleineren Erfolgen zu kommen, muss man sich als Künstler bei einer Anzahl von Leuten anbiedern; ihnen, um es einmal deutlich zu sagen, in den Arsch kriechen, um ein paar kleinere Gefälligkeiten zu erhalten: Vielleicht einen Raum, in dem man seine Bilder ausstellen kann, Genehmigungen, falls man sie verkaufen will, einen Rezensenten bei der Zeitung oder beim lokalen Rundfunk, eine Firma oder ein Lokal, die mit einem kleinen Zuschuss das Plakat zur Ausstellung finanzieren, eine Bank, die bei der Werbung hilft. Und dann ist man wie kein anderer der unqualifizierten Kritik von Personen ausgeliefert, die in unangreifbaren Stellungen sitzen und ernstgemeinte und tief empfundene Arbeiten mit einer nachlässigen Handbewegung als wertlos einstufen können.

    Nun, bei Jürgen war das allerdings alles anders. Ihm gelang offenbar mühelos, woran sich andere ein Leben lang vergeblich abarbeiteten. Die wenigen Spötter - ich gehörte selbst zu ihnen - behaupteten, es läge an seiner Verwandtschaft mit dem Kulturreferenten Dr. Arno Pauli. Jürgen war, das ist inzwischen ein offenes Geheimnis, sein Neffe. Die Wohlmeinenden konterten, Qualität würde sich eben auch heutzutage noch durchsetzen. Wo die Wahrheit auch zu finden sein mag, Jürgens Aufstieg zu einer Berühmtheit ging atemberaubend schnell. Er benötigte nur drei Monate nach seinem ersten öffentlichen Auftritt, um die Kunst- und Kulturszene der Stadt zu überwinden und auch überregional unvermeidbarer Mittelpunkt und Gesprächsthema Nummer Eins zu werden. Er konnte seine Bilder, die auf dem Markt erstaunliche Preise erzielten, problemlos verkaufen.

    Ein Bekannter, ich weiß nicht mehr, wer, erzählte mir Anfang Januar, dass bald ein gewisser Jonas Nix seine Bilder ausstelle und das, man höre und staune, im oberen Rathausfletz. Das ist bekanntlich ein altehrwürdiger, überladen barocker Gang von den Ausmaßen eines Saales, den höchstens alle Jubeljahre einmal, meist kurz vor der Wahl, der hiesige BBK für eine Sammelausstellung bekommt. Der Vorstand des Bundes Bildender Künstler, damals noch mit tatkräftiger Unterstützung der guten Margot Bittner-Bach, muss dafür jedes Mal von Neuem einen harten Kampf mit den Stadträten und den Betonköpfen der CSU-Fraktion ausfechten, die den Saal lieber für Tagungen und Gesellschaften, für den Ball des Sportes oder ähnlichen Unsinn benutzt sehen wollen.

    Ich hatte für diese Mitteilung meines Bekannten nur ungläubiges Kopfschütteln. Ich konnte es erst recht nicht glauben, als ich erfuhr, dass dieser Nix ein junger Künstler aus unserer Stadt war. Ich

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